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Archiv "Finanzielle Grenzen des Dialyseprogramms" (15.12.1977)

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Finanzielle Grenzen des Dialyseprogramms

Harald Clade

Während sich in den vergange- nen sieben Jahren die Kosten der Klinikdialyse spürbar erhöht haben, ist bei der Heimdialyse eine Senkung der Kosten erfolgt, wie die Titel-Grafik verdeutlicht.

In der Diskussion um den expansiven Ausgabentrend im Gesundheits- wesen rücken besonders „kostenträchtige" Krankheitsbilder immer mehr in den Blickpunkt. Dies trifft insbesondere auch für das Krank- heitsbild „terminale Niereninsuffizienz" zu. Gegenwärtig werden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 6000 chronisch Nierenkranke durch Dialyse versorgt, davon allein 4000 in Kliniken und durch die freie niedergelassene Praxis, weitere 2000 Patienten in der eigenen Wohnung, also im Wege der Heimdialyse und durch die sogenannte Limited-Care-Dialyse. Die Behandlung dieser Patienten kostet zur Zeit jährlich mehr als 460 Millionen DM. Hinzu kommen Folgekosten und Sozialleistungen von erheblichem Umfang. Die Behandlungskosten chronisch Nierenkranker werden für 1982 jährlich mit mindestens 1,2 Milliarden DM veranschlagt. In diesem Beitrag werden vornehmlich unter betriebs- und volkswirtschaftlichen sowie sozialpolitischen Aspekten die Kostendimensionen im Gesamt des Sozialbudgets auf- gezeigt und Entscheidungsalternativen diskutiert. Dem Aufsatz liegt ein Referat*) zugrunde, das der Verfasser beim 4. Dialyse-Ärzte-Work- shop am 21. Oktober 1977 in Ludwigsburg gehalten hat.

I. Medizinisch-technischer Fortschritt und Kostenexplosion im Gesundheitswesen

Umfang, Intensität und Kosten der medizinischen Versorgung werden von vielen, zum Teil nur schwer quantifizierbaren Determinanten be- einflußt. Hierdurch entsteht ein au- ßerordentlich komplexer Sachver- halt, der bei kritischer Betrachtung der derzeitig expansiven Kostenent- wicklung im Gesundheitswesen und den Versuchen, Möglichkeiten ihrer Begrenzung aufzudecken, sehr sorgfältig unter Berücksichtigung der unterschiedlichsten Aspekte analysiert werden muß.

Es ist fast unmöglich, unbestreitbare Aussagen über den Umfang und die

Intensität einer wünschenswerten medizinischen Versorgung der Be- völkerung zu machen. Zwischen den Vorstellungen, was an medizini- schem Versorgungsniveau minimal erforderlich ist, was mit angemesse- nen Mitteln machbar oder was opti- mal wünschenswert ist, bestehen Unterschiede, je nachdem, ob sie von Patienten, Ärzten, Sozial- oder Gesundheitspolitikern, von Kran- kenkassenfachleuten, von Sozio- technikern oder — deren Antipoden — Sozialethikern und Moralphiloso- phen entwickelt werden. Zudem macht es einen Unterschied, ob die-

*) Der Verfasser dankt Herrn Prof. Dr. med. E.

Renner, Chefarzt am Städtischen Krankenhaus Köln-Merheim, und Herrn Dr. med. K. Finke, Oberarzt am Städtischen Krankenhaus Köln- Merheim, für wichtige Anregungen.

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Darstellung 1: Heimdialyse im internationalen Vergleich (Angaben in Prozent, bezogen auf die Gesamtzahl der Heimdialysepatienten)

70

•••••••••• ,i Großbritannien 65,8

60—

50—

moi USA Home + 47,4

„limited care"

Kanada 42,8 Irland 36,6 Bundesrepublik 29,5 Deutschland

USA 24,0

Schweden 23,1 Schweiz 21,8 Europa 19,2

10—

40

30

20-4

I I I

1970 71 72 73 74 75 1976

Quelle: Combined Report an Regular Dialysis and Transplantation in Europe, VI, Medolla/

Italy, 1975, Seite 21.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Finanzielle Grenzen des Dialyseprogramms

se Vorstellungen vor zehn Jahren allgemeingültig waren oder aber auch heute noch breite Resonanz finden.

Um diese allgemeinen Feststellun- gen auf das Dialyse-Problem zu re- duzieren: Die technische Entwick- lung, der medizinisch-technische Fortschritt und die zunehmende Er- fahrung während der letzten zehn bis 15 Jahre haben die Grenzen der Möglichkeiten der Dialysebehand- lung und Nierentransplantation im-

mer weiter hinausgeschoben. Ein- schränkungen, die früher festge- schrieben schienen, gelten zumin- dest in den hochindustrialisierten Ländern heute nicht mehr. Die Zahl der Dialysepatienten nimmt in der Bundesrepublik und im Ausland ständig zu. Damit steigen aber auch die Anforderungen an die Medizin- technik ebenso wie an das notwen- dige Fachpersonal. Im Gefolge da- mit wachsen die Kosten für die Be- handlung ständig. Die Entwicklung hat aber auch zur Folge, daß die

Unsicherheit wächst, ob nun das, was in diesem Grenzgebiet noch möglich ist, auch tatsächlich medizi- nisch, gesellschaftspolitisch, volks- wirtschaftlich und nicht zuletzt aus humanitären Gründen richtig und vertretbar ist. Diese Unsicherheit und die Notwendigkeit zwischen Handlungsalternativen entscheiden zu müssen — bei zunehmend be- grenzten finanziellen Mitteln — ha- ben sicherlich zunächst einmal einen medizinisch-menschlichen Aspekt. Fragen nach der Zumutbar- keit der Behandlung oder der Trank- plantation bei alten Menschen oder bei Patienten mit Begleiterkrankun- gen neben der terminalen Nierenin- suffizienz, Fragen auch nach der Be- rechtigung, die Entscheidung des Arztes für oder gegen die Behand- lung, für oder gegen eines der mög- lichen Behandlungsverfahren erfor- dern einen Entscheidungsprozeß von großer Tragweite.

Selten knüpften sich an einen medi- zinisch-technologischen Fortschritt wie die Dauer- und Heimdialyse oder die Nierentransplantation so erhebliche ökonomische, soziale, organisatorische und psychologi- sche Probleme, die auch ein Um- denken im Verhältnis vom Arzt zum Patienten erforderlich machen.

Gerade weil in bisher nicht gekann- tem Maße so viele Probleme inein- ander übergreifen, wurden in aller Welt und auch hierzulande Modell- versuche gestartet, deren Entwick- lung in vielen Einzelbereichen je- doch noch keineswegs abgeschlos- sen und deren Erfahrungsschatz noch nicht überall ausgeschöpft und nutzbar gemacht worden ist.

II. Daten-

und Fakten-Analyse

Der hier insbesondere zu analysie- rende finanzielle, betriebswirt- schaftliche Aspekt und die Einord- nung des Stellenwertes der Dialyse- therapie und der Dialysekosten in das gesamte Gesundheitsbudget der Bundesrepublik Deutschland er- fordern zunächst die Vermittlung einiger aufschlußreicher Daten und

2968 Heft 50 vom 15. Dezember 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Fakten. Daraus sind dann Folgerun- gen zu ziehen, Entscheidungsalter- nativen aufzuzeigen und Grenzen aufzuspüren.

~ ln der Bundesrepublik Deutsch- land werden gegenwärtig 6000 chro- nisch Nierenkranke durch Dialyse versorgt; davon allein 4000 in Klini- ken, Behandlungszentren und Pra- xen. Weitere 2000 in der eigenen Wohnung, also im Wege der Heim- dialyse. Die Relation beträgt also zwei Drittel Zentrumsdialysepatien- ten zu einem Drittel Heimdialysepa- tienten.

Nierenverpflanzungen werden der- zeit an 24 bundesdeutschen Kliniken durchgeführt. Zu Jahresbeginn be- trug die Gesamtzahl der bisher in der Bundesrepublik Deutschland verpflanzten Nieren 1004. Im Jahr 1975 wurden 228 Nierentransplan- tationen in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen, eine noch viel zu geringe Zahl. Dies ent- spricht statistisch 2,8 Verpflanzun- gen pro einer Million Einwohner und Jahr. Die Bundesrepublik Deutsch- land liegt von 29 europäischen Län- dern hinsichtlich der Zahl der Transplantationen nur auf einem 21. Platz. Bei der Dauerdialyse haben wir ein Verhältnis von 81,8 pro einer Million Einwohner. Dies entspricht einem siebten Rang von 12 unter- suchten Ländern (alle Zahlen auf das Jahr 1975 bezogen. - Heute dürfte sich das Verhältnis etwas ver- bessert haben: ln der Bundesrepu- blik haben wir 96 Dauerdialysepa- tienten pro einer Million Einwohner; in Frankreich, das in Europa an der Spitze liegt, sind es 106).

Die Betrachtung zeigt: Die Bundes- republik ist demnach hinsichtlich der Zahl der Transplantationen lei- der noch ein "Entwicklungsland".

Wir sind noch weitgehend von der Versorgung durch Eurotransplant in Leiden/Niederlande abhängig, oh- ne eine ausreichende Zahl von Spenderorganen dorthin zu liefern (Darstellung 1).

Folgende Behandlungskosten dürf- ten heute bei der Dauerdialyse im Durchschnitt anzusetzen sein:

~ im Falle der Zentrumsdialyse in der Klinik oder der Praxis eines nie- dergelassenen Arztes rund 90 000 bis 100 000 DM pro Patient und Jahr;

~ im Falle der Heimdialyse, die ei- nen großen Teil der Leistungen und Lasten auf den Patienten und des- sen Familie in Form von Eigenbetei- ligung und Selbsthilfe ablädt, rund 50 000 bis 60 000 DM pro Patient und Jahr;

~ im Falle der Limited-Care-Dialyse, die mit weniger Fachpersonal als die Zentrumsdialyse auskommt, zwi- schen 60 000 und 70 000 DM pro Pa- tient und Jahr.

Geht man davon aus, daß chronisch Nierenkranke zwei- bis dreimal wö- chentlich dialysiert werden müssen und unterstellt man die genannten Durchschnittskosten, so kostet zur Zeit die Behandlung der 4000 Zen- trumdialysepatienten jährlich 360 Millionen DM; die Behandlungsko- sten der 2000 Heimdialysepatienten betragen 100 Millionen DM jährlich (die Zahl der Limited-Care-Dialyse- Patienten konnte dabei nicht beson- ders erfaßt werden). Insgesamt be- laufen sich somit die Gesamtkosten der Dialysebehandlung auf 460 Mil- lionen DM jährlich.

Etwa 1000 der Schwer-Nierenkran- ken bedürfen zur Zeit der Transplan- tation, da ihnen damit besser und kostengünstiger geholfen werden kann als mit der Dialyse. Zur Zeit können aber nur 200 durch Trans- plantation von Klinik- oder Heimdia- lyse befreit werden. Die Probleme sind weitgehend bekannt: Zum ei- nen sind manche Kliniken heute per- sonell und räumlich noch nicht in der Lage, noch mehr Transplantatio- nen vorzunehmen. Dafür braucht man erst einmal sehr viel Geld. Das größte Problem aber: Es gibt zu we- nige Spenderorgane. Zudem läßt das seit Jahren geforderte Trans- plantationsgesetz, das die Organ- entnahme erleichtern soll (etwa durch sogenannte Widerspruchslö- sung) immer noch auf sich warten, und mit einer raschen Verabschie- dung dürfte auch in naher Zukunft

nicht zu rechnen sein, obwohl die Vorarbeiten zu einer gesetzlichen Regelung bereits weit gediehen sind.

Gegenüber der Heimdialyse schnei- det die Transplantation hinsichtlich der Kosten überaus günstig ab: Eine Transplantation kostet im ersten Jahr 30 000 bis 40 000 DM, in jedem folgenden Jahr 3000 bis über 8000 DM. Rechnet man die Kosten hoch, so kommt man bei 200 bis 230 Transplantationen pro Jahr auf ei- nen Gesamtkostenbetrag in Höhe von sechs bis fast zehn Millionen DM. Hinzu kämen die direkten Fol- gekosten in den Jahren nach der Transplantation bei den 300 bis 400 in der Bundesrepublik noch leben- den Empfängern von Spenderorga- nen. Daraus ergibt sich ein Betrag von einer weiteren Million DM, so daß die Transplantationskosten zu- sammen 7 bis 32 Millionen DM betragen.

Ein Blick in die Zukunft der Dauer- und Heimdialyse ergibt folgende Rechnung (nach Angaben des Kura- toriums für Heimdialyse e. V., Neu lsenburg):

Geht man davon aus, daß jährlich rund 40 neue Dialysepatienten pro einer Million Einwohner (absolut:

2400) dazukommen und sich unter der aus heutiger Sicht gegeneinan- der aufgerechneten Zuwachsrate, Lebenserwartungs- beziehungswei- se Todesfallrate und schließlich der tendenziellen Abwanderung zur Transplantation sich die Zahl der je- weils gleichzeitig dialysierten Pa- tienten etwa bei 100 Personen pro einer Million Einwohner einpendeln wird, so wird die Dialysepatienten- population bis zum Jahre 1982 auf rund 16 000 chronisch Nierenkranke wachsen. Selbst wenn die Kranken- hauskosten nicht weiter steigen würden und wenn es gelänge, den Anteil der Heimdialysepatienten an der Gesamtversorgung bis zum Jahr 1982 zu verdreifachen, wären dann für 10 000 Zentrumsdialysepatienten jährlich 900 Millionen DM und für 6000 Heimdialysepatienten zusätz- lich 300 Millionen DM aufzuwenden.

Unter sonst gleichen Bedingungen

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Finanzielle Grenzen des Dialyseprogramms

wären in fünf Jahren jährlich somit 1,2 Milliarden DM aufzuwenden — ein Betrag, der wahrscheinlich noch viel höher liegen wird, da sich die Kosten der Krankenhauspflege bis 1982 nach Schätzungen von Exper- ten (rheinland-pfälzisches Sozial- budget, Professor Dr. Hermann Hoffmann, Dortmund) nahezu ver- doppeln werden.

Ein großes Unsicherheitsmoment in der Schätzung der Dialysepatienten- population besteht außerdem darin, wie es gelingt, die Ergebnisse der Heimdialyse und die klinischen Er- fahrungen vermehrt bei Zweiter- krankungen (zum Beispiel Diabetes) und verstärkt auf Patienten über 60 und unter 15 Jahren anzuwenden.

Für den Betriebswirt fast unwägbar ist das damit verbundene höhere medizinische Risiko, das ärztliche Haftungsrisiko und die Frage, ob an- dere Verwendungsalternativen bei begrenzten Ressourcen zu raten wä- ren. Interessant ist in diesem Zusam- menhang eine Feststellung von Dr.

Hans J. Gurland, München, anläß- lich des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (1974). Er sagte, daß 40 Prozent der heute behandelten Dialysepatienten vor zehn Jahren noch nicht behan- delt worden wären.

Versucht man sich ein Bild vom Stel- lenwert der Kosten der Dialysepro- gramme im Gesamt des bundes- deutschen Gesundheitswesens zu machen, so ergibt sich folgende Rechnung: Im Jahr 1977 dürften die Gesamtausgaben der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung rund 75 Milliarden DM betragen. Ge- messen an diesem Betrag machen die Direktkosten der Dialysebehand- lung einschließlich der Transplan- tationskosten weniger als ein Pro- zent aus. Gemessen am Bruttoso- zialprodukt von derzeit über 1,2 Bil- lionen DM wäre der Kostenanteil noch verschwindend geringer. Diese Prozentrechnung mag auf den er- sten Blick das Kostengewissen be- ruhigen, festzustellen aber ist: Für einen relativ kleinen Bevölkerungs- anteil (6000 Bundesbürger) wird ein relativ hoher und in naher Zukunft

exponentiell wachsender Kostenan- teil den Kostenträgern und damit der Gemeinschaft aller Versicherten aufgelastet. Zwar ist es Sinn jeder Versicherung und des Solidaritäts- prinzips, daß auch Großrisiken von der Gemeinschaft finanziell getra- gen werden. Aber die Grenzen der Solidarpflicht können bei der hier gegebenen extremen Relation sehr schnell erreicht werden, oder das Solidaritätsprinzip kann sonst sogar in sein Gegenteil verkehrt werden.

Denn immerhin müssen 98 Prozent der Bevölkerung, die gegen Krank- heit versichert ist, die Kosten und Folgekosten von einem Promille der Bevölkerung (6000 Patienten) finan- zieren.

Die Frage, können wir uns den Be- handlungs- und Heilungsaufwand auch in Zukunft noch leisten, wo und wie muß sinnvollerweise ge- steuert werden, kann nur vorder- gründig beantwortet werden, wenn lediglich die betriebswirtschaftlich exakt erfaßbaren Direktkosten der Dialysebehandlung berücksichtigt werden.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse und ei- ne Sozialbudgetrechnung muß auch die enormen, von Patient zu Patient sehr unterschiedlichen Sozialkosten erfassen, die dem Kranken- und Rentenversicherungsträger, der So- zialhilfe und anderen Soziallei- stungsträgern entstehen (Entspre- chendes gilt auch für den „Nutzen"

bei Rehabilitation).

Dies sind in erster Linie:

a) Kosten der stationären Kranken- pflege im Akutfall oder bei Kompli- kationen;

b) Arznei- und Heilmittelkosten;

c) Fahrt- und Transportkosten;

d) Sterbehilfekosten;

e) Hinterbliebenen- und Waisen- rente;

f) Sozialhilfe (Einzelhilfe oder Hilfe zum Lebensunterhalt);

g) sonstige Sozialleistungen.

Bei der Heimdialyse kommen nicht- ausgabenwirksame Sozialkosten hinzu, die in Form von Selbsthilfe und Hilfe von Familienmitgliedern für den Dialysepatienten in einem zum Teil erheblichen Umfang er- bracht werden. Dieser Aufwand läßt sich nur schwer schätzen, allenfalls in einer Vergleichsrechnung mit der Zentrumsdialyse, bei der sich die Kosten als Pflegekosten ausgaben- wirksam niederschlagen. Ein An- spruch auf Zahlung eines Pflegegel- des ist bei der Heimdialyse nicht ge- geben, wie das Bundessozialgericht im Juli 1977 in einem Grundsatzur- teil feststellte. Es hat das Begehren eines Krankenversicherten auf Zah- lung von 15 DM je Dialysebehand- lung abgelehnt.

Rechnet man die Arztkosten zu den pauschalierten Direktkosten hinzu, so ergibt sich folgendes Verhältnis:

Pro Heimdialyse werden die Kassen mit 340 bis 370 DM belastet, wohin- gegen die Dialyse in der kassenärzt- lichen Praxis oder im Zentrum über 600 DM beträgt (Arztkostenanteil mit 36,— DM pro Dialyse berechnet). Da die Zentrumsdialyse das 1,7fache der Heimdialysekosten verursacht, spricht die Ökonomie für einen möglichst frühzeitigen Übergang von der Zentrums- zur Heimdialyse oder zumindest zur Limited-Care- Dialyse. Allerdings ist die Rückver- weisung auf die Heimdialyse nicht nur ein medizinisch-gesundheitspo- litisches Problem, sondern auch ein Problem der Selbst- und Mithilfe durch Familienangehörige. Auch gute medizinische Gründe sprächen dafür. Wir alle wissen, daß betriebs- wirtschaftliche und medizinische Notwendigkeiten auch hier nur be- grenzt realisiert werden können, wenn die Heimdialyse aus familiären und persönlichen Gründen eben nicht immer in medizinisch indizier- ten Fällen durchgeführt werden kann. In unserer Arbeitnehmerge- sellschaft ist die Kern- und Kleinfa- milie im Schwinden begriffen; zu- dem hat die Anspruchsinflation in unserem Wohlfahrtsstaat den Trend begünstigt, die kostenträchtigere, aber für die Beteiligten oftmals „be- quemere" Zentrumsdialyse zu bean- spruchen (Darstellung 2). I>

2970 Heft 50 vom 15. Dezember 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Darstellung 2: Entwicklung der Kosten einer Heimdialyse') bezie- hungsweise einer Klinikdialyse')

DM

600 -

500 -

400 -

300 -

200-

100-

1

1970 7 1

1 72 73 74 75 76 1977 580 Klinikdialyse

420

1 320 0

305 290 Heimdialyse

') Vergleichbare Durchschnittskosten des Kuratoriums für Heimdialyse Neu Isenburg.

2) Geschätzter Durchschnitt für die Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: K. Ketzler, Wirtschaftliche Aspekte der Versorgung chronisch Nierenkranker durch Dialyse und Transplantation, in: Die Krankenversicherung, 29. Jg., Heft 11/1977 (im Druck).

III. Unzulängliche

Kosten-Nutzen-Rechnungen Obwohl der Entscheidungszwang wie überall in der Medizin auch hier wächst, wissen Kranken- und Ren- tenversicherungsträger nur unzurei- chend die Kostendimension des Krankheitsbildes „terminale Nieren- insuffizienz" einzuschätzen. Mit einigen 1000 DM werden die Kassen allein durch Fahrt- und Taxikosten jährlich belastet; selbst große Lan- desverbände von RVO-Krankenkas- sen besitzen über diese Ausgaben keine Unterlagen, allenfalls die Kas- se des Patienten selbst. Der Medika- mentenverbrauch ist ebenfalls grö- ßenordnungsmäßig nur schwer zu erfassen, je nachdem, ob ein oder mehrere Krankheitsbilder zusam- mentreffen. Die Krankengeldzahlun- gen dürften gering zu veranschla- gen sein; nach Erfahrungen der Kli- nik Köln-Merheim beziehen weniger als 20 Prozent der Dialysepatienten Krankengeld. Bei längerfristigem Bezug drängt die Kasse meist sehr schnell darauf, auf Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente umzuschal- ten. Daß dieses Umschalten bei den Rentenversicherungen massiv und lang andauernd zu Buche schlägt, ist keine Frage.

60 bis 80 Prozent der Nierendialyse- patienten gelten als beruflich reha- bilitiert, so daß sie in der Regel kei- nen Anspruch auf weitere Soziallei- stungen haben. Allerdings kann die Erwerbsfähigkeit so eingeschränkt sein, daß Berufsunfähigkeitsrente gezahlt wird, obwohl ein zwar redu- ziertes Erwerbseinkommen bezogen wird. Angaben über die Zahl der Fäl- le und die Kostenrelevanz dieser Gruppe von Patienten liegen aller- dings nicht vor. Immerhin muß man in einer Kosten-Nutzen-Rechnung auf der Positivseite verbuchen, daß die in den Erwerbsprozeß reinte- grierten Patienten je nach dem er- reichten Grad ihrer Rehabilitation einen Beitrag zur Steigerung des Bruttosozialprodukts durch ihre Be- rufstätigkeit leisten und als Bei- trags- und Steuerzahler in beträcht- lichem Maße zur Mitfinanzierung und Alimentierung der nicht voll er- werbs- und berufsfähigen Patienten

dieses oder anderer Krankheitsbil- der beitragen. In Anbetracht des ho- hen Grades der beruflichen Rehabi- litation von Nierendialysepatienten ist es sogar wahrscheinlich (wie amerikanische Untersuchungen er- geben haben), daß der volkswirt- schaftliche Beitrag der berufstätigen Dauerpatienten so groß ist, daß er die Finanzierung der Soziallasten der nicht berufstätigen Patienten (der weitaus geringeren Gruppe) weitgehend bestreitet oder diese so- gar mehr als kompensiert. Ein Opti-

mum — aus der Sicht einer volkswirt- schaftlichen Kosten-Nutzen-Rech- nung — wäre bereits dann erreicht, wenn sich Aufwand und Ertrag die- ser und jener Gruppe die Waage halten.

Weitaus geringer ist der Anteil der Dialysepatienten, die dauernd er- werbs- oder berufsunfähig sind: Sie liegt in der Bundesrepublik Deutschland derzeit zwischen 20 und 40 Prozent. Diese Gruppe be- zieht demnach eine Rente oder an-

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Dialyseprogramm

dere Sozialleistung (Pension, Kran- kengeld, Sozialhilfe usw.). Durch- schnittsbeträge und Hochrechnun- gen zu nennen, wäre ein schwieri- ges Unterfangen, denn diese Lei- stungen sind individuell sehr unter- schiedlich. Sie hängen weitgehend vom Einkommen und vom Versi- chertenlebenslauf ab (Lohnbezo- genheit der Rente).

Unterstellt man eine durchschnittli- che Lebenserwartung des Dialyse- patienten von 12 bis 15 Jahren nach Beginn der Dialysebehandlung, so ergeben sich in Form von Renten- und Pensionszahlungen beim Able- ben des Patienten enorme Sozial- kosten, die als Gemeinschaftsaufga- ben durch die Rentenversicherungs- träger und den Staat finanziert wer- den müssen. Exakte Angaben hier- über liegen nicht vor, allenfalls Ver- gleichszahlen: So schlägt beispiels- weise ein letaler Infarkt mit etwa ei- ner halben Million DM an Folgeko- sten für Witwen- und Waisenversor- gung zu Buche. Ein Mehrfaches be- trägt der Produktionsausfall, der in eine gesamtwirtschaftliche Kosten- Nutzen-Rechnung eingehen müßte.

Diese Rechnung kann analog auf das Dialyseproblem übertragen werden.

Ähnlich schwierig ist die Erfassung der Gesamtkosten bei vergleichba- ren Krankheitsbildern (also bei chro- nischen Leiden und Gebrechen). Ein Bluterpatient "kostet" die Kassen jährlich 100 000 DM, im Extremfall über 1,5 Millionen DM jährlich. Im Vergleich zu der Zahl der Dialysepa- tienten ist die Zahl der Bluter in der Bundesrepublik •mit 3600 Patienten geringer und dürfte in Zukunft nur linear wachsen, während die Zahl der chronischen Nierenkranken wahrscheinlich exponentiell steigen wird.

e

Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. pol. Harald Clade Redaktion

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41 (Lindenthal)

THEMEN DER ZEIT

Die möglichen Auswirkungen staatlicher Einflußnahme

auf die Arzneimittelentwicklung

Harald Friesewinkel

Fortsetzung und Schluß

Mehrere wissenschaftliche Studien haben sich mit der Frage nach der Auswirkung zunehmender staatli- cher Reglementierung auf die "ln- novationskreativität" und damit auch auf die Forschungs- und Ent- wicklungskosten (FE-Kosten) be- schäftigt. Aus Platzgründen seien nur einige Publikationen angeführt, die uns diese Auswirkungen klar vor Auge führen.

Die Studie von S. Peltzman kommt zu mehreren interessanten Schluß- folgerungen (29, 30*)):

...,.. Die "Amendments" von 1962 re- duzieren eindeutig die Innovations- kreativität hinsichtlich neuer chemi- scher Produkte.

...,.. Der Unterschied zwischen der Vor- und Nach-"Amendment"-Pha- se ist eindeutig durch ökonametri- sehe Modellansätze bestätigt.

...,.. Die Anteile der unwirksamen, ne- benwirkungsreichen und fraglichen (nach dem Gesetz) Arzneimittel sind mit zirka 10 Prozent in der Vor- und Nach-.. Amendment''-Phase gleich- geblieben.

Der gesellschaftliche Nutzen ist nach der Studie von Peltzman (31) um berechenbare Anteile kleiner ge- worden. Darüber hinaus muß auf ein weiteres Ergebnis hingewiesen wer- den: Parallel zum signifikanten Rückgang der Neueinführung gehen auch die Erlöse, Marktanteile und Deckungsbeiträge für die verbliebe- nen Neueinführungen zurück. Damit mull .eine solche Reglementierung förmlich zum Marktversagen führen; /denn die Innovationsbedeutung in bezug auf "alte" Märkte und damit

der Einfluß auf die Preiselastizität nimmt ab, was zur Erstarrung, zur Betonierung des Marktes führt.

Interpretieren wir die bemerkens- werten Peltzmanschen Ergebnisse, so lassen sich folgende Konsequen- zen entwickeln:

...,.. Der "therapeutische Fortschritt"

wird durch staatliche Eingriffe (im Sinne der FDA) stark und eindeutig (horizontal wie vertikal) gebremst.

...,.. Die verbliebenen Neueinführun- gen sind zu schwach, um Alternati- ven zu "alten, konventionellen The- rapiemaßnahmen" zu setzen. Die Marktbedeutung von Innovationen geht sukzessive zurück.

...,.. Die staatliche Reglementierung verunsichert den Verbraucher, so daß dieser neue Therapieangebote weniger und weniger akzeptiert als bekannte. Damit ist eine sehr starke Tendenz

sichtbar.

zum Marktversagen

...,.. Die Kreuzelastizität der Werbung sinkt bei Neueinführungen und steigt bei Altprodukten. Damit wird das auf die Bedürfnisstruktur des Marktes abgestimmte Lebenszyklus- modell (1, 16) in Frage gestellt.

Mit methodelogisch anderen Ansät- zen kommt M. Bailey zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie Peltzman (5, 38). Bailey stellt fest:

...,.. Die Verstärkung der Reglementie- rung durch den Staat korreliert sehr

") Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonder- drucks.

2972 Heft 50 vom 15. Dezember 1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Referenzen

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