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Archiv "Kosten bremsen aber wie?" (25.07.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Extrakorporale Befruchtung KURZBERICHT

unserem Recht dagegen andere lebende und tote Objekte sogar gegen ihren Eigentümer ge- schützt sind: Bäume, Kunstdenk- mäler.

Rechtlich sind also Experimente und Manipulationen an „freien"

Embryos nicht relevant. Es er- scheint möglich, ihre Verwen- dung zu Forschungszwecken in- nerhalb einer bestimmten Zeit- spanne zuzulassen, ihre nachfol- gende Einpflanzung jedoch für unzulässig zu erklären. Nur: da- nach müßten sie beseitigt werden.

Man könnte dies aus ethischer Sicht als „Tötung" ansehen — man könnte aber, ebenso aus ethi- scher Sicht, geradezu fordern, daß solche Embryonen vernichtet werden müssen.

Dies führt unweigerlich zu einem weiteren Dilemma: man muß dann selektieren. Ein Vorgang, den die Natur in ihrer Grausamkeit bei der natürlichen Fortpflanzung aller Wahrscheinlichkeit nach auch be- treibt — nur kennen wir ihre Krite- rien nicht, und wir wissen auch nicht, ob es moralisch und juri- stisch statthaft sein kann, unsere eigenen Maßstäbe anzulegen: Zu- fallsprinzip? Optimierung (darf

man, soll man Krankheitsanlagen überhaupt ausmerzen, falls dies eines Tages möglich werden soll- te)? Gesellschaftliche, politische, ideologische Gesichtspunkte? .. .

I

Intensive Diskussion ist dringend notwendig Der Vorstand der Bundesärzte- kammer kam nach eingehender Diskussion einhellig zu der Auf- fassung, daß diese und ähnliche

Einzelfragen dringend auf breiter Basis diskutiert werden müssen.

Man wird hierzu das Gespräch mit allen Interessierten suchen, wo- bei schon auf dem Seminar als Vorbild für ein mögliches Ergeb- nis Richtlinien genannt wurden, wie sie der Wissenschaftliche Bei-

rat beispielsweise für die Fest- stellung des Hirntodes erarbeitet hat. Günter Burkart

„Das Gesundheitswesen, insbe- sondere der zentrale Steuerungs- und Verteilungsapparat, die ge- setzliche Krankenversicherung (GKV), muß auf den Prüfstand. Ins- besondere das Organisationsge- füge und die historisch und sehr unsystematisch entstandenen Strukturen müssen zum TÜV". So der Tenor eines fast unter Aus- schluß der Öffentlichkeit durchge- führten zweitägigen öffentlichen gesundheitspolitischen Anhö- rungsverfahrens der SPD-Bundes- tagsfraktion im Bundeshaus.

Wer unkonventionelle und neue Reformthesen und gar Patentre- zepte für die aktuelle gesund- heitspolitische Diskussion von dem Plausch im „Hohen Haus" er- wartet hatte, kam kaum auf seine Kosten. In einem war sich die Handvoll zum Dialog bereiter So- zial- und Gesundheitspolitiker der SPD mit den Repräsentanten der Krankenkassen und ärztlichen Verbände allerdings einig: Das Gesundheitswesen und die ge- setzliche Krankenversicherung sind zu wichtige und sensible Ge- bilde, als daß sie für waghalsige Experimente, für eine „Reform an Haupt und Gliedern" zur Disposi- tion gestellt werden dürften. Ex- trem einseitige Lösungsansätze haben kaum eine Chance, rea- lisiert zu werden. Dies gilt für puri- stische und rein ökonomistische Ansätze von vorwiegend markt- wirtschaftlich orientierten Ge- sundheitsökonomen ebenso wie für etatistische, straff zentralver- waltungswirtschaftlich ausgerich- tete Reformmodelle.

So sehr manche prominente SPD-Gesundheitspolitiker (Anke Fuchs, Erwin Jahn) nicht verheh- len wollen, daß sie das Heil der weiter zu betreibenden Kosten- dämpfungspolitik darin sehen, die staatliche Globalsteuerung auszu- bauen und am straffen Zügel zu führen, so sehr polarisiert sich

diese Position mit der Meinung sowohl der Krankenkassen- als auch der „Leistungserbringer"- Seite. Sie geben der eigeninitiier- ten Systemsteuerung auf „mittle- rer Ebene" (also der Verbände) den Vorzug vor allen staats-inter- ventionistischen und von oben diktierten Eingriffen in das Sy- stem. Daraus könne unvermittels eine nicht gewollte Interventions- spirale mit allen negativen Vorzei- chen entstehen.

Der (liberale) Hannoveraner Ge- sundheitsökonom Prof. Dr. rer.

pol. Klaus-Dirk Henke warnte vor einem übertriebenen Pragmatis- mus in der Gesundheitspolitik, der den Blick für Prioritäten und Qualitätsgesichtspunkte verstellt.

Er betonte: Will man sich mit dem

„Durchwursteln" nicht für alle Zeiten abfinden, dann brauchen wir mehr Rationalität in der Mittel- verwendung. Rationalität ist aber seiner Auffassung nach genau das Gegenteil dessen, was landläufig unter Rationierung, Quotierung, Plafondierung und bloßer Zutei- lung von Gesundheitsgütern und -dienstleistungen zu verstehen ist.

Im politischen Reformgeschäft und unter dem Ziel einer rationel- leren Gesundheitsversorgung sind nach Henke vier Ziele anzu- steuern:

• Ausgewählte Krankheiten soll- ten wirkungsvoller bekämpft und unter dem Gesichtspunkt der Ko- sten-Mittel-Relation beurteilt wer- den, ohne aber den Mitteleinsatz von einer inhumanen Mittelbe- grenzung abhängig zu machen.

O Auch in den achtziger Jahren müsse gezielt Kostendämpfung betrieben werden. Dabei sollte ein wohl austariertes, alle Sekto- ren umfassendes Konzept zum Zuge kommen, ohne daß einer des anderen Kostgänger wird und bleibt. Nur eine gesamtwirtschaft-

Kosten bremsen aber wie?

Gesundheitspolitische Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion

2226 (20) Heft 30 vom 25. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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liehe Verantwortung für die insge- samt zur Disposition stehenden li- mitierten Mittel entkrampft den sich bereits abzeichnenden Ver- teilungskampf.

E) Rationellere Gesundheitsver- sorgung bedingt auch konkretere Ansatzpunkte für eine präventive Lebensführung und eine gezielte Krankheitsfrüherkennung.

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Die knappen Forschungsmittel sollten wirksamer vergeben wer- den.

Die Effektivitäts-, Effizienz- und Qualitätsbeurteilung des Gesund- heitswesens steckt hierzulande noch in den Anfängen. Professor Henke wies zu Recht darauf hin, daß es müßig sei, die Qualität und den Standard der gesundheit- lichen Versorgung der Bevölke- rung ausschließlich am Anteil der Ausgaben für Gesundheit/Krank- heit am Bruttosozialprodukt (BSP) messen zu wollen. Auch könne die von der SPD aufgeworfene Frage, ob die Gesundheitsquote als "spezielle Staatsquote" ein Resultat oder aber eine politisch vorzugebende Größe sei, nicht mit "entweder", "oder" bzw. mit wissenschaftlichem Aufwand be- antwortet werden.

Kosten-Nutzen-Studien haben nur dann ihren Sinn und sind aussa- geträchtig, wenn neben den lau- fenden Gesundheits-/Krankheits- Ausgaben {direkte Kosten) auch die indirekten Kosten (Produk- tionsverluste infolge Krankheit, Invalidität, vorzeitiger Tod, Lohn- ersatzleistungen) als indirekte Aufwandskategorien berücksich- tigt werden. Auch intangible, nicht in Heller und Pfennig meßbare Kosten/Verluste sind mit in das Entscheidungskalkül einzubezie- hen.

Diese Thesen sind zwar nicht neu. Neu indes ist, daß sie -so schien es zumindest- bei den Politikern wie bei den Repräsentanten der Verbände und Organisationen auf fruchtbaren Boden fielen. So auch die weiteren Thesen Profes-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

sor Henkes, die alle professionel- len, berufenen oder unberufenen Kostendämpfer zur Kenntnis neh- men sollten: Der Anteil der Lei- stungsausgaben für die Gesund- heitssicherung und die Krank- heitsbekämpfung am Bruttoso- zialprodukt steigt weltweit, und zwar um so schneller, je schneller der Wohlstand und die Industriali- sierung steigen und je perfekter die institutionellen und gesetzli- chen Rahmenbedingungen aus- gebaut worden sind. Und dies un-

abhäng~g vom jeweiligen Gesund- heits- und Gesellschaftssystem und losgelöst von der jeweiligen Form der Leistungsgewährung (Sachleistungsverfahren oder Ko- stenerstattung oder eigenfinan- ziertes und selbstverwaltetes Sy- stem versus Staatlichen Gesund- heitsdienst).

Eine Quotensteuerung gefährdet die Versorgung

Steigende Gesundheitsausgaben allein sind weder ein Alarmsignal noch ein Indiz für FehiEmtwicklun- gen im Gesundheits- und Kran- kenhauswesen.

Der Erkenntniswert von Gesund- heitsquoten ist begrenzt und führt oftmals zu Fehlschlüssen. Als gro- be Orientierungsgröße sind sie to- lerabel, nicht hingegen als strate- gische, politische Zielgröße. Dar- aus resultiert, so Gesundheitsöko- nom Henke:

~ Eine Quotierung und Quoten- steuerung der finanziellen Res- sourcen im Gesundheitswesen wi- derspricht den marktwirtschaft- liehen Grundsätzen einer optima- len Verwendung des Mitteleinsat- zes und bremst die Innovations- kräfte überhaupt.

~ Eine strikte Quotensteuerung erhöht die Finanzierungs- und Entscheidungszentralität im Ge- sundheitswesen.

~ Quotensteuerung gefährdet darüber hinaus das Prinzip der Dezentralität, das heißt das Prin-

Gesundheitspolitische Anhörung

zip der gegliederten Krankenver- sicherung ebenso wie die versi- chertennahe und flächendecken- de Krankenversorgung. Mit dem Grundsatz der bedarfsgerechten Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung wäre eine Quotierung oder eine Budgetie- rung und Etatisierung von Lei- stungsausgaben unvereinbar. Zu- gleich würde eine solche von oben diktierte schablonisierte Be- grenzung der Leistungsausgaben tendenziell die Autonomie der (paritätischen!) Selbstverwaltung gefährden.

~ Eine Quotensteuerung führt zu immer weiteren staatsdirigisti- schen Interventionen stark zentri- fugaler Kraft, alle Kompetenzen auf die Staatsebene zu verlagern.

Dagegen seien Maßnahmen zur Plafondierung der Gesundheits- ausgaben insoweit tolerabel, als sie weitgehend die Negativwir- kungen einer strikten Quoten- steuerung vermeide. Eine Quotie- rung würde prinzipiell eine markt- wirtschaftlich gesteuerte Alloka- tion der Ressourcen erlauben. ln- sofern sei kurzfristig auf eine ein- nahmeorientierte Ausgabenpoli- tik der Krankenkassen nicht zu verzichten (so Professor Henke).

ln einer solchen "gesundheitssy- stemischen" Weltschau ist es denn auch konsequent, Gesund- heitsziele wie bisher ausschließ- lich an Inputgrößen zu orientie-

ren, zu verlassen und statt dessen

leistungsbezogene Outputgrößen zu benennen. Denn jeder Öko- nom weiß: der Grad der Effizienz ergibt sich aus der Gesamtbeur- teilung von Kosten und Nutzen (Leistung). Um Effizienz und Wir- kungsgrad des Einsatzes knapper Ressourcen zu messen, um deren Quantität und Qualität und Vertei- lung zu bestimmen, zu planen und Unwirtschaftlichkeiten abzu- stellen, ist es strikt erforderlich, die Kosten und Aufwendungen mit den durch sie bewirkten Lei- stungen zu vergleichen.

Dr. Harald Clade Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 30 vom 25. Juli 1984 (23) 2227

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