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Archiv "Arztgeschichte: Ein vermeintlicher Schreibfehler" (23.10.2009)

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S C H L U S S P U N K T

A

uf dem Gang, der zum Operationssaal führt, werden ihre Namen mit Kreide an eine große grüne Tafel geschrieben. Unter dem Tagesdatum nennt eine eigene Spalte für jeden Eingriff die Stunde, den Namen des Pa- tienten, die betroffene Station, und mit einem Kürzel aus den Anfangsbuchstaben werden der Operateur und seine Assistenten verzeichnet. So weit war gar nichts unge- wöhnlich. Doch nach einer dramatischen telefonischen Vorankündigung wurde der erwartete Patient notfallmäßig mit dem Rettungshubschrauber eingeflogen. Die leitende OP-Schwester äußerte sich irritiert, als das bewusstlose Unfallopfer auf einer Trage liegend pünktlich in den OP geschoben wurde und die Anästhesisten herbeistürzten.

Es gab keine Zeit zu verlieren. Wegen innerer Blutun- gen nach einem Verkehrsunfall musste die Milz entnom- men werden. Eine Eigenblutkonserve unter seinem Na- men „Harmsen“ lag bereit. Erwartungsgemäß verlief der Kreuztest unproblematisch. Das rettete sein Leben, denn der verunglückte Teenager hatte schon zu viel Blut verlo- ren auf dem Weg ins Krankenhaus. Er kam durch, aber es war knapp. Als der junge Mann vom Aufwachraum auf die Intensivstation verlegt werden sollte, fand sich unter dem Namen „Harmsen“ schon ein reserviertes Bett. Nur das Geburtsdatum lag um Jahrzehnte zurück. Aber da auch die Adresse stimmte, glaubte man zunächst an ei-

nen Schreibfehler. Die OP-Schwester forschte nach, weil sie ihre stets perfekte Organisation vom Zufall übertrof- fen fand. Und so hatte es sich zugetragen:

Der Großvater wurde am Tag zuvor auf eine Operation vorbereitet. Nach reiflicher Überlegung unterschrieb er zunächst das Aufklärungsformular, überlegte es sich dann aber anders. Eigentlich habe er den Eingriff nicht gefürch- tet, sagte er später zu seiner Ehefrau. Aber eine zunehmen- de Unruhe habe ihn ergriffen, und in seinem Alter könne man doch nie wissen. Er hatte sich von seinem Enkel nicht richtig verabschieden können, weil der sich unterwegs auf einem Ausflug befand. Jetzt beschloss er, ihm seine Arm- banduhr zu vermachen. Heimlich stand Harmsen senior auf, zog sich an und schlich in der Dämmerung davon, wenn auch mit schlechtem Gewissen.

Daheim wunderte sich seine Ehefrau über diese Wan- kelmütigkeit. Der Enkel, der von einer Fahrradtour zu- rückerwartet wurde, war noch nicht eingetroffen. Die Nachricht von seinem Unfall ereilte das Ehepaar, als es beim Frühstück saß. Ihre Tochter stand verstört in der Tür und bat darum, ins Krankenhaus gefahren zu werden: Sie sei viel zu aufgeregt, um einen Wagen zu steuern.

Als die Familie eintraf, lag der Junge noch in der Nar- kose. Sie wachten abwechselnd bei ihm, bis sein Zustand als stabil angesehen werden konnte. Der Großvater war jetzt stolz darauf, dass seine Blutgruppe mit der des Enkels übereinstimmte. Frau Harmsen äußerte sich erleichtert dar über, ihrem Mann keine Vorwürfe gemacht zu haben.

„Noch nie ist er vor etwas davongelaufen“, sagte sie. „Was weiß man denn, was für einen Menschen richtig ist!“ ■ M. C. Bertram

[108] Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 43

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23. Oktober 2009

ARZTGESCHICHTE

Ein vermeintlicher Schreibfehler

„Als der junge Mann vom Aufwachraum auf die Intensivstation verlegt werden sollte, fand sich unter dem Namen ,Harmsen‘ schon ein reserviertes Bett.“

Zeichnung: Elke R. Steiner

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