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Zum weisen Achikär.
Von Mark Lidzbarski.
Zu den Ausführungen Meissners über die Geschichte des
weisen Achikär dürfte es mir gestattet sein, einige Bemerkungen
zu machen.
Vor allem möchte ich auf Cod. Sachau 339 aufmerksam machen,
der die arabische Achikargeschichte mit neuaramäischer Ueber¬
setzimg im Dialekte von Qyllith im Tür-'abdin enthält. Der
arabische Text bietet nämlich eine viel ursprünglichere Recension
als der, den Salhäni in den Contes arabes herausgegeben hat. Das
zeigt sich schon in den Namen. Achikars Frau heisst ^^^XxÄXi]
= Syr. wwA.^aiA,/, der eine der beiden Knaben, die auf den Adlern
in die Höhe fliegen, heisst ^JL5>^ , Syr. ' ^..-ri-^i ') und der Scharf¬
richter heisst iii,Ay4My^, was dem syrischen . j>r>onr>-M graphisch viel näher steht als u5>.x**j^! . Dann lässt auch hier Achikär den
Pharao an Sancherib den Leihbrief schreiben und nicht umgekehrt.
Die Parabel vom Vüglein und dem Vogelstocke, die im Salhani'schen Texte fehlt , steht hier auch , wie in der syrischen und slavischen
Version. Ueberhaupt steht der ganze Text diesem näher als der
Beirüter. Nun aber ist in der ganzen Erzählung bis auf eine
einzige kurze Stelle Chikär die redende Person. An und für sich
schon ist die Behauptung Meissners unwahrscheinlich, dass die
Erzählung in der dritten Person gehalten und erst vom Schreiber
1) Der andere Knabe heisst Iiier ^t^l'^is , ähnlich wie im Beirüter Text ( ^»aJL,m> ,; . Diese Namenformen dürften durch den aus Calila wa-Dimna
bei den Arabern populär gewordenen ^L^O veranlasst worden sein. Um¬
gekehrt tritt uns in der im Jahre 1778 in Leipzig erschienen deutschen Ueber¬
setzung der Calila wa-Dimna aus dem Griechischen „Abuschalem und sein Hofphilosoph oder die Weisheit Indiens in einer Reihe von Fabeln" Dabsalim als Abuschalem entgegen, in dem der Uebersetzer Lehnus oder vielleicht schon sein Vorgänger gewiss etwas wie Dibffl vermuthete.
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des Cod. Sachau 336 Achikär in den Mund gelegt wurde. Wäre
das nur in diesem einen Codex der Fall , so wäre das möglich,
obgleich die Abschreiber eher die Neigung haben dürften , von
einer dritten Person in der dritten zu erzäUen als umgekehrt.
Man bedenke aber, dass von den drei syrischen Handschriften, die
Meissner einsah, in einer Achikär durchweg die erzählende Person ist,
und auch in den zwei anderen dies vorwiegend der Fall ist. Ausser¬
dem hat Meissner nicht erwähnt , dass auch in der von ihm an
einer andem Stelle citirten slavischen Version Akyrios durchweg
selbst erzählt. Die Achik&rgeschichte ist uns in drei Sprachen er¬
halten — im Syrischen , Arabischen und Slavischen — und in
ihnen allen ist Achikär die erzählende Person, daher wird man
wohl annehmen dürfen, dass dies das Ursprüngliche ist
Auch zu den sonstigen Ausführungen Meissners möchte ich
mir einige Bemerkungen erlauben. Nach ihnen muss nämlich die
Achikargeschichte folgende Entwickelung durchgemacht haben. Sie
ist etwa im zweiten vorchristlichen Jahrhundert von einem Juden
in Syrien in griechischer Sprache verfasst worden und zwar mit
Achikär und Nadan als Helden, dies so wie in der syrischen,
arabischen und slavischen Version. Später verarbeitete Jemand den
Stoff als Episode aus dem Leben Aesops , und noch später , etwa
um 700, bearbeitete wieder ein Syrer jenen Theil der Aesop¬
biographie und knüpfte die neuentstandene Geschichte wieder an
Achikär und Nadan an. Diese syrische Bearbeitung wurde dann
ins Arabische übersetzt, aUerdings erst im Mittelalter.^!). Nach
den Ausführungen Kuhn's in der Byzantinischen Zeitschrift I, p. 127 ff.
muss sie dann vrieder ins Griechische und aus dieser Sprache wieder
ins Slavische übersetzt worden sein. Ich glaube, eine solche Ge¬
schichte hat noch nie ein Buch gehabt!
Von den uns erhaltenen Versionen ist die syrische die älteste.
Am wichtigsten ist also die Frage, wie diese entstanden ist. Hoflmann glaubt, dass sie von einem der syrischen Missionare, die von Edessa
und Nisibis aus das eigentliche Assyrien dem Christenthume ge¬
wannen und dort ihre Klöster gründeten , in Anlehnung an das
1) Dass nicht etwa die neaaramäische Version in Cod. Sachau 339 nach einem syrischen Texte gemacht, nnd der arabische Text dann erst aus jener Ubersetzt ist, das zeigen die vielen arabischen Fremdwörter und dann einige Missverständnisse, die sich nur erklären lassen, wenn man das Arabische als
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Original annimmt. Fol. 3, 1. 13 sagt Sancherib zn Chikär: J-.-n«vn J;x> |<
lO r 1 0 S ,
J'(N-V\ po^to . Das merkwürdige j«2D in der Ansprache des Königs an
seinen Hinister ist nur eine schlechte Uebersetzung des zweidentigen ;_a»Lo ^ das hier nicht „Herr", sondern „Gefährte" bedentet. — F. 35, 1. 18 steht
wo nur von einem mUndlichen Befehle die Rede ist ; das ist wiederum nur durch die Zweideutigkeit von ftM. entstanden.
Lidzbarski, Zum weisen Achikär. 673
Buch Tobit verfasst vrorden sei Gegen diese Ansicht dürften
aber folgende Gründe sprechen :
1) ,Die östlichen Syrer kannten es (das Buch Tobit) gar
nicht", Nöldeke in den Monatsberichten der Königl. Akademie der
Wissenschaften zu Berlin 1879, p. 46, n. 1. Der Einwand Hoffmann's
dagegen (ibid. n. 1423) stützt sich auf die Annahme, dass die Ent¬
stehung der Achikargeschichte durch dasselbe veranlasst wurde.
2) Ein syrischer Kleriker hätte schwerlich ein Buch geschaffen,
in dem sich ein solcher religiöser Indifferentismus kund thut. Als
Heidenbekehrer hätte er auch nicht Gott zu dem von den Götzen
sich ab- und ihm sich zuwendenden Achikär sagen lassen, dass der
Pluch der Kinderlosigkeit auf ihm noch weiter lasten müsse , weil
er früher der Vielgötterei gehuldigt habe. Im Gegentheil, er hätte
gern die Gelegenheit ergriffen, den Heiden zu zeigen, dass Gott
verzeihe, wenn man dem Heidenthum den Eücken kehre und sich
ihm zuwende.
3) Der Stil ist so echt alttestamentlich — vgl. gleich den Anfang
,Es war in den Tagen Sanherib's' d. h. a-'-inso ■'U''a ^rt^T —,
dass schwerlich ein Syrer im Stande war , ihn so treu nachzu¬
ahmen, auch wenn er den Willen dazu gehabt hätte, wozu er eigent¬
lich gar keine Ursache hatte.
4) Wäre er nun ein so vorzüglicher Bibelkenner, dann hätte
ihm die Stelle Jes. 37 v. 37 f. nicht entgehen können , nach der
Asarhaddon der Sohn, nicht der Vater Sancherib's war *).
5) Ein Syrer aus späterer Zeit wäre um persische Königsnamen
nicht verlegen. Den Namen AchaS und Samechllm ^) kßnnen aber
ungezwungen persische Königsnamen nicht zu Grunde gelegt werden.
AchaS dürfte aus AchaSveroS gemacht sein.
Alle diese Gründe gelten aber auch gegen die Ansicht, dass
1) Auszüge aus den syrischen Akten p. 182.
2) Die Ansicht Meissner's, dass die Erzählung urspünglich in die Zeit Asarhaddons versetzt wurde, ist unbegründet. Die beiden Stellen in Cod.
Sachau 337 (f. 30b und 31a) sind, wie so vieles andere in dem Codex, nur Flüchtigkeiten des Abschreibers. Der in allen Versionen Ubereinstimmende Anfang lässt vielmehr keinen Zweifel darUber, dass die Verlegung in die Zeit Sancheribs die ursprüngliche ist. Man darf auch nicht etwa annehmen, dass Sarchadfim aus Sargon entstanden ist. Ueber die Schreibung des Namens Sargon bei den Syrern und Arabern vgl. Hoffmann a. a. O. p. 183. Nach Tabari I, 2, p. VI, 1. 18 müsste man für das Arabische noch hinzufttgen.
Aber das ist nur ein kleines Missverständniss Barth's. Der gegen Lot qJ Lut
ziehende ^^\x^t • nach Chron. II , 14, v. 8 ff. kein anderer als der
gegen njSN'^a NDN ziehende "'TB'Sfl n^T , und die'Lesart (cfr. p. 619, n. c) hätte in den Text aufgenommen werden mUssen. IS'D nnd Indien wurden achon sehr früh zusammengebracht.
3) ^tjSj^ oLw rührt wohl von einem superklugen arabischen Ab¬
scbreiber her.
die syrische Geschichte eine Bearbeitung des Theiles der Aesop¬
biographie Cap. 23—32 ist. Nun bringt aber Meissner mehrere Giiinde für seine Behauptung. Aber m. E. ist keiner von ihnen stichhaltig.
1) Die Bemerkung in der Aesopbiographie, dass im Alterthum
zwischen den Königen Räthselkämpfe stattgefunden haben, hätte
der syrische Bearbeiter gewiss nicht weggelassen, wenn er sie vor¬
gefunden hätte. Er hätte vielmehr durch sie seiner eigenen Er¬
zählung den Schein des Historischen geben wollen. Aber eben aus
diesem letzteren Grunde kann sie der Bearbeiter der Aesopbiographie
gemacht und zwar aus der Erzählung selbst oder aus den p. 189
citirten Stellen genommen haben.
2) Es lässt sich nicht einsehen, warum die Annahme von vier
Adlern ursprünglicher sein soll als die von zwei. Nach der syrischen
und arabischen Version reiten die Knaben auf den Adlern, daher
sind für zwei Knaben zwei Adler vorhanden. Die zwei Kasten
werden bloss dazu gemacht , damit die Adler in ihnen transportirt
werden. Vgl. Salhäni p. 16, 1. 7.
3) Es ist wahrscheinlicher, dass die vier einander ziemlich
ähnlichen Vergleiche dem griechischen Bearbeiter zuviel waren, und
er daher nur zwei behielt als umgekehrt. Man bedenke, dass auch
im Slav?ischen nur ein Vergleich da ist, obgleich deutlich zu er¬
sehen ist, dass der Uebersetzer die übrigen kannte.
4) Das Räthsel vom Jahre ist keineswegs „sicher griechisch", wie inzvrischen Windisch zeigte
1) Die Bezeichnung des Tages und der Nacht durch eine weisse und eine schwarze Maus in der slawischen Uebersetzung ist wohl aus der bekannten Parabel in Barlaam und Josapbat und einigen Becensionen der Kalila wa-Dimna (cf. Benfey, Pantsehatantra 1, p. 80 ff. und Dunlop-Liebrecht, Geschichte der Prosadichtungen p. 32a und 462 a n. 72) herübergenommen. Aus der Lectüre gind mir noch zwei andere Jahresräthsel erinnerlich. Das eine steht in einem Räthselmärchen im Felliliidialekt in Cod. Sachau 336 f. 107b und lautet:
)jlOoi ^qoo i*i30f **cbjfl jiy jlSu./ ^
IvsQ;/ ocvil' ❖j»QO c<^3o Jioo CH^^Ä j*>^, joao \2>-<^ Jt^l
.Jo»lj )»a. -fcJil. j2>4° ^'r '^^^}' l^J*-
]:bOO j\ASo jvQD ]:DQ0 jlOal^obo. „und sie sprach zu ihm:
„Gieb ian Bescheid inbetreff eines Baumes, der 12 Zweige bat. Jeder Zweig hat 30 Blätter,' und, jedes Blatt ist zur Hälfle weiss und zur Hälfte scbwarz."
Da sagte er zu ibr: „Der Baum ist das Jahr, die Zweige sind die 12 Monate, und die Blätter sind die 30 Tage des Monats. Ein jeder Tag ist am Tage weiss und in der Nacht scbwarz." — Sas andere steht in Rivifere, Recueil de contes populaires de la Kabylie du Djur^ura (Paris 1882) p. 159: „H y a un arbre tris ileve, l'arbre a douze tranches, chaque tranche a trente feuilles, chaque feuille a cinq fruits." Die Lösung ist (p. 160): „l'arbre eleve c'est le monde (!); les tranches sont les mois, les feuilles sont les jours, les fruUs .sont . les priores."
Lidzbarski, Zum weisen Achikär. 075
6) Die Wendung mit dem Schuldbriefe kann auch ursprüng¬
lich so gelautet haben wie in der syrischen Version und in Cod.
Sachau 339. Die Form in der Vita Aesopi kann eine Ver¬
feinerung sein.
6) Ist die Achikargeschichte im zweiten vorchristlichen Jahr¬
hundert verfasst, so können Sprüche, die von vornherein in ihr
standen , nicht gut aus Maximus oder Babrius stanunen. Sind sie
erst später hineingekommen, so können sie auch in die fertige
syrische Version hineingekommen sein. Solche Spruchsammlungen
nehmen bei dem losen Zusammenhange ihrer Theile immer fremde
Elemente in sich auf, wie sie auch vieles an andere Werke ab¬
geben. In welchem Grade das in unserer Geschichte der Fall war,
lehrt eine Vergleichung der verschiedenen Versionen.
Ist es nun nicht wahrscheinlich, dass die syrische Version sei
es Original, sei es aus der Vita Aesopi entstanden ist, so dürfte
man vielleicht annehmen, dass sie die Uebersetzung einer vor dem
Buche Tobit verfassten Geschichte ist, auf die in diesem Buche
angespielt wird. Nun kann sie ursprünglich im Griechischen und
kann im Hebräischen verfasst worden sein. Eine Entscheidung
darüber ist beim jetzigen Zustande der verschiedenen Versionen
schwer zu treffen, wenn überhaupt möglich. Doch würde man
wohl, wenn das Syrische aus dem Griechischen stammte, wenigstens
in den Eigennamen Spuren der griechischen Schreibung finden, und
das ist nicht der Fall. Auch beweisen die p. 196 aus griechischen
Autoren citirten Stellen nur ,, dass jenen die Namen 'AxixaQog,
'Axci'txagos, Axi^ugog bekannt waren, nicht aber, dass sie die
Achikargeschichte oder auch nur unsern Achikär kannten. Steht
in ihr, dass Achikär Prophet bei den Bo.strenern war? Oder lesen
wir in ihr etwas von einer von ihm errichteten Stele ?
Wahrscheinlich war das Buch Anfangs weder bei den Christen
noch bei den Juden sehr verbreitet, sonst hätte es kaum Jemand
gewagt, die ganze Erzählung oder einzelne Züge aus ihr auf andere
zu übertragen. Allerdings sind die Orientalen in dieser Beziehung
nicht sehr gewissenhaft. Man bedenke nur, mit welcher Unver¬
schämtheit die arabischen Himjaristen historische Ereignisse, deren
Helden allen bekannt waren, mit ihren gekrönten Tababi'a in Ver¬
bindung brachten.
Rechtschreibung im Veda').
Von R. Roth.
IV. Contractionen.
Unter dieser Bezeichnung stelle ich Pälle unregelmässiger
Krasis zusammen und suche den Umfang des Gebrauchs zu zeigen,
dessen Kenntniss für das Verständniss der Texte nöthig ist. Ver¬
anlasst sind solche Verschmelzungen meist durch das Bedürfniss
des Metrums , sie geben uns also die Porm , welche der Vers im
Munde des Verfassers oder seiner Verbreiter gehabt hat. Auffällig
bleibt es aber , dass der Aufzeichner des Padapätha , dem wir
wenigstens für die Mehrzahl der Pälle die Einsicht in den Sach¬
verhalt zutrauen müssen, gerade diese von der geltenden Grammatik
nicht zugelassene Verschmelzungen ,• die also am ersten einer Er¬
klärung bedurften, nicht in ihre wirklichen Bestandtheile auflöst.
Er bedient sich des eigenthümlichen Auskunftsmittels, als das
erste Element der Verschmelzung jedesmal einen, der Lage ent¬
sprechenden, langen Vokal anzusetzen, mag die sich verschmelzende
Silbe gelautet haben vrie sie will. So wird ein auf diese Weise
entstandenes e in ä -\- i zerlegt, gleichviel ob es aus am -f { oder
äm -f- i oder o« -|- i oder äs + i oder endlich aus e -\- i zu¬
sammen geflossen ist. Das ist sein Brauch , dem er selten untreu
wird. Es hat ofFenbar nicht in der Absicht des Padamachers ge¬
legen , in solchen Fällen erklärend einzugreifen. Die Inconsequenz
der Sanhitä selbst, welche bald der Aussprache folgend die Ver¬
schmelzungen zeigt, bald grammatisch richtig aber gegen das
Metrum schreibt, mag ihm dieses zurückhaltende aber dem wirk¬
lichen Zweck des Pada wenig entsprechende Verfahren als Aus¬
kunftsmittel eingegeben haben.
Unsere Exegeten haben solchen Erscheinungen ihre Aufmerk¬
samkeit längst zugewandt imd manches der Art gesammelt. Ich
1) Siehe oben S. 101 ff. Zu S. 103, 13 nta statt ntta erlaube ich mir ein weiteres Beispiel aus liv. 7, 83, 3 nachzutragen, wo sämmtliche Heraus¬
geber atrntatn statt atiiittam, wie es nach ihrem System lauten mUsste, schreiben.
Diesen Mangel hat schon DelbrUck Verbum S. 41 entdeckt.