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Archiv "Depression — Modewort und Unterhaltungsthema?" (13.04.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Depression Modewort und Unterhaltungs- thema?

Rainer Tölle

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epressiv zu erkranken, gilt nicht mehr als Schande. Über Depres- sionen darf man durchaus sprechen. Noch vor relativ kurzer Zeit war das anders.

Krankheit und Begriff wurden offensichtlich enttabuisiert.

Heute spricht jedermann von Depression, und fast jeder meint, diesen Gemütszustand selbst zu kennen. Depression ist geradezu ins Gerede ge- kommen. Können wir damit zufrieden sein?

Unzweifelhaft hat diese Ent- wicklung auch Vorteile mit sich gebracht. Der depressive Patient wird nicht mehr diskri- miniert, er kann in seiner fa- miliären, beruflichen und so- zialen Umwelt über diese psy- chische Störung reden. Arbeit-

geber zeigen mehr Verständ- nis, Krankenkassen akzeptie- ren Ausfallszeiten und Be- handlungskosten. Kaum eine andere psychiatrische Diagno- se wirkt so überzeugend wie Depression.

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er Terminus Depression hat einen Begriffswandel erfahren. Wenn früher ein Patient sagte, „ich bin mutlos, lustlos usw.", erkann- te der Arzt hieran die tiefgrei- fende Depression; meist han- delte es sich um eine Melan- cholie. Die Aussage „Ich bin depressiv", sprach eher für ei- ne depressive Reaktion. Mehr auf eine banale Verstimmung ließ schließen: „Ich habe eine Depression." Wenn der Arzt vom Patienten hörte, er habe

„Depressionen" (im Plural), mußte er an Übertreibungen denken. Es handelte sich also um eine Steigerungsreihe der Ausdrucksweise reziprok zum Schweregrad.

Inzwischen ist eine Begriffsin- flation eingetreten. Heute spricht jeder Herabgestimmte von „Depressionen". Die Nuancen sind weggefallen, die Formulierungen geben kaum mehr einen Hinweis zur Unterscheidung.

Diese Veränderungen sind hauptsächlich darauf zurück- zuführen, daß sich zahlreiche Wissenschaftsgebiete der De- pressionen bemächtigt haben, nicht nur Psychologie, son- dern auch Pädagogik, Soziolo- gie und andere. Dementspre- chend stieg die Flut der scheinbar fachlichen Publika- tionen. Die Publizitätswelle hat längst auch die Medien er- faßt. Wie Medien informieren, sei am Beispiel eines Aufsat- zes erläutert, der vor wenigen

Monaten in einem „Magazin"

erschien. Zwischen manchem, was fachlich richtig, aber un- zulänglich erklärt ist, findet man maßlose Übertreibungen, widersprüchliche Angaben und einseitige Darstellungen komplizierter Probleme. Es fehlt nicht an Modeworten wie

„Unfähigkeit zu trauern" und an biochemischen Spekulatio- nen. Anscheinend nicht ohne Absicht wird einmal so formu- liert, daß die Aussagen einmal für alle depressiven Erkran- kungen gelten, dann aber wie- der (und mit unmerklichem Übergang) nur mehr spezifi- ziert für eine Depressions- form. So gelingt es, einen ge- schickt aufgemachten, flüssig lesbaren und scheinbar in- haltsreichen Artikel zusam- menzustellen. Über ihn spricht man am Stammtisch und beim Arzt, so daß das Interesse steigt, das Heft zu kaufen.

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atürlich lesen auch Ärzte solche Aufsätze, oder sie sehen entsprechende Fernsehberichte. Sie müssen sich zuweilen sogar darüber informieren, weil Patienten danach fragen. Eine gewisse Gefahr besteht darin, daß auch Ärzte derartige „Informa- tionen" ungeprüft überneh- men. So kann auch bei ihnen ein falsches Bild der depressi- ven Krankheiten entstehen.

Das ist um so bedauerlicher, weil sich so viele Ärzte mit der Behandlung der depressiven Syndrome befassen und auch recht gute therapeutische Kenntnisse aufweisen. Diesen aber muß ein solides Grund- wissen entsprechen. Zum Bei- spiel muß der Arzt wissen, daß es nicht nur sogenannte neu- rotische und endogene De- pressionen (Melancholien) gibt, sondern daß depressive

1168 (56) Heft 15 vom 13. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FÜR SIE GELESEN Depression

Syndrome auch bei organi- schen Hirnkrankheiten und bei Schizophrenien auftreten können. Er muß Verlauf und Psychopathologie so gut ken- nen, daß er hieraus differen- tielle Indikationen zur antide- pressiven Therapie ableiten kann. Weiter muß der Arzt wissen, unter welchen Um- ständen ein depressiver Pa- tient stationär zu behandeln ist und daß eine stationäre Be- handlung nur in psychiatri- schen Fachabteilungen und Krankenhäusern durchgeführt werden darf.

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ie aber reagiert der Patient auf „Informa- tionen" der genannten Art? Meist macht ihn das Ge- sehene oder Gehörte ratlos.

Nur wenige Patienten wagen es, den Arzt darauf anzuspre- chen. Häufiger werden de- pressive Kranke durch solche Beeinflussungen in falsche Richtungen gelenkt, z. B. in nichtärztliche und unfachliche Behandlungen. Die Zeitspan- ne zwischen Beginn der Krankheit und erster fachärzt- licher Konsultation verlängert sich dadurch nicht selten um Monate zum Teil um Jahre.

Die frühzeitige effektive Be- handlung kann so versäumt werden. Der Patient ist beson- ders dann schockiert, wenn in den Medien Depression nicht nur als Krankheit abgehandelt wird, sondern das Leiden ei- nes bestimmten depressiven Menschen an die Öffentlich- keit gezerrt wird, so wie kürz- lich im Krankheitsfall des Mit- gliedes einer königlichen Fa- milie. Fotografien dieses Kran- ken illustrieren auch den zi- tierten Artikel; dabei kann es kaum als Entschuldigung gel- ten, daß sich in diesem Fall

die Medien durchweg derart indiskret und rücksichtslos verhielten.

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etroffen macht auch der Stil solcher Aufsätze und Sendungen. Noch ein- mal soll, stellvertretend für an- dere, jenes „Magazin" zitiert werden: „Manche sind dem Suizid auf einem Meer von Tränen entgegen geschwom- men ... manche bergen als müdes Bündel Unglück sicht- bar im Schoß der Krankheit.

Andere schauspielern ge- konnt ... Depression ... als eine Art Wackelkontakt in je- nem Hirnteil ... psychogene Depressionen, die weltweit den Löwenanteil der zu Tode Betrübten stellen ..."

Solche Redeweise ist unange- messen. Sie verbietet sich an- gesichts des Leidens der de- pressiven Menschen. Der Be- troffene kann so etwas kaum anders denn als Verhöhnung und Diskriminierung erleben.

Die Gesunden schulden den Depressiven mehr Ernst, und die Medien sollten das tiefste Leiden von Menschen nicht zu etwas Sensationellem machen und ausschlachten. Wir Ärzte müssen mit allen wissen- schaftlichen Informationen sorgsam umgehen, damit sie nicht mißbraucht werden, und wir müssen gerade bei de- pressiven Patienten besonde- re Behutsamkeit und Diskre- tion walten lassen und uns da- gegen wehren, daß das De- pressionsthema wohlfeil und der depressiv Kranke (wie je- ner Prinz) vogelfrei wird.

Professor Dr. med.

Rainer Tolle

Klinik für Psychiatrie der Universität

4400 Münster

Ulkusrezidivrate

unabhängig von Art der konservativen Therapie

Von einigen Ulkustherapeutika wurde behauptet (Sucralfat [UI- cogant®] De-Nol, Proglumid [Mi- lid1), daß sie den natürlichen Verlauf der Ulkuskrankheit gün- stiger gestalten könnten, wenn die Initialbehandlung mit diesen Substanzen und nicht mit einem 11 2-Blocker erfolgte.

In einer prospektiven Studie wur- de in Los Angeles die Rezidivrate des Ulcus-duodeni-Leidens bei einer Behandlung mit Antazida oder Cimetidin anhand endosko- pischer Kontrolluntersuchungen nach 3,6 und 12 Monaten ermit- telt. Die initialen Heilungsraten lagen bei beiden Substanzen ziemlich gleich, nämlich für das Antazidum bei 33 Prozent, 64 Prozent und 80 Prozent nach 2,4 und 6 Wochen Behandlung, für Cimetidin bei 25 Prozent, 62 Pro- zent und 86 Prozent.

Von den komplett abgeheilten Geschwüren rezidivierten in der Antazidagruppe 29 Prozent und 56 Prozent nach 3 bzw. 6 Mona- ten, in der H 2-Blockergruppe 36 Prozent bzw. 55 Prozent. Somit kann davon ausgegangen wer- den, daß die Akutbehandlung des Ulcus duodeni, gleichgültig mit welcher Substanz sie erfolgt, keinen Einfluß auf die Rezidivnei- gung zeigt.

Auch in dieser Studie ließ sich nachweisen, daß sich Faktoren wie männliches Geschlecht, lan- ge Ulkusanamnese, Nikotinab- usus und hohe Säuresekretion sowohl auf die Heilungsrate als auch auf die Rezidivneigung un- günstig auswirkten.

lppoliti, A.; Elashoff, J.; Valenzuela, J.; Cano, R.; Frank!, H.; Samloff, M.; Koretz, R.: Recur- rent ulcer after successful treatment with ci- metidine or antacid, Gastroenterology 85 (1983) 878-880, Wadsworth Veterans Admi- nistration, Los Angeles, CA 90073, USA

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 15 vom 13. April 1984 (59) 1169

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