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er Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat am 28. Okto- ber die lang erwartete neue Fas- sung der Substitutionsrichtlinien be- schlossen. Die neue Richtlinie entspricht weitgehend dem Vorschlag, den die Ärz- tevertreter im Ausschuss bereits am 21.Juni vorgelegt hatten. Damals fand der Vorschlag jedoch keine Mehrheit.
Der mühsame, monatelange Eini- gungsprozess im Bundesausschuss wur- de von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Bereits bei der letzten Bera- tung des Themas „Substitution“ im Jah- re 1998 hatten die Ärzte nachdrücklich darauf hingewiesen, dass in der wissen- schaftlichen Literatur und in den einge- holten Stellungnahmen die Indikation zur Substitution nicht vom Vorliegen weiterer Begleiterkrankungen abhängig gemacht wird. Da aufgrund des lebens- bedrohlichen Charakters der Heroinab- hängigkeit die Notwendigkeit einer me- dizinischen Behandlung außer Frage steht und Abstinenztherapien keine bes- seren Erfolgsaussichten haben als Sub- stitutionsbehandlungen, war es aus Sicht der Ärzte nicht länger vertretbar, die Indikation zur Substitution im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung an Be- gleiterkrankungen zu knüpfen.Auch die Vorgabe der Richtlinie, dass eine Substi- tution erst nach zweijähriger manifester Abhängigkeit zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung eingeleitet wer- den kann, entspricht nicht dem gegen- wärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Da sich die Ärzte 1998 nicht durchsetzen konnten, blieben die- se medizinisch fragwürdigen und re- striktiven Regelungen in den Richtlini- en des Bundesausschusses bis heute be- stehen.
Die andauernde Kritik an der In- dikationsregelung sowie am Antrags- und Bewilligungsverfahren, das über- wiegend als bürokratisches Hindernis angesehen wurde, führte dazu, dass das Bundesministerium für Gesundheit ei- ne Überarbeitung der Substitutions- richtlinien forderte. Vor dem Hinter- grund anhaltender Streitigkeiten mit dem Bundesausschuss wies das Ministe- rium schließlich mit der Novelle der Betäubungsmittelverschreibungsverord- nung vom 1. Juli 2001 der Bundes- ärztekammer die Aufgabe zu, Richtlini- en zur substitutionsgestützten Behand- lung nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu erstellen. Zeitgleich hatte die Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Bundesausschuss beantragt, die ur- sprüngliche Richtlinie in den zentralen Kritikpunkten zu ändern.
Erfolgreiche Konsensgespräche
Eine gemeinsame Sachverständigen- kommission von Bundesärztekammer und KBV einigte sich im März 2002. Die Richtlinien der Bundesärztekammer wurden am 24. Mai 2002 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Gleichzeitig forderte die KBV die Krankenkassen auf, diese Richtlinien auch für die ambu- lante Substitution von Kassenpatienten anzuerkennen und ihren Widerstand ge- gen eine Änderung der fachlich überhol- ten Richtlinien des Bundesausschusses aufzugeben. Die Krankenkassen blieben jedoch bei ihrer ablehnenden Haltung.
Der Streit eskalierte, als das Bundes- ministerium für Gesundheit am 5. Juli mit einer Ersatzvornahme die Substituti-
onsrichtlinien des Bundesausschusses an die Vorgaben der Bundesärztekammer anpasste. Die rechtswirksame Veröffent- lichung verhinderte der Bundesaus- schuss jedoch mit einer Klage vor dem Sozialgericht. Ende September führten erneute Konsensgespräche im Ministeri- um schließlich zu einer Einigung. Künf- tig gelten für eine Substitutionsbehand- lung zulasten der Gesetzlichen Kranken- versicherung folgende Regelungen:
> Zur Substitution sind grundsätz- lich nur Ärzte mit der Zusatzqualifika- tion „Suchtmedizinische Grundversor- gung“ zugelassen.
> Der qualifizierte Arzt entscheidet über das Vorliegen der Substitutions- Indikation, das heißt, das bisherige An- trags- und Bewilligungsverfahren durch die Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung entfällt.
> Der substituierende Arzt muss für jeden Substituierten zu Beginn der Be- handlung ein umfassendes, individuel- les Therapiekonzept erstellen und den Verlauf daran kritisch überprüfen.
> Qualitätssicherungskommissionen prüfen stichprobenartig Indikation und Therapiekonzept. Die Kommissionen sind paritätisch mit Kassenärzten und Vertretern der Krankenkassen besetzt.
> Abweichend von diesen Stichpro- benüberprüfungen, müssen Ärzte Sub- stitutionsbehandlungen bei Jugendli- chen, bei Abhängigkeit von weniger als zwei Jahren und bei Codein/DHC-Sub- stitution gegenüber der Kommission unmittelbar mit Beginn der Therapie dokumentieren.
> Eine Überprüfung ist nach jeweils fünfjähriger Substitution verpflichtend.
Mit diesen Änderungen konnten we- sentliche Fortschritte für eine zeitnahe und angemessene Substitutionsbehand- lung der betroffenen Patienten erreicht werden. Die Vorteile: Das bisherige An- tragsverfahren entfällt, die obligate Bindung der Substitutions-Indikation an eine Begleiterkrankung wird aufge- hoben, gleichzeitig wird die Methadon- substitution an strenge qualitative An- forderungen geknüpft. Da die Richtlini- en im Einvernehmen mit dem Bundes- gesundheitsministerium geändert wur- den, ist eine Beanstandung nicht zu er- warten, sodass die neuen Richtlinien voraussichtlich Anfang 2003 in Kraft treten. Dr. med. Paul Rheinberger,KBV P O L I T I K
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A2904 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002