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Archiv "Methadon-Substitution: Das Heil der Welt - oder nur etwas weniger Probleme?" (27.11.1992)

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Veränderung des Menschen führen, zugelassen werden sollten, sei letzt- lich eine Patentierung des „mensch- lichen Genoms oder eines seiner Ab- schnitte" nicht auszuschließen, be- tonte er.

Dagegen verweisen die Befür- worter einer EG-weiten Regelung auf dringenden Handlungsbedarf.

„Die Forschung findet so oder so statt — wir wollen, daß sie wenigstens kontrolliert wird", betont Willi Roth- ley. In der Tat hat die Patentierung biotechnologischer Erfindungen längst begonnen — auch ohne Direk- tive der EG. So hat das Europäische Patentamt in München nach Anga- ben seines Sprechers Rainer Oster- walder bereits rund 450 Patente auf gentechnologische Erfindungen er- teilt — darunter im Mai dieses Jahres das Patent für die sogenannte

„Krebsmaus", die eigens für die Krebsforschung gezüchtet wurde.

Für Schlagzeilen sorgte auch das von der Münchener Behörde erteilte Patent auf ein Gen, das ein australi- sches Forschungshistitut aus den Ei- erstöcken einer schwangeren Frau isoliert hat und das zur Herstellung des Hormons Relaxin verwendet werden soll. Gegen den positiven Be- scheid des Patentamtes haben die Grünen im Europa-Parlament An- fang dieses Jahres Beschwerde ein- gelegt. Darüber ist nach Angaben von Osterwalder noch nicht ent- schieden. Insgesamt liegen derzeit beim Europäischen Patentamt über 3500 Anträge vor, die sich auf gen- technische Anwendungen beziehen.

Erteilt werden die Patente auf der Grundlage des Europäischen Patent- abkommens aus dem Jahre 1973, dem bisher 17 europäische Staaten beigetreten sind. Diese Konvention enthält keinerlei Sonderregelungen für biotechnologische Erfindungen.

Die Brüsseler EG-Kommission wird sich nun mit den Änderungsan- trägen des Europa-Parlaments be- fassen und — voraussichtlich in eini- gen Monaten — einen neuen Richtli- nienvorschlag unterbreiten. Wenn dieser den Vorstellungen des Parla- ments entspricht, dürfte die Direkti- ve im Laufe des kommenden Jahres in zweiter Lesung endgültig verab- schiedet werden.

Jutta Hartlieb, Straßburg

Ms Dr. med. Andre Seidenberg im großen Sitzungssaal der Kassen- ärztlichen Vereinigung Hessen „ums nächste Dia" bat, wollten die rund 150 Ärzte aus Frankfurt und Umge- bung zunächst ihren Augen nicht trauen. Zu sehen war ein Ausgabe- schalter, darunter eine 30-Liter-Fla- sche. Inhalt: flüssiges Methadon.

Was den substituierenden Ärzte aus Hessen sensationell anmutete, ist für den Kollegen aus Zürich schon lange Praxisalltag. Im dortigen „Methadon- abgabelokal" ZOKL ist man in Sa- chen Drogensubstitution andere Di- mensionen gewohnt als hierzulande.

Gemeinsam mit Dr. med. Gil van Brussels, dem Leiter der Dro- genabteilung im Amsterdamer Ge- sundheitsamt, war Andr6 Seidenberg nach Frankfurt gekommen, um mit den hessischen Arzten über die Er- fahrungen bei der Methadonvergabe in der Schweiz und den Niederlan- den zu diskutieren. In den beiden europäischen Nachbarländern ist Methadon schon seit vielen Jahren das Mittel der Wahl, wenn es um Überlebens- und Ausstiegshilfen für Heroinabhängige geht.

Anders als in der Bundesrepu- blik stehen dort grundsätzliche Er- wägungen zum Für und Wider einer Drogensubstitution nicht mehr so sehr im Vordergrund. Seidenberg dazu: „Die Frage lautet: Wollen wir das Heil der Welt oder nur etwas we- niger Probleme?"

Zunächst in die

regulierte Abhängigkeit

Den Ansatz zu etwas weniger Problemen sieht van Brussels auf- grund seiner Erfahrungen zunächst darin, eine unregulierte Heroinab- hängigkeit mit Hilfe des Methadons in eine regulierte Abhängigkeit um- zuwandeln.

Unabhängig vom Schicksal des einzelnen nannte Andr& Seidenberg vier Kriterien, an denen sich aus sei- ner Sicht alle Maßnahmen und Pro-

jekte im Drogenbereich messen las- sen müssen:

• Kann mit Hilfe von Metha- don der illegale Markt verkleinert werden?

• Sinken die Häufigkeiten von Krankheit und Tod?

• Gibt es weniger Probleme für den einzelnen und für die Gesell- schaft?

• Sinken die gesamtgesell- schaftlichen Kosten?

In der Bundesrepublik ist die Methadonsubstitution bei Heroinab- hängigen ganz eng an den Begriff der Krankenbehandlung gebunden. Die Substitution selbst ist seit Mitte 1991 Bestandteil der kassenärztlichen Versorgung, nachdem der Bundes- ausschuß der Ärzte und Kranken- kassen seine Richtlinien zu Neuen Untersuchungs- und Behandlungs- methoden (NUB-Richtlinien) um Richtlinien zur Methadonsubstitu- tion ergänzt hat.

Danach können Heroinabhängi- ge nur unter klar definierten, relativ eng gefaßten Voraussetzungen mit Methadon behandelt werden. Doch bereits eineinhalb Jahre nach der Einführung der Methadonsubstituti- on in der ambulanten Versorgung sind die Richtlinien erweitert wor- den. Seit Ende Oktober dieses Jah- res ist die Substituion bei heroinab- hängigen Schwangeren nicht mehr nur während der Schwangerschaft und unter der Geburt möglich, son- dern noch bis zu sechs Wochen nach der Geburt.

Ein weiteres Kriterium hieß in der Erstfassung: „Drogenabhängig- keit bei Aids-Kranken mit fortge- schrittener manifester Erkrankung".

Jetzt lautet der Passus nur noch:

„Drogenabhängigkeit bei Aids-Kran- ken". Ein fortgeschrittenes Erkran- kungsstadium ist mithin nicht mehr die Voraussetzung. Auch die Vertre- tung des zur Substitution berechtig- ten Arztes ist durch die neuen Richt- linien (vgl. Deutsches Ärzteblatt, Heft 46/1992 unter Bekanntmachun- gen) vereinfacht worden. Dazu heißt es nun in den Richtlinien:

Methadon-Substitution Das Heil der Welt oder nur etwas weniger Probleme?

A1 -4068 (20) Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992

(2)

" ... Ist der berechtigte Arzt verhin- dert, kann er einen anderen appro- bierten Arzt oder eine Kranken- schwester oder einen Krankenpfle- ger, die an einer der im Auflagenbe- scheid des BGA benannten Einrich- tungen tätig sind, mit der Metha- donabgabe - insbesondere an Wo- chenenden und Feiertagen - gemäß dieser Richtlinien beauftragen."

Einfach ist das Verfahren insge- samt dennoch nicht - weder für den Arzt noch für den Patienten. Die tägliche, kontrollierte Abgabe des Ersatzstoffes, die regelmäßigen Urinproben zur Überprüfung, ob der Substituierte noch andere Drogen einnimmt (was dann in der Regel zum Abbruch der Behandlung füh- ren muß), das oft mühsame ärztliche Einwirken auf den Abhängigen: all das sind Belastungen, die auf der ei- nen Seite den Willen zum Durchbre- chen des Teufelskreises Drogen- sucht erkennen lassen, auf der ande- ren Seite ärztliches Engagement ge- genüber dem Elend und Leid der langjährig Heroinabängigen doku- mentieren.

Etwa ein dreiviertel Jahr nach dem Inkrafttreten der Methadon- Richtlinien gab es einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge in den alten Ländern rund 1500 heroinabhängige Patienten, die innerhalb der kassenärztlichen Ver- sorgung Methadon erhielten. ~um

selben Zeitpunkt waren ca. 700 Arz- te zur Methadonsubstitutionbehand- lung berechtigt. Bis zum Oktober dieses Jahres ist die Anzahl der Pa- tienten und der berechtigten Ärzte deutlich gestiegen: auf e~~a 3100 Pa- tienten und rund 1320 Arzte. Diese Zahlen stellen allerdings nur eine Momentaufnahme dar.

Daß sich die Entwicklung in die- sem Tempo fortsetzt, ist freilich nicht zu erwarten. Dagegen sprechen die nach wie vor enge Eingrenzung durch die Richtlinien und die Tatsa- che, daß nur der kleinere Teil der Heroinabhängigen zur Methadon- substitution bereit scheint. So schreibt beispielsweise Dr. med. Jür- gen Bausch, der Zweite Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, in einer Informationsschrift der KV zur Methadonsubstitution:

"Auch bei frei zugänglichen, das

heißt nicht durch medizinische Indi- kation zu eingeengten Methadon- Programmen, hat sich überall auf der freien Welt gezeigt, daß diese nur von ca. 30 Prozent der Abhängigen akzeptiert werden."

Erste Ergebnisse einer wissen- schaftlichen Begleitforschung zur Methadon-Substitution in Bremen legten jetzt das Institut für Psycholo- gie und Kognitionsforschung der Universität Bremen und das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) vor. In ei- nem Zwischenbericht über das seit

Mai 1991 laufende Forschungspro- jekt veröffentlichten die beiden In- stitute die Ergebnisse einer Befra- gung von 195 Substituierten, 36 Arzten und 41 Drogenhilfemitarbei- tern.

Beim Vergleich der Angaben von Substituierten und behandeln- den Ärzten zeigten sich danach fol- gende Übereinstimmungen:

..,._ Beim Durchschnitt der Sub- stituierten ist eine deutliche Besse- rung der gesundheitlichen Situation festzustellen. Dies gilt für Spritzen- abszesse, Lebererkrankungen und psychische Störungen. Die Anzahl der Substituierten, die HIV -positiv sind, ist gleich geblieben. Der Beige- brauch anderer Suchtstoffe wird zu Beginn der Behandlung einge- schränkt.

..,._ Die negativen sozialen Fol- gen des Heroinkonsums konnten im Durchschnitt verringert werden.

Dies gilt für Prostitution, Dealen

und Diebstahl. Nach wie vor desolat ist die berufliche Situation. 70 Pro- zent der Frauen und 50 Prozent der Männer sind ohne Erwerbstätigkeit ..,._ Die Nutzung von Drogenhil- feeinrichtungen nimmt mit dem Be- ginn der Substitution ab. Dies gilt insbesondere für die Inanspruchnah- me der Vermittlung in ambulante und stationäre therapeutische Ein- richtungen.

Das Universitätsinstitut für Psy- chologie fand in einer vertiefenden Erhebung mit etwa einem Drittel al- ler befragten Substituierten ferner

heraus, daß die Substitu tionssi- tuation sehr po- sitiv eingeschätzt und die Substitu- tion selbst als klare Entfer- nung vom Sucht- kontext erlebt wird. Die Rolle des Arztes wird zumeist positiv gesehen - Arzt und Methadon werden als extre- mes Gegenteil des Suchtkontex- tes eingeordnet.

Die Ärzte selbst nennen dem Zwischenbericht zufolge die Gesundheit und soziale Eingliede- rung als vorrangige Ziele der Substi- tutionsbehandlung. Für sie gilt die Abstinenzmotivation der Substitu- ierten als ein wichtiges Merkmal.

Und: Mit der gegenwärtigen Praxis der Substitutionsbehandlung sind die befragten Ärzte eher unzufrieden.

In der Zusammenfassung des Zwischenberichts betonen beide In- stitute, daß die jetzt vorgelegten er- sten Ergebnisse trotz der relativ ho- hen Beteiligung und der zu vermu- tenden Repräsentativität noch mit Vorsicht zu interpretieren seien. Un- terdessen gab sich die Bremer Ge- sundheitssenatorin, Irmgard Gaert- ner, verhalten zuversichtlich, daß das Bremer Modell Schule machen wird.

Ihre Länderkollegen, sagte sie im

"Spiegel", hielten den Bremer Weg für vorbildlich. Sie selbst meine aber:

"Den Stein der Weisen haben Wir noch nicht gefunden". JM Dt. Ärztebl. 89, Heft 48, 27. November 1992 (21) Ac4069

Referenzen

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