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Archiv "Drogenabhängigkeit: Eine andere Mentalität" (22.09.2000)

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Academic year: 2022

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ie ersten russisch sprechenden Klienten erschienen 1996 im Saar- brücker Drogenhilfezentrum, da- vor war das Drogenproblem bei diesen Migranten nicht bekannt. Sie kamen in kleinen Gruppen und blieben im allge- meinen Besucherkreis immer zurück- gezogen. Die Kontaktaufnahme durch die Mitarbeiter des Drogenhilfezen- trums Saarbrücken war schwierig. Ihre Zahl im Drogenhilfezentrum Saar- brücken stieg seit 1996 kontinuierlich;

1998 waren es schätzungsweise 15 bis 20 pro Tag; Anfang 2000 bereits 30 bis 40.

Viele von den ungefähr 30 000 rus- sisch sprechenden Migranten im Saar- land sind drogenabhängig. Bei ihnen bestehen mafiaähnliche Beziehungs- strukturen, die im Beziehungsgeflecht des Drogenhandels eine besondere Rolle spielen. Auffällig ist, dass dort, wo die Zahl und die Dichte dieser Mi- granten höher ist, auch die Drogenpro- blematik ausgeprägter ist. Die Mehr- zahl konsumiert überwiegend harte Drogen (Heroin) in relativ großen Mengen. Sie berichten, dass etwa 80 Prozent der russisch sprechenden, männlichen Migranten im Alter von 16 bis 28 Jahren Drogen probiert haben und rund 30 Prozent regelmäßig „har- te“ Drogen konsumieren. Die meisten kamen als Kinder nach Deutschland.

Bereits in den Aussiedler-Aufnahmela- gern und in den Schulen besteht die ein- deutige Tendenz, sich in Gruppen zu- sammenzuschließen. Hier bilden sich eigene moralische und ethische Regeln und Mentalitätsbesonderheiten heraus.

Der Weg dieser Kinder und Jugend- lichen in die Drogenkarriere lässt sich rekonstruieren: Ein Gruppenmitglied beginnt, Drogen zu konsumieren. Es bezieht sehr schnell andere Gruppen- mitglieder ein. Daraufhin spaltet sich die Gruppe; ein Teil der Gruppe ent- fernt sich; andere fangen aber selbst an, den Drogenkonsum aufzunehmen. Mi- grationsprobleme spielen dabei eine große Rolle.

Polyvalente Konsumstruktur ist eher selten

Der zweithäufigste Weg führt über die Einbindung in den Drogenhandel. Eta- blierte Drogenhändler werben Jugend- liche an, für die es außerordentlich verlockend ist, anfänglich bis zu 3 000 DM täglich zu verdienen. Allerdings werden sie selbst sehr schnell verführt, den Konsum von Drogen auszuprobie- ren und beizubehalten.

In den festen, unzugänglichen Grup- pen ist eine besondere Mentalität fest-

zustellen. Sie drückt sich durch wech- selseitige Kameradschaft mit krimi- nellen Tendenzen aus. Entsprechend beherrschen die russisch sprechenden Drogenabhängigen im Saarland den Handel mit harten Drogen. Anderer- seits schildern die deutschen Drogen- abhängigen sie als „gut, zuverlässig und freundlich“; sie hätten immer den besseren Stoff, den sie auch auf Kredit verkauften. Sie seien allerdings hart und brutal, wenn die Drogen-Schul- den nicht bezahlt würden, auch ge- genüber nicht geduldeten Konkurren- ten im Drogenhandel seien sie nicht zimperlich. Sehr häufig steigen sie in den Drogenkonsum mit „harten“ Dro- gen (vor allem Heroin) ein. Polyvalen- te Konsummuster kommen eher sel- ten vor.

Die meisten russisch sprechenden Drogenabhängigen stammen aus stabi- len Familienverhältnissen. Der psychi- sche und physische Gesundheitszu- stand ist im Vergleich mit den deut- schen Drogenabhängigen deutlich bes- ser. Bei den psychiatrischen Störungs- bildern treten neurotische (oft mit ag- gressiven Anteilen) und depressive Störungen in den Vordergrund. Die so- zialen Kontakte beschränken sich meist auf den Kreis von russisch sprechenden Drogenkonsumenten. Gezielt gehen sie Beratungs- und Behandlungsangebo- ten aus dem Weg. Die Drogenprobleme werden durch den größer werdenden Beschaffungszwang und die soziale und psychische Symptomatik so auffällig, dass sie nicht mehr geheim gehalten werden können. Die meisten russisch sprechenden Drogenabhängigen rea- gieren trotzdem auf Therapieangebote mit Widerwillen und lehnen stationäre Behandlungsformen ab. Teilweise ent- scheiden sie sich für eine ambulante Therapie.

Die Prävention der Drogenabhän- gigkeit bei Migranten sollte auf die Pro- phylaxe des Migrantensyndroms ge- richtet sein, spätestens im Alter von sechs bis acht Jahren einsetzen und die Familie und die Schule einbinden. Denn gerade die physischen Störungsbilder, die durch die Migration verursacht wer- den, bieten den Nährboden für die Dro- genabhängigkeit der Jugendlichen.

Boris Miretski, Lothar Schmidt Ziegelstraße 10, 66113 Saarbrücken T H E M E N D E R Z E I T

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A2440 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 38½½½½22. September 2000

Drogenabhängigkeit

Eine andere Mentalität

Viele Migranten – insbesondere Jugendliche – sind drogenabhängig. Sie benötigen muttersprachliche Kontakt- und Therapiemöglichkeiten.

Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) fordert mehr Hilfsangebote für drogenabhängige Aussiedler. Bisher hat sich das Pro- blem der jungen Drogenabhängigen aus den Nachfolgestaaten der ehe- maligen Sowjetunion weitgehend verdeckt entwickelt. Seit einigen Jahren steigt aber die Zahl der Ab-

hängigen unter den Aussiedlern er- heblich an. Der russische Psychiater Boris Miretski hat gemeinsam mit dem deutschen Psychologen Lothar Schmidt die Situation von mehr als hundert russisch sprechenden Dro- genabhängige im Saarland unter- sucht. Sie kommen zu folgenden Er- gebnissen:

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