• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gedanken zur ärztlichen Sterbehilfe" (10.04.1975)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gedanken zur ärztlichen Sterbehilfe" (10.04.1975)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen FORUM

Gerade in Deutschland ist die „Eu- thanasie" noch sehr mit Vorurtei- len und grauenvollen Erinnerungen behaftet. Und sicher ist es nicht ganz falsch zu sagen, daß erst die leidenschaftlichen Diskussionen zum § 218 einer Auseinanderset- zung mit ihr den Weg geebnet ha- ben. Zwar sind in den anglo-ameri- kanischen Ländern die Diskussio- nen schon sehr viel weiter und da- her auch konkreter, doch sollten wir uns davon nicht zu sehr beirren lassen. Daß mit Herrn Prof. Hoff, Frankfurt, auf der Therapie-Woche in Karlsruhe ein Redner offiziell zum Thema Sterbehilfe Stellung nimmt und sie damit gewisserma- ßen zur Therapie erhebt, ist mehr als erfreulich.

Auch die im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT, Heft 36/1974, geäußerten

„Gedanken zur ärztlichen Sterbe- hilfe" von Herrn Prof. Jatho, Lü- beck, sind zu begrüßen. Doch soll- ten gerade sie, wegen einiger zu korrigierender Bemerkungen nicht gänzlich unwidersprochen bleiben.

Zugleich möchte ich sie durch neue Gedanken ergänzen.

Für den interessierten Arzt gibt es zum Thema „Tod und Sterben" si- cher sehr viel an Literatur, wenn nicht unbedingt aus medizinischer Feder. Die philosophischen und theologischen Arbeiten geben dem Arzt keine echte, beruflich verwert- bare Hilfe zur Hand. Und wo sich Ärzte doch äußern, sind es in der Hauptsache Kollegen aus der Psychiatrie, u. U. auch ein „verirr- ter (?)" Internist. Dabei stellen sich diese Fragen in anderen Bereichen doch genauso, oftmals sogar noch stärker.

Der medizinisch-akademische Un- terricht könnte sehr wohl das Pro- blem der ärztlichen Sterbehilfe zum Lehr- und Lernstoff machen.

Doch scheint dieses Thema nicht in das Denkschema und das Medi- zinverständnis vieler lehrender Kol- legen zu passen. Eigene Erfahrun- gen der Studienzeit bestätigen dies.

Zum Beginn des Studiums liegt die Motivation stark in „Humanisti- schen Vorstellungen vom Helfen und Heilen", doch versteht es die ganz auf Wissenschaft und den Glauben an sie ausgerichtete Aus- bildung, hier eine Änderung her- beizuführen. Der Patient scheint für die Wissenschaft geboren, die Krankheit für den Arzt vorhanden.

Am Ende steht für den jungen Arzt oft die überlegene Medizin und aus einem falschen Verständnis heraus die Therapie um jeden Preis. Der Tod existiert nur in einem Feind- verhältnis, macht er doch die so schönen Therapiepläne zunichte.

Diese Einstellung findet sich auch im Tabu-Verhältnis der allgemei- nen Bevölkerung. Leid und Tod werden nur negativ gesehen. Statt dessen glaubt jedermann einen grenzenlosen Anspruch auf Glück in jeder Form von Leidlosigkeit bei einem Maximum an Lustgewinn zu haben. „Das Recht auf den eigenen Körper" (§ 218) spielt hier zweifels- ohne eine traurige Rolle. Ebenso wie im Leid die persönliche Ent- wicklung gewinnen kann, ja in ihm notwendigerweise für den einzel- nen eine große Chance bedeuten kann, ebenso sollte der Tod als zum Menschen gehörig vom Men- schen beansprucht werden. Das

kann aber nur geschehen, wenn auch der Arzt sein Verhältnis zum Sterben ändert und Situationen an- erkennt, wo er die Hände sinken lassen sollte. Wie jeder Mensch zweifelsohne das Recht auf das Le- ben hat, so hat er auch das Recht auf den Tod. Der Arzt sollte sich hüten, hier eine Richterrolle bean- spruchen zu wollen.

In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder auf, wie oft Ärzte bei Entscheidungen, die eine eige- ne Stellungnahme erfordern wür- den, auf den „Eid des Hippokrates"

verweisen. Dabei kann ich mich aber manches Mal nicht des Ein- drucks erwehren, daß hierbei dank- bar nach einer Argumentation ge- griffen wird, die den eigenen Ent- schluß nicht durchschaubar macht.

Dabei sollte die Bedeutung dieses Eids für die Medizin des Altertums (hier irrt auch Prof. Jatho) nicht überschätzt werden, denn er spiel- te zu dieser Zeit überhaupt keine Rolle. L. Edelstein hat meines Er- achtens überzeugend dargestellt, daß der Eid in der antiken Medizin überhaupt keine Bedeutung hatte, ja fast gänzlich unbekannt war. Zu- dem waren in ihm mit Verboten belegte ärztliche Handlungen all- tägliche Therapie. Der Eid wurde erst im späteren Christentum „neu"

entdeckt und nach entsprechender Christianisierung Maßstab ärztli- chen Handelns. Wir sollten daher heute versuchen, den Anforderun- gen unserer Zeit entsprechend, eigene Grundsätze einer ärztlichen Ethik zu entwickeln. Auf dem Weg dorthin wäre das 1949 aufgestellte

„Genfer Gelöbnis" eine Hilfe.

Ich befürworte die passive Eutha- nasie durch den Arzt, wende mich aber entschieden und mit aller Schärfe gegen jede Art der aktiven Euthanasie, sei sie offen oder — verschleiert. Ich verwende dabei bewußt den Begriff der Euthanasie statt den der Sterbehilfe. Erstens weil ich der Meinung bin, daß die Euthanasie der umfassendere Be- griff ist, zum zweiten, weil ich glau- be, daß die Mißachtung und der Mißbrauch des Wortes in der furchtbarsten Weise im Dritten

Gedanken

zur ärztlichen Sterbehilfe

Zu dem Artikel von Prof. Dr. med. Kurt Jatho in Heft 36/1974

1060 Heft 15 vom 10. April 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterbehilfe

Reich uns nicht hindern soll- ten, den Begriff in seinem ei- gentlichen Sinne wiederzubeleben.

Wer ihn gebraucht, sollte sich je- doch stets der Möglichkeit des Mißverstandenwerdens klar sein und ihn um so bewußter und klarer zur Unterscheidung bringen.

Ein Aspekt der Sterbehilfe, der in den Diskussionen vollkommen ver- gessen wird, und bei der „wissen- schaftshörigen" Erziehung des Arz- tes nimmt das nicht Wunder, ist der folgende, von J. Wunderli in ei- nem 1973 erschienenen Buch be- schrieben: „Von Karl Jaspers stammt der schöne Ausspruch, die Praxis des Arztes sei konkrete Phi- losophie. Im Sinne Platons wieder- um kann man alle Philosophie als Nachdenken über den Tod definie- ren. Daraus folgt, daß das Nach- denken des Arztes über den Tod die praktische Tätigkeit des Arztes stets begleiten sollte."

Bedenkt man dies, bleibt einem oft nur die Erschütterung, wenn man erlebt, unter welchen Bedingungen Patienten vielfach in unseren Kran- kenhäusern sterben müssen. Dabei stellt die Verlegung in ein „Sterbe- zimmer" (oft Bad oder Kammer) nur das äußere Zeichen der menschlichen Isolation des Ster- benden dar. Dies ist vor allem un- ter dem Gesichtspunkt besonders ernüchternd, daß sich der Tod des Kranken aus der häuslichen Ge- borgenheit in die sterile Atmosphä- re unserer modernen Bettensilos verlagert hat. Die Angehörigen sind froh, der Verantwortung, Sterbehil- fe geben zu müssen, entgangen zu sein. Dabei entringen sie sich dem Nachdenken um das eigene Schicksal. Doch der Patient spürt auch am Verhalten der Personen im Krankenhaus sehr genau seine desolate Situation, oft um einiges schlimmer. Der gezwungenerma- ßen und daher kontaktarme Visi- tenbesuch des Arztes gehört leider ebenso dazu wie die peinliche Übersorge, das Flüstern und ähnli- che Gesten der Pflegepersonen den Zustand des Sterbenden beto- nen. Die Nutzlosigkeit der medizi- nisch-technischen Apparatur hat

den Zurückzug des Arztes und des Pflegepersonals zur Folge. Der Sterbende wird sich selbst, höch- stenfalls dem Seelsorger überlas- sen. In konfessionellen Kranken- häusern wird oft durch den ver- meindlich notwendigen „seeli- schen Beistand" in Gewißheit der eigenen religiösen Verpflichtung auf den Patienten ein zusätzlich deprimierender Einfluß genommen, der ihn seine Situation besonders aussichtslos und isoliert erleben läßt: seine „noch"-Ausnahmesitua- tion des Todes. Diese „noch"-Aus- nahmesituation des Todes glaubt der Lebende durch verbalen und zeremonialen Aufwand kompensie- ren zu müssen. Er kompensiert je- doch seine eigene Hilflosigkeit.

Dabei wäre eine „echte" Sterbehil- fe, nicht somatisch gedacht wie zum Beispiel bei Prof. Hoff und an- deren Kollegeng von seiten des Arztes in der Weise notwendig, daß er sich selbst, seine Mitarbeiter, vor allem aber, und das scheint mir im Hinblick auf den Patienten fast das Wichtigste, die Familienange- hörigen in diese Hilfe miteinbe- zieht. Hier müßte dann die „Verant- wortung für" mit Leben erfüllt wer- den. Dabei sein und wenig tun könnte dann mehr sein als alle fal- sche Hektik.

Wie zuvor schon erwähnt lehne ich die aktive Euthanasie ab, weniger aus Gründen christlicher Ethik, schon gar nicht wegen des hippo- kratischen Eides —, vielmehr aus Ehrfurcht vor dem Leben, die für mich als Arzt auch Ehrfurcht vor dem Tod heißt. Gerade deshalb be- jahe ich eine passive Euthanasie, aus der Verantwortung vor dem mir anvertrauten und mir vertrauenden Patienten, nicht als Richter über Leben oder Tod, sondern als Freund und Helfer. Wunderli drückt das so aus: „Euthanasie ist, vom Arzt aus gesehen, gelebte, tiefe Kommunikation mit dem sterben- den Du des Patienten".

Dr. med. Matthias Komp 7315 Weilheim-Hepsisau Auchter Weg 16

Definitionen

Euthanasie will durch leidloses Sterben dem Menschen einen „gu- ten Tod" gewähren. Dazu bedarf es auch der Hilfe des Arztes. Diese vom Arzt praktizierte Sterbehilfe kann „Hilfe beim Sterben" oder

„Hilfe zum Sterben" sein.

Hilfe beim Sterben, auch als reine oder passive Euthanasie bezeich- . net, beabsichtigt subjektiv und be- wirkt objektiv keine Lebensverkür- zung. Diese Euthanasie ist ethisch verantwortbar und rechtlich unbe- denklich. Hilfe beim Sterben, auch als begrenzte Euthanasie bezeich- net, beabsichtigt subjektiv keine Lebensverkürzung, bewirkt sie aber objektiv. Die ethische Bewer- tung dieser Euthanasieform richtet sich nach den Grundsätzen über Handlungen mit doppeltem Effekt.

Unter Berücksichtigung bestimmter ethischer Kriterien ist die begrenz- te Euthanasie moralisch erlaubt.

Die rechtliche Beurteilung ist un- einheitlich. Der Arzt trifft in seiner Berufsausübung oftmals solche Entscheidungen und Maßnahmen mit doppeltem Effekt. Er ist mit sei- nem Gewissen allein in der Verant- wortung. Die kritische Schwelle ist dort, wo die unbeabsichtigte Ne- benwirkung in eine unbeabsichtig- te Hauptwirkung übergeht, und aus der Hilfe beim Sterben eine Hilfe zum Sterben wird.

Hilfe zum Sterben, auch als indi- rekte Euthanasie bezeichnet, will durch Verzicht und Unterlassung auf ärztliche oder pflegerische Maßnahmen leidvolles Sterben ab- kürzen und beabsichtigt subjektiv und bewirkt objektiv eine Lebens- verkürzung. Hilfe zum Sterben auch als direkte oder aktive Eutha- nasie bezeichnet, will durch ärztli- che oder pflegerische Maßnahmen leidvolles Sterben abkürzen und beabsichtigt subjektiv und bewirkt objektiv eine Lebensverkürzung.

Ethisch bewertet sind beide Hilfen zum Sterben unverantwortbar.

Rechtlich beurteilt könnte bei indi- rekter Euthanasie § 330 c StGB

„unterlassene Hilfeleistung" wirk- sam werden, während bei direkter

DEUTSCHES. ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 10. April 1975 1061

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dort heißt es in der Berufsordnung nicht: Ärzte dürfen keine Beihilfe zum Suizid leisten, sondern Ärzte sollen keine Beihilfe zum Suizid leisten.. Für Ju- risten stelle sich

sei nur kurz angedeutet, daß rechts- technisch auch bei Vorliegen eines Rechtfertigungs- und Schuldaus- schließungsgrunds eine tatbe- standsmäßige Handlung bestehen- bleibt,

Transport und plötzlicher Wechsel in eine so unruhige Umgebung wie eine Intensivstation haben für nicht mehr anpassungsfähige, ältere Men- schen auch Gefahren, welche gegen

„In den Niederlanden gibt es längst keine stabile Grenze mehr gegen Fremd- bestimmung und Tötung auf Verlan- gen anderer, die Mitleid haben, der Situation nicht gewachsen sind oder

Da sich der Schöpfer aber stets als gü- tige Vaterfigur darstellt oder vom Menschen so ge- zeichnet wird, entsteht eine unüberbrückbare Kluft zwi- schen den Absichten des

„Eines weiß ich genau: Mit der Würde des Menschen ist es unvereinbar, eine kranke und sterbende Frau, die sich nicht mehr dagegen wehren kann, in den Medien zur Schau zu

Ergänzend dazu sollte man sich über die Situation kundig machen, etwa indem man den Ort des Geschehens vorab be- sichtigt und den Prüfer persön- lich kennen lernt – denn je mehr

Aber: die Alternative hierzu kann nicht sein, daß „der Arzt zu vernebeln [sucht], solange es möglich ist." Warum eigentlich die Überschrift: „Man muß ei- ne