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Die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000

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Academic year: 2022

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(1)

Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft

Diplomarbeit

im Fach Verwaltungswissenschaft

”Und bist Du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt “:

Die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000

1. Gutachter: Professor Dr. Christoph Knill 2. Gutachter: Professor Dr. Wolfgang Seibel

vorgelegt von

Roland Mayer

Brandesstraße 18 78464 Konstanz

Konstanz, 2004

(2)

Abstract iv

Abbildungsverzeichnis v

Tabellenverzeichnis vi

Abk¨urzungsverzeichnis vii

1. Einleitung 1

1.1. Zum Thema dieser Arbeit . . . 1

1.2. Stand der Forschung . . . 3

1.3. Gang der Untersuchung . . . 4

2. Hintergrund der Untersuchung 6 2.1. Erl¨auterung zentraler Begriffe . . . 7

2.1.1. Zur Umweltpolitik der Europ¨aischen Union . . . 7

2.1.2. Das Programm Natura 2000 . . . 9

2.1.3. Die zentralen Akteure bei der Umsetzung von EU-Richtlinien . . 11

2.1.4. Rechtliche und praktische Implementation . . . 14

2.1.5. Das Vertragsverletzungsverfahren . . . 16

2.2. Theoretischer Ausgangspunkt . . . 17

2.2.1. Theorien zur Umsetzung europ¨aischer Umweltpolitik . . . 18

2.2.2. Theorien zur Wirkung von Vertragsverletzungsklagen . . . 23

2.2.3. Bisherige Studien zur Umsetzung von europ¨aischen Umweltricht- linien . . . 24

2.2.4. Zusammenfassung der hergeleiteten Annahmen . . . 26

3. Untersuchungsdesign 27 3.1. Untersuchungsbereich . . . 27

3.2. Operationalisierung der Variablen . . . 28

3.2.1. Die unabh¨angige Variable: Vertragsverletzungsklage . . . 28

3.2.2. Die abh¨angige Variable: Fortschritt bei der Umsetzung von Natura 2000 . . . 30

(3)

3.3. Zur Wirkung anderer unabh¨angiger Variablen . . . 33

3.3.1. Institutionelle Faktoren . . . 33

3.3.2. Ressourcenausstattung . . . 35

3.3.3. Implementierungsinstrumente . . . 35

3.3.4. Zeitliche Ereignisse . . . 36

4. Die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000 38 4.1. Darstellung der einzelnen Vetragsverletzungsklagen . . . 38

4.1.1. Kommission vs. Griechenland (Urt. v. 26.06.1997 - C 329/96) . . 39

4.1.2. Kommission vs. Deutschland (Urt. v. 11.12.1997 - C 83/97) . . . 39

4.1.3. Kommission vs. Niederlande (Urt. v. 19.05.1998 - C 3/96) . . . . 41

4.1.4. Kommission vs. Frankreich . . . 42

4.1.5. Kommission vs. Italien (Urt. v. 17.05.2001 - C 159/99) . . . 43

4.1.6. Kommission vs. Deutschland, Frankreich und Irland . . . 44

4.1.7. Kommission vs. Griechenland (Urt. v. 30.01.2002 - C 103/00) . . 46

4.1.8. Kommission vs. Frankreich (Urt. v. 26.11.2002 - C 202/01) . . . . 47

4.1.9. Kommission vs. Belgien . . . 48

4.1.10. Kommission vs. Luxemburg (Urt. v. 13.02.2003 - C 75/01) . . . . 49

4.1.11. Kommission vs. Finnland (Urt. v. 06.03.2003 - C 240/00) . . . 49

4.1.12. Kommission vs. Italien . . . 50

4.1.13. Kommission vs. Portugal (Urt. v. 24.06.2003 - C 72/02) . . . 51

4.1.14. Kommission vs. Vereinigtes K¨onigreich (Urt. v. 06.11.2003 - C 434/01) . . . 51

4.2. Zusammenstellung der Ergebnisse . . . 53

4.3. Darstellung der Umsetzung in den Mitgliedstaaten . . . 54

5. Auswertung und Diskussion 63 5.1. Zur Wirkung von Klageverfahren allgemein . . . 63

5.2. Wirksames Mittel gegen schleppende Umsetzung? . . . 68

5.2.1. Klagen wegen Nichtumsetzung der FFH-Richtlinie . . . 68

5.2.2. Klagen wegen schleppender Umsetzung der FFH-Richtlinie . . . . 70

5.2.3. Klagen wegen schleppender Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie . 77 5.3. Wirkung im L¨andervergleich . . . 82

6. Fazit und Ausblick 87 6.1. Fazit . . . 87

6.2. Ausblick . . . 89

Literaturverzeichnis 91

A. Natura Barometer 100

(4)

This explorative analysis deals explicitly with the effect of EU infringement proceedings, which lead to European Court of Justice (ECJ) referrals and judgements, on the imple- mentation of European Natura 2000 directives in the 15 member states between 1996 and 2003. After describing the background of the implementation of European environ- mental policy as well as the Natura 2000 program and the stages of an infringement proceeding, it draws upon theoretical frameworks concerning implementation and the role of the ECJ to create guidelines for hypothesis building, for reasoning about rival explanations and for analysing data. As the European Commission’s ”Natura Barome- ter”, which displays the implementation progress, is plagued with some methodological problems, an alternative operationalization is developed, using graphs and a short time series design. - The analysis of the 21 ECJ judgements that were made between 1996 and 2003 reveals that the effect of the referrals on implementation differs significantly, depending on the subject of the proceeding. Referrals which are about practical imple- mentation deficits in a relative broad sense have been accompanied by a strong progress in each case, but the eight judgements concerning special subjects have lead to no real improvement. In addition, the member states show distinct differences in their responsi- vity, i.e. the way they react to the ECJ rulings. Germany is one of the slowest nations in taking the steps that follow from the judgements, but France even seems to be resistant to the Commission’s pressure. Interestingly, the so-called laggards comply much better, and especially Spain and Greece show no ”Mediterranean Syndrome”.

(5)

4.1. Umsetzungskurven Belgien . . . 55

4.2. Umsetzungskurven D¨anemark . . . 55

4.3. Umsetzungskurven Deutschland . . . 56

4.4. Umsetzungskurven Griechenland . . . 56

4.5. Umsetzungskurven Spanien . . . 57

4.6. Umsetzungskurven Frankreich . . . 57

4.7. Umsetzungskurven Irland . . . 58

4.8. Umsetzungskurven Italien . . . 58

4.9. Umsetzungskurven Luxemburg . . . 59

4.10. Umsetzungskurven Niederlande . . . 59

4.11. Umsetzungskurven ¨Osterreich . . . 60

4.12. Umsetzungskurven Portugal . . . 60

4.13. Umsetzungskurven Finnland . . . 61

4.14. Umsetzungskurven Schweden . . . 61

4.15. Umsetzungskurven Großbritannien . . . 62

5.1. Wirkung von Vertragsverletzungsklagen nach Verfahrensgegenstand . . . 66

5.2. Klageverfahren wegen Nichtumsetzung der FFH-RL . . . 69

5.3. Schleppende praktische Umsetzung der FFH-RL . . . 72

5.4. Klageverfahren wegen ungen¨ugender praktischer Umsetzung der FFH-RL 73 5.5. Schleppende praktische Umsetzung der VRL . . . 77

5.6. Klageverfahren wegen ungen¨ugender praktischer Umsetzung der VRL . . 78

A.1. Natura-Barometer Nr. 1 vom Mai 1996 (Stand: 01.04.1996) . . . 100

(6)

2.1. Zeitplan f¨ur die Umsetzung von Natura 2000 . . . 12 2.2. Stufen der Implementierung . . . 15 4.1. Urteile des EuGH von 1996-2003 in Vertragsverletzungsverfahren zur Um-

setzung von Natura 2000 (eigene Darstellung, Quelle: Datenbank Curia der EU) . . . 53 5.1. Zuwachs an gemeldeten Fl¨achen w¨ahrend der Klageverfahren . . . 64 5.2. Zuwachs an gemeldeten Fl¨achen w¨ahrend der Klageverfahren, sortiert

nach Klagegegenstand . . . 65 5.3. L¨andervergleich: Umsetzung, Verurteilungen, Klagen - VRL und FFH-RL 83 5.4. Ranking der EU-15 f¨ur Umsetzung, Verurteilungen und Klagen - VRL . . 84 5.5. Ranking der EU-15 f¨ur Umsetzung, Verurteilungen und Klagen - FFH-RL 84

(7)

ABl. Amtsblatt der Europ¨aischen Gemeinschaft

Abs. Absatz

Art. Artikel

BGBl. Bundesgesetzblatt B. v. Beschluss vom

BVerwG Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise

d.h. das heißt

DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt EEA Einheitliche Europ¨aische Akte EG Europ¨aische Gemeinschaft

EGV Vertrag zur Gr¨undung der Europ¨aischen Gemeinschaft, konsolidier- te Fassung, Amtsblatt der Europ¨aischen Gemeinschaften, C 325 vom 24.12.2002

EU Europ¨aische Union

EUA Europ¨aische Umweltagentur EuGH Europ¨aischer Gerichtshof

EUV Vertrag ¨uber die Europ¨aische Union (auch Vertrag von Maastricht), konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europ¨aischen Gemeinschaf- ten, C 325 vom 24.12.2002.

f. folgende Seite ff. fortfolgende Seiten FFH Fauna-Flora-Habitat

FFH-RL Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie: Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der nat¨urlichen Lebensr¨aume so- wie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, Amtsblatt L 206 vom 22.07.1992 der EG

GD Generaldirektion der Europ¨aischen Kommission m.w.N. mit weiteren Nachweisen

Mio. Millionen

(8)

Mrd. Milliarden

NVwZ Neue Zeitschrift f¨ur Verwaltungsrecht NuR Natur und Recht

Rdnr. Randnummer RL Richtlinie

SAC besonderes Schutzgebiet nach der FFH-Richtlinie (Special Area of Conservation)

SCI Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (Site of Community Im- portance)

SPA besonderes Schutzgebiet nach Art. 4 Abs. 1 Vogelschutzrichtlinie (Special Protection Area)

u.a. unter anderem

UAP Umwelt-Aktionsprogramm der Europ¨aischen Kommission Urt. v. Urteil vom

US United States: Vereinigte Staaten von Amerika vgl. vergleiche

VRL Vogelschutz-Richtlinie: Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02.04.1979 ¨uber die Erhaltung wild lebender Vogelarten, Amtsblatt L 103 vom 25.04.1979 der EG

WCED World Commission on Environment and Development (auch Brundlandt-Kommission) der Vereinten Nationen (United Nations - UN)

ZUR Zeitschrift f¨ur Umweltrecht

(9)

1.1. Zum Thema dieser Arbeit

Europas Politiker geben sich gerne als begeisterte Europ¨aer, und gerade Deutschland und Frankreich sehen sich als ,,Motor der europ¨aischen Integration“1. Aber in der politischen Realit¨at gestaltet sich die Umsetzung europ¨aischer Richtlinien sehr z¨ah und schleppend:

,,Bei so gut wie allen Richtlinien ist die fristgem¨aße Umsetzung in innerstaatliches Recht die Ausnahme, nicht die Regel“ (Kr¨amer 1996: 14).

Das Umweltrecht der Gemeinschaft ist dabei ein besonderes Problemfeld. Bereits 1996 hat die Europ¨aische Kommission2 der Umsetzung von EU-Umweltrecht einen besonde- ren Bericht gewidmet (Kommission 1996). In ihrem j¨ungsten Zwanzigsten Jahresbe- richt ¨uber die Anwendung des Gemeinschaftsrechts listet die Kommission insbesondere im Umweltbereich zahlreiche Umsetzungsdefizite auf: ,,In den vergangenen f¨unf Jah- ren hat es zunehmend Probleme mit der frist- und ordnungsgem¨aßen Umsetzung und Anwendung des Umweltrechts der Gemeinschaft gegeben. Dies wird deutlich [. . . ] in der wachsenden Zahl von Vertragsverletzungsverfahren [. . . ]. Wie in den Jahren zuvor entf¨allt mehr als ein Drittel aller Vertragsverletzungsverfahren, die die Kommission ein- geleitet hat, auf den Umweltbereich. In 65 F¨allen hat die Kommission den Europ¨aischen Gerichtshof angerufen“ (Kommission 2003).

Die Wirkung dieses Druckmittels - Klage gegen einen s¨aumigen Mitgliedstaat vor dem EuGH - ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Durchgef¨uhrt wird die Untersuchung am Beispiel der Umsetzung von Natura 2000, eines Arten- und Biotopschutzprogrammes, mit dem ein EU-weites koh¨arentes Netzwerk von Naturschutzgebieten geschaffen werden soll. Die beiden europ¨aischen Richtlinien, auf denen Natura 2000 basiert, sind die Vogelschutzrichtlinie3 und die so genannte Fauna- Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie4.

1Bundestagspr¨asident Wolfgang Thierse anl¨asslich der Rede des franz¨osischen Staatspr¨asidenten Jac- ques Chirac vor dem Deutschen Bundestag am 27.06.2000, in: Das Parlament Nr. 28 vom 07.07.2000.

2Seit 1993 gebr¨auchliche Bezeichnung; daneben werden in dieser Arbeit die Begriffe ,,Kommission“, ,,EU-Kommission“ und ,,Kommission der EU“ synonym verwendet. Zur Verwendung des Begriffes ,,Europ¨aische Union (EU)“ vgl. Kap. 2.1.1 Fußnote 2.

3Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02.04.1979 ¨uber die Erhaltung wild lebender Vogelarten, Amtsblatt L 103 vom 25.04.1979 der EG.

4Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der nat¨urlichen Lebensr¨aume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, Amtsblatt L 206 vom 22.07.1992 der EG.

(10)

F¨ur die nicht frist- und ordnungsgem¨aße Umsetzung von europ¨aischen Umweltricht- linien kann Natura 2000 exemplarisch stehen. Die Komplettierung dieses Netzwerks ist f¨ur Juni 2004 geplant. Aber dieses Ziel wird nach dem heutigen Stand des Natura- Barometers5 nicht fristgerecht erreicht werden k¨onnen, obwohl den Mitgliedstaaten im Rahmen der FFH-Richtlinie immerhin zw¨olf Jahre zur Umsetzung einger¨aumt worden sind. Die Vogelschutzrichtlinie besteht sogar mittlerweile seit ¨uber 25 Jahren!

Die prim¨are Ursache hierf¨ur sind Probleme bei der rechtlichen, vor allem aber bei der praktischen Umsetzung. Die Meldung der Vogel- und Naturschutzgebiete ist Sache der Mitgliedstaaten, die dieser Pflicht nur z¨ogerlich nachgekommen sind. Beispielsweise hat es abgesehen von den Niederlanden keiner der ¨ubrigen 14 Staaten bisher geschafft, eine weitgehend vollst¨andige Liste von FFH-Gebieten an die EU zu ¨ubermitteln (laut letztem Natura-Barometer Nr. 17, Stand 07.10.2003).

Daher strengte die Europ¨aische Kommission schon bisher - wegen Missachtung von Zwischenfristen, ungen¨ugenden Meldungen oder l¨uckenhaften Gebietsvorschl¨agen - gegen mehrere Mitgliedstaaten eine betr¨achtliche Anzahl von Vertragsverletzungsklagen an. Im Untersuchungszeitraum 1996-2003 kam es allein in Sachen Umsetzung von Natura 2000 in 41 F¨allen zu Klageverfahren und in 21 F¨allen zu einer Verurteilung des Mitgliedstaates vor dem Europ¨aischen Gerichtshof6.

Bisherige Arbeiten zur Umsetzung von Natura 2000 (Gellermann2001: 138f.;Dahl et al. 2000: 325) sowie Ergebnisse von Fallstudien bei der Umsetzung anderer EU- Umweltrichtlinien (B¨ahr 2003: 76ff.) legen nahe, dass unabh¨angig von anderen er- kl¨arenden Faktoren erst durch eine solche Klage wesentliche Fortschritte bei der Um- setzung von EU-Umweltrichtlinien erreicht werden konnten. Daraus ergibt sich die Fra- gestellung dieser Untersuchung: Welchen Einfluss haben Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung der beiden Richtlinien zu Natura 2000?

In diesem Zusammenhang sei noch erw¨ahnt, welche Vorstellungen die Kommission - als ,,Herrin“ dieses Instrumentes - von Vertragsverletzungsklagen hat. Zu deren Wirk- samkeit auf Fortschritte bei der Umsetzung heißt es: ,,Auch in diesem Jahr hat sich gezeigt, dass sich das Verfahren nach Art. 228 (das die Verh¨angung von Geldbußen zur Folge haben kann) als letztes Druckmittel eignet, um die Mitgliedstaaten zu zwingen, Urteilen des Europ¨aischen Gerichtshofs Folge zu leisten. [. . . ] Es ist sehr wichtig, dass Umsetzung und Durchf¨uhrung des Umweltrechts durch die Mitgliedstaaten verbessert werden. Klage gegen die Mitgliedstaaten beim Europ¨aischen Gerichtshof zu erheben, ist jedoch nicht der einzige Weg, dieses Ziel zu erreichen. Und es ist in der Regel auch nicht

5DasNatura-Barometerist eine von der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission gef¨uhrte Datensammlung, die seit 01.04.1996 den Stand der Meldungen von Vogel- und Naturschutzgebie- ten aus den Mitgliedstaaten dokumentiert. Neben der aktuellen Ver¨offentlichung im Internet unter der Adresse http://europa.eu.int/comm/environment/nature/barometer/barometer.htm wird das Natura-Barometerauch im Infoblatt der GD Umwelt ,,Natura 2000 Newsletter“ publiziert (siehe Anhang).

6Quelle: CURIA Rechtsprechungsdatenbank der EU, http://curia.eu.int/jurisp/cgi- bin/form.pl?lang=de Stand: 01.Februar 2004.

(11)

der wirksamste Weg. Wenn eine substanzielle Verbesserung erreicht werden soll, dann muss die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten neue Arbeitsmethoden f¨ur alle Phasen der Umsetzung und Durchf¨uhrung erarbeiten“ (Kommission 2003: 38).

Eine sehr diplomatisches Konzept: Wohl wissend, dass man auf die Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen ist, versucht die Kommission einerseits, dem ,,Druckmit- tel“ die Sch¨arfe zu nehmen; um glaubw¨urdig zu sein, muss sie aber andererseits die Wirksamkeit von Vertragsverletzungsklagen betonen, um einem s¨aumigen Mitgliedstaat gegen¨uber die gew¨unschte Wirkung zu erzielen: ,,Doch bist du nicht willig, so brauch’

ich Gewalt.“

Auch vor diesem Hintergrund ist es interessant, die Wirkung von Vertragsverletzungs- klagen auf die Umsetzung europ¨aischen Umweltrechts einmal n¨aher zu untersuchen.

1.2. Stand der Forschung

Es gibt es eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit der Umsetzung von europ¨aischen Richtlinien in den Mitgliedstaaten besch¨aftigen. Aber Thema der vorliegenden Unter- suchung ist nicht die Erkl¨arung von Implementationsfortschritten oder -defiziten, denn hierf¨ur w¨are die Einbeziehung einer ganzen Reihe von Variablen und Parametern not- wendig, sondern die Untersuchung (nur) der Wirkung eines besonderen Faktors - der Vertragsverletzungsklage - auf die Umsetzung von EU-Umweltrichtlinien. Dieser Wir- kungszusammenhang ist aber, soweit ersichtlich, in der Politikforschung noch nicht n¨aher analysiert worden. Insofern betritt diese Arbeit Neuland.

Zwar erw¨ahnen viele Arbeiten auf dem Gebiet der Implementationsforschung Ver- tragsverletzungsklagen. Allerdings bleibt in juristischen Abhandlungen (zum Umwelt- rechtNicklas1997; zu Natura 2000Gellermann2001; zur FFH-RichtlinieR¨odiger- Vorwerk 1998; Leist 1998; zur Rolle des EuGH im EU-Umweltrecht Henke 1992) entweder offen, ob sich eine Wirkung der Klage auf die Umsetzung zeigt, oder es wird implizit davon ausgegangen, dass der Mitgliedstaat auf den Druck reagiert: ,,Es bleibt zu hoffen, dass die absehbare Verurteilung nachhaltige Wirkung zeitigen wird und die Verantwortlichen dazu bewegen kann, ihren Meldepflichten endlich in korrekter Weise nachzukommen“ (Gellermann2001: 49).

Politikwissenschaftliche Untersuchungen geben aus zweierlei Richtungen Hinweise f¨ur die Fragestellung dieser Arbeit. Zum einen weisen einige komparative Einzelfallstudien auf einen entscheidenden Einfluss von Vertragsverletzungsverfahren hin (B¨ahr 2003:

76ff.). Zum anderen gibt es Arbeiten, die ihren Schwerpunkt auf der Rolle des EuGH haben (Alter 2000,Burley/Mattli 1993) oder dem Instrument der Vertragsverlet- zungsklage besondere Aufmerksamkeit schenken (Tallberg 2002). Meistens liegt aber der Fokus auf der Erkl¨arung von Implementationsdefiziten. Die M¨oglichkeit von Ver- tragsverletzungsklagen ist dann entweder nur ein Faktor unter mehreren (und in aller Regel nicht der entscheidende) oder Teil der Rahmenbedingungen (Knill 2003: 162ff.).

(12)

Somit ergeben sich aus dem bisherigen Stand der Forschung zwar Hinweise, aber keine

¨uberpr¨ufbaren Theorien f¨ur die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umset- zung von EU-Umweltrichtlinien. Diese Wirkung wird daher in dieser Arbeit explorativ untersucht.

Zu diesem Zweck beschr¨ankt sich diese Untersuchung sektoral auf die Umsetzung der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie, bezieht allerdings im Gegensatz zu bisher durch- gef¨uhrten Fallstudien umfassend die Wirkung von Klagen auf den Fortschritt in der Umsetzung von Natura 2000 in allen 15 Mitgliedstaaten der EU ein. Es ist eine poli- tikwissenschaftliche Arbeit, allerdings an einer Schnittstelle zur Rechtswissenschaft; sie zeigt somit auch, auf welche Weise juristische Mittel wie die Vertragsverletzungsklage politisch-administrative Prozesse beeinflussen, und tr¨agt damit zur Verkn¨upfung von Rechts- und Politikwissenschaft bei, die gerade in der europ¨aischen Politik von Bedeu- tung ist (Scharpf 1999: 52f.).

1.3. Gang der Untersuchung

Im folgenden zweiten Teil wird zun¨achst der Hintergrund dieser Untersuchung auf- bereitet. Nach einem ¨Uberblick ¨uber das Politikfeld der europ¨aischen Umweltpolitik wird das Programm Natura 2000 dargestellt. Die Rolle, welche die bei der Implemen- tierung im Rahmen dieser Untersuchung haupts¨achlich beteiligten Akteure - die EU- Mitgliedstaaten, die Kommission und der EuGH - spielen, wird ebenso kurz erl¨autert wie die Unterscheidung zwischen rechtlicher und praktischer Umsetzung und schließ- lich der Ablauf eines Vertragsverletzungsverfahrens. Das Kapitel 2.2. n¨ahert sich dem theoretischen Hintergrund dieser Arbeit von drei Seiten an: 1. von den theoretischen Ans¨atzen zur Umsetzung europ¨aischer Umweltpolitik, der Implementationsforschung; 2.

von Untersuchungen zur Wirkung von Klageverfahren gegen die Mitgliedstaaten vor dem EuGH; und 3. unter Ber¨ucksichtigung von Erkenntnissen, die bisherige Studien zur Um- setzung europ¨aischer Richtlinien, insbesondere zu Natura 2000, gebracht haben und die f¨ur die Thematik dieser Arbeit von Bedeutung sein k¨onnten. Die hieraus gewonnenen vier Arbeitshypothesen f¨uhren als ,,Leitlinien“ durch die weitere Untersuchung.

Der dritte Teil stellt das Untersuchungsdesign dieser Analyse vor und diskutiert die Probleme, die sich hierbei ergeben. Die Schwierigkeiten, die sich mit der Verwendung der aggregierten Kommissionsdaten ergeben, werden gel¨ost, indem auf die Rechtsprechungs- datenbankCuriazur¨uckgegriffen wird. Dem Nachteil der Einschr¨ankung auf Klagen, die zu einer Verurteilung gef¨uhrt haben, wird eine Reihe von Vorteilen gegen¨ubergestellt, die sich im weiteren Verlauf der Untersuchung als wesentlich erweisen. Bez¨uglich der abh¨angigen Variable ,,Umsetzung“ wird aufgezeigt, dass die ¨Ubernahme des im Natura- Barometer verwendeten Fortschritts-Indikators nicht angebracht ist. Als Alternative wird eine graphische Darstellung der Umsetzungsfortschritte im Zeitverlauf in der Form von Umsetzungskurven entwickelt. Teil drei schließt mit einer Diskussion anderer m¨oglicher Einflussfaktoren.

(13)

Im vierten Teil wird das Untersuchungsmaterial zusammengestellt. Die einzelnen Kla- geverfahren, die zu einer Verurteilung in Sachen Natura 2000 gef¨uhrt haben, werden kurz einzeln geschildert und in einer abschließenden ¨Ubersicht zusammengefasst, be- vor die Verl¨aufe der Klageverfahren auf die Umsetzungskurven f¨ur alle 15 EU-Staaten

¨ubertragen werden. Damit wird ein plastisches Bild des Verlaufs der Klageverfahren und der Umsetzungsfortschritte im Untersuchungszeitraum gewonnen.

Die gewonnenen Erkenntnisse werden im f¨unften Teil diskutiert und vertieft. Eine Aus- wertung aller 21 erfassten Klageverfahren f¨uhrt zu einer Typologie von Klagen, die sich in ihrer Wirkung auf die Umsetzung von Natura 2000 deutlich unterscheiden. Besonderes Augenmerk wird ferner auf die Wirkung von Klageverfahren wegen Nichtumsetzung oder ungen¨ugender praktischer Umsetzung der FFH-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie gelegt. Die Auswertung wird immer wieder an die im zweiten Teil gewonnenen Arbeits- hypothesen angebunden. Schließlich erm¨oglichen die gewonnenen Daten einen Vergleich aller 15 Mitgliedstaaten und ein Ranking bez¨uglich der Klageverfahren einerseits und der Umsetzungsfortschritte andererseits, welches g¨angigen Klassifizierungen von Vorreitern und Nachz¨uglern bei der Umsetzung von Umweltrichtlinien gegen¨uber gestellt wird.

Der sechste und letzte Teil dieser Arbeit zieht ein Fazit und fasst wesentliche Er- kenntnisse dieser Untersuchung nochmals zusammen. Ein Ausblick zeigt auf, wo weitere Untersuchungen an diese explorative Arbeit anschließen k¨onnten.

(14)

Zum Hintergrund der Untersuchung sei eine Vorbemerkung gestattet. Dies ist eine po- litikwissenschaftliche Analyse, weswegen die Darstellung im Folgenden auf die hierf¨ur wesentlichen Hintergr¨unde beschr¨ankt werden muss. Der dramatische ¨okologische Hin- tergrund soll aber nicht v¨ollig ausgeblendet werden. Nur wenige Zahlen seien genannt.

Der nat¨urliche Prozess des Verschwindens einzelner Arten hat sich um den Faktor 5.000 bis 20.000 erh¨oht, insbesondere nach der Industrialisierung (Dahlet al. 2000: 4). Auch in Europa sind große Teile der Fauna und Flora bedroht: Von den 281 europ¨aischen S¨augetier-Arten sind 44 gef¨ahrdet, sowie weitere 17 Vogel-, 24 Reptilien-, 10 Amphibien- , und 77 S¨ußwasserfischarten (Kommission 1998a: 25). An anderer Stelle werden von den S¨augetieren sogar die H¨alfte und von V¨ogeln, Fischen und Reptilien ein Drittel al- ler Spezies als bedroht bezeichnet (Kommission 1997a: 4). Sch¨atzungen bez¨uglich der europ¨aischen Pflanzenwelt gehen davon aus, dass von ca. 10.000 Arten 3.000 gef¨ahrdet sind (Kommission 1997a: 4). Auf Deutschland bezogen sind die Daten ¨ahnlich (Dahl et al. 2000: 100ff.). Artenr¨uckgang und Landschaftsverbrauch halten weiter an. Dabei l¨asst sich die Wichtigkeit der Erhaltung der Artenvielfalt in vielerlei Hinsicht begr¨unden1 (Dahl et al. 2000: 4ff).

Der Handlungsdruck in diesem Bereich steht in krassem Kontrast zur schleppenden Umsetzung politischer Maßnahmen. Der Einsatz von Druckmitteln gegen unzureichend handelnde Mitgliedstaaten sollte vor diesem ¨okologischen Hintergrund nicht nur als In- strument zur Durchsetzung von Rechtsakten gesehen werden.

1Aus¨asthetischer Sicht ist eine vielf¨altige Umwelt wertvoll als Erholungsraum und Voraussetzung f¨ur Erlebnisse und Bet¨atigungen in der freien Natur.Ethischsind wir aus religi¨osen und philosophischen Uberlegungen zum Erhalt der Sch¨¨ opfung an sich (unabh¨angig vom durch den Menschen wahrgenom- menen Nutzen oder Wert einer Art) und deren Bewahrung f¨ur kommende Generationen verpflichtet.

ur dieWissenschaft ist die Funktion einzelner Arten f¨ur andere Arten, f¨ur das ¨Okosystem und mit- telbar oder unmittelbar f¨ur den Menschen von Bedeutung. Diewirtschaftliche Dimension der Arten- vielfalt beschreibt den ¨okonomischen Nutzen der Tier- und Pflanzenarten als Nahrungsmittel, zur Sch¨adlingsbek¨ampfung, als Rohstoffe, als Hilfsmittel in Produktion und Entsorgung, und in zuneh- mendem Maße auch als Basisstoffe f¨ur die Entwicklung von Arzneien, Kunststoffen etc. (vgl.Dahl et al. 2000: 5ff.;Br¨auer2002) - Der letzte Punkt weist auf einen Punkt der Artenvielfalt, der im Zuge der sich entwickelnden Gentechnologie an Bedeutung gewinnen wird: Gerade bei endemischen Arten ist deren Erhaltung ein Standortvorteil im Kampf um das ,,gr¨une Gold“ der Gene.

(15)

2.1. Erl¨ auterung zentraler Begriffe

2.1.1. Zur Umweltpolitik der Europ¨ aischen Union

In den Anf¨angen der Europ¨aischen Union2 war Umweltpolitik kein Thema. Im Vor- dergrund stand die wirtschaftliche Integration. Das kommt darin zum Ausdruck, dass sich in der Gr¨undungsakte, den R¨omischen Vertr¨agen von 1957, kein Wort von um- weltpolitischen Zielen oder Zust¨andigkeiten f¨ur die europ¨aische Ebene findet. Auch als 1967 eine gemeinsame Kommission eingerichtet wurde, war ein Kommissariat oder ei- ne Generaldirektion (GD) f¨ur Umwelt nicht Teil des Gremiums. Erst mit dem Anfang der 1970er Jahre steigenden Bewusstsein f¨ur ¨okologische Probleme kam auch auf eu- rop¨aischer Ebene das Thema Umweltpolitik auf die Tagesordnung (Gipfel von Paris 1972; 1973 Einrichtung der GD f¨ur Umwelt und Verbraucherschutz, Kommissar: Carlo Scarascia-Mugnozza; Erstes Aktionsprogramm f¨ur den Umweltschutz 1973-76;Holzin- ger 1994: 28f.). Allerdings fehlte der europ¨aischen Umweltpolitik nach wie vor eine prim¨arrechtliche Basis. Trotzdem konnte sie sich als eigener Politikbereich der EU eta- blieren. Dies gelang dadurch, dass man sie als Handelspolitik ,,definierte“ (Knill2003:

18) und als Legitimationsgrundlage die binnenmarktrechtlichen Artikel 2, 94 und 308 des EG-Vertrages (EGV)3 bei weiter Auslegung heranzog. Dies hatte jedoch einige Ne- benwirkungen, vor allem eine Wirtschaftslastigkeit der EU-Umweltpolitik (Holzinger 1994: 67-70; Knill 2003: 21-24). Auch konnte wegen des Erfordernisses der Einstim- migkeit eine fortschrittliche Umweltpolitik blockiert werden, was der europ¨aischen Um- weltpolitik den Vorwurf einer ,,Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners“ einbrachte (Holzinger1994: 20, 43f., 75, 88ff. und Kap. 5). Trotz dieser Handicaps konnte die Um- weltpolitik auf Grund der zunehmenden Sensibilisierung von Politik und ¨Offentlichkeit f¨ur ¨okologische Fragen (Waldsterben, Gew¨asserverschmutzung) auch auf europ¨aischer Ebene zu einem eigenst¨andigen Politikfeld entwickeln, wobei ,,Vorreiter“ wie Deutsch- land f¨ur eine Fortentwicklung von Umweltstandards sorgten (Knill 2003: 25f.). Auch

2In dieser Arbeit wird zwecks einheitlicher Begriffsverwendung und zur besseren Lesbarkeit ausschließ- lich der Begriff Europ¨aische Union (EU) verwendet, auch im Zusammenhang mit Zeitr¨aumen vor ihrer Gr¨undung 1993. Ihre Vorl¨aufer waren die 1951 gegr¨undete Europ¨aische Gemeinschaft f¨ur Kohle und Stahl (EGKS) sowie die 1957 gegr¨undeten Europ¨aische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europ¨aische Atomgemeinschaft (EAG, auch Euratom). Mit dem zum 01.07.1967 in Kraft getretenen Fusionsvertrag wurden die drei Gemeinschaften zusammengefasst und eine gemeinsame Kommissi- on eingerichtet, seitdem war die Bezeichnung Europ¨aische Gemeinschaften (EG) gebr¨auchlich. Die Europ¨aische Union (EU) wurde mit dem seit 01.01.1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht (auch Vertrag ¨uber die Europ¨aische Union -EUV- genannt) gegr¨undet. Sie besteht als ,,Tempelkon- struktion“ (Weidenfels/Wessels 2002: 169) aus den drei ,,S¨aulen“ Europ¨aische Gemeinschaft (EG), Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP; Art. 11-28 EUV) und Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZJI; Art. 29-42 EUV).

3Vertrag zur Gr¨undung der Europ¨aischen Gemeinschaft, konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Eu- rop¨aischen Gemeinschaften, C 325 vom 24.12.2002. Es wird die seit dem Vertrag von Amsterdam (In-Kraft-Treten 01.05.1999) geltende neue Nummerierung des Vertrages verwendet.

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die Umwelt-Aktionsprogramme (UAP) wurden stetig fortentwickelt (Zweites UAP 1977- 81, Drittes UAP 1982-86). In Folge der am 01.07.1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europ¨aischen Akte (EEA) fand sich die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf einer neuen Basis wieder. Sie erhielt in Teil Drei, Titel XIX ,,Umwelt“, Art. 174-176 (fr¨uhere Art.

130r-130t) des EGV, erstmals eine explizite vertragliche Rechtsgrundlage. In der Sache wurden elementare Grunds¨atze wie das Vorsorge- und das Verursacherprinzip festge- schrieben. Mit Art. 175 EGV wurde eine klare Erm¨achtigungsgrundlage f¨ur den Erlass von gemeinschaftlichen Rechtsakten im Bereich der Umweltpolitik geschaffen, so dass auf die bisherigen Hilfskonstruktionen nicht mehr zur¨uckgegriffen werden musste. Allerdings bestand das Erfordernis der Einstimmigkeit bei Entscheidungen auf der Rechtsgrundlage des Art. 175 weiter. Es bestand daher die Versuchung, die neue Entscheidungsregel der qualifizierten Mehrheit4 nach Art. 95 EGV auch im umweltpolitischen Bereich auszu- nutzen – dazu musste allerdings die zu verabschiedende Maßnahme ,,so weit wie m¨oglich als binnenmarktrelevant“ deklariert werden (Knill 2003: 33; zur Umweltpolitik nach der EEA weiter Holzinger 1994: 71).

Durch den Vertrag von Maastricht, in Kraft getreten am 01.01.1993, wurde im Zuge des Vorantreibens der europ¨aischen Integration Art. 175 EGV dahingehend ge¨andert, dass auch im Bereich Umweltpolitik grunds¨atzlich mit qualifizierter Mehrheit entschie- den werden sollte. Weiter wurde eine Verpflichtung auf ,,umweltvertr¨agliches Wachstum“

und ,,nachhaltige Entwicklung“ in den Vertrag aufgenommen (Knill2003: 36). Die EEA und der Vertrag von Maastricht ,,verk¨undeten die Einbeziehung des Umweltschutzes in die anderen Politiken der Gemeinschaft“ (Kommission 1996: i). Einen entsprechenden integrativen Ansatz verfolgte auch das F¨unfte Umwelt-Aktionsprogramm ,,F¨ur eine dau- erhafte und umweltgerechte Entwicklung“ (1992-2000). Ganz deutlich wurde dabei ein globaler Bezug hergestellt, insbesondere auf die Gipfelkonferenz von Rio de Janeiro im Juni 1992. Art. 2 EGV in der derzeitigen Fassung hebt denn auch ,,ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualit¨at, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualit¨at“ als grunds¨atzliche Aufgabe der Gemeinschaft hervor. In Art.

4Bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit nach Art. 205 EGV werden die Stimmen der Mitglied- staaten im Rat unterschiedlich gewichtet, derzeit wie folgt: Deutschland, Frankreich, Großbritan- nien und Italien je 10 Stimmen; Spanien 8; Belgien, Niederlande, Griechenland und Portugal je 5;

Osterreich und Schweden je 4; D¨¨ anemark, Finnland und Irland je 3; Luxemburg 2 Stimmen. Eine qualifizierte Mehrheit ben¨otigt mindestens 62 der insgesamt 82 Stimmen.

Der am 01.02.2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza sieht ab 01.01.2005 eine neue Gewichtung vor: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien 29 Stimmen; Spanien 27; Niederlande 13;

Belgien, Griechenland und Portugal 12; ¨Osterreich und Schweden 10; D¨anemark, Finnland und Irland je 7; Luxemburg 4 Stimmen. Eine qualifizierte Mehrheit ben¨otigt mindestens 169 der insgesamt 237 Stimmen. Als zweite Bedingung ist die einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich. Drittens kann auf Antrag ¨uberpr¨uft werden, ob mindestens 62% der Gesamtbev¨olkerung der Union von dieser Mehrheit repr¨asentiert sind; wenn nicht, kommt der Beschluss nicht zu Stande (vgl. Art. 3 des Protokolls ¨uber die Erweiterung der Europ¨aischen Union, Amtsblatt C 325 vom 24.12.2002).

Ob die mit dem Vertrag von Nizza getroffene Regelung tats¨achlich zum 01.01.2005 in Kraft tritt, angt jedoch vom Ausgang des Prozesses f¨ur eine Europ¨aische Verfassung ab.

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3 Abs. 1 Buchst. l) EGV wird die Umweltpolitik als gemeinschaftliche T¨atigkeit aus- dr¨ucklich im Katalog der Politiken der EU genannt, und Art. 6 EGV betont nunmehr gleich zu Beginn des Vertrages, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festle- gung und Durchf¨uhrung der sonstigen Politiken einzubeziehen sind. Die 1994 eingerich- tete Europ¨aische Umweltagentur (EUA) in Kopenhagen erf¨ullt als Beobachtungsstelle, Datenzentrale und Informationsquelle eine wichtige Funktion in der europ¨aischen Um- weltpolitik. Mit dem am 30.10.2001 in Kraft getretenen ¨Ubereinkommen von Aarhus werden die Informations-, Pr¨ufungs- und Anh¨orungsrechte der Bev¨olkerung gest¨arkt.

Dieser Aufwertung und Ausweitung europ¨aischer Umweltpolitik seit Anfang der 1990er Jahre steht jedoch ein Absinken der politischen Dynamik gegen¨uber. Angesichts globaler wirtschaftlicher Probleme, hoher Arbeitslosenzahlen und der Krise der sozialen Sicherungssysteme in vielen Mitgliedstaaten, sowie kriegerischer Konflikte und Terro- rismusgefahr, ist die Umweltpolitik sowohl auf der europ¨aischen Agenda als auch in den nationalen Wahlk¨ampfen in den Hintergrund gedr¨angt worden. Als weitere Ursa- che der abnehmenden Priorit¨at der EU-Umweltpolitik werden neue Steuerungskonzepte mit geringerem rechtlichen Verpflichtungscharakter genannt, die weniger auf von der EU gemachte Vorgaben setzen als auf die Stimulation und Verst¨arkung nationaler umwelt- politischer Reformen (Knill 2003: 37).

Eine gewisse Zwiesp¨altigkeit spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen zur GD Um- welt wieder. Zwar w¨achst sowohl die Zahl der Besch¨aftigten (2003: 585 Stellen, 2004:

640 Stellen5) als auch der finanziellen Ressourcen (Verpflichtungsmittel 2003: 302,5 Mio.

Euro; 2004: 312,7 Mio. Euro). Dennoch f¨uhrt die GD Umwelt im Vergleich mit den meisten anderen Direktionen, vor allem den Hauptbereichen Agrar- und Regionalpo- litik, ein Schattendasein; auch innerhalb der sog. internen Politikbereiche betr¨agt der Ressourcenanteil der Umweltpolitik nur 3%. Stellt man in Rechnung, dass die internen Politikbereiche 7 Mrd. Euro, mithin nur rund 7% des Gesamtbudgets der EU ausma- chen, kommt man auf einen Anteil der Umweltpolitik an den Gesamthaushaltsausgaben von 0,21% (alle Daten Kommission 2004).

2.1.2. Das Programm Natura 2000

Innerhalb der europ¨aischen Umweltpolitik stellt der Bereich ,,Natur und biologische Viel- falt“ einen von vier Schwerpunkten im laufenden Sechsten Umwelt-Aktionsprogramm (2001-2010) dar6. Zur Erhaltung der biologischen Vielfalt (auch Artenvielfalt oder Biodi- versit¨at) verfolgt die Europ¨aische Union ein ,,Zwei-S¨aulen-Modell“ (Gellermann2001:

9): Dies ist zum einen ein ,,allgemeiner“ integrativer Ansatz, der die Belange des Ar- tenschutzes in anderen Politikbereichen wahren soll, zum anderen das spezielle Habitat- (Lebensraum-/Biotop-)schutzrecht, welches der Sicherung und ¨okologischen Verbesse-

5Hinzu kommen noch ein betr¨achtlicher Anteil an externen Mitarbeitern sowie die Dienstleistungen der EUA. Interessante Vergleichszahlen von Beginn der 1990er Jahre bietetHolzinger(1994: 100f.)

6Die ¨ubrigen Schwerpunkte sind ,,Klima¨anderung“, ,,Umwelt und Gesundheit und Lebensqualit¨at“

sowie ,,nat¨urliche Ressourcen und Abfall“.

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rung noch vorhandener Lebensr¨aume dient. Kernelement des europ¨aischen Habitat- schutzrechts ist Natura 2000, ein europaweites Verbundsystem oder Netzwerk von Natur- schutzgebieten. Grundgedanke dieses Netzwerkes ist die biologische Notwendigkeit, die qualitativ unterschiedlichen, isolierten nationalen Naturschutzgebiete zu einem Biotop- verbund zusammenzufassen, da durch ,,Inselbiotope“ dem Artenschwund nicht effektiv begegnet werden kann (Gellermann2001: 13f.; Dahlet al. 2000: 205).

Rechtliche Pfeiler von Natura 2000 sind zwei Richtlinien: Die Vogelschutzrichtlinie (VRL) und die FFH-Richtlinie (vgl. Kap.1 Fußnoten 3 und 4). Der Erlass der Vogel- schutzrichtlinie bereits 1979 hatte vor allem zwei Gr¨unde7: Erstens sah schon das Erste Umwelt-Aktionsprogramm von 1973 Sonderaktionen f¨ur den Vogelschutz vor, da bei be- stimmten Best¨anden ein rascher R¨uckgang verzeichnet wurde; zweitens handelt es sich bei einem großen Teil der in Europa wild lebenden Vogelarten um Zugv¨ogel, was deren Schutz zu einem typisch grenz¨uberschreitenden Problem macht.

Ebenfalls 1979 wurde die internationale Berner Artenschutz-Konvention verabschie- det, die von der Gemeinschaft und allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde8. Nach- dem sich aber herausgestellt hatte, dass im Rahmen dieses Prozesses ,,keine rechten Fortschritte“ erzielt wurden (Gellermann 2001: 10), und dass andere Artengrup- pen neben den V¨ogeln teils noch st¨arker bedroht waren, wurde auf eine allgemeine europ¨aische Artenschutzrichtlinie hingearbeitet. Nach f¨unfj¨ahriger Diskussion, Beteili- gung von EU-Parlament, Verb¨anden und Interessengruppen9 wurde die FFH-Richtlinie (FFH-RL) im Mai 1992 erlassen. Die Vogelschutzrichtlinie wurde ausdr¨ucklich erg¨anzt und insoweit integriert, als ,,alle ausgewiesenen Gebiete in das zusammenh¨angende eu- rop¨aische ¨okologische Netz einzugliedernßeien. Ebenso wurde explizit Bezug genommen auf das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development)10. Schließlich wurde der bisherige Ansatz, bestimmte gef¨ahrdete Arten wie spezielle Vogelarten oder Jungrobben11 zu sch¨utzen, dahingehend erweitert, dass ganze Lebensr¨aume von Arten

7Vgl. sowohl f¨ur die Vogelschutzrichtlinie als auch f¨ur die FFH-Richtlinie die in der jeweiligen Pr¨aambel aufgef¨uhrte Begr¨undung.

8Ubereinkommen ¨¨ uber die Erhaltung der europ¨aischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer nat¨urlichen Lebensr¨aume vom 19.09.1979, BGBl. 1984 II S. 618.

9Natura 2000 – Newsletter der GD Umwelt Nr. 5 von Februar 1998. Zur Vorgeschichte der FFH- Richtlinie siehe auchBerner 2000: 36ff.

10Sustainable Development wird nach der ,,klassischen“ Definition der World Commission on Envi- ronment and Development (WCED) der Vereinten Nationen 1987, nach ihrer Vorsitzenden auch ,,Brundtland-Kommission“ genannt, wie folgt definiert:

,,In essence, sustainable development is a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development, and institutional change are all in harmony and enhance the potential of current and future generations to meet human needs and aspirations.“ (WCED 1987: 46) - Zur weitreichenden Diskussion des Nachhaltigkeitsprinzips vgl.

z.B.Gerken(1996);Minsch et. al. (1998);Rennings/Hohmeyer(1997).

11Richtlinie 83/129/EWG vom 28.03.1983, Amtsblatt L 91, S. 30. Genau gesagt wurden nicht Jungrob- benarten unter Schutz gestellt, sondern die ,,Einfuhr in die Mitgliedstaaten von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus“ geregelt. ¨Ahnliche solcher ,,Artenschutz-Handelsregelungen“ gibt es z.B. f¨ur Walerzeugnisse und Elfenbein.

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gesch¨utzt werden sollen (R¨odiger-Vorwerk 1998: 5). Die FFH-Richtlinie ist damit das ,,derzeit umfassendste Naturschutzinstrument der Europ¨aischen Union“ (Dahl et al. 2000: 325).

Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutzrichtlinie und im Sinne der FFH-Richtlinie zusammen, die zum Schutz der in den jeweiligen Anh¨angen aufgef¨uhrten Arten und Le- bensraumtypen ausgewiesen werden sollen. Aus dem Blickwinkel der Habitat-Richtlinie ergibt sich ein dreistufiger Prozess, der zur Errichtung von Natura 2000 f¨uhrt (vgl. im einzelnen Gellermann 2001: 45-60).

1. Phase: Vorlage von nationalen Vorschlagslisten f¨ur ,,Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ (Site of Community Importance – SCI)

2. Phase: Festlegung von SCIs durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mit- gliedstaaten (,,Konzertierungsphase“)

3. Phase: Ausweisung durch die Mitgliedsstaaten als besonderes Schutzgebiet (Special Area of Conservation – SAC)

Die besonderen Schutzgebiete nach Art. 4 Abs. 1 VRL werden in der Terminologie der EU als ,,Special Protection Area“ – SPA bezeichnet und sind gem¨aß Art. 3 Abs. 1 Satz 3 FFH-RL Bestandteil von Natura 200012. Das dreistufige Verfahren der FFH-RL gibt es f¨ur die SPA nicht, sie werden in nur einer Etappe ausgewiesen und dann direkt in Natura 2000 aufgenommen (Kommission 1997a: 11; Gellermann2001: 17-45).

Zur Umsetzung von Natura 2000 ergibt sich somit der Zeitplan gem¨aß Tabelle 2.113. Der Fahrplan zu Natura 2000 beinhaltet also etliche verbindliche Fristen zur rechtlichen und praktischen Umsetzung sowie Berichtspflichten (Art. 17 FFH-RL; Art. 12 VRL).

Bevor nun auf die Begriffe der rechtlichen und praktischen Implementation eingegan- gen wird, ist es notwendig, noch kurz die Hauptakteure im Prozess der Umsetzung von EU-Richtlinien etwas n¨aher zu beschreiben.

2.1.3. Die zentralen Akteure bei der Umsetzung von EU-Richtlinien

Diese Arbeit konzentriert sich auf dieUmsetzung der europ¨aischen Umweltrichtlinien im Rahmen von Natura 2000. Deswegen wird hier auf wichtige politische Akteure, die die Initiierung, Formulierung und Rechtsetzung in der europ¨aischen Umweltpolitik beein- flussen, wie der Ministerrat oder das Europ¨aische Parlament, nicht eingegangen. Ferner wird nur insoweit auf die Akteure eingegangen, als es f¨ur das Verst¨andnis der Fragestel- lung dieser Arbeit notwendig ist; zu grunds¨atzlichen Informationen ¨uber diese Organe vgl. statt vieler z.B.Weidenfels/Wessels 2002; Hix 1999.

12Die ,,allgemeinen“ Schutzvorschriften zur Erhaltung s¨amtlicher wild lebender europ¨aischer Vogelarten sind davon nicht ber¨uhrt (zur DifferenzierungGellermann2001: 17ff.).

13Tag der Bekanntgabe war f¨ur die Bundesrepublik Deutschland der 05. Juni 1992, woraus sich der taggenaue Zeitplan bei odiger-Vorwerk (1998: 9) und das Datum 04. Juni 2004 f¨ur die Aus- weisungspflicht f¨ur die Bundesrepublik ergibt.

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Tabelle 2.1: Zeitplan f¨ur die Umsetzung von Natura 2000 Mai 1992 Beschluss der FFH-Richtlinie

Juni ’92 In-Kraft-Treten am Tag der Bekanntgabe an den jeweiligen Mitglieds- staat

Juni ’94 Umsetzung der Richtlinie in nationale Gesetzgebung zwei Jahre nach Bekanntgabe der FFH-RL (Art. 23 Abs. 1 FFH-RL)

Juni ’95 Ubermittlung von nationalen Gebietslisten innerhalb von drei Jahren¨ nach Bekanntgabe der FFH-RL (Art. 4 Abs. 1 FFH-RL)

Juni ’95 - Juni ’98 Auswahl und Festlegung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (SCIs) durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaa- ten (Art. 4 Abs. 2 sowie besonderes Verfahren nach Art. 5 FFH-RL) Juni ’98 Fertigstellung der Liste mit SCI-Gebieten durch die Kommission (Art.

4 Abs. 3 FFH-RL)

Juni ’98 - Juni ’04 Ausweisung von SCIs als besondere Schutzgebiete (SACs) durch die Mitgliedsstaaten ßo schnell wie m¨oglich, sp¨atestens aber binnen sechs Jahren”(Art. 4 Abs. 4 FFH-RL)

Juni ’04 Fertigstellung des NATURA 2000 Netzwerkes, welches sowohl SPAs als auch SACs beinhaltet

a) Die Mitgliedsstaaten

Bereits aus den allgemeinen Grunds¨atzen des EGV ergibt sich die Zust¨andigkeit der Mit- gliedstaaten f¨ur die ,,Erf¨ullung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben“ (Art. 10 EGV). F¨ur den Bereich der Umweltpolitik stellt dar¨uber hinaus Art. 175 Abs. 4 EGV klar: ,,Unbeschadet bestimm- ter Maßnahmen gemeinschaftlicher Art tragen die Mitgliedstaaten f¨ur die Finanzierung und Durchf¨uhrung der Umweltpolitik Sorge“14. Schließlich beinhalten die spezialgesetz- lichen Regelungen der VRL und der FFH-RL Konkretisierungen der mitgliedstaatlichen Rechte und Pflichten.

Die europ¨aische Umweltpolitik kennt keine weitere Differenzierung unterhalb der na- tionalstaatlichen Ebene. Gerade in L¨andern mit f¨oderalem Staatsaufbau (z.B. Deutsch- land, ¨Osterreich) sind jedoch subnationale Instanzen erheblich beteiligt. Dies gilt f¨ur die rechtliche Implementation (Umsetzung in Landesrecht, z.B. Naturschutzgesetze der bun- desdeutschen L¨ander) sowie noch mehr f¨ur die praktische Umsetzung. Unter Umst¨anden sind auch noch die Belange weiterer Ebenen zu ber¨ucksichtigen, etwa der deutschen Kommunen im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechtes aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz

14“Maßnahmen gemeinschaftlicher Art” stellen z.B. die bereits erw¨ahnten Umwelt-Aktionsprogramme dar. Wichtigstes gemeinschaftliches Finanzierungsintrument ist das F¨orderprogramm LIFE (seit 1992).

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(im Bereich des hier behandelten Habitatsschutzes vor allem die kommunale Kompetenz zur Aufstellung von Fl¨achennutzungs- und Bebauungspl¨anen).

b) Die Europ¨aische Kommission

Bei der Umsetzung europ¨aischer Richtlinien hat die Kommission als ,,H¨uterin der Ver- tr¨age“ vor allem eine Kontrollfunktion. Seit 1984 gibt es in der GD Umwelt eine eigene Abteilung f¨ur die ¨Uberwachung des Gemeinschaftsrechts (Holzinger 1994: 102). Die Mitgliedstaaten haben gegen¨uber der Kommission umfassende Informationspflichten.

Allerdings muss erw¨ahnt werden, dass die Kommission im Umweltbereich weder ¨uber besondere Inspektions-Befugnisse (wie es sie z.B. beim Wettbewerbsrecht gibt,Kr¨amer 1996: 13) noch ¨uber die personellen und finanziellen Mittel verf¨ugt, um die Umsetzung von Richtlinien systematisch und detailliert zu ¨uberwachen. Auch nach Schaffung der EUA, die keine Pr¨ufungszust¨andigkeiten hat15, ist sie im Wesentlichen auf die Daten und Informationen der Mitgliedsstaaten angewiesen. Es ist daher ,,wenig ¨uberraschend, dass zwischen der Aufdeckung eines Rechtsverstoßes und dem Abschluss eines Vertragsverlet- zungsverfahrens mehrere Jahre vergehen k¨onnen“ (Knill 2003: 165, Fußnote 106). Eine weitere Folge dieser Konstellation ist, dass die Umsetzung prim¨ar als Prozess der Aus- handlung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten zu verstehen ist (Knill2003: 167).

Jedoch bleibt der Kommission immer noch ein letzter R¨uckzug auf den ,,hierarchischen Modus“, sprich die M¨oglichkeit, bei einem Scheitern dieses Verhandlungsprozesses die Umsetzung von Richtlinien in einem Mitgliedstaates vor dem EuGH einzuklagen (siehe auch Kap. 2.1.5).

c) Der Europ¨aische Gerichtshof

Nach dem gerade Gesagten erscheint der EuGH als Ultima-Ratio-Werkzeug der Kom- mission bei der unzureichenden Umsetzung von Richtlinien durch die Mitgliedsstaaten;

im Zuge des Vertragsverletzungsverfahrens ,,fungiert die Kommission als Staatsanwalt und der EuGH als Richter“ (Tallberg 2002: 615). Eine weitere wichtige Funktion be- steht in der Fortentwicklung des Rechts und in der Ausf¨ullung von Regelungsl¨ucken. Dies ist gerade auch in Bezug auf Natura 2000 in der Auslegung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe sowie der Bestimmung des mitgliedstaatlichen ,,Bewertungsspielraumes“

(Gellermann 2001: 22) von Bedeutung. Der EuGH ist nach alledem mehr als ein Schiedsgericht, er ist auch Gestalter europ¨aischen Rechts und kann dar¨uber hinaus als institutioneller ,,focal point“ fungieren (Mayer 2002).

Der EuGH besitzt kraft Vorrangs des Gemeinschaftsrechts16 die Kompetenz, letz- tinstanzlich und direkt verbindlich zu entscheiden. Weiter gest¨arkt worden ist die

15Auf die interessante, aber bislang ungenutzte M¨oglichkeit der probeweisen Beteiligung der EUA an der ¨Uberwachung der Durchf¨uhrung von Umweltvorschriften verweistNicklas(1997: 101).

16Vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964 - 6/64 - Costa vs. ENEL = Rechtsprechungssammlung des EuGH 1964, S. 1253;Borchardt(1999);Himmelmann(1997: 57-69 m.w.N.).

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Funktion des EuGH durch die mit dem Vertrag von Maastricht eingef¨uhrte Sank- tionsm¨oglichkeit Art. 228 EGV. Auf Grund dieser schon zuvor geforderten Sankti- onsm¨oglichkeit (Caspari 1991: 16) entscheidet der Gerichtshof auf Antrag ¨uber die Festsetzung eines Zwangsgeldes. Hierzu und zum Vertragsverletzungsverfahren im Ein- zelnen siehe ¨ubern¨achster Abschnitt 2.1.5.

2.1.4. Rechtliche und praktische Implementation

Die Umsetzung (auch Implementation, Implementierung) der VLR und der FFH-RL vollzieht sich in zwei grundlegenden Stufen: Erstens der rechtlichen Implementation, also der Transformation in nationales Recht, und zweitens der praktischen Implementation, das ist die tats¨achliche Anwendung bzw. der Vollzug in der Praxis. ,,Auf beiden Stufen kann der Implementationsprozess scheitern“ (L¨ubbe-Wolff1998: 1). Eine Darstellung der Implementierungsschritte und der m¨oglichen Fehlerquellen zeigt Tabelle 2.2 (Eigene Darstellung nach Henke1992: 200ff.; Kr¨amer 1996; Holzinger 1994: 58ff.).

Jeder der hier aufgezeigten Fehler kann als Vertragsverletzung ein Verfahren nach sich ziehen. Wurden bis Mitte der 1980er Jahre noch Vertragsverletzungsverfahren nahezu ausschließlich wegen Fehlern in der rechtlichen Implementation eingeleitet (Rehbinder/Stewart 1985: 144), so sind seitdem daneben Defizite in der praktischen Implementation verst¨arkt in den Fokus geraten (L¨ubbe-Wolff1996: 2).

Verst¨oße im Bereich der formell-rechtlichen Umsetzung sind f¨ur die Kommission noch relativ leicht zu erkennen und zu verfolgen. Im materiell-rechtlichen Bereich ist dies schon erheblich schwieriger, weil sich die umzusetzende spezialgesetzliche Regelung in das allgemeine Recht eines Mitgliedsstaates einordnet, dieses also ebenfalls bekannt sein muss (Kr¨amer1996: 12). Besondere Probleme hat die Kommission, M¨angel in der prak- tischen Implementierung aufzudecken und im Falle eines Vertragsverletzungsverfahrens zu beweisen. Denn hierzu bed¨urfte sie weiterer Kompetenzen und Ressourcen, als sie derzeit hat (vgl. oben Kap. 2.1.3. b). M¨ogliche L¨osungsversuche wie so genannte Paket- sitzungen, Schiedstermine oder eine st¨arkere Einbindung der ¨Offentlichkeit haben sich nicht durchgesetzt (Kr¨amer 1996: 13f.).

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Tabelle 2.2: Stufen der Implementierung

Umsetzungsstufe Einzelne Schritte M¨ogliche Fehler 1. Stufe: Recht-

liche Implementie- rung

Formell- rechtlich

Notifizierungspflicht ¨uber die Umsetzung in innerstaatliches Recht

Nicht-Mitteilung

Umsetzung innerhalb der Frist Nicht fristgem¨aße Umset- zung

Umsetzung in gen¨ugender Form (als Gesetz)

Ungen¨ugende Form der Umsetzung (z.B. nur durch Verwaltungspraxis oder Verwaltungsvor- schrift)

Materiell- rechtlich

Inhaltliche Vollst¨andigkeit und Richtigkeit

Fehlende Regelungen der RL; weiter gehende Aus- nahmen als in der RL; Un- klarheiten; Widerspr¨uche mit anderem innerstaatli- chem Recht

2. Stufe: Prakti- sche Implementie- rung

Tats¨achliche Anwendung und Befolgung der Vorschriften

Unt¨atigkeit, wenn RL Handeln erfordert; Han- deln, das durch RL ver- boten ist; Nichtbeachtung der RL in gerichtlicher Spruchpraxis

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2.1.5. Das Vertragsverletzungsverfahren

Rechtsgrundlage f¨ur dieses Verfahren gegen Mitgliedstaaten, die gegen Verpflichtung aus dem EGV verstoßen, ist Art. 226, 228 Abs. 1 EGV. Danach ergeben sich folgende f¨ormliche Verfahrensschritte:

1. Feststellung eines Vetragsverstoßes durch die Kommission 2. Anh¨orung des Mitgliedstaates (mit Frist zur Abhilfe)

3. Mit Gr¨unden versehene Stellungnahme an den Mitgliedstaat (mit Frist zur Abhilfe) 4. Kommission kann EuGH anrufen – Klageerhebung

5. Urteil des EuGH (wenn Klage zuvor nicht zur¨uckgenommen oder anderweitig er- ledigt)

F¨ur den Fall, dass der Mitgliedstaat die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen nicht ergriffen hat, kann sich ein Verfahren gem¨aß Art 228 Abs. 2 EGV anschließen, welches ebenfalls die genannten Schritte von 1. bis 5. durchlaufen muss mit der Maß- gabe, dass die Kommission bei Anrufung des EuGH ein ,,angemessenes“17 Zwangsgeld benennt, das der EuGH verh¨angen kann. Diese Sanktionsm¨oglichkeit, bereits 1975 vom EuGH und 1983 vom Europ¨aischen Parlament gefordert, wurde schließlich 1992 durch den Vertrag von Maastricht und der damit verbundenen Revision des Art. 228 EGV geschaffen. Das damalige Z¨ogern der Mitgliedstaaten im Europ¨aischen Rat vor einer sol- chen Maßnahme ist verst¨andlich, richtet sich diese Sanktionsm¨oglichkeit doch gegen sie selbst. Angesichts der zunehmend als Problem erkannten Implementierungsdefizite sah man sich dann aber doch gehalten, den Urteilen des EuGH mehr Nachdruck zu verleihen (Tallberg2000: 108f.) Die genannten formellen Schritte werden fortw¨ahrend von infor- mellen T¨atigkeiten begleitet. Zun¨achst ist die Kommission wegen ihrer bereits erw¨ahnten geringen Kontrollm¨oglichkeiten auf Hinweise aus der ¨Offentlichkeit oder Verb¨anden an- gewiesen, die sich per - mittlerweile auch im Internet18 - ver¨offentlichtem Formular in einer ,,Art halboffizielle[m] Beschwerde-Verfahren“ an die Kommission richten k¨onnen (Winter 1996: 120; Nicklas 1997: 97f.). Die Kommission selbst betont, ,,dass die Beschwerden die wichtigste Quelle f¨ur die Ermittlung von Verst¨oßen gegen das Gemein- schaftsrecht sind“ (Kommission 2003: 6). Des Weiteren nimmt die Kommission vor

17Zu den Kriterien der ,,Angemessenheit“ vgl. Knill 2003: 164, dortige Fußnote 104 sowie Grund- satzurteil des EuGH vom 04.07.2000 - C387/97; eine Besprechung bietet Versteyl (2000). Die Kommission bestimmt die H¨ohe der Zwangsgelder ausdr¨ucklich auch nach dem Zweck als Abschre- ckungsmittel (,,instrument of deterrence, involving daily penalty payments at punitive levels“; vgl.

Tallberg2002: 619). - In absoluten Betr¨agen weisen die Zwangsgelder eine erhebliche Bandbreite von 6.000 Euro pro Tag bis 316.500 Euro pro Tag auf (Kommission 2003: 10f.).

18http://europa.eu.int/comm/secretariat general/sgb/lexcomm/index fr.htm; vgl.Kommission(2003:

6).

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f¨ormlicher Anh¨orung und Versand einer mit Gr¨unden versehenen Stellungnahme Kon- takt mit dem betroffenen Mitgliedstaat auf, um die ,,Beschwerdef¨alle zu er¨ortern, die unsubstantiierten auszusortieren, die Behebung der substantiierten abzusprechen und die weiterhin streitigen festzustellen“ (Winter1996: 120). Vor Klageerhebung wird oft noch eine Einigung ,,in letzter Minute“ gesucht (Knill 2003: 163). Und hilft ein Mit- gliedstaat noch im laufenden Klageverfahren ab, nimmt die Kommission in aller Regel die Klage zur¨uck. Das ganze Verfahren bis zum Urteil kann vier bis sechs Jahre dauern (Nicklas 1997: 102, dortige Fußnote 380).

Bei alledem sind zwei weitere Punkte zu bedenken: Erstens bed¨urfen Beschl¨usse der Kommission bez¨uglich jedes Schrittes in den Verfahren nach Art. 226, 228 EGV eines einstimmigen Kollegiumsbeschlusses. Das Kollegium tritt hierf¨ur nur halbj¨ahrlich zu- sammen (Holzinger 1994: 102); zudem k¨onnen einzelne Kommissare (insbesondere die des betroffenen Mitgliedsstaates) den Beschluss blockieren oder zumindest aufschie- ben (Nicklas 1997: 102). – Zweitens wird die Kommission einen allzu konfrontativen Kurs vermeiden, da sie w¨ahrend und nach dem Vertragsverletzungsverfahren weiter auf die gute Zusammenarbeit mit dem Mitgliedstaat angewiesen ist. Vertragsverletzungs- verfahren gelten daher als ,,ultima ratio“ (Nicklas 1997: 63) und als ,,very last resort“

(Jordan 1999: 81; Tallberg 2002: 635).

Als grobe Regel kann man aus Statistiken von 1978-2002 ableiten, dass von allen be- kannt gewordenen Verst¨oßen zwei Drittel zu einem ersten Anh¨orungsschreiben f¨uhren, ein Viertel zu einer begr¨undeten Stellungnahme und knapp 10% zur Klageerhebung (Kommission 2003: 8, Schaubild)19. Im Umweltbereich waren zum 31.12.2002 505 ein- geleitete Verfahren anh¨angig; davon haben 323 zu mit Gr¨unden versehenen Stellungnah- men und 149 zur Klageerhebung gef¨uhrt; in 33 F¨allen wurde ein Verfahren nach Art.

228 EGV eingeleitet (Kommission 2003: Anhang 2).

2.2. Theoretischer Ausgangspunkt

Es wurde bereits erw¨ahnt, dass es zu der spezifischen Fragestellung dieser Arbeit - zur Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung europ¨aischer Umweltrichtli- nien - soweit bekannt keine Theorie gibt und diese Analyse daher explorativ angelegt ist.

Das darf aber nicht heißen, dass sie ,,ins Blaue hinein“ erfolgt. Ohne theoretischen Hinter- grund k¨onnten keine akzeptablen20Annahmen hergeleitet werden, zu deren ¨Uberpr¨ufung die Untersuchung dient, es ließen sich keine sinnvollen ¨Uberlegungen zu Alternativer- kl¨arungen anstellen (Schnellet al. 1999: 225), und man erhielte keine Kriterien f¨ur die Datenanalyse (d.h. unter welchen Aspekten die Daten betrachtet werden).

19Tallberg(2002: 618) nennt f¨ur den Zeitraum von 1978 bis 2000 folgende Zahlen: 38% aller eingelei- teten Vertragsverletzungsverfahren (nicht: aller bekannt gewordenen Verst¨oße) f¨uhrten zu einer mit Gr¨unden versehenen Stellungnahme, 11% gelangten vor den EuGH.

20,,Inakzeptabel“ f¨ur eine wissenschaftliche Untersuchung sind z.B. ad-hoc- oder nicht falsifizierbare Erkl¨arungen (vgl. z.B.Kinget al. 1994: 19).

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Zur Gewinnung eines theoretischen Hintergrundes n¨ahert sich diese Arbeit von drei Seiten an die Fragestellung an. Erstens werden Ans¨atze der Implementationsforschung in Bezug auf die Umsetzung insbesondere europ¨aischer Umweltrichtlinien er¨ortert. Zwei- tens werden Analysen herangezogen, die sich mit der Wirkung von Klagen und Recht- sprechung des EuGH auf die Politik in den Mitgliedstaaten befassen. Drittens werden bisher durchgef¨uhrte Fallstudien daraufhin untersucht, ob sie bez¨uglich der Wirkung von Vertragsverletzungsverfahren auf die Umsetzung europ¨aischer Umweltrichtlinien (insbe- sondere zu Natura 2000) Hypothesen generieren, testen oder sonstige hier verwertbare Aussagen treffen.

2.2.1. Theorien zur Umsetzung europ¨ aischer Umweltpolitik

Die Umsetzung oder Implementation einer policy21, also z.B. eines Programms wie Natu- ra 2000, ist in der politikwissenschaftlichen Forschung lange Zeit nicht gesondert betrach- tet worden, sondern als eine der Stufen des policy-Prozesses (Lasswell1956;Brewer 1974):

Initiation→ Estimation → Selection →Implementation → Evaluation→ Termination Die Implementierung ist danach, nach Problemerkennung und -definition sowie der Politikformulierung, die Phase der Umsetzung einer policy in die Realit¨at. Auch wenn die Phasen konzeptionell getrennt werden, sind sie voneinander abh¨angig, und es gibt feedback-Schleifen. All das gilt auch f¨ur die Implementierung europ¨aischer Umweltpoli- tik.

Allerdings geriet dieses Stufenmodell Ende der 1980er Jahre in die Kritik: Als zu legalistisch, zu sehr auf eine Implementierung von oben nach unten fokussiert, vor allem aber als kausal-theoretisch zu schwach (Sabatier 1999: 7). Auch wenn es deswegen noch nicht komplett aufgegeben werden muss22 (de Leon 1999: 29), so hat sich doch Bedarf gezeigt, weiter entwickelte ,,Frameworks“23 zu erarbeiten.

F¨ur den Bereich der Implementationsforschung sind mehrere theoretische Konzeptio- nen entwickelt worden. Implementationsforschung befasst sich vor allem mit der Frage nach derEffektivit¨at der Implementierung bzw. der Analyse von Implementierungsdefi- ziten. Schon die Frage, wann eine Implementation effektiv ist, kann dabei unterschiedlich

21In den Politikwissenschaften ist aus analytischen Gr¨unden gebr¨auchlich, drei Dimensionen von Politik zu unterscheiden, die dem Englischen entlehnt sind:

polity: Der Rahmen, die Spielregeln, z.B. der verfassungsm¨aßige Staatsaufbau usw.

politics: Die Art, der Politikstil, z.B. Parteienwettbewerb, Interessenvermittlung, Kooperations- muster usw.

policy: Die Inhalte der Politik, z.B. Umweltpolitik.

22So ist eine konzeptionelle Trennung z.B. von Politikformulierung und Implementierung auch heute noch gebr¨auchlich und n¨utzlich.

23Ein ,,Framework“ ist ein Analyserahmen, weiter entwickelt als eine Heuristik, aber noch keine voll ausgebildete Theorie (vgl.Ostrom1999;Schlager1999;Scharpf1997).

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definiert werden. Man kann darunter ganz eng die komplette fristgerechte Umsetzung in nationales Recht verstehen (B¨ahr 2003: 32) oder den Begriff auf die praktische Im- plementation erweitern (vgl. oben 2.1.4). Ob und wie effektiv die Umsetzung ist, kann weiter auf die angestrebten Wirkungen einer policy ausgedehnt werden, also auf die ,,outcomes“ einer policy; bei Natura 2000 also auf die Frage, ob aus ¨okologischer Sicht die Ziele des Arten- und Lebensraumschutz erreicht worden sind. Schließlich kann die Analyse eine eher prozess- oder eher zielorientierte Perspektive einnehmen (vgl. hierzu die Typologie beiKnill 2003: 171).

Hill stellt fest, dass unterschiedliche Konzeptionen von Implementation je nach policy-Bereich und sogar je nach Land verwendet werden (am Beispiel einer ,,skandi- navischen“ Perspektive,Hill 1997: 378, 382).

Auch bez¨uglich der Wirkungszusammenh¨ange - Was bestimmt die Effektivit¨at der Implementation? - gibt es keine Universaltheorie (Knill 2003: 185). So werden mit un- terschiedlicher Akzentuierung institutionelle Strukturen (Schmidt1999), institutionelle Traditionen (Knill 1997; Knill/Lenschow 1997), die Wahl der Steuerungsinstru- mente (Berman 1980), innerstaatliche Veto-Positionen (Bailey 2002), die Macht in- nerstaatlicher Interessengruppen (Alter2000;Uebersohn1990) oder die Akteurskon- stellation im nationalen policy-Subsystem (Sabatier/Jenkins-Smith1993;Sabatier 1999) hervorgehoben.

F¨ur die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Implementation enthalten die- se theoretischen Ans¨atze keine spezifischen Aussagen. Die vor dem Hintergrund der ver- schiedenen Ans¨atze zu erwartende Wirkung von Klagen ist zudem uneinheitlich. Beispiel- haft werden hierf¨ur der institutionalistische Ansatz und der Advocacy-Koalitionsansatz kurz dargestellt.

a) Der institutionalistische Ansatz

Die Untersuchung der Rolle von Institutionen im policy-Prozess erfuhr Anfang der 1980er Jahre wesentliche Impulse aus der ¨okonomischen Theorie (Williamson 1985; North 1990, 1993) und der Analyse internationaler Politik (Krasner 1982; Keohane 1984;

zusammenfassend Martin/Simmons 1998). Speziell auf die Beantwortung der Frage, wie Institutionen die Entscheidungen der Akteure im politischen Prozess beeinflussen, fokussierten Kiser und Ostrom (1982). Seitdem hat dieser Ansatz Anlass zu einer Reihe weiterer Arbeiten gegeben, die sich unter dem Terminus Institutional Rational Choice zusammenfassen lassen (z.B. Institutional Analysis and Development Frame- work, Ostrom 1999: 35-71; Akteurzentrierter Institutionalismus, Scharpf 1997). Ge- meinsam ist all diesen Frameworks die Pr¨amisse, dass Institutionen das Handeln der politischen Akteure wesentlich bestimmen und beschr¨anken. Der Begriff der Instituti- on umfasst hierbei nicht nur organisatorische Einheiten (wie z.B. die Kommission, den EuGH, den Bundesrat), sondern auch die dahinter stehenden ,,unsichtbaren“ Normen und Regeln (Ostrom 1999: 37) sowie das Selbstverst¨andnis bzw. Bewusstsein der ein-

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zelnen Institution und ihrer Mitglieder (z.B. das ,,juristische Denken“, Korpsgeist24, das Beamtentum, die ,,aufgekl¨arte Verwaltung“ Frankreichs). Das Ergebnis politischer Pro- zesse wird also maßgeblich durch das institutionelle Arrangement geformt, in dem sich der policy-Prozess abspielt.

Dieses noch recht allgemeine Postulat ist als Erkl¨arungsansatz auf die Implemen- tationsforschung - speziell im Rahmen europ¨aischer Mehrebenenpolitik - ¨ubertragen worden. Vor allem dort, wo eine top-down-Perspektive25 eingenommen wird, erweist er sich als fruchtbar: Wie wirkt sich die europ¨aische Integration auf die nationale Ebene aus (B¨orzel/Risse2000)? Spezieller: Wie werden europ¨aische policy-Vorgaben in den Mitgliedstaaten umgesetzt? Letztere Frage zielt direkt auf den konkreten Bereich der Implementation europ¨aischer Richtlinien. F¨ur die Fragestellung dieser Arbeit ist dieser Ansatz daher viel versprechend.

F¨ur die Analyse der Implementierung europ¨aischer Umweltpolitik benutzt auchKnill einen institutionalistischen Ansatz: ,,Implementationsprobleme k¨onnen [. . . ] in erster Li- nie als Probleme institutionellen Wandels begriffen werden“ (Knill 2003: 191). Dieser Ansatz resultiert aus Ergebnissen fr¨uherer Untersuchungen, die zeigten, dass nationale Verwaltungsstrukturen, -kulturen und -traditionen (Dyson 1980) wesentlichen Einfluss auf die Effektivit¨at der Implementierung europ¨aischer Richtlinien haben (Knill 1997;

Knill/Lenschow 1997). Effektive Implementation ist demnach eine Frage institutio- neller Anpassung. Diese Anpassung hat aber dort eine Grenze, wo grundlegende Ele- mente der bestehenden nationalen Institutionen ber¨uhrt werden. Ein Beispiel hierf¨ur ist die ineffektive rechtliche und praktische Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie26 in Deutschland, die ein generelles Recht auf Akteneinsicht bez¨uglich eines weit gefassten Begriffes von ,,Informationen ¨uber die Umwelt“ vorsieht und damit im Gegensatz zur deutschen Tradition und Praxis der ,,beschr¨ankten Akten¨offentlichkeit“ steht.

Maßgebliche erkl¨arende Variable f¨ur die Umsetzung ist der Anpassungsdruck, der von den europ¨aischen Vorgaben auf die nationalen Institutionen ausge¨ubt wird. Andere Va- riablen, wie die Art des Implementations- bzw. Steuerungsinstrumentes, lieferten keine eindeutigen Erkl¨arungen, d.h. die Implementationseffektivit¨at variierte ohne systema- tischen Zusammenhang mit der Verwendung alter oder neuer Steuerungsinstrumente (Knill 2003: 181-190; zu den Instrumenten im einzelnen 59-72). Der Befund: Neue Besen kehren nicht generell besser als die alten (Knill/Lenschow 2000).

24Beispielhaft seien hier die Spitzen der franz¨osischen Verwaltung genannt (les grands corps de l’´etat), die in den ¨uberwiegenden F¨allen eine ihnen eigene Ausbildung an der exklusiven Kaderschmiede Ecole Nationale d’Administration -ENA- absolviert haben.

25Im Gegensatz zur top-down-Perspektive fragt die bottom-up-Perspektive nach Erkl¨arungen politischer Prozesse auf der supranationalen Ebene wie der europ¨aischen Integration, des institution-building oder der Formulierung europ¨aischer Politik. Die abh¨angige Variable liegt also nicht auf der nationa- len, sondern der supranationalen Ebene (orzel/Risse 2000).

26Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 07.06.1990 ¨uber den freien Zugang zu Informationen ¨uber die Umwelt, ABl. L 158 vom 23.06.1990 der EG.

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