• Keine Ergebnisse gefunden

Im folgenden zweiten Teil wird zun¨achst der Hintergrund dieser Untersuchung auf-bereitet. Nach einem ¨Uberblick ¨uber das Politikfeld der europ¨aischen Umweltpolitik wird das Programm Natura 2000 dargestellt. Die Rolle, welche die bei der Implemen-tierung im Rahmen dieser Untersuchung haupts¨achlich beteiligten Akteure - die EU-Mitgliedstaaten, die Kommission und der EuGH - spielen, wird ebenso kurz erl¨autert wie die Unterscheidung zwischen rechtlicher und praktischer Umsetzung und schließ-lich der Ablauf eines Vertragsverletzungsverfahrens. Das Kapitel 2.2. n¨ahert sich dem theoretischen Hintergrund dieser Arbeit von drei Seiten an: 1. von den theoretischen Ans¨atzen zur Umsetzung europ¨aischer Umweltpolitik, der Implementationsforschung; 2.

von Untersuchungen zur Wirkung von Klageverfahren gegen die Mitgliedstaaten vor dem EuGH; und 3. unter Ber¨ucksichtigung von Erkenntnissen, die bisherige Studien zur Um-setzung europ¨aischer Richtlinien, insbesondere zu Natura 2000, gebracht haben und die f¨ur die Thematik dieser Arbeit von Bedeutung sein k¨onnten. Die hieraus gewonnenen vier Arbeitshypothesen f¨uhren als ,,Leitlinien“ durch die weitere Untersuchung.

Der dritte Teil stellt das Untersuchungsdesign dieser Analyse vor und diskutiert die Probleme, die sich hierbei ergeben. Die Schwierigkeiten, die sich mit der Verwendung der aggregierten Kommissionsdaten ergeben, werden gel¨ost, indem auf die Rechtsprechungs-datenbankCuriazur¨uckgegriffen wird. Dem Nachteil der Einschr¨ankung auf Klagen, die zu einer Verurteilung gef¨uhrt haben, wird eine Reihe von Vorteilen gegen¨ubergestellt, die sich im weiteren Verlauf der Untersuchung als wesentlich erweisen. Bez¨uglich der abh¨angigen Variable ,,Umsetzung“ wird aufgezeigt, dass die ¨Ubernahme des im Natura-Barometer verwendeten Fortschritts-Indikators nicht angebracht ist. Als Alternative wird eine graphische Darstellung der Umsetzungsfortschritte im Zeitverlauf in der Form von Umsetzungskurven entwickelt. Teil drei schließt mit einer Diskussion anderer m¨oglicher Einflussfaktoren.

Im vierten Teil wird das Untersuchungsmaterial zusammengestellt. Die einzelnen Kla-geverfahren, die zu einer Verurteilung in Sachen Natura 2000 gef¨uhrt haben, werden kurz einzeln geschildert und in einer abschließenden ¨Ubersicht zusammengefasst, be-vor die Verl¨aufe der Klageverfahren auf die Umsetzungskurven f¨ur alle 15 EU-Staaten

¨ubertragen werden. Damit wird ein plastisches Bild des Verlaufs der Klageverfahren und der Umsetzungsfortschritte im Untersuchungszeitraum gewonnen.

Die gewonnenen Erkenntnisse werden im f¨unften Teil diskutiert und vertieft. Eine Aus-wertung aller 21 erfassten Klageverfahren f¨uhrt zu einer Typologie von Klagen, die sich in ihrer Wirkung auf die Umsetzung von Natura 2000 deutlich unterscheiden. Besonderes Augenmerk wird ferner auf die Wirkung von Klageverfahren wegen Nichtumsetzung oder ungen¨ugender praktischer Umsetzung der FFH-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie gelegt. Die Auswertung wird immer wieder an die im zweiten Teil gewonnenen Arbeits-hypothesen angebunden. Schließlich erm¨oglichen die gewonnenen Daten einen Vergleich aller 15 Mitgliedstaaten und ein Ranking bez¨uglich der Klageverfahren einerseits und der Umsetzungsfortschritte andererseits, welches g¨angigen Klassifizierungen von Vorreitern und Nachz¨uglern bei der Umsetzung von Umweltrichtlinien gegen¨uber gestellt wird.

Der sechste und letzte Teil dieser Arbeit zieht ein Fazit und fasst wesentliche Er-kenntnisse dieser Untersuchung nochmals zusammen. Ein Ausblick zeigt auf, wo weitere Untersuchungen an diese explorative Arbeit anschließen k¨onnten.

Zum Hintergrund der Untersuchung sei eine Vorbemerkung gestattet. Dies ist eine po-litikwissenschaftliche Analyse, weswegen die Darstellung im Folgenden auf die hierf¨ur wesentlichen Hintergr¨unde beschr¨ankt werden muss. Der dramatische ¨okologische Hin-tergrund soll aber nicht v¨ollig ausgeblendet werden. Nur wenige Zahlen seien genannt.

Der nat¨urliche Prozess des Verschwindens einzelner Arten hat sich um den Faktor 5.000 bis 20.000 erh¨oht, insbesondere nach der Industrialisierung (Dahlet al. 2000: 4). Auch in Europa sind große Teile der Fauna und Flora bedroht: Von den 281 europ¨aischen S¨augetier-Arten sind 44 gef¨ahrdet, sowie weitere 17 Vogel-, 24 Reptilien-, 10 Amphibien-, und 77 S¨ußwasserfischarten (Kommission 1998a: 25). An anderer Stelle werden von den S¨augetieren sogar die H¨alfte und von V¨ogeln, Fischen und Reptilien ein Drittel al-ler Spezies als bedroht bezeichnet (Kommission 1997a: 4). Sch¨atzungen bez¨uglich der europ¨aischen Pflanzenwelt gehen davon aus, dass von ca. 10.000 Arten 3.000 gef¨ahrdet sind (Kommission 1997a: 4). Auf Deutschland bezogen sind die Daten ¨ahnlich (Dahl et al. 2000: 100ff.). Artenr¨uckgang und Landschaftsverbrauch halten weiter an. Dabei l¨asst sich die Wichtigkeit der Erhaltung der Artenvielfalt in vielerlei Hinsicht begr¨unden1 (Dahl et al. 2000: 4ff).

Der Handlungsdruck in diesem Bereich steht in krassem Kontrast zur schleppenden Umsetzung politischer Maßnahmen. Der Einsatz von Druckmitteln gegen unzureichend handelnde Mitgliedstaaten sollte vor diesem ¨okologischen Hintergrund nicht nur als In-strument zur Durchsetzung von Rechtsakten gesehen werden.

1Aus¨asthetischer Sicht ist eine vielf¨altige Umwelt wertvoll als Erholungsraum und Voraussetzung f¨ur Erlebnisse und Bet¨atigungen in der freien Natur.Ethischsind wir aus religi¨osen und philosophischen Uberlegungen zum Erhalt der Sch¨¨ opfung an sich (unabh¨angig vom durch den Menschen wahrgenom-menen Nutzen oder Wert einer Art) und deren Bewahrung f¨ur kommende Generationen verpflichtet.

ur dieWissenschaft ist die Funktion einzelner Arten f¨ur andere Arten, f¨ur das ¨Okosystem und mit-telbar oder unmitmit-telbar f¨ur den Menschen von Bedeutung. Diewirtschaftliche Dimension der Arten-vielfalt beschreibt den ¨okonomischen Nutzen der Tier- und Pflanzenarten als Nahrungsmittel, zur Sch¨adlingsbek¨ampfung, als Rohstoffe, als Hilfsmittel in Produktion und Entsorgung, und in zuneh-mendem Maße auch als Basisstoffe f¨ur die Entwicklung von Arzneien, Kunststoffen etc. (vgl.Dahl et al. 2000: 5ff.;Br¨auer2002) - Der letzte Punkt weist auf einen Punkt der Artenvielfalt, der im Zuge der sich entwickelnden Gentechnologie an Bedeutung gewinnen wird: Gerade bei endemischen Arten ist deren Erhaltung ein Standortvorteil im Kampf um das ,,gr¨une Gold“ der Gene.

2.1. Erl¨ auterung zentraler Begriffe

2.1.1. Zur Umweltpolitik der Europ¨ aischen Union

In den Anf¨angen der Europ¨aischen Union2 war Umweltpolitik kein Thema. Im Vor-dergrund stand die wirtschaftliche Integration. Das kommt darin zum Ausdruck, dass sich in der Gr¨undungsakte, den R¨omischen Vertr¨agen von 1957, kein Wort von um-weltpolitischen Zielen oder Zust¨andigkeiten f¨ur die europ¨aische Ebene findet. Auch als 1967 eine gemeinsame Kommission eingerichtet wurde, war ein Kommissariat oder ei-ne Geei-neraldirektion (GD) f¨ur Umwelt nicht Teil des Gremiums. Erst mit dem Anfang der 1970er Jahre steigenden Bewusstsein f¨ur ¨okologische Probleme kam auch auf eu-rop¨aischer Ebene das Thema Umweltpolitik auf die Tagesordnung (Gipfel von Paris 1972; 1973 Einrichtung der GD f¨ur Umwelt und Verbraucherschutz, Kommissar: Carlo Scarascia-Mugnozza; Erstes Aktionsprogramm f¨ur den Umweltschutz 1973-76; Holzin-ger 1994: 28f.). Allerdings fehlte der europ¨aischen Umweltpolitik nach wie vor eine prim¨arrechtliche Basis. Trotzdem konnte sie sich als eigener Politikbereich der EU eta-blieren. Dies gelang dadurch, dass man sie als Handelspolitik ,,definierte“ (Knill2003:

18) und als Legitimationsgrundlage die binnenmarktrechtlichen Artikel 2, 94 und 308 des EG-Vertrages (EGV)3 bei weiter Auslegung heranzog. Dies hatte jedoch einige Ne-benwirkungen, vor allem eine Wirtschaftslastigkeit der EU-Umweltpolitik (Holzinger 1994: 67-70; Knill 2003: 21-24). Auch konnte wegen des Erfordernisses der Einstim-migkeit eine fortschrittliche Umweltpolitik blockiert werden, was der europ¨aischen Um-weltpolitik den Vorwurf einer ,,Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners“ einbrachte (Holzinger1994: 20, 43f., 75, 88ff. und Kap. 5). Trotz dieser Handicaps konnte die Um-weltpolitik auf Grund der zunehmenden Sensibilisierung von Politik und ¨Offentlichkeit f¨ur ¨okologische Fragen (Waldsterben, Gew¨asserverschmutzung) auch auf europ¨aischer Ebene zu einem eigenst¨andigen Politikfeld entwickeln, wobei ,,Vorreiter“ wie Deutsch-land f¨ur eine Fortentwicklung von Umweltstandards sorgten (Knill 2003: 25f.). Auch

2In dieser Arbeit wird zwecks einheitlicher Begriffsverwendung und zur besseren Lesbarkeit ausschließ-lich der Begriff Europ¨aische Union (EU) verwendet, auch im Zusammenhang mit Zeitr¨aumen vor ihrer Gr¨undung 1993. Ihre Vorl¨aufer waren die 1951 gegr¨undete Europ¨aische Gemeinschaft f¨ur Kohle und Stahl (EGKS) sowie die 1957 gegr¨undeten Europ¨aische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europ¨aische Atomgemeinschaft (EAG, auch Euratom). Mit dem zum 01.07.1967 in Kraft getretenen Fusionsvertrag wurden die drei Gemeinschaften zusammengefasst und eine gemeinsame Kommissi-on eingerichtet, seitdem war die Bezeichnung Europ¨aische Gemeinschaften (EG) gebr¨auchlich. Die Europ¨aische Union (EU) wurde mit dem seit 01.01.1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht (auch Vertrag ¨uber die Europ¨aische Union -EUV- genannt) gegr¨undet. Sie besteht als ,,Tempelkon-struktion“ (Weidenfels/Wessels 2002: 169) aus den drei ,,S¨aulen“ Europ¨aische Gemeinschaft (EG), Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP; Art. 11-28 EUV) und Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZJI; Art. 29-42 EUV).

3Vertrag zur Gr¨undung der Europ¨aischen Gemeinschaft, konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Eu-rop¨aischen Gemeinschaften, C 325 vom 24.12.2002. Es wird die seit dem Vertrag von Amsterdam (In-Kraft-Treten 01.05.1999) geltende neue Nummerierung des Vertrages verwendet.

die Umwelt-Aktionsprogramme (UAP) wurden stetig fortentwickelt (Zweites UAP 1977-81, Drittes UAP 1982-86). In Folge der am 01.07.1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europ¨aischen Akte (EEA) fand sich die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf einer neuen Basis wieder. Sie erhielt in Teil Drei, Titel XIX ,,Umwelt“, Art. 174-176 (fr¨uhere Art.

130r-130t) des EGV, erstmals eine explizite vertragliche Rechtsgrundlage. In der Sache wurden elementare Grunds¨atze wie das Vorsorge- und das Verursacherprinzip festge-schrieben. Mit Art. 175 EGV wurde eine klare Erm¨achtigungsgrundlage f¨ur den Erlass von gemeinschaftlichen Rechtsakten im Bereich der Umweltpolitik geschaffen, so dass auf die bisherigen Hilfskonstruktionen nicht mehr zur¨uckgegriffen werden musste. Allerdings bestand das Erfordernis der Einstimmigkeit bei Entscheidungen auf der Rechtsgrundlage des Art. 175 weiter. Es bestand daher die Versuchung, die neue Entscheidungsregel der qualifizierten Mehrheit4 nach Art. 95 EGV auch im umweltpolitischen Bereich auszu-nutzen – dazu musste allerdings die zu verabschiedende Maßnahme ,,so weit wie m¨oglich als binnenmarktrelevant“ deklariert werden (Knill 2003: 33; zur Umweltpolitik nach der EEA weiter Holzinger 1994: 71).

Durch den Vertrag von Maastricht, in Kraft getreten am 01.01.1993, wurde im Zuge des Vorantreibens der europ¨aischen Integration Art. 175 EGV dahingehend ge¨andert, dass auch im Bereich Umweltpolitik grunds¨atzlich mit qualifizierter Mehrheit entschie-den werentschie-den sollte. Weiter wurde eine Verpflichtung auf ,,umweltvertr¨agliches Wachstum“

und ,,nachhaltige Entwicklung“ in den Vertrag aufgenommen (Knill2003: 36). Die EEA und der Vertrag von Maastricht ,,verk¨undeten die Einbeziehung des Umweltschutzes in die anderen Politiken der Gemeinschaft“ (Kommission 1996: i). Einen entsprechenden integrativen Ansatz verfolgte auch das F¨unfte Umwelt-Aktionsprogramm ,,F¨ur eine dau-erhafte und umweltgerechte Entwicklung“ (1992-2000). Ganz deutlich wurde dabei ein globaler Bezug hergestellt, insbesondere auf die Gipfelkonferenz von Rio de Janeiro im Juni 1992. Art. 2 EGV in der derzeitigen Fassung hebt denn auch ,,ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualit¨at, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualit¨at“ als grunds¨atzliche Aufgabe der Gemeinschaft hervor. In Art.

4Bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit nach Art. 205 EGV werden die Stimmen der Mitglied-staaten im Rat unterschiedlich gewichtet, derzeit wie folgt: Deutschland, Frankreich, Großbritan-nien und Italien je 10 Stimmen; SpaGroßbritan-nien 8; Belgien, Niederlande, Griechenland und Portugal je 5;

Osterreich und Schweden je 4; D¨¨ anemark, Finnland und Irland je 3; Luxemburg 2 Stimmen. Eine qualifizierte Mehrheit ben¨otigt mindestens 62 der insgesamt 82 Stimmen.

Der am 01.02.2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza sieht ab 01.01.2005 eine neue Gewichtung vor: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien 29 Stimmen; Spanien 27; Niederlande 13;

Belgien, Griechenland und Portugal 12; ¨Osterreich und Schweden 10; D¨anemark, Finnland und Irland je 7; Luxemburg 4 Stimmen. Eine qualifizierte Mehrheit ben¨otigt mindestens 169 der insgesamt 237 Stimmen. Als zweite Bedingung ist die einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich. Drittens kann auf Antrag ¨uberpr¨uft werden, ob mindestens 62% der Gesamtbev¨olkerung der Union von dieser Mehrheit repr¨asentiert sind; wenn nicht, kommt der Beschluss nicht zu Stande (vgl. Art. 3 des Protokolls ¨uber die Erweiterung der Europ¨aischen Union, Amtsblatt C 325 vom 24.12.2002).

Ob die mit dem Vertrag von Nizza getroffene Regelung tats¨achlich zum 01.01.2005 in Kraft tritt, angt jedoch vom Ausgang des Prozesses f¨ur eine Europ¨aische Verfassung ab.

3 Abs. 1 Buchst. l) EGV wird die Umweltpolitik als gemeinschaftliche T¨atigkeit aus-dr¨ucklich im Katalog der Politiken der EU genannt, und Art. 6 EGV betont nunmehr gleich zu Beginn des Vertrages, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festle-gung und Durchf¨uhrung der sonstigen Politiken einzubeziehen sind. Die 1994 eingerich-tete Europ¨aische Umweltagentur (EUA) in Kopenhagen erf¨ullt als Beobachtungsstelle, Datenzentrale und Informationsquelle eine wichtige Funktion in der europ¨aischen Um-weltpolitik. Mit dem am 30.10.2001 in Kraft getretenen ¨Ubereinkommen von Aarhus werden die Informations-, Pr¨ufungs- und Anh¨orungsrechte der Bev¨olkerung gest¨arkt.

Dieser Aufwertung und Ausweitung europ¨aischer Umweltpolitik seit Anfang der 1990er Jahre steht jedoch ein Absinken der politischen Dynamik gegen¨uber. Angesichts globaler wirtschaftlicher Probleme, hoher Arbeitslosenzahlen und der Krise der sozialen Sicherungssysteme in vielen Mitgliedstaaten, sowie kriegerischer Konflikte und Terro-rismusgefahr, ist die Umweltpolitik sowohl auf der europ¨aischen Agenda als auch in den nationalen Wahlk¨ampfen in den Hintergrund gedr¨angt worden. Als weitere Ursa-che der abnehmenden Priorit¨at der EU-Umweltpolitik werden neue Steuerungskonzepte mit geringerem rechtlichen Verpflichtungscharakter genannt, die weniger auf von der EU gemachte Vorgaben setzen als auf die Stimulation und Verst¨arkung nationaler umwelt-politischer Reformen (Knill 2003: 37).

Eine gewisse Zwiesp¨altigkeit spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen zur GD Um-welt wieder. Zwar w¨achst sowohl die Zahl der Besch¨aftigten (2003: 585 Stellen, 2004:

640 Stellen5) als auch der finanziellen Ressourcen (Verpflichtungsmittel 2003: 302,5 Mio.

Euro; 2004: 312,7 Mio. Euro). Dennoch f¨uhrt die GD Umwelt im Vergleich mit den meisten anderen Direktionen, vor allem den Hauptbereichen Agrar- und Regionalpo-litik, ein Schattendasein; auch innerhalb der sog. internen Politikbereiche betr¨agt der Ressourcenanteil der Umweltpolitik nur 3%. Stellt man in Rechnung, dass die internen Politikbereiche 7 Mrd. Euro, mithin nur rund 7% des Gesamtbudgets der EU ausma-chen, kommt man auf einen Anteil der Umweltpolitik an den Gesamthaushaltsausgaben von 0,21% (alle Daten Kommission 2004).

2.1.2. Das Programm Natura 2000

Innerhalb der europ¨aischen Umweltpolitik stellt der Bereich ,,Natur und biologische Viel-falt“ einen von vier Schwerpunkten im laufenden Sechsten Umwelt-Aktionsprogramm (2001-2010) dar6. Zur Erhaltung der biologischen Vielfalt (auch Artenvielfalt oder Biodi-versit¨at) verfolgt die Europ¨aische Union ein ,,Zwei-S¨aulen-Modell“ (Gellermann2001:

9): Dies ist zum einen ein ,,allgemeiner“ integrativer Ansatz, der die Belange des Ar-tenschutzes in anderen Politikbereichen wahren soll, zum anderen das spezielle Habitat-(Lebensraum-/Biotop-)schutzrecht, welches der Sicherung und ¨okologischen

Verbesse-5Hinzu kommen noch ein betr¨achtlicher Anteil an externen Mitarbeitern sowie die Dienstleistungen der EUA. Interessante Vergleichszahlen von Beginn der 1990er Jahre bietetHolzinger(1994: 100f.)

6Die ¨ubrigen Schwerpunkte sind ,,Klima¨anderung“, ,,Umwelt und Gesundheit und Lebensqualit¨at“

sowie ,,nat¨urliche Ressourcen und Abfall“.

rung noch vorhandener Lebensr¨aume dient. Kernelement des europ¨aischen Habitat-schutzrechts ist Natura 2000, ein europaweites Verbundsystem oder Netzwerk von Natur-schutzgebieten. Grundgedanke dieses Netzwerkes ist die biologische Notwendigkeit, die qualitativ unterschiedlichen, isolierten nationalen Naturschutzgebiete zu einem Biotop-verbund zusammenzufassen, da durch ,,Inselbiotope“ dem Artenschwund nicht effektiv begegnet werden kann (Gellermann2001: 13f.; Dahlet al. 2000: 205).

Rechtliche Pfeiler von Natura 2000 sind zwei Richtlinien: Die Vogelschutzrichtlinie (VRL) und die FFH-Richtlinie (vgl. Kap.1 Fußnoten 3 und 4). Der Erlass der Vogel-schutzrichtlinie bereits 1979 hatte vor allem zwei Gr¨unde7: Erstens sah schon das Erste Umwelt-Aktionsprogramm von 1973 Sonderaktionen f¨ur den Vogelschutz vor, da bei be-stimmten Best¨anden ein rascher R¨uckgang verzeichnet wurde; zweitens handelt es sich bei einem großen Teil der in Europa wild lebenden Vogelarten um Zugv¨ogel, was deren Schutz zu einem typisch grenz¨uberschreitenden Problem macht.

Ebenfalls 1979 wurde die internationale Berner Artenschutz-Konvention verabschie-det, die von der Gemeinschaft und allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde8. Nach-dem sich aber herausgestellt hatte, dass im Rahmen dieses Prozesses ,,keine rechten Fortschritte“ erzielt wurden (Gellermann 2001: 10), und dass andere Artengrup-pen neben den V¨ogeln teils noch st¨arker bedroht waren, wurde auf eine allgemeine europ¨aische Artenschutzrichtlinie hingearbeitet. Nach f¨unfj¨ahriger Diskussion, Beteili-gung von EU-Parlament, Verb¨anden und Interessengruppen9 wurde die FFH-Richtlinie (FFH-RL) im Mai 1992 erlassen. Die Vogelschutzrichtlinie wurde ausdr¨ucklich erg¨anzt und insoweit integriert, als ,,alle ausgewiesenen Gebiete in das zusammenh¨angende eu-rop¨aische ¨okologische Netz einzugliedernßeien. Ebenso wurde explizit Bezug genommen auf das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development)10. Schließlich wurde der bisherige Ansatz, bestimmte gef¨ahrdete Arten wie spezielle Vogelarten oder Jungrobben11 zu sch¨utzen, dahingehend erweitert, dass ganze Lebensr¨aume von Arten

7Vgl. sowohl f¨ur die Vogelschutzrichtlinie als auch f¨ur die FFH-Richtlinie die in der jeweiligen Pr¨aambel aufgef¨uhrte Begr¨undung.

8Ubereinkommen ¨¨ uber die Erhaltung der europ¨aischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer nat¨urlichen Lebensr¨aume vom 19.09.1979, BGBl. 1984 II S. 618.

9Natura 2000 – Newsletter der GD Umwelt Nr. 5 von Februar 1998. Zur Vorgeschichte der FFH-Richtlinie siehe auchBerner 2000: 36ff.

10Sustainable Development wird nach der ,,klassischen“ Definition der World Commission on Envi-ronment and Development (WCED) der Vereinten Nationen 1987, nach ihrer Vorsitzenden auch ,,Brundtland-Kommission“ genannt, wie folgt definiert:

,,In essence, sustainable development is a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development, and institutional change are all in harmony and enhance the potential of current and future generations to meet human needs and aspirations.“ (WCED 1987: 46) - Zur weitreichenden Diskussion des Nachhaltigkeitsprinzips vgl.

z.B.Gerken(1996);Minsch et. al. (1998);Rennings/Hohmeyer(1997).

11Richtlinie 83/129/EWG vom 28.03.1983, Amtsblatt L 91, S. 30. Genau gesagt wurden nicht Jungrob-benarten unter Schutz gestellt, sondern die ,,Einfuhr in die Mitgliedstaaten von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus“ geregelt. ¨Ahnliche solcher ,,Artenschutz-Handelsregelungen“ gibt es z.B. f¨ur Walerzeugnisse und Elfenbein.

gesch¨utzt werden sollen (R¨odiger-Vorwerk 1998: 5). Die FFH-Richtlinie ist damit das ,,derzeit umfassendste Naturschutzinstrument der Europ¨aischen Union“ (Dahl et al. 2000: 325).

Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutzrichtlinie und im Sinne der FFH-Richtlinie zusammen, die zum Schutz der in den jeweiligen Anh¨angen aufgef¨uhrten Arten und Le-bensraumtypen ausgewiesen werden sollen. Aus dem Blickwinkel der Habitat-Richtlinie ergibt sich ein dreistufiger Prozess, der zur Errichtung von Natura 2000 f¨uhrt (vgl. im einzelnen Gellermann 2001: 45-60).

1. Phase: Vorlage von nationalen Vorschlagslisten f¨ur ,,Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ (Site of Community Importance – SCI)

2. Phase: Festlegung von SCIs durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mit-gliedstaaten (,,Konzertierungsphase“)

3. Phase: Ausweisung durch die Mitgliedsstaaten als besonderes Schutzgebiet (Special Area of Conservation – SAC)

Die besonderen Schutzgebiete nach Art. 4 Abs. 1 VRL werden in der Terminologie der EU als ,,Special Protection Area“ – SPA bezeichnet und sind gem¨aß Art. 3 Abs. 1 Satz 3 FFH-RL Bestandteil von Natura 200012. Das dreistufige Verfahren der FFH-RL gibt es f¨ur die SPA nicht, sie werden in nur einer Etappe ausgewiesen und dann direkt in Natura 2000 aufgenommen (Kommission 1997a: 11; Gellermann2001: 17-45).

Zur Umsetzung von Natura 2000 ergibt sich somit der Zeitplan gem¨aß Tabelle 2.113. Der Fahrplan zu Natura 2000 beinhaltet also etliche verbindliche Fristen zur rechtlichen und praktischen Umsetzung sowie Berichtspflichten (Art. 17 FFH-RL; Art. 12 VRL).

Bevor nun auf die Begriffe der rechtlichen und praktischen Implementation eingegan-gen wird, ist es notwendig, noch kurz die Hauptakteure im Prozess der Umsetzung von EU-Richtlinien etwas n¨aher zu beschreiben.

2.1.3. Die zentralen Akteure bei der Umsetzung von EU-Richtlinien

Diese Arbeit konzentriert sich auf dieUmsetzung der europ¨aischen Umweltrichtlinien im Rahmen von Natura 2000. Deswegen wird hier auf wichtige politische Akteure, die die Initiierung, Formulierung und Rechtsetzung in der europ¨aischen Umweltpolitik beein-flussen, wie der Ministerrat oder das Europ¨aische Parlament, nicht eingegangen. Ferner wird nur insoweit auf die Akteure eingegangen, als es f¨ur das Verst¨andnis der Fragestel-lung dieser Arbeit notwendig ist; zu grunds¨atzlichen Informationen ¨uber diese Organe vgl. statt vieler z.B.Weidenfels/Wessels 2002; Hix 1999.

12Die ,,allgemeinen“ Schutzvorschriften zur Erhaltung s¨amtlicher wild lebender europ¨aischer Vogelarten sind davon nicht ber¨uhrt (zur DifferenzierungGellermann2001: 17ff.).

13Tag der Bekanntgabe war f¨ur die Bundesrepublik Deutschland der 05. Juni 1992, woraus sich der taggenaue Zeitplan bei odiger-Vorwerk (1998: 9) und das Datum 04. Juni 2004 f¨ur die Aus-weisungspflicht f¨ur die Bundesrepublik ergibt.

Tabelle 2.1: Zeitplan f¨ur die Umsetzung von Natura 2000 Mai 1992 Beschluss der FFH-Richtlinie

Juni ’92 In-Kraft-Treten am Tag der Bekanntgabe an den jeweiligen Mitglieds-staat

Juni ’94 Umsetzung der Richtlinie in nationale Gesetzgebung zwei Jahre nach Bekanntgabe der FFH-RL (Art. 23 Abs. 1 FFH-RL)

Juni ’95 Ubermittlung von nationalen Gebietslisten innerhalb von drei Jahren¨ nach Bekanntgabe der FFH-RL (Art. 4 Abs. 1 FFH-RL)

Juni ’95 - Juni ’98 Auswahl und Festlegung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (SCIs) durch die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaa-ten (Art. 4 Abs. 2 sowie besonderes Verfahren nach Art. 5 FFH-RL) Juni ’98 Fertigstellung der Liste mit SCI-Gebieten durch die Kommission (Art.

4 Abs. 3 FFH-RL)

4 Abs. 3 FFH-RL)