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2. Hintergrund der Untersuchung 6

2.2. Theoretischer Ausgangspunkt

2.2.4. Zusammenfassung der hergeleiteten Annahmen

Die gewonnenen ,,Arbeitshypothesen“ lassen sich bez¨uglich der Wirkung von Vertrags-verletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000 wie folgt zusammenfassen:

(1) ,,Nadelstich-Hypothese“: Vor einem institutionalistischen Hintergrund ist eine eher schwache Wirkung zu erwarten, punktuell und nur auf den Klagegegenstand be-schr¨ankt.

(2) ,,Perturbationshypothese“: Im Lichte des Advocacy-Koalitionsansatz l¨asst sich ei-ne eher starke Wirkung anei-nehmen, die zu dauerhaften Verschiebungen zu Gunsten einer verbesserten Umsetzung f¨uhrt.

(3) ,,Enforcement-Hypothese“: Nach Tallberg (2002) ist eine Vertragsverletzungs-klage ein sehr wirksames Mittel zur Verbesserung der Umsetzung.

(4) ,,Verurteilungshypothese“: Die bisher zur Umsetzung von Natura 2000 durch-gef¨uhrten Arbeiten legen nahe, dass erst von einer Verurteilung ein entscheidender, dann aber starker Impuls zu Gunsten der Umsetzung von Natura 2000 ausgeht.

34EuGH, Urt. v. 11.09.2001 - C 71/99 - Kommission vs. Deutschland; siehe sp¨ater Kap. 4.1.6.

3.1. Untersuchungsbereich

Diese Arbeit beschr¨ankt sichthematisch auf den Bereich der europ¨aischen Naturschutz-politik, genauer: auf den Arten- und Lebensraumschutz in der Europ¨aischen Union.

Dieser Bereich ist nur ein relativ kleiner Ausschnitt aus der gesamten Europ¨aischen Umweltpolitik. Natura 2000 ist das Kernelement des Europ¨aischen Arten- und Lebens-raumschutzes, welches rechtlich durch die Vogelschutzrichtlinie und die FFH-Richtlinie verwirklicht wird.

Sie beschr¨ankt sich ferner prozessual auf den politischen Implementierungsprozess.

Nicht untersucht werden also Phasen der Initiierung, Formulierung oder Evaluierung von Maßnahmen im Naturschutz. Das soll nicht heißen, dass Interdependenzen und R¨uckkopplungen ¨uber den gesamten policy-Prozess in Abrede gestellt werden. Die iso-lierte Betrachtung der Implementation erfolgt vielmehr aus konzeptionellen Gr¨unden, um den Untersuchungsbereich handhabbar zu machen (vgl.De Leon 1999: 21). Inner-halb des Implementierungsprozesses werden sowohl die rechtliche als auch die praktische Umsetzung einbezogen. Die Beschr¨ankung auf den politischen Implementationsprozess heißt auch, dass es in dieser Arbeit nicht darum geht, ob mit dem politischen Fortschrit-ten gleichzeitig ein ¨okologischer Fortschritt verbunden ist (zur Operationalisierung von ,,Fortschritt“ eingehend im folgenden Kap. 3.2.).

In Bezug auf dieUntersuchungseinheiten werden alle 15 EU-Mitgliedstaaten (vor der EU-Erweiterung am 01.05.2004) erfasst. Es handelt sich insoweit um eine Vollerhebung (Schnell et al. 1999: 249f.). Das hat den großen Vorteil, dass diesbez¨uglich keine Pro-bleme bei der Fallauswahl wie z.B. selection bias1 auftreten. Dieser breite Umfang geht zwangsl¨aufig zu Lasten der Tiefe. Vorg¨ange unterhalb der nationalen Ebene k¨onnen da-her im Rahmen dieser Arbeit ebenso wenig n¨aher untersucht werden wie Besonderheiten des Einzelfalles. Allerdings erfordert eine Untersuchung, die Aussagen ¨uber die Wirkung von Vertragsverletzungsklagen machen will, ein Design, das eine ausreichende Zahl von F¨allen mit solchen Klagen aufweist. Die Durchf¨uhrung einer vergleichenden Fallstudie erschien daher weniger geeignet.

1selection bias ist eines der Kardinalprobleme vieler Untersuchungen; sieheKinget al. (1994: 128ff.).

Dort findet sich auch die Empfehlung, die hier befolgt wurde: ,,When we engage in research, we should try to get all observations if possible.“ - Zu Fallauswahlproblemen auch Schnell et al.

(1999: 247-295).

Schließlich folgt zum zeitlichen Untersuchungsrahmen aus der Untersuchung von ,,Fortschritt“, dass bei dieser Untersuchung ein Querschnittsdesign nicht angebracht ist. Es wird daher ein Longitudinaldesign ¨uber alle 15 Mitgliedstaaten und f¨ur beide Richtlinien (Vogelschutz- und FFH-Richtlinie) verwendet. Der Untersuchungszeitraum von 1996 bis 2003 ist dabei durch die Verf¨ugbarkeit der Daten des ,,Natura-Barometer“

vorgegeben. Das erste Natura-Barometer erschien im Mai 1996, es bildet den zeitlichen Anfangspunkt; die erste M¨oglichkeit, ,,Fortschritt“ zu messen, ergibt sich mit dem zwei-ten Natura-Barometer vom Dezember 1996. Das letzte Natura-Barometer, das f¨ur diese Arbeit zur Verf¨ugung stand, war das siebzehnte vom Dezember 2003. Insgesamt ergeben sich somit 17 Messzeitpunkte.

Das Untersuchungsdesign entspricht damit dem einer short interrupted time se-ries (Cook/Campbell 1979: 207ff., 228). Die Zeitreihe ist f¨ur eine aussagekr¨aftige statistische Auswertung zu kurz - hierf¨ur sind ca. 50 Beobachtungen zu empfehlen (Cook/Campbell 1979: 228), und auch die Anzahl der F¨alle (n) ist relativ klein.

F¨ur solche F¨alle wird zwar unter Umst¨anden noch eine TSCS-Analyse vorgeschlagen (Time Series Cross Sectional analysis, “if few cases (n<20) and few periods (t <10)”, vgl. Menard 2002: 64), ,,but one ought to be suspicious of TSCS methods used for, say, t< 10” (Beck2001: 274).

Trotzdem bietet auch eine kurze Zeitreihe bedeutende methodische Vorteile. Im Ge-gensatz zum klassischen Design mit einer Vorher- und einer Nachhermessung bietet sie eine Reihe von mehrfachen pretests und posttests, mit denen mehrere Alternativhypo-thesen kontrolliert werden k¨onnen (vgl. Kap. 3.3.).

3.2. Operationalisierung der Variablen

Eine erhebliche Herausforderung im Rahmen dieser Arbeit bestand in der Operationali-sierung der verschiedenen Variablen. Es wird zun¨achst mit der unabh¨angigen Variablen begonnen, dann die Operationalisierung der abh¨angigen Variablen erl¨autert, bevor im unmittelbar folgenden Kapitel 3.3. die Wirkung anderer unabh¨angiger Variablen und weiterer ,,St¨orfaktoren“ diskutiert werden.

3.2.1. Die unabh¨ angige Variable: Vertragsverletzungsklage

Der in Kap. 2.1.5. geschilderte Ablauf von Vertragsverletzungsverfahren bringt Pro-bleme mit sich, wenn man diese als erkl¨arende Variable untersuchen will. Ein erstes Problem liegt in der großen Anzahl von Verfahren, die eingeleitet werden. Das f¨uhrt dazu, dass die Daten von der Kommission in ihren regelm¨aßigen Jahresberichten ¨uber die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Kommission 2003) aggregiert werden m¨ussen. Es gibt zwar auch eine Aufschl¨usselung der Daten nach Politikberei-chen, allerdings nur aggregiert f¨ur den Politikbereich ,,Umwelt“ insgesamt, ohne weitere Spezifizierung (Kommission2003: Anlage II). F¨ur den hier interessierenden Fortschritt

im Sektor Naturschutz, bezogen auf die beiden Natura-2000-Richtlinien, sind Zahlen zu den Vertragsverletzungsverfahren aus den Kommissionsdaten nicht ermittelbar.

Das zweite und letztlich entscheidende Problem liegt aber in der Verfahrensdauer. Bei einer Dauer von mehreren Jahren von der Einleitung eines Verfahrens bis zur Klageer-hebung l¨asst sich ein ,,Stimulus“ in dem Sinne, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Umsetzungsfortschritt ausgel¨ost wird, nicht ermitteln. Es ist realistischer, anzuneh-men, dass es w¨ahrend des ganzen Verfahrens Ereignisse geben kann, die den betroffenen Mitgliedstaat zur Verbesserung seiner Umsetzung bewegen. Einen entsprechenden Effekt kann erstens schon die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens mit dem ersten Anh¨orungs- bzw. Mahnschreiben haben, oder zweitens die mit Gr¨unden versehene Stel-lungnahme, weil diese eine verbindliche Frist (von in der Regel zwei Monaten) setzt und die Situation nach Ablauf dieser Frist konstitutiv f¨ur das weitere Verfahren ist. Drittens

¨andert sich die Situation mit der Klageerhebung, weil ab dann die Entscheidung nicht mehr bei der Kommission, sondern beim EuGH liegt und dadurch der Spielraum des Mitgliedstaates f¨ur eine Erledigung auf informellem Wege eingeschr¨ankt wird. Viertens k¨onnte erst von der Verurteilung ein Impuls ausgehen, weil erst diese eine endg¨ultige Entscheidung darstellt (bis dahin mag der beklagte Mitgliedstaat noch auf eine Klage-abweisung gehofft haben).

Damit ergibt sich das Problem, dass man das gesamte Verfahren betrachten muss.

Entsprechende Daten ¨uber den Verlauf der Klageverfahren sind den Statistiken der Kommission aber nicht zu entnehmen. Vielmehr w¨urde dies ein Studium der Verfah-rensakten erforderlich machen.

Die beiden oben genannten Probleme lassen sich aber l¨osen, wenn man als unabh¨angige Variable diejenigen Vertragsverletzungsklagen heranzieht, die mit einerVerurteilung des Mitgliedstaates durch den EuGH enden. Denn dann kann man ¨uber die Rechtsprechungs-datenbank des EuGH Curia die Suche gezielt auf die zwei hier interessierenden Richt-linien konzentrieren und erh¨alt zudem den Volltext der Entscheidung, in welchem die Schilderung des vorangegangenen Verfahrens enthalten ist. Man ist damit nicht mehr auf die Kommissionsdaten angewiesen2. Als zus¨atzlichen Vorteil enth¨alt der Volltext weitere Informationen, die bei der Interpretation der Ergebnisse hilfreich sein k¨onnen.

Drittens bringt - im Gegensatz zu den vorher ,,informell“ erledigten Verfahren - nur ein Urteil des EuGH einen justiziablen Titel. F¨ur die Wirkung auf den Implementations-fortschritt ist dies vor allem unter dem Aspekt der Sanktionsdrohung (vgl. Tallberg 2002) von großer Bedeutung, ist doch ein Urteil des EuGH Tatbestandsvoraussetzung f¨ur ein Sanktionsverfahren nach Art. 228 EGV.

Aus diesen Gr¨unden werden in dieser Arbeit einschr¨ankend nur die Vertragsverlet-zungsklagen, diemit einer Verurteilung des Mitgliedsstaates enden, als unabh¨angige Va-riable verwendet3.

2Die Daten der Kommission weisen neben den hier genannten noch weitere Probleme auf, vgl.Knill (2003: 177f.),orzel(2001).

3Diese Einschr¨ankung f¨uhrt, wie sp¨ater das Ranking (Kap. 5.3., Tab. 5.4) zeigt, zu keinen gravierenden Verzerrungen der Rangfolge im Vergleich der 15 EU-Staaten.

3.2.2. Die abh¨ angige Variable: Fortschritt bei der Umsetzung von Natura 2000

Die abh¨angige (oder y-)Variable dieser Untersuchung ist ,,Fortschritt bei der Umset-zung von Natura 2000“. Der Terminus ,,UmsetUmset-zung von Natura 2000“ umfasst sowohl die rechtliche als auch die praktische Umsetzung der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie.

Hierbei ist anzumerken, dass nicht untersucht werden kann, ob die die angestrebten Wir-kungen im Bereich Arten- und Biotopschutz tats¨achlich erreicht werden. Denn ob z.B.

das ¨Uberleben einer derzeit bedrohten Art nachhaltig gesichert werden konnte, kann erst in weiterer Zukunft nach der Durchf¨uhrung ¨okologischer Langzeitstudien beurteilt werden. Umsetzung bezieht sich hier also nicht auf den outcome, sondern beschr¨ankt sich auf den output (zu dieser Konzeption vgl.Knill 2003: 171).

Zur Messung des ,,Fortschrittes“ wird auf Daten des Natura-Barometers der Eu-rop¨aischen Kommission, GD Umwelt, zur¨uckgegriffen. Es beruht auf den Informatio-nen, die offiziell von den Mitgliedstaaten ¨ubermittelt wurden. Die Gesamtbewertung der nationalen Listen erfolgt im Rahmen von so genannten Treffen der biogeographischen Region4. Dabei k¨onnen die Daten im Einzelfall nach oben oder unten revidiert werden.

Das Natura-Barometer zeigt den Stand der Umsetzung in drei aufsteigenden Stufen an. Bei der Vogelschutzrichtlinie wird der Stand der Gebietsausweisung als (1) ,,un-zureichend“ (mit dem Symbol ,,Ei“), als (2) ,,(noch) unvollst¨andig“ (Symbol ,,K¨uken“) oder als (3) ,,befriedigend/fast vollst¨andig“ (Symbol ,,Vogel“) ausgewiesen. F¨ur die FFH-Richtlinie werden die nationalen Gebietslisten mit (1) ,,unvollst¨andig/eindeutig unzurei-chend“ (Symbol ,,Keim“), mit (2) ,,vorhanden, aber unvollst¨andig“ (Symbol ,,Knospe“) oder mit (3) ,,vollst¨andig (und koh¨arent)“ (Symbol ,,Blume“) bewertet. F¨ur beide Richt-linien wird zudem die Qualit¨at der Gebietskarten und die Qualit¨at der ¨ubermittelten In-formation, ebenfalls in drei Stufen, dargestellt (mit dem Symbol eines G¨ansebl¨umchens mit verschieden vielen Bl¨attern)5. Ein Beispiel eines Natura-Barometers findet sich im Anhang.

Das Natura-Barometer bietet selbst eine Ausweisung von Fortschritt in der Form, dass ein Pfeil nach oben ,,deutlichen Fortschritt“ signalisiert. Es bietet sich auf den ersten Blick an, diese Operationalisierung zu ¨ubernehmen. Allerdings hat die Verwendung dieses Indikators erhebliche Nachteile.

Erstens unterliegt die Indikation, ob ein ,,deutlicher Fortschritt“ vorliegt, zumindest teilweise einer Wertung. Beispielweise wurde die Ausweisung von 119 FFH-Gebieten mit 567 km2 neuer Schutzfl¨ache in Deutschland als deutlicher Fortschritt ausgewiesen (von Nr. 5 zu Nr. 6 des Natura-Barometers), hingegen nicht der Zuwachs von 30 britischen

4Die EU ist in sechs biogeographische Regionen eingeteilt: Mediterrane, atlantische, kontinentale, boreale, alpine und makaronesische (Azoren, Kanaren, Madeira) Region (Kommission2000: 4). An den Regionaltreffen nehmen neben Politikern auch Fachwissenschaftler derjenigen Staaten teil, die von der Region ber¨uhrt sind.

5Die Benennung der Stufen hat sich im Erscheinungsverlauf der Natura-Barometer geringf¨ugig ver¨andert.

FFH-Gebieten mit 1.196 km2 (Nr. 6 zu Nr. 7). Die Objektivit¨at des Instruments ist dadurch eingeschr¨ankt.

Zweitens l¨asst sich diesem Indikator nicht entnehmen, wie groß der Fortschritt gewe-sen ist. Ein ,,deutlicher Fortschritt“ kann einen Zuwachs von wenigen Hundert bis zu mehreren Tausend Quadratkilometern Schutzgebietsfl¨ache bedeuten. Spanien meldete zu Beginn des Untersuchungszeitraumes 18.969 km2 FFH-Fl¨ache (Nr. 1 zu Nr. 2), f¨ur Irland machten bereits 428 km2 weiterer FFH-Gebiete (Nr. 8 zu Nr. 9) einen ,,deut-lichen Fortschritt“ aus. Diese erheb,,deut-lichen Unterschiede werden durch die Verwendung eines dichotomen Indikators (Fortschritt ja/nein) ignoriert.

Drittens wird nicht ber¨ucksichtigt, dass zwischen den Natura-Barometern unter-schiedlich lange Zeitr¨aume liegen. Ausgewiesen wird nur, ob ,,seit dem letzten Natura-Barometer ein deutlicher Fortschritt“ zu verzeichnen ist. Es ist aber offensichtlich einen Unterschied, ob ein Mitgliedstaat f¨ur die Meldung weiterer Fl¨achen drei Monate oder ein Jahr ben¨otigt. Eine Aussage ¨uber eine rasche oder schleppende Umsetzung kann mithin nicht gewonnen werden.

Viertens h¨alt der Indikator keine Korrektur f¨ur die Gr¨oße eines Landes bereit. Das f¨uhrt zum ,,Luxemburg-Problem“: Das relativ kleine Luxemburg hat im Herbst 1998 sei-ne Gebietsmeldungen sowohl f¨ur die Vogelschutz- als auch die FFH-Gebiete in einem Zu-ge komplett nach Br¨ussel ¨ubermittelt. Das Natura-Barometer Nr. 8 (Stand 26.01.1999) weist dem entsprechend einen Fortschritt bei der VRL und der FFH-RL aus, im weite-ren Untersuchungszeitraum hat dann aber nur noch einmal ein Fortschritt erzielt werden k¨onnen (Nachmeldung von neun FFH-Gebieten mit 31 km2 Fl¨ache im Barometer Nr.

17). Luxemburg erh¨alt demnach einen Wert von drei. Deutschland hingegen hat seine Gebietsmeldungen erst bruchst¨uckhaft begonnen und im weiteren Verlauf immer wieder nachgebessert. Das f¨uhrt aber dazu, dass Deutschland insgesamt 14mal einen ,,deutli-chen Fortschritt“ bei der Umsetzung von Natura 2000 aufweist. Zudem hat die Bun-desrepublik gem¨aß dem letzten Natura-Barometer vom Dezember 2003 erst 9,0% ihrer Gesamtfl¨ache als Schutzgebiete ausgewiesen, Luxemburg dagegen 14,9%. Der fast f¨unf Mal h¨ohere ,,Fortschrittswert“ Deutschlands bildet die Realit¨at also v¨ollig verzerrt ab (in diesem Beispiel sogar ins Gegenteil verkehrt).

F¨unftens leidet der Fortschritt-Indikator des Barometers darunter, dass er nur ,,Zuw¨achse“ im Vergleich zum Vorbarometer als Fortschritt ausweist (,,seit letztem Natura-Barometer deutlicher Fortschritt“). Hat ein Land schon zu Beginn des Untersu-chungszeitraumes 1996 seine Meldungen großteils abgeschlossen, wird auch in diesem Fall kein Fortschritt mehr ausgewiesen. Das l¨asst sich als ,,D¨anemark-Problem“ bezeichnen:

Dieser Mitgliedstaat ist von dieser Art der Verzerrung besonders betroffen (aber z.B.

auch Belgien bez¨uglich der VRL). D¨anemark hatte bei der Umsetzung von Natura 2000 eine Vorreiterrolle eingenommen und bereits zu Beginn der Barometer-Aufzeichnungen

¨uber 20% seiner Landesfl¨ache als Vogel- und FFH-Schutzgebiete ausgewiesen. Es musste lediglich noch einmal nachgebessert werden, weil ein Teil der FFH-Gebiete nur vorl¨aufig gemeldet worden war. Vorreiter D¨anemark hat folglich den schlechtesten Fortschritts-wert von allen 15 EU-Staaten erhalten, n¨amlich nur eine Eins. Auch hier offenbart ein

Vergleich mit der sehr schleppenden Umsetzung beim Nachz¨ugler Deutschland, wo der Spitzenwert von 14 erreicht wird, das ganze Ausmaß der Verzerrung.

Aus diesen Gr¨unden wurde bei der Durchf¨uhrung dieser Untersuchung die ¨Ubernahme des Fortschritt-Indikators aus dem Natura-Barometer verworfen. Gesucht war in der Folge eine f¨ur die oben genannten Verzerrungen weniger anf¨allige Operationalisierung.

Gew¨ahlt wurde schließlich der Anteil der gemeldeten Schutzfl¨achen in Prozent der je-weiligen Landesfl¨ache. Dieser Indikator bietet eine objektive Gr¨oße. D¨anemark ,,startet“

1996 nun bereits bei der Umsetzung der FFH-RL mit einem Wert von 20,9%, Deutsch-land bei Null und erreicht Ende 2003 9,0%. Die ,,Realit¨at“ der Umsetzung wird damit sehr viel besser abgebildet. Der Indikator ist zudem intervallskaliert und l¨asst somit eine verl¨assliche Aussage dar¨uber zu, wie groß der Fortschritt ist. Die Darstellung als Anteil an der Gesamtfl¨ache eines Landes erm¨oglicht ferner einen Vergleich zwischen kleineren und gr¨oßeren L¨andern.

Zudem war der Zuwachs an gemeldeten Schutzfl¨achen in Prozent der jeweiligen Lan-desfl¨ache in Relation zum Faktor Zeit zu setzen. Hierbei sollte auch f¨ur die unterschied-lichen Messintervalle des Natura-Barometers korrigiert werden. Dies wurde umgesetzt, indem die Prozentwerte der gemeldeten Fl¨achen auf einer Zeitachse von Januar 1996 bis Dezember 2003 dargestellt worden sind. Damit ergaben sich f¨ur jeden Mitgliedstaat Umsetzungskurven, sowohl f¨ur die VRL als auch f¨ur die FFH-RL.

Neben der L¨osung der oben genannten Probleme bieten diese Kurven zudem den großen Vorteil der Visualisierung. Visualisierung ist sowohl f¨ur die Deskription als auch f¨ur die sp¨atere Analyse ¨außerst hilfreich (Cleveland 1994: 1; de Vaus 2001: 163ff.).

,,Data display is critical to data analysis. Graphs allow us to explore data to see overall patterns and to see detailed behaviour; no other approach can compete in revealing the structure of data so thoroughly“ (Cleveland1994: 5). Bei einem Zeitreihendesign (siehe oben) sind derartige Darstellungen besonders gut geeignet; f¨ur die hier gegebene Datenstruktur ist die Form desconnected symbol plot optimal (Cleveland1994: 180ff.).

Die Darstellung der y-Variablen in graphischer Form vermittelt nunmehr einen sehr viel besseren Eindruck vom Fortschritt bei der Umsetzung von Natura 2000 als das Natura-Barometer selbst.

Mit Hilfe der graphischen Darstellung l¨asst sich ferner auch das bei der Diskussion der unabh¨angigen Variablen erl¨auterte Problem l¨osen, dass ein Effekt w¨ahrend eines l¨angeren Zeitraumes auftreten kann. Denn auf der Umsetzungskurve eines Mitgliedstaates kann der Verlauf des Klageverfahrens von der Einleitung des Vorverfahrens bis zur Verurtei-lung problemlos eingetragen werden. Auftreten, Zeitpunkt und St¨arke von Auswirkungen des Klageverfahrens auf die Umsetzung der Richtlinien k¨onnen erkannt werden, ebenso wie Antizipations- oder Verz¨ogerungseffekte (gradual interventions, delayed causation, vgl.Cook/Campbell 1979: 226ff.).

3.3. Zur Wirkung anderer unabh¨ angiger Variablen

Da in dieser Arbeit kein echtes Experiment unter kontrollierten Bedingungen und mit gezielter Setzung des Stimulus durchgef¨uhrt werden konnte, sondern die Gegebenheiten hingenommen werden mussten, wie sie die ,,Natur“ bzw. die Realit¨at produziert hat, handelt es sich um ein Ex-post-facto-Design (,,Quasi-Experiment“6). Dieses ist zwar in politik- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen die Regel, im Vergleich zum echten Experiment ergeben sich jedoch unvermeidlich methodische Probleme (Schnell et al. 1999: 218ff.). Von zentraler Bedeutung ist hier das Problem der Kontrolle von Drittvariablen. An dieser Stelle soll betont werden, dass der Einfluss anderer Faktoren hierbei in keiner Weise in Abrede gestellt wird; f¨ur die Fragestellung dieser Arbeit ist es jedoch n¨otig, den Einfluss von ,,Verurteilung“ so weit als m¨oglich zu isolieren.

Eine zentrale methodische Aufgabe dieser Arbeit ist daher die Kontrolle dieser anderen Faktoren. Kontrolltechniken sind Eliminierung, Konstanthaltung, und die Bildung von Kontrollgruppen durch Matching oder Randomisierung (Schnell et al. 1999: 211ff.).

Wegen des nicht-experimentellen Charakters dieser Untersuchung scheidet die Technik der Eliminierung von Faktoren ebenso aus wie die Bildung von Kontrollgruppen. Die Aufmerksamkeit richtet sich damit auf die Konstanthaltung von Drittvariablen.

Dem schließt sich aus forschungs¨okonomischen Gr¨unden die Frage an, welche Dritt-variabeln zu kontrollieren sind. ,,Die einzig Erfolg versprechende Strategie liegt in der systematischen und konsequenten ¨Uberpr¨ufung einer theoretischen Argumentation, die bewusst eben nicht alle denkbaren Drittvariablen ber¨ucksichtigt, sondern nur jene, die einer stringenten Argumentation entspringen“ (Schnellet al. 1999: 225). Hierf¨ur bietet sich der R¨uckgriff auf die Argumentation von Untersuchungen an, die Implementations-fortschritte bzw. -defizite analysieren.

3.3.1. Institutionelle Faktoren

Zentrale Erkl¨arungsvariable f¨ur die Effektivit¨at der Umsetzung europ¨aischer Umwelt-richtlinien ist nachKnilldie H¨ohe des institutionellen Anpassungsdrucks. Je h¨oher der Anpassungsdruck, desto geringer die Chancen f¨ur eine effektive Umsetzung (Knill2003:

202). Ein Fortschritt bei der Umsetzung von Natura 2000 k¨onnte also m¨oglicherweise auch durch die Drittvariable ,,gesunkener Anpassungsdruck“ erkl¨art werden.

Das Problem der Kontrolle dieser Drittvariablen ist deren schwierige Messbarkeit.

Knill hat drei ordinale Kategorien institutionellen Anpassungsdruckes ermittelt: ge-ring, moderat und hoch. Geringer Anpassungsdruck kennzeichnet F¨alle, ,,in denen die europ¨aischen Vorgaben weitgehend mit den bestehenden Regulierungsmustern und Ver-waltungstraditionen auf nationaler Ebenen vereinbar sind“ (Knill2003: 192). In Kon-stellationen hohen Anpassungsdrucks ¨ubersteigen die europ¨aischen Anforderungen die

6Zur Diskussion solcher ,,Quasi-Experimente“ vgl.Cook/Campbell(1979);Schnell(1999: 216ff.);

de Vaus(2001: 53-69).

Anpassungskapazit¨at nationaler Institutionen. Moderater Anpassungsdruck liegt in den F¨allen vor, ,,in denen europ¨aische Vorgaben zwar durchaus substanzielle Anpassungen verlangen. Sie stellen jedoch institutionell fest verankerte Kernaspekte nationaler Re-gulierungsmuster nicht in Frage, sondern sind mit letzteren kompatibel“ (Knill 2003:

193).

Im Falle der Implementierung von Natura 2000 liegt kein hoher Anpassungsdruck vor, denn die Vorgaben von Natura 2000 ¨ubersteigen die Anpassungskapazit¨at nationaler Institutionen nicht. In allen Mitgliedstaaten gab es im Untersuchungszeitraum 1996 bis 2003 ein etabliertes Naturschutzsystem, eine ,,fremde Komponente“ wurde durch Natura 2000 nicht eingef¨uhrt. Allerdings ist in allen EU-Staaten der Arten- und Biotopschutz bisher nurein Faktor gewesen, der mit anderen ¨offentlichen und privaten Belangen des nationalen Bau- und Planungsrechtes abgewogen werden musste. Durch Natura 2000 wurde dem Arten- und Biotopschutz nun eine Priorit¨at einger¨aumt, die f¨ur die natio-nalen Planungsprozesse neu war (f¨ur Deutschland z.B. Kadelbach 2000). So sind f¨ur die Ausweisung besonderer Vogelschutzgebiete allein ornithologische Kriterien relevant.

Liegen diese vor, muss das Gebiet als SPA ausgewiesen werden. Ausnahmef¨alle sind eng

Liegen diese vor, muss das Gebiet als SPA ausgewiesen werden. Ausnahmef¨alle sind eng