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Klagen wegen schleppender Umsetzung der FFH-Richtlinie

5. Auswertung und Diskussion 63

5.2. Wirksames Mittel gegen schleppende Umsetzung?

5.2.2. Klagen wegen schleppender Umsetzung der FFH-Richtlinie

Im Gegensatz zum vorangegangenen Abschnitt wird ,,schleppende Umsetzung“ nunmehr auf die praktische Umsetzung der FFH-RL bezogen. Im Untersuchungszeitraum fanden sich Deutschland, Frankreich und Irland mit Klagen wegen ungen¨ugender Schutzgebiets-meldungen konfrontiert. Nach dem ,,Fahrplan“ zu Natura 2000 (Kap. 2.1.2., Tab. 2.1)

2Das Konzept der ,,Responsivit¨at“ wird hier lediglich zur Beschreibung der Reaktion eines Mitglied-staates auf ein Klageverfahren bzw. eine Verurteilung verwendet. Sie hat zwei Dimensionen. Zum einen der Reaktionszeitpunkt: von antizipativ bis verz¨ogert. Zum anderen die Art der Reaktion: von langsam/in kleinen Schritten bis rasch/mit einem großen Sprung; bzw. auf der Umsetzungskurve flacher bis steiler Anstieg.

h¨atten die Vorschl¨age der Mitgliedstaaten bereits zum Juni 1995 bei der Kommission vorliegen m¨ussen. Bis Juni 1998 sah der Zeitplan dann eine dreij¨ahrige Abstimmungs-phase zwischen den nationalen Beh¨orden und der Kommission ¨uber die Gebietskulisse vor.

Die Umsetzungskurven zeigen, dass eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten zu Beginn des Untersuchungszeitraumes 1996 in Verzug war. Dem ersten Natura-Barometer zu Fol-ge hatten nur sechs von 15 Staaten GebietsmeldunFol-gen an die Kommission ¨ubermittelt, n¨amlich D¨anemark, ¨Osterreich, Portugal (in sehr geringem Umfang), Finnland, Schwe-den und Großbritannien. Das bedeutete aber nicht, dass die Kommission nun gegen die anderen neun EU-L¨ander sogleich Vertragsverletzungsklagen auf den Weg gebracht h¨atte. Vielmehr versuchte die Kommission zun¨achst, ¨uber administrative Verbesserun-gen die Umsetzung zu verbessern. So wurde im Dezember 1996 ein Formular f¨ur die Ubermittlung von Informationen zu den im Rahmen von Natura 2000 vorgeschlagenen¨ Gebieten ausgearbeitet3. Dessen Benutzung sollte den Mitgliedstaaten eine Richtschnur f¨ur die Art und Weise der Meldung sein und die Zahl von R¨uckfragen verringern. Dies ist ein sehr gutes Beispiel daf¨ur, wie die Kommission Management- und Enforcement-Instrumente kombiniert (Tallberg 2002: 610).

Allerdings sah der Zeitplan zu Natura 2000 im Juni 1998 eine weitere deadline vor.

Ab dann sollte die Gebietskulisse komplett sein und die nationalen Beh¨orden sollten die konkrete Schutzgebietsausweisung vornehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatten Grie-chenland, Spanien, Italien und die Niederlande umfangreiche Nachmeldungen gemacht.

Luxemburg hatte die ¨Ubermittlung seiner umfassenden nationalen Liste zugesagt und

¨ubersandte dann auch Ende 1998 seine Liste und bis Juni 1999 die dazu geh¨orenden Formulare und Karten vollst¨andig (vgl. Natura-Barometer Nr. 7, 8 und 9). Aber es gab immer noch vier Nachz¨ugler, mit deren ¨ubermittelten Listen die Kommission schon al-lein dem Umfang nach nicht zufrieden sein konnte. Diese Nachz¨ugler waren Belgien, Deutschland, Frankreich und Irland.

Abbildung 5.3 zeigt diese Entwicklung der Umsetzung nochmals sehr deutlich. Alle neun aufgef¨uhrten Staaten lagen 1996 noch bei Null. Die hier gestrichelt eingetragene deadline markiert die Frist vom Juni 1998. Die Nachz¨ugler hatten bis dahin nur jeweils rund 3% ihrer Landesfl¨ache als FFH-Gebiet vorgeschlagen.

Die Kurve zeigt, dass sich die Kommission bei ihrem Entschluss, Klage zu erheben, neben der Einhaltung der in der FFH-RL bestimmten Fristen auch von der bisherigen Umsetzung hat leiten lassen. Spanien war m¨oglicherweise ebenfalls ein Kandidat daf¨ur, wegen ungen¨ugender Gebietsmeldungen angeklagt zu werden, von dort wurden aber noch ,,rechtzeitig“ ausreichende Listen ¨ubermittelt, wie die Kurve zeigt. Belgien hatte immerhin rasch begonnen, Listen zu ¨ubermitteln, und hatte im Juni 1998 wenigstens 3% seiner Landesfl¨ache als FFH-Gebiete an die Kommission gemeldet. Bei jenen drei Mitgliedstaaten aber, die letztlich verklagt wurden, lief die Gebietsmeldung ¨uberhaupt nur sehr schleppend an und erreichte zudem im Juni 1998 allenfalls 2% der

Landes-3Entscheidung 97/226/EG der Kommission vom 18.12.1996, ABl. 1997 L 107, S.1.

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 0.00

0.05 0.10 0.15 0.20 0.25

Bel Ita,Lux Ell/Gri Esp/Spa

Ned

Fra Deu Ire

Y: Anteil gemeldete FFH-Fchen

Abbildung 5.3: Schleppende praktische Umsetzung der FFH-RL

fl¨ache. Dies war umso Besorgnis erregender, als zwei der Nachz¨ugler die großen L¨ander Deutschland und Frankreich waren, die auch wegen ihrer geographischen Lage immense Bedeutung f¨ur das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 hatten. Die Kommission hatte also allen Anlass, hier zur Enforcement-Strategie zu greifen.

Graphik 5.4 fokussiert nun auf die Umsetzung der FFH-Richtlinie in den drei Mit-gliedstaaten, die wegen ungen¨ugender Gebietsmeldungen von der Kommission verklagt und vom EuGH am 11.09.2001 verurteilt worden sind. Dabei kann im deutschen Fall auf detailliertes Hintergrundmaterial zur¨uckgegriffen werden, weswegen dieser im Folgenden vergleichsweise ausf¨uhrlich dargestellt wird.

a) Deutschland

Dass Deutschland zu den Nachz¨uglern geh¨orte, ist zum einen eine Folge der Nichtum-setzung der FFH-Richtlinie in nationales Recht bis zum Herbst 1998 (siehe vorstehendes Kap. 5.2.1.). Dass es aber auch nach Schaffung einer nationalen gesetzlichen Basis nur sehr langsam Gebiete nach Br¨ussel meldete, liegt zum anderen an der Art und Weise der innerstaatlichen Verwaltungsorganisation. Es sind die Verwaltungen der Bundesl¨ander, in denen die Hauptarbeit zur Ausarbeitung der Gebietskulisse erfolgt. Auch hier stand einer raschen Umsetzung im Wege, dass die L¨ander zuerst ihre Naturschutzgesetze an das neue Bundesnaturschutzgesetz vom 21.09.1998 anpassen wollten, bevor eine ver-bindliche Vorschlagsliste mit FFH-Gebieten ¨ubermittelt wurde. Die ¨Ubermittlung

er-1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Abbildung 5.4: Klageverfahren wegen ungen¨ugender praktischer Umsetzung der FFH-RL

folgte zun¨achst nach Berlin. Das dortige Bundesumweltministerium beschr¨ankte sich zwar weitgehend auf die Brieftr¨agerfunktion zwischen den L¨andern und der Kommis-sion, jedoch wurde aus fachlicher Sicht eine ¨Uberpr¨ufung der Gebietsmeldungen der L¨ander durch das Bundesamt f¨ur Naturschutz f¨ur notwendig erachtet, um die von der FFH-Richtlinie geforderte Repr¨asentanz aller Arten und die Koh¨arenz des Natura-2000-Netzwerkes sicherstellen zu k¨onnen (Mayr 1997). Obwohl es in dieser Beh¨orde eher ,,technokratisch“ als ,,politisch“ zuging, konnten offenbar auch dort Gebietsmeldungen ,,h¨angen bleiben“: ,,Lediglich die Bundesl¨ander Bayern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein hatten bis Sommer 1997 Listen aufgestellt und dem Bund zur Weitermeldung nach Br¨ussel ¨uberreicht. Davon wurden bislang nur die bayerischen Meldungen, 79 Ge-biete, sowie ein Gebiet aus Sachsen-Anhalt, um in den Genuss von F¨ordergeldern der EU zu kommen, nach Br¨ussel gemeldet“ (Mayr 1997).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass im M¨arz 1999, als die Kom-mission die Klage gegen Deutschland beim EuGH einreichte, und auch im Jahre 2000 die deutschen Gebietsmeldungen noch große L¨ucken aufwiesen. Die Kommission konnte bei der Beurteilung dieser L¨ucken auf ,,Schattenlisten“ von deutschen Naturschutzverb¨anden wie dem NABU zur¨uckgreifen, in denen 1.017 Natura-2000-Gebiete mit insgesamt 32.134 km2 enthalten waren, was etwa 9 % der Landesfl¨ache der Bundesrepublik Deutschland entsprach (Stand 1996;Mayr 1997). Br¨ussel hatte damit ein Referenzkriterium ¨ahnlich der IBA-Liste, die auch der EuGH bei seinen Entscheidungen hinzuzog (vgl. Kap. 4.1.3,

4.1.12). Zum Klagezeitpunkt hatte Deutschland ca. 2,5% seiner Gesamtfl¨ache als FFH-Gebiet gemeldet.

Die Klageerhebung bewirkte nun die Einleitung der Konsultationsverfahren u.a. mit den deutschen Kommunen. Diese waren in ihrer Planungshoheit, einem Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung, betroffen. Allerdings war deren Beteiligung in manchen Bundesl¨andern ungen¨ugend. In Baden-W¨urttemberg erhielten die Gemeinden nur ei-ne Frist von acht Wochen, um sich zur Meldeliste des Landes zu ¨außern. Dies f¨uhrte nicht nur zu Protesten gegen die Landesbeh¨orden, sondern sch¨urte die ¨Angste vor dem Br¨usseler Zentralismus. So nannte es der baden-w¨urttembergische Gemeindetag ,,unverst¨andlich, warum die europ¨aische Richtlinie keine Beteiligung der Kommunen vorsehe. Eine Ausweisung der Gebiete ¨uber die K¨opfe aller Betroffenen hinweg ent-spricht einer zentralistischen Vorgehensweise und ist mit den heutigen Bem¨uhungen um B¨urgerbeteilung - zum Beispiel bei Agenda-Prozessen - nicht zu vereinbaren”(BWGZ 2000a). Die Diskussion um die Verantwortlichkeiten geriet zum Schwarze-Peter-Spiel (Mayr 1997) ¨uber alle Politikebenen hinweg. Somit wurde das Thema, als es - viel zu sp¨at - in die ¨offentliche Diskussion gelangte, negativ besetzt. In einer bisher nicht da gewesenen Breite kritisierten im Juli 2000 baden-w¨urttembergische Verb¨ande und Kam-mern den Inhalt und das Verfahren bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie im Land.

Von ,,Flickschusterei“ und ,,Farce“ war dabei die Rede (BWGZ 2000b). Unter alledem litt der Vollzug der Gebietsmeldungen.

So lange allerdings die Diskussion anhielt, machte Deutschland zunehmend Fortschrit-te. So steigt die Umsetzungskurve nach der Klageerhebung deutlich steiler. Wenige Mo-nate nach der Verurteilung am 11.09.2001 knickt die Kurve jedoch wieder ab und zeigt zuletzt gar keine Zuw¨achse mehr. M¨oglicherweise lag dies daran, dass das Thema Natura 2000 nach den Anschl¨agen vom 11. September in den USA und die nachfolgenden Kriege in Afghanistan und im Irak v¨ollig aus der ¨offentlichen Diskussion gedr¨angt worden ist.

Eine andere Erkl¨arung ist, dass die Kommission mit der Verurteilung durch den EuGH zun¨achst ihr letztes Druckmittel eingesetzt hatte. Wollte die Kommission noch weiter gehen, sprich ein Strafgeld gegen Deutschland gem¨aß Art. 228 Abs. 2 EGV erwirken, musste sie zun¨achst wieder das gesamte Prozedere mit Vorverfahren und erneuter Klage-erhebung durchlaufen. Bis dahin hatten die deutschen Stellen nochmals Zeit gewonnen.

F¨ur letztere Erkl¨arung spricht, dass sich die Diskussion ungeachtet der außenpoli-tischen Lage aktuell im Fr¨uhjahr 2004 wiederholt. Ausl¨oser war die Aufforderung der Kommission, weitere Gebiete nachzumelden, weil die deutsche Gebietskulisse nach wie vor als ungen¨ugend betrachtet wird. Diese Aufforderung ist bereits seit 1997 bekannt.

Neue Wirksamkeit hat sie aber erst erhalten, nachdem am 02. April 2003 die Kommis-sion tats¨achlich ein Klageverfahren nach Art. 228 Abs. 2 EGV beim EuGH anh¨angig gemacht hatte. Nun schwebt die Drohung eines Strafgeldes von 790.000 Euro pro Tag

¨uber der Bundesrepublik (Deutscher Bundestag 2004). Nun wiederholen sich aber auch die gleichen Fehler, vor allem auf lokaler Ebene, wie in den Jahren 2000 und 20014. b) Irland

Irland unterscheidet sich von den beiden anderen L¨andern deutlich. Zun¨achst ist es das Land, das als letztes EU-Land ¨uberhaupt verbindliche Listen nach Br¨ussel gemeldet hat-te5 (vom Sonderfall Luxemburgs, siehe oben, abgesehen). Es hat dann aber am schnells-ten aufgeholt, was sich in der Steigung der Umsetzungskurve ausdr¨uckt, die ab dem Datum der Klageerhebung deutlich zunimmt. Irland zeigte sich damit deutlich respon-siver als die beiden anderen Staaten, in denen Fortschritte langsamer und in kleineren Schritten erfolgten (zur Responsivit¨at vgl. Kap. 5, Fußnote 2).

Wie l¨asst sich diese Wirkung der Vertragsverletzungsklage in Irland erkl¨aren? Das irische parlamentarische System mit Oberhaus (Seanad) und Unterhaus (Dail) ist dem britischen Parlament vergleichbar, ebenso die Verwaltungskultur (Laffan et al. 1988:

410). Der irischen Regierung stehen keine Veto-Spieler gegen¨uber, die die Umsetzung erschweren k¨onnten. Als Grund, warum es zu Verz¨ogerungen bei der Gebietsmeldung kam, gaben die irischen Beh¨orden vor dem EuGH an, sie seien an einer breit angeleg-ten Konsultierung der Bev¨olkerung interessiert gewesen (Nr. 32 des Urteilstextes). Bis in das Jahr 1998 empfand man in Dublin - anders als bei der Kommission - offenbar keinen dringlichen Handlungsbedarf. Nachdem sich allerdings der Handlungsdruck mit der Klageerhebung erh¨oht hatte, konnten die irischen Beh¨orden - ganz anders als im deutschen Fall - relativ schnell reagieren, da keine Veto-Positionen bestanden und die Zentralregierung auch bei der administrativen Umsetzung federf¨uhrend war.

c) Frankreich

Die Abwesenheit nationaler Veto-Positionen und eine starke Zentralregierung kennzeich-net auch das institutionelle System Frankreichs. Allerdings verl¨auft die Umsetzungskurve mit ¨ahnlich langsamem (flachen) Anstieg wie in Deutschland. Nach der Klageerhebung kam es sogar zu einem Abflachen der Kurve, und seit 2001 ist Frankreich, gemessen an den gemeldeten Fl¨achen in Prozent der Landesfl¨ache, europaweit Schlusslicht.

Von allen drei hier behandelten Klageverfahren hatte dasjenige gegen Frankreich die schw¨achste Wirkung. Eine m¨ogliche Erkl¨arung bietet die Beobachtung, dass nachgeord-nete Beh¨orden im Umweltbereich durch die Definition so genannter ,,normes secondai-res d’application“ ¨uber einen bedeutenden Auslegungsspielraum verf¨ugen (Knill2003:

205f.). Die relativ detaillierten Regelungen der FFH-RL, die restriktive Rechtsprechung

4So wird erneut um großfl¨achige Schutzgebietsausweisungen gestritten, wie z.B. von Teilen des Bo-densees, vgl. ,,Algen und andere Armleuchter“ und ,,Proteste gegen Naturschutz“, S¨udkurier vom 05.05.2004, Ausgabe R.

5Zwar zeigt die Kurve in Kap. 4.3. zwei Spitzen 1998 und 2001, allerdings handelte es sich hierbei um vorl¨aufige Gebietslisten, was dann auch zu einer R¨uckstufung in den jeweils folgenden Natura-Barometern f¨uhrte.

des EuGH und die Priorisierung ¨okologischer Belange (vgl. Kap. 3.3.1.) k¨onnten als Eingriff in diesen autonomen Bereich wahrgenommen werden, was entsprechende Wi-derst¨ande auf regionaler und lokaler Ebene ausl¨ost und damit zu Umsetzungsdefiziten f¨uhrt. Eine andere m¨ogliche Erkl¨arung ist, dass Natura 2000 in Frankreich mit sehr star-ken nationalen Interessen in Konflikt ger¨at, weswegen auch Paris nicht mit besonderem Nachdruck an der Umsetzung interessiert ist. Ein Hinweis f¨ur ein solches nationales Inter-esse findet sich im Urteilstext. Dort heißt es, die Franz¨osische Republik habe kein Gebiet vorgeschlagen, das sich auf Milit¨argel¨ande befinde, sondern habe mitgeteilt, dass diejeni-gen Milit¨argebiete, die in das Netz Natura 2000 aufgenommen werden k¨onnten, zu einem sp¨ateren Zeitpunkt ¨ubermittelt w¨urden (Nr. 22 des Urteilstextes). Frankreich hat also seine milit¨arischen Interessen im Fall der Interessenkollision ¨uber die ¨okologischen Belan-ge Belan-gesetzt. Ein weiteres Konfliktfeld ist der Bereich der Landwirtschaft. Die Agrarlobby hatte in der gesamten EU Vorbehalte und Widerst¨ande gegen Natura 2000 formuliert, in Frankreich ist diese Lobby aber besonders einflussreich (Schuster 2001: 59f.). Dies w¨urde auch erkl¨aren, warum die Umsetzungskurve in Frankreich trotz der Verurteilung am 11.09.2001 nicht ansteigt, sondern sogar eher noch abflacht. In Frankreich fanden n¨amlich im Mai 2002 Pr¨asidentschafts- und im Juni 2002 Parlamentswahlen statt. Die vergleichsweise schwache Wirkung des Klageverfahrens ließe sich dann damit erkl¨aren, dass eine forcierte Umsetzung von Natura 2000 zu dieser Zeit starken nationalen Interes-sen und damit - angesichts der Wahlen - auch dem Eigeninteresse der Regierung zuwider lief.

Vor dem Hintergrund der in Kap. 2.2.4. zusammengefassten Hypothesen erscheint der deutsche Fall als Best¨atigung der Nadelstich-Hypothese und der irische als Indiz f¨ur die Perturbationshypothese. Allerdings l¨asst sich der Falls Irlands auch aus institutio-nalistischer Sicht gut erkl¨aren, denn die Abwesenheit institutioneller Hindernisse und ein relativ geringer Anpassungsdruck auf die irischen Institutionen h¨atten die nach der Klageerhebung sehr effektive Umsetzung durchaus erwarten lassen.

Mehr Probleme bei der R¨uckanbindung an die theoretischen Ans¨atze bereitet der Fall Frankreichs. Zwar erscheint der nach der Klageerhebung abflachende Verlauf der Umset-zungskurve (siehe Abb. 5.4) ein Indiz f¨ur die Nadelstich-Hypothese zu sein. Allerdings stehen der Umsetzung der FFH-Richtlinie in Frankreich keine besonderen institutionel-len Hindernisse entgegen. Die L¨osung liegt in der Erweiterung der institutionalistischen Betrachtungsweise. Setzt man, wie in dieser Arbeit, den Anpassungsdruck als moderat an, so kommt nach der Typologie von Knill (2003: 192ff.) dem nationalen Kontext Ausschlag gebende Bedeutung zu: ,, [. . . ] eine rein institutionalistische Betrachtung [ist]

nicht ausreichend [. . . ]. Vielmehr ist es in diesen F¨allen erforderlich, die konkrete Kon-stellation von Akteuren und Interessen auf nationaler Ebene zu analysieren [. . . ]“ (Knill 2003: 193). Eine solche Interessenkonstellation, die einer nachhaltigen Wirkung der Kla-ge zur Verbesserung der Umsetzung zuwider lief, konnte im Falle Frankreich Kla-gefunden werden.

In allen drei F¨allen zeigt sich im Zuge des Klageverfahrens ein ¨uberdurchschnittlicher (vgl. Tab. 5.2) Zuwachs an gemeldeten Fl¨achen und damit eine Best¨atigung der

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 0.00

0.05 0.10 0.15

Fra Irl Lux,Sve,UK Ita Deu,Suo/Fin Por Ell/Gri

Öst

Anteil gemeldete VRL-Flächen

Abbildung 5.5: Schleppende praktische Umsetzung der VRL

Enforcement-Hypothese. Die Verurteilungshypothese wurde jedoch nicht bekr¨aftigt; in allen drei F¨allen haben die Mitgliedstaaten bereits vor der Verurteilung reagiert.

5.2.3. Klagen wegen schleppender Umsetzung der