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Klagen wegen schleppender Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie . 77

5. Auswertung und Diskussion 63

5.2. Wirksames Mittel gegen schleppende Umsetzung?

5.2.3. Klagen wegen schleppender Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie . 77

F¨ur die Meldung von Vogelschutzgebieten an die Kommission existiert kein ,,Fahrplan“

wie bei der FFH-Richtlinie. Sie werden in nur einer Etappe ausgewiesen und dann direkt in das Natura-2000-Netzwerk integriert, welches im Juni 2004 fertig gestellt sein soll (Kommission 1997a: 11, vgl. Kap. 2.1.2.). Somit gibt es auch keine deadline wie im Juni 1998 bei der FFH. M¨oglicherweise ist das ein ,,Konstruktionsfehler“, denn nur Belgien, D¨anemark, Spanien und die Niederlande hatten bis 1996 mehr als 5% ihrer Landesfl¨ache als Vogelschutzgebiete gemeldet. Die große Mehrzahl der Mitgliedstaaten hatte zu Beginn des Untersuchungszeitraumes nur ca. 2% oder weniger vorgeschlagen (siehe obige Abb. 5.5).

Obwohl sich also die Situation in mehreren Mitgliedstaaten als unbefriedigend dar-stellte, strengte die Europ¨aische Kommission nur gegen die Niederlande (Klageverfahren C-3/96), Italien (C-378/01) und Finnland (C-240/00) Vertragsverletzungsklagen wegen nicht gen¨ugender praktischer Umsetzung an, d. h. mit dem allgemeinen Gegenstand, dass diese Staaten nicht in ausreichendem Maß, nicht vollst¨andig und endg¨ultig oder nicht mit den notwendigen Informationen Vogelschutzgebiete gemeldet h¨atten.

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 0.00

0.05 0.10 0.15 0.20 0.25

Urt C378/01

Klag C378/01

mGvS C378/01 Urt C240/00

Klag C240/00

mGvS C240/00Anhö C240/00Urt C3/96

Klag C3/96

Ita Suo/Fin

Ned

Anteil gemeldete VRL- Fchen

Abbildung 5.6: Klageverfahren wegen ungen¨ugender praktischer Umsetzung der VRL

F¨ur die vorliegende Analyse ist ung¨unstig, dass der Fall der Niederlande bereits lange vor dem Untersuchungszeitraum begonnen hatte und die beiden anderen F¨alle mit Ver-urteilungen ziemlich am Ende des Untersuchungszeitraumes liegen. Wie im vorangegan-genen Kapitel werden wieder die Umsetzungskurven mit dem Verlauf der Klageverfahren in Abb. 5.6 dargestellt.

a) Niederlande

Das Verfahren gegen die Niederlande begann bereits am 25. September 1989 mit einem Anh¨orungsschreiben. Die mit Gr¨unden versehene Stellungnahme datiert vom 14.06.1993.

Das Verfahren dauerte somit bis zum Urteilsspruch mehr als achteinhalb Jahre. Neben dieser relativ langen Verfahrensdauer f¨allt auf, dass die Niederlande zum Zeitpunkt der Klageerhebung mit 23 gemeldeten Vogelschutzgebieten, die 3.276 km2, das sind 7,8%

der Landesfl¨ache umfassten, zu den Vorreitern (,,auf Platz Drei“) geh¨orte. Warum hatte die Kommission hier ein Mitgliedsland verklagt, das doch vergleichsweise fortschrittlich bei der Umsetzung der VRL gewesen war?

Auch hier ist der Wortlaut des Urteils hilfreich. Die Kommission errechnete, dass

¨

uber 2.500 km2 der niederl¨andischen VRL-Gebiete allein auf ein Schutzgebiet, das Wat-tenmeer, entfallen. Die verbleibenden 776 km2 Schutzfl¨ache (was nurmehr 1,85% der Landesfl¨ache entspricht) reichten f¨ur einen angemessenen Artenschutz nicht aus. Auch hierbei bezog sich die Kommission ¨ubrigens wieder auf das ornithologische Gutachten

IBA 1989 (vgl. Kap. 4.1.3). Dieses Gutachten wies 70 potentielle Vogelschutzgebiete mit 7.979 km2 aus.

Zun¨achst zeigt die Verurteilung durch den EuGH am 19.05.1998 keine Wirkung. Es vergingen rund zwei Jahre, dann aber schnellte die Umsetzungskurve mit einem Mal nach oben. Die Niederlande ¨ubermittelten im Sommer eine Liste mit 49 neuen Schutzge-bieten, womit sich die gemeldete Fl¨ache fast verdreifachte. Der Befund zur Responsivit¨at f¨allt damit zweigeteilt aus: Zwar wurde das Urteil erst nach zwei Jahren umgesetzt - also weit im Nachhinein statt antizipativ - aber dann in einem Zuge und nicht in langwieri-gen kleinen Schritten, wie es z.B. im vorangeganlangwieri-genen Abschnitt bei Deutschland und Frankreich zu beobachten war. Warum jedoch dauerte es zwei Jahre bis zur offiziellen Ubermittlung nach Br¨¨ ussel?

M¨oglichweise sind auch hier institutionelle Gr¨unde verantwortlich. Das niederl¨andische Kabinett verf¨ugt ¨uber kein eigenst¨andiges Umweltressort. Die Erstellung der Natura-2000-Liste erfolgt durch das Ministerium f¨ur Landwirtschaft und Fischerei (vgl. Nr. 41 des Urteilstextes)6. Umweltschutz ist aber auch beim Ressort f¨ur Wohnwesen, Raum-ordnung und Umwelt angesiedelt. Angesichts der Bedeutung der Agrarwirtschaft f¨ur die niederl¨andische ¨Okonomie einerseits und der verdichteten Siedlungsstruktur andererseits steht der Naturschutz bei beiden Ministerien in der Gefahr, an den Rand gedr¨angt zu werden. Zudem haben die 12 Provinzen gerade bei der Landschaftsplanung und beim Umweltmanagement eigene Kompetenzen. Schließlich ist die gesamte politische Kultur in den Niederlanden im internationalen Vergleich ausgepr¨agt konsensorientiert (Lijphart 1984, 1999). All das spricht f¨ur einen erh¨ohten innenpolitischen Koordinierungsbedarf.

Abgesehen von dieser Verz¨ogerung war aber die Verurteilung sehr effektiv. Die Niederlan-de haben nun fast ein Viertel ihrer LanNiederlan-desfl¨ache (24,1%, Stand letztes Natura-Barometer Nr. 17 vom Dezember 2003) als Vogelschutzgebiet ausgewiesen und sind damit bei der Umsetzung der VRL europaweit Spitzenreiter.

b) Finnland

Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes hatte Finnland noch gar keine Fl¨achen gemel-det. Mit Schreiben vom 11.10.1996 wurde der EU-Kommission eine Liste von 15 Schutz-gebieten mit 967 km2 ubermittelt, was nur 0,3% der Landesfl¨¨ ache entsprach. Br¨ussel betrachtete dies als unzureichend und leitete mit Anh¨orungsschreiben vom 10.07.1998 das Vertragsverletzungsverfahren ein. Am 20.08.1998 fasste der finnische Staatsrat einen Beschluss ¨uber den finnischen Vorschlag Natura 2000, welcher der Kommission allerdings erst am 23.12.1998 ¨ubersandt wurde, nachdem jene eine mit Gr¨unden versehene Stellung-nahme verschickt hatte. Mit dieser Vorschlagsliste wurden 424 neue Gebiete mit rund 26.500 km2 (8,1% der Landesfl¨ache) gemeldet (Natura-Barometer Nr. 8 vom Februar 1999). Allerdings wies die finnische Regierung darauf hin, dass wegen einer Vielzahl von

6Die Bezeichnung und m¨oglicherweise auch der Zust¨andigkeitsbereich des Ministeriums hat sich seit-dem ge¨andert. Es hieß bis 01.07.2003 ,,Ministerie van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij“, heute tr¨agt es die Bezeichnung ,,Ministerie van Landbouw, Natuur en Voedselkwaliteit“.

Klagen gegen diese Liste vor dem finnischen Obersten Verwaltungsgerichtshof (Kork-ein hallinto-oikeus) die Gebietskulisse nicht endg¨ultig sei und noch abge¨andert werden k¨onne.

Eine Wirkung des Klageverfahrens zeigt sich in diesem Fall also bereits schon vor der Klageerhebung. Warum hat die Kommission das Verfahren dann weiter betrieben? Das mag erstens an der ,,Vorl¨aufigkeit“ des finnischen Vorschlags liegen. Weder die Kom-mission noch der EuGH sind je bereit gewesen, solche vorl¨aufigen Listen auf Dauer zu akzeptieren (vgl. z.B. Klageverfahren C-67/99 gegen Irland, Kap. 4.1.6.). Dieser Vorbe-halt entfiel jedoch im Sommer 2000, nachdem das Korkein hallinto-oikeus ¨uber alle gegen die Entscheidung des Staatsrates gerichteten Klagen entschieden hatte (vgl. Nr. 24 des Urteilstextes). Zweitens war die Kommission, gest¨utzt auf IBA-Berichte, der Meinung, einige weitere Gebiete, die sich nicht auf der Vorschlagsliste von 1998 befanden, h¨atten ausgewiesen werden m¨ussen. Nachdem auch dieser Punkt vom EuGH im Urteil vom 06.03.2003 best¨atigt worden war, meldete Finnland ein weiteres 873 km2 großes Gebiet nach (Natura-Barometer Nr. 17). Es ist anzunehmen, dass sich an die Verurteilung noch weitere Nachmeldungen bzw. Korrekturen der Liste anschließen, nachdem die betroffe-nen Gebiete konkret bekannt sind (vgl. Nr. 24 des Urteilstextes) und f¨ur die finnische Regierung jetzt auch juristische Sicherheit gegeben ist.

c) Italien

Ahnlich wie im niederl¨¨ andischen Fall (obiger Buchstabe a)) hat auch dieses Verfah-ren eine sehr lange VerfahVerfah-rensdauer. Vom ersten Anh¨orungsschreiben am 18.03.1994 bis zum Urteil vergingen neun Jahre. Die italienischen Beh¨orden ¨ubermittelten nur ,,scheib-chenweise“ Gebietsmeldungen von November 1994 bis August 2000 (vgl. Nr. 6 und 8 des Urteilstextes). Diese schwache Responsivit¨at zeigt sich auch im Verlauf der Umsetzungs-kurve (im Gegensatz zu den beiden anderen in diesem Abschnitt dargestellten F¨allen).

Bis zur Gerichtsverhandlung hatte Italien 336 Gebiete nachgemeldet, von denen aber 194 nicht einmal teilweise mit den IBA-Verzeichnissen ¨ubereinstimmten.

Einen ersten Schub erhielten die Nachmeldungen direkt nach der mit Gr¨unden ver-sehenen Stellungnahme. Die Kurve verflachte aber rasch wieder. Ein deutlicher Anstieg war erst wieder Ende 2001 in Folge der Klageerhebung zu verzeichnen. Unter Aufrecht-erhaltung des Drucks (Verurteilung am 20.03.2003) hat Italien seither st¨andig weitere Gebiete gemeldet (vgl. Nr. 13 des Urteilstextes).

Eine Erkl¨arung des italienischen Falles f¨allt nicht leicht. Die Umsetzungskurve und die schwache Responsivit¨at ¨ahneln denen Deutschlands und Frankreichs bei der schleppen-den Umsetzung der FFH-Richtlinie (Kap. 5.2.2.) Aus einem institutionellen Blickwinkel biete sich eher ein Vergleich mit Frankreich an, denn auch Italien ist ein unitarischer Zentralstaat. Zwar weisen f¨unf der zwanzig Regionen Italiens einen Sonderstatus auf, aber ein Vergleich mit den deutschen L¨andern ist nicht angebracht. Auch sieht sich die Regierung keinen effektiven Vetopositionen gegen¨uber. Es liegt damit eher nahe, wie im franz¨osischen Fall nach Erkl¨arungen in der konkreten ,,Konstellation von Akteuren und

Interessen auf nationaler Ebene“ (Knill 2003: 193) zu suchen. Hierzu dr¨angt sich die weniger umwelt- als wirtschaftsfreundliche Politik der italienischen Regierung, insbeson-dere unter Silvio Berlusconi, als Erkl¨arung auf. Dagegen spricht aber, dass die Umsetzung der FFH-Richtlinie hiervon offenbar nicht betroffen ist (vgl. die Umsetzungskurven f¨ur Italien in Kap. 4.3.).

Abschließend soll auch dieser Abschnitt ¨uber die Klagen wegen der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie nochmals den in Kap. 2.2.4. zusammengefassten Hypothesen ge-gen¨ubergestellt werden. Vorab muss jedoch klargestellt werden, dass eine Aussage nur mit Einschr¨ankungen erfolgen kann. Im niederl¨andischen Fall liegt ein großer Teil des Verfahrensablaufes vor dem Untersuchungszeitraum; hierf¨ur liegen keine Daten ¨uber die Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie vor. In den beiden anderen F¨allen liegt die Verur-teilung am Ende des Untersuchungszeitraumes, weswegen ¨uber Umsetzungsfortschritte nach der Verurteilung wenig gesagt werden kann.

Die sprunghaften Verl¨aufe der Umsetzungskurven im Falle Finnlands und der Nieder-lande sind mit einem Gegensatzpaar punktuelle (,,Nadelstich-Hypothese“) versus dau-erhafte (,,Perturbationshypothese“) Verbesserung nicht sinnvoll zu erfassen. Zwar ist es richtig, dass der ,,Sprung“ nur punktuell ist, aber danach bewegt sich die Kurve auf einem dauerhaft hohen Niveau. Richtiger erscheint die Aussage, dass die hier gemachten Erkenntnisse beiden theoretischen Ans¨atzen zumindest nicht widersprechen.

Widersprochen kann aber im finnischen und italienischen Fall der ,,Verurteilungshy-pothese“: Finnland hat sehr fr¨uhzeitig auf die R¨ugen der Kommission reagiert, ebenso Italien (wenn auch in kleineren Schritten).

Best¨atigt kann f¨ur alle drei F¨alle letztlich die ,,Enforcement-Hypothese“: Eine Ver-tragsverletzungsklage ist in allen in diesem Kapitel dargestellten F¨allen schleppender Umsetzung ein wirksames Mittel zur Implementationsverbesserung.

R¨uckblickend auf dieses Kapitel kann zur Wirkung der Vertragsverletzungsklage zu-dem festgestellt werden, dass es starke Hinweise darauf gibt, dass diese Umsetzungsfort-schritte auch tats¨achlich durch das Klageverfahren bewirkt worden sind.

Zum einen weist eine Analyse der Umsetzungskurven in diese Richtung. Vergleicht man die Umsetzungskurve, die von einer Klage betroffen ist (z.B. die FFH-Umsetzungskurve in Irland), mit der Umsetzung der anderen Kurve im gleichen Zeitraum (entsprechend:

VRL in Irland), so sieht man einen klaren Effekt auf der von der Klage betroffenen Kurve, aber keinen Effekt auf der nicht von einer Klage betroffenen Kurve. In Anwendung der bereits erw¨ahnten Logik auf Grund einer ,,Quasi-Kontrollgruppe“ k¨onnen damit eine Reihe von Alternativerkl¨arungen ausgeschlossen werden (vgl. Kap. 5 Fußnote 1;

Cook/Campbell 1979: 214ff.). Diese Methode des Vergleichs der Kurven innerhalb eines Mitgliedstaates ist deutlich auf die F¨alle Irland, Frankreich und Italien anwendbar.

Zum anderen ergeben sich diese Hinweise aus dem Hintergrundmaterial zu den einzel-nen F¨allen, insbesondere auf Grund der Urteilstexte, in denen die Gebietsausweisungen zum Teil ausdr¨ucklich als Reaktion auf das Klageverfahren bezeichnet werden. Die im Klagevortrag von den nationalen Regierungen geltend gemachten Nachmeldungen las-sen sich oft direkt an der Umsetzungskurve ablelas-sen. Beispiele hierf¨ur sind die F¨alle

Deutschland, Finnland oder Frankreich. - Im finnischen Fall l¨asst sich auf Grund der Informationen im Urteilstext auch erkl¨aren, warum hier die beiden Kurven fast parallel verlaufen und somit auch die FFH-RL einen zeitgleichen deutlichen Fortschritt zeigt, obwohl nur die Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie Klagegegenstand ist. Die nationale Liste ist der finnische ,,Vorschlag Natura 2000“, und dieser umfasst die Meldung sowohl der Vogelschutz- als auch der FFH-Gebiete.

5.3. Wirkung im L¨ andervergleich

In der bisherigen Auswertung ist deutlich geworden, dass hinsichtlich der Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000 deutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu beobachten sind. Daher soll in diesem Kapitel ein ab-schließendes, l¨andervergleichendes Bild gezeichnet werden. Die Erkenntnisse sind Anlass zur Diskussion g¨angiger Argumentationen wie dem ,,Mittelmeersyndrom“ (La Spina/

Sciortino 1993; Pridham/Cini 1994; B¨orzel 2000) oder der verbreiteten ,,leader-laggard“-Typologie (,,Vorreiter-Nachz¨ugler“).

Die Tabelle 5.3 weist die gemeldeten Fl¨achen zu Beginn des Untersuchungszeitraumes (Natura-Barometer Nr. 1 von Mai 1996, Stand: 01.04.1996), zum Ende des Untersu-chungszeitraumes (Natura-Barometer Nr. 17; Stand: 07.10.2003) sowie den Zuwachs im Untersuchungszeitraum aus. Zudem werden die Zahl der Verurteilungen und die Zahl der Klageverfahren7 dargestellt.

Aus diesen Daten l¨asst sich f¨ur jede der Natura-2000-Richtlinien einRanking erstellen (siehe Tabellen 5.4 und 5.5). Das Ranking hat einen klaren Sieger: D¨anemark. D¨anemark war von Beginn bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes dasjenige Land, das - gemes-sen an der Landesfl¨ache - die meisten Natura-2000-Schutzfl¨achen ausgewiesen hat. Es ist zudem als einziger Mitgliedstaat von 1996 bis 2003 bei beiden Natura-2000-Richtlinien ,,klagefrei“ geblieben. Diese Beobachtung best¨atigt das Ergebnis vonB¨orzel(2001: 18, dortige Tabelle 4), wo D¨anemark ebenfalls bei der Umsetzung von EU-Recht am besten abschneidet.

Ebenso deutlich ist der letzte Platz, der an Frankreich geht. Gegen die franz¨osische Re-gierung strengte die Kommission von 1996 bis 2003 insgesamt acht Vertragsverletzungs-klagen in Sachen Natura 2000 an, von denen sieben mit einer Verurteilung Frankreichs endeten. Trotz dieser hohen Zahlen ist Frankreich Ende 2003 Schlusslicht bei der Um-setzung, sowohl was die FFH- als auch die Vogelschutzrichtlinie anbelangt. Das einzige Vertragsverletzungsverfahren, das im franz¨osischen Fall eine Verbesserung der Umset-zung zur Folge hatte, war das Verfahren C-220/99 (Urt. v. 11.09.2001). Dieses hatte jedoch die R¨uge allgemein unzureichender FFH-Meldungen zum Gegenstand, so dass Frankreich ohnehin nichts anderes ¨ubrig blieb, als hier nachzubessern. Aber auch diese Verurteilung hatte keine bleibende Wirkung, die Kurve verflachte rasch wieder (vgl. Kap.

7Diese Daten wurden auf besondere Nachfrage des Verfassers von Herrn Andr´e Laloy, GD Umwelt, ermittelt, dem an dieser Stelle hierf¨ur ausdr¨ucklich gedankt sei.

Tabelle 5.3: L¨andervergleich: Umsetzung, Verurteilungen, Klagen - VRL und FFH-RL Mitgliedstaat RL 01.04.96 07.10.03 Anstieg Verurt. Klagen

Belgique VRL 14.1% 14.1% 0.0% 1 1

Danmark VRL 22.3% 22.3% 0.0% 0 0

Deutschland VRL 2.4% 8.1% 5.7% 0 1

Ellas VRL 1.5% 10.4% 8.9% 0 1

Espana VRL 5.0% 15.5% 10.5% 0 2

France VRL 1.3% 2.1% 0.8% 3 3

Ireland VRL 2.2% 3.2% 1.0% 0 0

Italia VRL 1.0% 7.8% 6.8% 2 2

Luxembourg VRL 0.5% 6.2% 5.7% 0 0

Nederland VRL 7.8% 24.1% 16.3% 1 2

Osterreich¨ VRL 0.0% 14.7% 14.7% 0 1

Portugal VRL 3.6% 9.4% 5.8% 0 0

Suomi VRL 0.0% 8.4% 8.4% 1 2

Sverige VRL 0.3% 6.1% 5.8% 0 1

United Kingdom VRL 1.8% 6.0% 4.2% 0 0

Belgique FFH-RL 0.0% 10.4% 10.4% 1 2

Danmark FFH-RL 20.9% 23.8% 2.9% 0 0

Deutschland FFH-RL 0.0% 9.0% 9.0% 2 3

Ellas FFH-RL 0.0% 20.9% 20.9% 2 2

Espana FFH-RL 0.0% 23.5% 23.5% 0 0

France FFH-RL 0.0% 7.5% 7.5% 4 5

Ireland FFH-RL 0.0% 14.2% 14.2% 1 2

Italia FFH-RL 0.0% 14.7% 14.7% 1 3

Luxembourg FFH-RL 0.0% 14.9% 14.9% 1 1

Nederland FFH-RL 0.0% 18.1% 18.1% 0 1

Osterreich¨ FFH-RL 4.3% 10.6% 6.3% 0 0

Portugal FFH-RL 0.4% 17.9% 17.5% 1 3

Suomi FFH-RL 7.3% 14.2% 6.9% 0 1

Sverige FFH-RL 9.0% 13.4% 4.4% 0 1

United Kingdom FFH-RL 3.0% 10.1% 7.1% 0 1

Summen 21 41

Mittelwerte nur VRL

4.3% 10.6% 6.3%

Mittelwerte nur FFH

3.0% 14.9% 11.9%

Tabelle 5.4: Ranking der EU-15 f¨ur Umsetzung, Verurteilungen und Klagen - VRL Stand 01.04.96 Stand 07.10.03 Zuwachs Verurteilungen Klagen

Danmark Nederland Nederland Osterreich (0)¨ Portugal (0)

Belgique Danmark Osterreich¨ Espana (0) Luxembourg (0)

Nederland Espana Espana Ellas (0) United Kingdom (0)

Espana Osterreich¨ Ellas Portugal (0) Danmark (0)

Portugal Belgique Suomi Sverige (0) Ireland (0)

Deutschland Ellas Italia Deutschland (0) Osterreich (1)¨

Ireland Portugal Portugal Luxembourg (0) Ellas (1)

United King-dom

Suomi Sverige United Kingdom (0) Sverige (1)

Ellas Deutschland Deutschland Ireland (0) Deutschland (1)

France Italia Luxembourg Danmark (0) Belgique (1)

Italia Luxembourg United

King-dom

Nederland (1) Espana (2)

Luxembourg Sverige Ireland Suomi (1) Nederland (2)

Sverige United

King-dom

France Belgique (1) Suomi (2)

Osterreich¨ Ireland Danmark Italia (2) Italia (2)

Suomi France Belgique France (3) France (3)

Tabelle 5.5: Ranking der EU-15 f¨ur Umsetzung, Verurteilungen und Klagen - FFH-RL Stand 01.04.96 Stand 07.10.03 Zuwachs Verurteilungen Klagen

Danmark Danmark Espana Espana (0) Danmark (0)

Sverige Espana Ellas Nederland (0) Osterreich (0)¨

Suomi Ellas Nederland United Kingdom (0) Espana (0)

Osterreich¨ Nederland Portugal Suomi (0) Nederland (1)

United King-dom

Portugal Luxembourg Osterreich (0)¨ United Kingdom (1)

Portugal Luxembourg Italia Sverige (0) Suomi (1)

Belgique (0) Italia Ireland Danmark (0) Sverige (1)

Deutschland (0) Suomi Belgique Portugal (1) Luxembourg (1)

Ellas (0) Ireland Deutschland Luxembourg (1) Ireland (2)

Espana (0) Sverige France Italia (1) Belgique (2)

France (0) Osterreich¨ United King-dom

Ireland (1) Ellas (2)

Ireland (0) Belgique Suomi Belgique (1) Portugal (3)

Italia (0) United King-dom

Osterreich¨ Ellas (2) Italia (3) Luxembourg (0) Deutschland Sverige Deutschland (2) Deutschland (3)

Nederland (0) France Danmark France (4) France (5)

5.2.2.). Bei der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie hat sich im ganzen Untersuchungs-zeitraum trotz dreimaliger Verurteilung praktisch gar nichts getan. Frankreich erweist sich damit in dieser Untersuchung als weitgehend ,,klageresistent“.

Deutschland schneidet bei der Umsetzung und bei den Klageverfahren bez¨uglich der FFH-RL als Vorletzter ab. Zwar wurde in Deutschland auf die beiden Verurteilungen hin reagiert, aber zum einen sehr sp¨at und zum anderen sehr langsam. Die Fortschritte bei den Gebietsmeldungen erfolgten jeweils nur in kleinen Schritten. Auch beim Vogel-schutz ist die Umsetzung noch unterdurchschnittlich. Die EU-Kommission reagiert auf diese schwache Responsivit¨at mit weiterem juristischem Druck. So wurde das Bundes-naturschutzgesetz 1998, welches ja erst auf die Verurteilung durch den EuGH (Urt. v.

11.12.1997 - C-83/97) beschlossen worden war, von der Kommission wiederum als unzu-reichend kritisiert. Br¨ussel leitete deshalb ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren ein (Mahnschreiben vom 04.04.2000; Gellermann 2001: 139 m.w.N.). Mittlerweile ist die Fassung von 1998 durch das Bundesnaturschutzgesetz vom 25.03.2002 ersetzt worden (Meßerschmidt 2004). Im deutschen Falle dr¨angt sich der Eindruck auf, dass erst auf großen Druck hin Anstrengungen zur Verbesserung der Umsetzung unternommen werden. Gegen¨uber Deutschland scheint die Kommission daher bei der Umsetzung von Natura 2000 in besonderem Maße auf juristische Druckmittel zu setzen - mit einigem Er-folg. M¨oglicherweise ist dies auch eine Erkl¨arung, weshalb gerade Deutschland als erstes Mitglied sich nun mit einem drohenden Strafgeld nach Art. 228 Abs. 2 EGV konfrontiert sieht8.

Die Responsivit¨at auf Verurteilungen ist in Italien (bez¨uglich der VRL) ¨ahnlich schlep-pend wie in Deutschland. Es gibt aber auch responsivere Mitgliedstaaten. Irland, Grie-chenland und die Niederlande sind Beispiele, in denen Klageverfahren sehr deutliche und rasche Fortschritte bei der Ausweisung von Schutzgebieten bewirkt haben.

Das Ranking widerspricht der These, die s¨udlichen EU-Staaten h¨atten besondere Pro-bleme bei der Umsetzung von Richtlinien (,,Mittelmeersyndrom“). Spanien, Portugal, Italien und Griechenland schneiden nicht schlecht ab. Zwar sind auch hier einige Klage-verfahren wegen mangelhafter Umsetzung ,,n¨otig“ gewesen - z.B. im Falle Griechenlands (C-329/96). Gerade Griechenland und noch mehr Spanien haben aber sehr große Fort-schritte gemacht. Diese Beobachtung f¨ugt sich in das Bild der Mittelmeerl¨ander bei der Umsetzung von Richtlinien insgesamt. ,,Particularly the ‘laggards’ - Italy, Portugal and Greece - which ranged well below the Community average in 1990, made significant pro-gress catching up with the other member states since the mid 1990s“ (B¨orzel 2001:

14).

Diese L¨ander k¨onnen daher nicht mehr als Nachz¨ugler betrachtet werden, ohne dass man sie deshalb gleich als Vorreiter bezeichnen m¨ochte. Die Dichotomie leader-laggard

8Nach den hier gewonnenen Erkenntnissen w¨are ein solches Strafgeldverfahren mindestens genauso gut gegen¨uber Frankreich zu erwarten, wo die praktische Umsetzung noch mehr zu w¨unschen ¨ubrig l¨asst.

Die Voraussetzungen (u.a. eine vorangegangene Verurteilung, vgl. Urt. v. 11.09.2001 - C-220/99) aren erf¨ullt.

ist nicht in der Lage, die beobachtete Dynamik zu beschreiben. Man k¨onnte diese Mit-gliedstaaten am treffendsten mit ,,Aufholer“ bezeichnen.

Wenn es ,,Aufholer“ gibt, existieren dann auch ,, ¨Uberholte“? Die Antwort ist ja. Groß-britannien kann hierf¨ur exemplarisch stehen. Dort war es um die Umsetzung von Natura 2000 zu Beginn des Untersuchungszeitraumes noch relativ gut bestellt. Die Umsetzungs-kurve f¨ur das Vereinigte K¨onigreich weist aber einen sehr langsamen Fortschritt aus, so dass es nunmehr auf den hinteren R¨angen steht. ¨Ahnliches gilt f¨ur Schweden (beson-ders bei der VRL). Eine m¨ogliche Erkl¨arung ist die Abwesenheit eines Klageverfahrens.

Im irischen Fall - der dem britischen in vielerlei Hinsicht sehr ¨ahnlich ist - ist der Un-terschied zwischen der Umsetzung mit Verurteilung (FFH-RL) und ohne Verurteilung (VRL) deutlich geworden: Die Umsetzung der FFH-RL hat sich Irland stark verbessert, wohingegen beim Vogelschutz praktisch gar keine Fortschritte erzielt worden sind. Ein Vergleich dieser Staaten bietet also einen weiteren Hinweis auf eine starke Wirkung von Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung von Natura 2000.

6.1. Fazit

Welchen Einfluss haben Vertragsverletzungsklagen auf die Umsetzung der europ¨aischen Naturschutzrichtlinien im Rahmen von Natura 2000? Die Antwort ist (wie so oft): Es kommt darauf an - und zwar auf den Klagegegenstand.

Das zentrale Ergebnis dieser Arbeit ist, dass eine starke positive Wirkung auf die Implementierung von denjenigen Klagen ausgeht, die zu einer Verurteilung wegen all-gemein unzureichender Umsetzung der Vogelschutz- oder der FFH-Richtlinie gef¨uhrt haben. Im Gegensatz dazu haben Einzelfallurteile keine oder nur minimale Fortschrit-te bei der Umsetzung bewirkt. Dieses MusFortschrit-ter konnFortschrit-te im gesamFortschrit-ten Raum der 15 EU-Mitgliedstaaten beobachtet werden. Es weist darauf hin, dass einzelfallbezogene Urtei-le des Gerichtshofes regelm¨aßig keine ,,Ausstrahlungswirkung“, keinen Exempel- oder Symbolcharakter, haben. Die Reaktion auf diesen Typus von Klageverfahren ist auf das Notwendigste beschr¨ankt. Solche Urteile sind daher nicht geeignet, Implementa-tionsdefizite und -hindernisse zu ¨uberwinden. Ganz anders stellt sich der Befund bei Klageverfahren dar, deren Gegenstand allgemein eine ungen¨ugende Umsetzung ist. In allen sechs F¨allen dieses Typs, die im Rahmen dieser Untersuchung auftraten, stellten

Das zentrale Ergebnis dieser Arbeit ist, dass eine starke positive Wirkung auf die Implementierung von denjenigen Klagen ausgeht, die zu einer Verurteilung wegen all-gemein unzureichender Umsetzung der Vogelschutz- oder der FFH-Richtlinie gef¨uhrt haben. Im Gegensatz dazu haben Einzelfallurteile keine oder nur minimale Fortschrit-te bei der Umsetzung bewirkt. Dieses MusFortschrit-ter konnFortschrit-te im gesamFortschrit-ten Raum der 15 EU-Mitgliedstaaten beobachtet werden. Es weist darauf hin, dass einzelfallbezogene Urtei-le des Gerichtshofes regelm¨aßig keine ,,Ausstrahlungswirkung“, keinen Exempel- oder Symbolcharakter, haben. Die Reaktion auf diesen Typus von Klageverfahren ist auf das Notwendigste beschr¨ankt. Solche Urteile sind daher nicht geeignet, Implementa-tionsdefizite und -hindernisse zu ¨uberwinden. Ganz anders stellt sich der Befund bei Klageverfahren dar, deren Gegenstand allgemein eine ungen¨ugende Umsetzung ist. In allen sechs F¨allen dieses Typs, die im Rahmen dieser Untersuchung auftraten, stellten