Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001 AA2209
S E I T E E I N S
D
as einst hochgelobte deutsche Gesundheitswesen leidet unter erheblichen Strukturmängeln, die sich durch langjährige Fehlsteuerung gefestigt haben. Diesen Schluss zog Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt aus dem dritten Teil des Gutachtens zur medizinischen Un- ter-, Über- und Fehlversorgung, den der Sachverständigenrat für die Kon- zertierte Aktion im Gesundheitswe- sen vorgelegt hat. Zehn Krankheits- gruppen hatten die Wissenschaftler untersucht, auf die immerhin zwei Drittel der Krankheitskosten entfal- len. Bei allen mussten sie erhebliche Mängel bei der integrierten Versor- gung sowie bei der Prävention und Rehabilitation feststellen. Das Sy- stem sei zu sehr auf akute, episoden- hafte Krankheitsformen ausgerich- tet, es sei somatisch fixiert und arbei-te zu wenig evidenzbasiert, lautete das vertraut klingende Urteil. Wo aber falsch versorgt wird, verbergen sich Wirtschaftlichkeitsreserven. Um diese auszuschöpfen, braucht es nach Ansicht der Sachverständigen
„eine vielschrittige und langfristige Umsteuerung des Systems“.
Das trifft sich gut, denn es be- stätigt den Kurs der Ministerin. Sie vertritt seit langem den Standpunkt, dass sich die Finanzprobleme der Krankenkassen nicht mit einer „So- fortreform“ lösen lassen. Sie nutzte das Gutachten, um zu zeigen, dass sie mit ihrer Politik der kleinen Schritte richtig liegt: Die Ablösung des Arz- neimittelbudgets und die Einfüh- rung von Disease-Management-Pro- grammen seien erste Schritte auf dem Weg zur integrierten Versor- gung; die Reform des Risikostruk-
turausgleichs führe langfristig zur bes- seren Versorgung chronisch Kran- ker. Zur Steuerung der Arzneimittel- ausgaben, die aktuelle Steigerungs- raten von mehr als 12 Prozent ver- zeichnen, setzt sie auf die Neurege- lung der Festbeträge und die Verein- barungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen.
Der Haken an der Sache ist, dass sich all diese Maßnahmen, wie die Ministerin freimütig einräumt, nicht mehr in diesem Jahr auswirken. Da- bei droht den Kassen ein Defizit von rund fünf Milliarden DM. Mehr Geld fürs System gibt es auf keinen Fall, weil „das nichts zur Lösung der Strukturprobleme beiträgt“. Bliebe der politische Tabubruch: Beitrags- satzerhöhungen. Dazu Schmidt: „Das kann ich kurzfristig nicht verhindern, so gerne ich es möchte.“ Heike Korzilius
D
er Verband der privaten Kran- kenversicherung e.V. (PKV), Köln, will offenbar die Einführung von diagnosebasierten Fallpauscha- len im Krankenhaus nutzen, um die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu anderen Ufern zu treiben. Ob- wohl das Bundesgesundheitsmini- sterium im Juni erklärt hatte, dass in dieser Legislaturperiode kein weite- rer Schritt zur Reform der GOÄ und der Gebührenordnung für Zahnärz- te unternommen werden soll, hat der PKV-Verband der Bundesärzte- kammer mitgeteilt, das „ungebrem- ste Mengenwachstum“ im Bereich der Privatliquidation müsse mit allen Mitteln gedrosselt werden.Künftig müssten mehr Pauschalen und in Komplexen zusammenge- fasste Einzelleistungsvergütungen in das Privatliquidationssystem einge-
baut werden, erklärte PKV-Verbands- geschäftsführer Christoph Uleer ge- genüber der Bundesärztekammer.
Die Bundesärztekammer lehnt sol- che Planspiele ab. Die Umstellung auf DRG-Vergütungen im Kranken- haus ab dem Jahr 2003 und eine Realisierung der noch weitergehen- den Forderungen der Privatasseku- ranz könnten dazu führen, dass die GOÄ als eine eigenständige Ge- bührenordnung aufgegeben und auf ein Anhängsel zur GKV-Vergü- tungsregelung im Krankenhaus und in der ambulanten Versorgung redu- ziert wird.
Eine solche Neustrukturierung steht im Widerspruch zur amtlichen Gebührentaxe als einem Verzeich- nis leistungsgerecht bewerteter ärzt- licher Leistungen. Pauschalierte Ver- gütungskomplexe wirken leistungs-
und innovationshemmend. Zudem wird der bisher von der PKV stets hervorgekehrte Status des Privatpa- tienten abgewertet, vor allem im Krankenhaus. Pauschalen führen zu einer Gleichschaltung der Versor- gung und tragen dazu bei, dass der Privatpatient nicht mehr entspre- chend seinen persönlichen medizini- schen und pflegerischen Bedürfnis- sen versorgt wird. Einseitige Reform- überlegungen und Forderungen der PKV, ohne die wachsenden Leistun- gen zu berücksichtigen, verkennen, dass die Prämie nur ein Entschei- dungskriterium bei der Wahl der privaten Versicherung ist. Weitaus wichtiger sind der Umfang, die Lei- stungsfähigkeit, der Leistungskata- log und die individuelle Gestal- tungsmöglichkeit des Versicherungs- schutzes. Dr. rer. pol. Harald Clade