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Archiv "Deklaration von Helsinki: Weltweite Bedeutung" (13.12.2013)

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A 2414 Deutsches Ärzteblatt

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13. Dezember 2013

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ie 18. Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) verab- schiedete im Jahr 1964 in Helsinki erstmals die nach dem Tagungsort benannte Deklaration. Sie enthält ethische Richtlinien zur medizini- schen Forschung am Menschen und zählt zu den bedeutendsten Doku- menten der WMA.

Die Deklaration gilt als „living document“ und unterläuft wie alle WMA-Papiere regelmäßige Über- arbeitungen. Mit den sieben Revi- sionen und zwei Klarstellungen in den vergangenen 50 Jahren stellte der WMA sicher, dass die normati- ven Vorgaben der Deklaration an die stetigen Veränderungen in Wis- senschaft und Ethik angepasst wer- den. Am 19. Oktober hat die 64.

WMA-Generalversammlung im

brasilianischen Fortaleza die neues- te Fassung der Deklaration verab- schiedet.

Der erneute Revisionsprozess Ihren Anfang fand der Revisions- prozess kurz nach der Entscheidung über die vorletzte Fassung im Jahr 2008. Eine eigens eingesetzte Ar- beitsgruppe befasste sich zunächst mit dem weiterhin kontroversen Placebo-Paragrafen. Nach zwei in- ternationalen Expertenkonferenzen in den Jahren 2010 und 2011 waren sich die Experten einig, dass es in bestimmen Fällen überzeugende wissenschaftliche Argumente gebe, eine neue Therapie auch bei vor- handener Standardtherapie gegen ein Placebo zu testen, vor allem wenn der Nutzen der Standardthe- rapie nur marginal oder schwer zu

messen sei. Es bliebe dann zu klä- ren, welche Risiken dafür einge- gangen werden dürfen, und zwar in Kohärenz mit den sonstigen Vorga- ben der Deklaration. Sie lässt es durchaus zu, bei einem bestimmten zu erwartenden Erkenntnisgewinn begrenzte Risiken einzugehen.

Die Arbeitsgruppe war sich mehrheitlich einig, dass die Rege- lungen zum Gebrauch von Placebos in der Version von 2008 in ethischer Hinsicht am ehesten akzeptabel sind. Gleichzeitig empfahl die Ar- beitsgruppe jedoch, die gesamte Deklaration einer Revision zu un- terziehen. Die Bundesärztekammer hatte bereits die Arbeitsgruppe zum Thema Placebo geleitet und behielt diese Funktion für die Komplettre- vision bei. Neben Deutschland nah- men in der Arbeitsgruppe die Ärzte-

DEKLARATION VON HELSINKI

Weltweite Bedeutung

Kurz vor ihrem 50. Geburtstag präsentiert sich das wohl wichtigste Dokument des Weltärztebundes in einer überarbeiteten Version.

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13. Dezember 2013 A 2415 verbände aus Japan, Brasilien, Uru-

guay, Dänemark und den USA teil.

Weitere Berater und Beobachter ka- men aus Südafrika, Kanada, Nor- wegen und Finnland.

Von Anfang an strebte die Ar- beitsgruppe im Rahmen eines trans- parenten Revisionsprozesses eine möglichst große Beteiligung aller WMA-Mitgliedsverbände, interna- tionalen Organisationen und rele- vanter Interessengruppen an. Auf Konferenzen in Rotterdam, Kap- stadt und Tokio diskutierten inter- nationale Experten aus den ver- schiedensten wissenschaftlichen Disziplinen die Themen und Para- grafen, die einer Überarbeitung be- durften. Im April 2013 legte die Ar- beitsgruppe dem Vorstand des Welt- ärztebundes einen ersten Entwurf einer revidierten Version der Dekla- ration vor. Dieser beschloss, das Pa- pier für zwei Monate (von Mitte April bis Mitte Juni 2013) für eine Konsultation im Internet der Öf- fentlichkeit freizugeben. Während dieser Zeit gingen 129 Eingaben aus 36 verschiedenen Ländern be- ziehungsweise Regionen ein. Die Auswertung der Kommentare führ- te zu einem zweiten Entwurf, der im August abschließend auf einer Konferenz in Washington erörtert wurde. Der gesamte Beratungspro- zess war damit umfangreicher als bei allen Revisionen zuvor.

Unmittelbar im Anschluss an das Meeting in Washington verständig- te sich die Arbeitsgruppe auf eine vorläufige Endfassung der Deklara- tion, die allen WMA-Mitgliedern zur Kommentierung und dem Ethikausschuss des WMA vorge- legt wurde. Mit großer Mehrheit nahm die 64. Generalversammlung den Vorschlag mit nur einer kleinen Änderung an.

Prinzipien der Revision Die erneute Revision der Deklarati- on von Helsinki war von klaren Vorgaben begleitet. Die Arbeits- gruppe war sich darüber einig, dass sich die Deklaration weiterhin von anderen Richtlinien unterscheiden und ihr Charakter unverändert blei- ben müsse. Daher sollte sich ihr Umfang nur unwesentlich vergrö- ßern. Es sollte ein Dokument von

ethischen Prinzipien bleiben und nicht zu einem detaillierten Hand- buch mutieren. Zudem sollte kein Paragraf ohne triftigen Grund ver- ändert werden.

Eine neue Struktur – Auffällig an der Version 2013 ist vor allem eine neue Struktur des Dokumen- tes. Die 2008er Version erwähnte bestimmte Themen wie Risiko-Nut- zen-Abschätzung, vulnerable Grup- pen oder den informed consent an verschiedenen Stellen. Die neue

Version bündelt diese Themen und hat Zwischenüberschriften einge- führt. Die Änderungen sollen vor allem die Lesbarkeit verbessern.

Die neue Fassung ist außerdem sprachlich präziser. Zudem wurde stets überlegt, ob ein „must“ oder

„should“ angemessen sei, um den Grad der Verpflichtung zu unter- scheiden.

Die wichtigsten Änderungen – Im Revisionsprozess kam es zu der Frage, ob bestimmte vulnerable Gruppen genannt oder gar eine Lis- te der vulnerablen Gruppen in der Deklaration aufgestellt werden soll- te. Beides erwies sich als unklug.

Die explizite Nennung bestimmter vulnerabler Gruppen führt nur da- zu, dass sich andere, nicht genann- te, benachteiligt fühlen.

Eine Liste aller vulnerablen Gruppen wäre zu lang und liefe überdies Gefahr, unvollständig zu

sein. Stattdessen führt die neue Ver- sion eine allgemeine Definition von vulnerablen Gruppen an: „Some groups and individuals are particu- larly vulnerable and may have an increased likelihood of being wron- ged or of incurring additional harm.” (§ 19) Der nachfolgende Pa- ragraf legt die Bedingungen für Forschung an vulnerablen Gruppen fest: 1. muss die Forschung die Be- dürfnisse dieser vulnerablen Grup- pe adressieren, 2. muss die For- schung an genau dieser vulnerablen Gruppe die einzige Möglichkeit sein, die gewünschten Forschungs- ergebnisse zu erlangen, 3. müssen die „knowledges, practices or inter- ventions“, die aus der Forschung resultieren, für die vulnerable Gruppe angemessen verfügbar sein.

Bei der Frage, welche Leistungen für Teilnehmer nach einer Studie be- reitgestellt werden sollen, wurde in der öffentlichen Diskussion häufig kritisiert, dass die 2008er Version im Vergleich zur 2004er Version weni- ger präzise sei und die Ansprüche der Teilnehmer reduziere. Die jetzi- ge Fassung reagiert darauf, in dem

sie einerseits die Verantwortlichen benennt: „sponsors, researchers and host country governments“ (§ 34).

Zudem stellt sie klar, dass die Teil- nehmer grundsätzlich einen An- spruch auf Interventionen haben, die in der klinischen Studie als nützlich identifiziert wurden. Offen bleiben weiterhin Fragen der konkreten Ausgestaltung dieser Norm. Man muss jedoch darauf hinwiesen, dass eine Deklaration die praktische Um- setzung ihrer Vorgaben nicht in allen Details regeln kann.

Eine Arbeitsgruppe, in der Ärztevertreter aus zahlreichen Län- dern vertreten waren, unterzog im brasilia- nischen Fortaleza die Deklaration von Hel- sinki einer umfas- senden Revision.

Die Deklaration sollte ein Dokument von ethischen Prinzipien bleiben und nicht zu einem Handbuch mutieren.

Foto: Fotolia/everythingpossible Foto: WMA

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13. Dezember 2013 Die Version von 2013 stellt zu-

dem neue Forderungen an die Ethikkommissionen auf: Sie müs- sen „duly qualified“ sein und trans- parent arbeiten (§ 23). Zwei Ände- rungen dürften von besonderer Tragweite sein. So fordert erstmals

§ 15 eine Kompensation für Teil- nehmer, die durch eine Studie ge- schädigt wurden. Das ist in wohlha- benden Ländern, zum Beispiel in Deutschland im Arzneimittelgesetz über eine abzuschließende Versi- cherung geregelt, für viele Länder aber ein noch anzustrebender Stan- dard. Diese Regelung erhöht den Schutz für Teilnehmer an der For- schung.

Überdies fordert § 35 erstmals, dass alle Studien am Menschen re- gistriert werden müssen, nicht nur wie bisher klinische Studien. Dies

dürfte eine deutliche Erweiterung der Registrierung bedeuten, für die aber gute Gründe sprechen. Das gewichtige Argument, durch Re- gistrierung unnötige Forschung und damit unnötiges Risiko für Teilnehmer zu vermeiden, gilt gleichermaßen für nichtklinische Studien.

Erstmals greift die neue Version das Thema der Biobanken auf. § 32 legt fest, dass die Prinzipien, die auch sonst für die Sammlung von Materialien oder Daten gelten, in gleicher Weise für Biobanken Gül- tigkeit haben. Die Patienten müssen für „collection, storage and/or reu-

se“ ihr informiertes Einverständnis geben. § 32 sieht weiterhin vor, dass auf das informierte Einverständnis verzichtet werden kann, sofern des- sen Einholung unmöglich oder nicht praktikabel ist. In diesen Si- tuationen bedarf es der Zustim- mung einer Ethikkommission.

Placebokontrollen – Die Rege- lung von Placebokontrollen war spätestens seit der Version von 2000 umstritten. Sie hatte fest - gelegt, dass ein Placebo als Ver- gleichsgruppe nur genutzt werden darf, sofern keine Standardthera- pie vorhanden ist. Als Ausnah- men ergänzt die 2008er Regelung,

dass bei wichtigen wissenschaftli- chen Gründen und sofern die Pro- banden keinem Risiko von ernst- haften und irreversiblen Schäden ausgesetzt sind, auch gegen Pla - cebo kontrolliert werden darf, wenn eine Standardtherapie vor- handen ist. Die neue Version bleibt bei diesem ethischen Grundsatz, spricht das Problem je- doch in systematischerer Weise an: Die Regelung gilt nun nicht nur für eine Placebokontrolle, son- dern für eine Kontrolle mit jeder Intervention, die schlechter ist als die beste geprüfte. Insofern gelten die Ausnahmeregelungen auch,

wenn man ein neues Medikament nicht mit dem besten, sondern mit dem zweit- oder drittbesten Stan- dard vergleicht. Wie nicht anders zu erwarten, blieb dieses Thema sowohl im Revisionsprozess als auch auf der Generalversammlung umstritten.

Die Deklaration im Zeitalter der Globalisierung – Die neue Version unterstreicht, dass nach umfänglichen Diskussionen und Beratungen die bisherigen grund - legenden ethischen Prinzipien der Deklaration auch weiterhin Bestand haben beziehungsweise im Sinne des Schutzes der Studienteilnehmer ausgebaut wurden. Für Forscher in Deutschland ändert sich durch die neue Revision der Deklaration von Helsinki nur wenig; die deutlichste Änderung dürfte die Pflicht zur Re- gistrierung aller Forschung, nicht nur der klinischen, sein. Jedoch sind einige Änderungen für die For- schung in weniger wohlhabenden Ländern von weitreichenden Kon- sequenzen. Das gilt insbesondere für die nun vorgesehene Kompen- sation wie auch für den Umgang mit vulnerablen Gruppen. In einem Zeitalter, in dem die Forschung glo- balisiert ist, sind diese Auswirkun- gen von besonderer Bedeutung. Die Deklaration von Helsinki hat einen weltweiten Anspruch und ist in vie- len Ländern eine der wenigen ver- fügbaren Vorgaben für die For- schung am Menschen. In einer Zeit, in der die pharmazeutische Indus- trie ihre Forschungsvorhaben im Grunde auf der ganzen Welt durch- führen kann, kommt einer solchen Richtlinie besondere Bedeutung zu.

Für das kommende Jahr ist eine Feier anlässlich des 50-jährigen Ju- biläums in Helsinki geplant.

Dr. med. Ramin Parsa-Parsi, MPH Bundesärztekammer Prof. Dr. med. Dr. phil. Urban Wiesing Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Tübingen Die Regeln der in

Helsinki beschlos- senen Deklaration werden in fast je- dem Land ange- wandt.

Für Forscher in Deutschland ändert sich durch die neue Revision der Deklaration von Helsinki nur wenig.

Foto: Archiv

@

Die revidierte Version der Deklaration von Helsinki:

www.aerzteblatt.de/132414

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