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Archiv "Sozial-Kommission: Rürup soll es richten" (29.11.2002)

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Robbers hatte bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags erläutert, eine Nachfrist sei aus Gründen der Chancengleichheit

„absolut unverzichtbar“. Bis zum 31. Oktober 2002 hatten sich lediglich 470 von 2 200 Krankenhäusern für die neue Abrechnung erwärmen können.

Die Krankenkassen sind von dieser Chancengleichheit wenig angetan. Es sei fraglich, ob die spät entschlossenen Kliniken ausreichend vorbereitet seien, warnte Dr. Robert Paquet vom Bundes- verband der Betriebskrankenkassen (BKK). Werner Gerdelmann vom Ver- band der Angestellten-Krankenkassen fürchtet, statt 300 Millionen Euro an Einsparungen könnten sich bis zu 400 Millionen Euro an Mehrbelastungen für die Krankenkassen ergeben. Die aufge- weichte Nullrunde für die Krankenhäu- ser bereitet den Kassen auch deshalb Kopfzerbrechen, weil für 2003 wie jedes Jahr noch eine BAT-Berichtigungsrate zu vereinbaren ist, die als zulässiger bud- geterhöhender Tatbestand gilt. Dazu kommen weitere unwägbare Kosten, zum Beispiel für die Disease-Manage- ment-Programme (DMP).

Krankenhäuser profitieren vom Disease Management

Das Sparpaket dient nämlich auch da- zu, strukturelle Veränderungen im Ge- sundheitswesen festzuzurren. So soll für Patienten mit koronaren Herzerkran- kungen (KHK) ein zusätzliches Chroni- ker-Programm eingeführt werden. Da- bei könnten sich erstmals auch die Krankenhäuser direkt an der ambulan- ten Versorgung im Rahmen der DMP beteiligen. Diese Neuerung schreibt sich ebenfalls „ver.di“ auf die Fahnen.

Bei der Gewerkschaft, die vor allem an das Pflegepersonal denkt, rechnet man mit 400 Millionen Euro jährlich an Mehreinnahmen für die Kliniken. Das ist überhaupt nur möglich, weil DMP dem Gesetz zufolge nicht unter die Nullrunden-Regelung fallen.

Prof. Dr. med. Dr. sc. Karl W. Lauter- bach, „Lieblingsberater“ von Ulla Schmidt, erklärte der Presse gegenüber, allein durch einen derartigen Einstieg in die Chroniker-Programme blieben schätzungsweise 60 bis 80 Prozent aller

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ngesichts katastrophaler Wirt- schaftsdaten und Milliardendefi- zite bei den Sozialversicherungen bleibt Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinen Ministern zum kreativen Re- gieren kaum Zeit – allenfalls zum Rea- gieren. „Outsourcing“ lautet deshalb die Devise. Während sich Sozialministerin Ulla Schmidt darauf konzentriert,die Fi- nanzlöcher bei den Sozialversicherun- gen notdürftig zu stopfen, tüftelt eine von ihr berufene Experten-Kommission unter Leitung des Darmstädter Ökono- men Bert Rürup (59) an langfristigen Reformkonzepten für das Renten- und das Gesundheitssystem.

Zu dem 26-köpfigen Gremium, das am 13. Dezember erstmals tagen soll, zählen neben sieben Wissenschaftlern insbesondere Vertreter der Gewerk- schaften und der Arbeitgeberverbände.

Unter anderem gehören der Kommission der Unternehmensberater Roland Ber- ger, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dr.

rer. pol. Ursula Engelen-Kefer, sowie der Gesundheitsökonom Prof. Dr. med. Karl W. Lauterbach an. Als Repräsentant der Krankenkassen sitzt der Vorstandsvorsit- zende der AOK Bayern, Helmut Platzer, in der Runde.

Skepsis in den eigenen Reihen

Nicht vertreten sind dagegen Repräsen- tanten von Ärzteverbänden, Kranken- häusern,Apothekern und der Pharmain- dustrie. „Niemand ist dabei, der unser Gesundheitssystem aus der täglichen Praxis kennt“, kritisierte der Erste Vor- sitzende der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, Dr. med. Manfred Richter- Reichhelm.Selbst die Vizechefin der SPD-

Bundestagsfraktion, Gudrun Schaich- Walch, äußerte sich zurückhaltend: „Wir werden uns mit eigenen Experten darauf vorbereiten, die Ergebnisse der Sozial- Kommission zu diskutieren.“

Im Oktober 2003 will Rürup einen Abschlussbericht vorlegen. Einen Vor- geschmack auf dessen möglichen Inhalt konnte man bereits bei der Vorstellung des Sachverständigengutachtens zur ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung be- kommen (siehe DÄ,Heft 47/2002,„Trend zur Staatsmedizin“). Verantwortlich für die Passage zur Gesundheitspolitik: Bert Rürup. Der Sachverständige forderte in einem ersten Schritt, die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) effizienter zu gestalten. In einem zweiten sollten dann private und gesetz- liche Krankenkassen frei um Mitglieder konkurrieren. Um die Lohnnebenko- sten zu senken, wird vorgeschlagen, die lohnabhängige Beitragsfinanzierung durch ein Kopfpauschalensystem (Schwei- zer System) zu ersetzen. Für die Kran- kenkassen sieht Rürup völlige Vertrags- freiheit vor. Zudem soll der Sicherstel- lungsauftrag auf die GKV übergehen.

Bei den Gewerkschaftsvertretern könnte Rürup insbesondere mit seiner Forderung nach einer Abkehr von der paritätischen GKV-Finanzierung auf tau- be Ohren stoßen. Und auch sonst scheint angesichts der bunten Zusammenset- zung der Kommission der Streit pro- grammiert. Auf der Strecke bleiben könnte letztlich die Qualität der Patien- tenversorgung. Denn weder Unterneh- mensberater noch Manager, noch Ge- werkschafter werden sich bei den Bera- tungen mit einem besonderen Interesse für die Bedürfnisse der Patienten hervor- tun. Dies muss der Bundesregierung klar sein, bevor sie die Vorschläge, wie bei der Hartz-Kommission versprochen, als komplettes Reformkonzept eins zu eins umsetzt oder modifiziert. Samir Rabbata

Sozial-Kommission

Rürup soll es richten

Ministerin Ulla Schmidt überlässt die Erarbeitung struktureller Reformen einer Experten-Gruppe.

Ärzteverbände sind nicht vertreten.

Die Liste der Kommissionsmitglieder ist im Internet un- ter www.aerzteblatt.de abrufbar.

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Kliniken von der Nullrunde verschont.

Ob es so kommen wird, ist in Wirklich- keit fraglich. Fachleute verweisen dar- auf, dass zuvor erst einmal der Koordi- nierungsausschuss ein entsprechendes Anforderungsprofil für KHK-Patien- ten definieren müsste. Dann sei es an den Kassen und den Kliniken, Verträge zu schließen – was dauern kann. Zudem betonen die Krankenkassen unverdros- sen, dass es bei den DMP nur für genau definierte Leistungen Geld geben soll:

„Hierzu zählen ausschließlich die neu durchzuführenden Dokumentationen, auch im Zusammenhang mit der Bera- tung des Versicherten vor der Ein- schreibung und gegebenenfalls die Schulung der Patienten.“

Trotz gewisser Verhandlungserfolge sind viele Klinikärzte enttäuscht. „Die angestellten Ärzte im Krankenhaus subventionieren schon seit Jahren durch 50 Millionen von unbezahlten Überstunden das System der GKV“, beklagte unlängst Dr. med. Uwe Mauz, Vorsitzender von „Junge Ärzte im Hartmannbund“. Kaum vorstellbar, dass der Einstieg in Chroniker-Pro- gramme daran etwas ändert. Statt Null- runden hatten sich viele Initiativen er- hofft, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeit umzuset- zen und endlich die Belastung der Kli- nikärzte zu verringern. Doch nach Dar- stellung des Marburger Bundes sind die Verhandlungen zum Thema Arbeitszeit erst einmal zurückgestellt worden.

Politische Signale gegen die niedergelassenen Fachärzte

Die Vertragsärzte blicken dennoch mit gewissem Neid und großer Sorge auf die Kollegen in den Krankenhäusern. Deren Öffnung für die ambulante Versorgung im Rahmen eines Chroniker-Programms gilt als Signal, dass die derzeitige Bundes- regierung die Fachärzte in der Niederlas- sung auf Dauer abschaffen möchte. „Die freie Facharztpraxis soll unmöglich ge- macht werden“, sorgt sich Dr. med. Man- fred Richter-Reichhelm, der Erste Vor- sitzende der KBV. Dass man so sparen könne, hält er für naiv:Am Krankenhaus werde die ambulante Versorgung nicht billiger (siehe auch „Der Spezialist darf nicht sterben“ in diesem Heft).

Für die niedergelassenen Ärzte bleibt es 2003 im Wesentlichen bei der Nullrunde. Ihnen hat man kein kollekti- ves Schlupfloch gelassen. So sollen circa 220 Millionen Euro eingespart werden.

Die Vertragsärzte müssten doch im Durchschnitt lediglich auf 158 Euro monatlich an Zuwachs verzichten, be- schwichtigte Ulla Schmidt. Bundesärz- tekammerpräsident Hoppe sieht das

anders: „Personaleinsparungen und da- mit auch drastische Verschlechterungen in der Patientenversorgung sind bereits vorprogrammiert“, urteilte er bereits Ende Oktober, als die Pläne Schmidts Konturen annahmen. „Damit wird die Jobmaschine Gesundheitswesen mit 4,2 Millionen Beschäftigten abgewürgt“, kritisierte Richter-Reichhelm zeit- gleich.

Richter-Reichhelm weiter: „Die ver- ordnete Nullrunde bedeutet faktisch ei- ne Minusrunde.“ Allein für die Bezah- lung der Arzthelferinnen seien 2003 rund 245 Millionen Euro pro Jahr mehr nötig – eine Steigerung der Gehälter um 2,5 Prozent unterstellt. Gefordert werden von den Arzthelferinnen sechs Prozent. Doch entschieden ist noch nichts. Fairerweise muss man anmer- ken, dass die Steigerungsraten für die Arzthelferinnen in den letzten Jahren relativ niedrig ausfielen. Gleichwohl

werden nach Berechnungen der KBV auf jeden Fall 20 Millionen Euro mehr fällig, weil sich der Rentenversiche- rungsbeitragssatz auf 19,5 Prozent er- höht. Wie sich mögliche Beitragssatzän- derungen der Krankenkassen auswir- ken, ist noch nicht klar.

Sauer reagierte auch der NAV- Virchow-Bund: „Bereits heute müssen die Vertragsärzte nachweislich 20 Pro- zent ihrer Leistungen ohne Bezahlung erbringen, weil durch die starre Budge- tierung der Gesamtvergütung über Jah- re trotz steigender Unkosten immer we- niger Geld in den Praxen zur Verfügung steht“, hieß es Anfang November.

Selbst Prof. Dr. med Klaus-Dieter Kos- sow, der als Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes den hausarzt- freundlichen Regierungsplänen meist mehr abgewinnen kann als andere, war vergrätzt: „Wir müssen jetzt die Mus- keln spielen lassen.“ Vor allem in ländli- chen Regionen sollten Vertragsärzte prüfen, ob sie nicht zum 1. Januar 2003 ihre Kassenzulassung zurückgeben und Patienten zu den Bedingungen der GOÄ versorgen wollten.

Die Nöte der Vertragsärzte sind den Bürgern schwer zu vermitteln. Ihnen geht es selbst spürbar ans Portemon- naie. Dazu kommt, dass mehr und mehr Patienten mit Ausweichstrategien kon- frontiert sind, für die sie als Kranke ebenfalls kaum Verständnis haben.

„Budgetferien“ gibt es offiziell zwar nicht. Doch wer die Augen offen hält, bemerkt sehr wohl, dass mehr und mehr Praxen in Deutschland montags später öffnen, freitags zeitig schließen und an so manchem Nachmittag ebenfalls un- besetzt sind – keinesfalls nur für GKV- Patienten.

Dass die Ärzte ohne Blick auf ein an- gemessenes Einkommen rackern sol- len, kann man nach Meinung von Rich- ter-Reichhelm nicht erwarten. „Wir sollten nur so viel Leistungen anbieten, wie bezahlt werden“, fordert er. Als Beispiele verweist er auf den entspre- chenden Honorarverteilungsmaßstab der KV Brandenburg oder die Indivi- dualbudgets der KV Nordrhein. Der KBV-Vorsitzende könnte sich auch vor- stellen, zum Beispiel in Städten Dienst- pläne von Praxen aufeinander abzu- stimmen, um den Arbeitsumfang der

Bezahlung anzupassen.

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Eilig hat es Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrem Sparpaket. Für die ei- gentliche„Gesundheitsreform“ wurde eine Kommission eingerichtet, die bis Ende 2003 Vorschläge ausarbeiten soll.Foto: Michael Urban, ddp

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Kommen weitere Nullrunden, wird das die Fantasie sicher beflügeln.

Zunächst sind die Änderungen im nächsten Jahr zu verkraften, und da sind weitere Zuwächse für die ambulante Versorgung ausgeschlossen. Ausnahme:

Strukturverträge nach § 73 a SGB V und DMP. Lauterbach hat auch für die niedergelassenen Ärzte gute Nachrich- ten. Seine Theorie: Wenn sich die Ärzte eifrig beteiligten, könnten fast 80 Pro- zent der Niedergelassenen von der Aus- nahmeregelung profitieren. „Eine Pra- xis, in der 100 Diabetiker im DMP ver- sorgt werden, steigert ihren

Umsatz um bis zu 20 000 Euro im Jahr“, glaubt der Professor. Das sei deutlich mehr als die 2 000 Euro Ho- norarzuwachs, den eine durchschnittliche Kassen- praxis ohne Nullrunde zu erwarten hätte.

Wolfgang Zöller, ge- sundheitspolitischer Spre- cher der CSU-Landesgrup- pe im Bundestag, konnte solchen Rechenkünsten bei der Anhörung nicht fol- gen. Wieso wolle man den Ärzten derartige Umsatz- steigerungen angedeihen lassen, wenn man sie ande- rerseits doch zu einer Null- runde zwinge, fragte er.

Tatsache ist: Die Rechnung geht nicht auf. Zahlreiche Facharztgruppen können sich nicht in nennenswer-

tem Umfang an DMP beteiligen.

Außerdem entscheiden die Patienten, ob sie sich in ein Programm einschrei- ben oder nicht. Die finanziellen Vortei- le ihres Arztes werden sie dabei nicht interessieren. Drittens legen die Kran- kenkassen Wert darauf, dass es auch für Vertragsärzte nur mehr Geld gibt, wenn sie Patienten schulen oder zu- sätzlichen Dokumentationsaufwand haben. Dafür bekommt ein Arzt viel- leicht mehr Geld. Er hat aber schließ- lich auch mehr Arbeit, sprich: Er kann weniger andere Patienten behandeln und reduziert dadurch seinen Umsatz an anderer Stelle.

Ebenfalls nicht von makelloser Lo- gik sind andere Vorgaben im Sparpaket.

So konnten die Zahntechniker zwar be-

wirken, dass der Preisabschlag auf zahntechnische Leistungen statt zehn Prozent nun fünf Prozent im nächsten Jahr beträgt. Das hilft der Branche nach eigenem Bekunden jedoch wenig. Denn gleichzeitig wird die Mehrwertsteuer für ihre Produkte auf 16 Prozent er- höht, um die Haushaltsnöte des Finanz- ministers etwas zu mildern. Das belastet wiederum die GKV, zu deren Gunsten die Bundesregierung eigentlich sparen will. Immerhin brachte es die ver- gleichsweise kleine Berufsgruppe zu großer Bekanntheit in den Medien. So-

gar Kabarettisten ließen sich vom The- ma „Zähne“ inspirieren. Wolfgang Zöl- ler zitierte einen solchen, der sich un- längst zum Verhältnis in der Koalition ausgelassen hatte: „Die Grünen haben den Roten die Zähne gezeigt. Und?

Was kam dabei heraus? Nichts! Die Roten haben den Grünen ihr Gebiss nicht zurückgegeben.“

Das Sparpaket trifft zudem die Ak- teure im Bereich der Arzneimittelver- sorgung. Das bisherige System der Ra- battzahlung von Apotheken an die Krankenkassen wird verändert, indem die Zahlungen nun nach den Arznei- mittelabgabepreisen gestaffelt werden.

Die Spanne reicht von sechs bis zu mehr als zehn Prozent. Begründet wird dies damit, dass zunehmend teurere Arznei-

mittel verschrieben werden. Durch die- se Verschärfungen sollen 350 Millionen Euro pro Jahr gespart werden.

Zusätzlich sollen Rabatte beim Großhandel und den pharmazeutischen Unternehmen zugunsten der Kranken- kassen abgeschöpft werden, die bislang den Apothekern zugute kamen. „Auf die Apothekenlandschaft kommen ma- ximale Belastungen zu“, befürchtet El- mar Esser, Pressesprecher der Bundes- vereinigung Deutscher Apothekerver- bände (ABDA). Insgesamt werden sie rund 1,1 Milliarden Euro verlieren. Nur bei der Umsetzung der zahl- reichen komplizierten Vor- gaben hat sich Ulla Schmidt erweichen lassen. Darüber dürfen sich die Betroffenen mit den Krankenkassen selbst verständigen.

Offen ist zurzeit noch, ob es gelingt, Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstof- fen wieder, wie vor 1996, grundsätzlich in die Festbe- tragsregelung einzubezie- hen. Damit wird auf so ge- nannte Analogpräparate ge- zielt, denen ein echter Inno- vationsgehalt abgesprochen wird. Wirkstoffe, „deren Wirkweise neuartig ist und die eine therapeutische Ver- besserung auch wegen ge- ringerer Nebenwirkungen bedeuten“, sollen davon ausgenommen bleiben. Die Pharmabranche hat erbost reagiert, zumal sie im vergangenen Jahr mit Bundeskanzler Gerhard Schröder einen Solidarbeitrag von rund 200 Mil- lionen Euro ausgehandelt hatte, um von weiteren Preiseingriffen verschont zu bleiben. Den Ärzten, denen dieses Mal im Bereich der Arzneimittel keiner am Zeug flickte, sollte dies zu denken geben.

Obwohl viele von Schmidts Sparvor- schlägen durch die Krankenkassen an- geregt wurden, klopft ihnen die Mini- sterin auch etwas auf die Finger. Sie müssen unter anderem ihre Verwal- tungskosten im nächsten Jahr auf dem Niveau von 2002 halten (heute 5,9 Pro- zent der GKV-Ausgaben). Hier gilt also ebenfalls eine Nullrunde, jedoch mit Ausnahmen. Mehraufwendungen für P O L I T I K

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A3232 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4829. November 2002

Betroffen von der Sparpolitik der Bundesregierung sind nicht nur die De- monstranten aus Klinik und Praxis, sondern vor allem die Patienten.

Foto:Daniel Rühmkorf

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DMP fallen nicht unter diese Begrenzung. Weiterhin kön- nen Veränderungen der Mit- gliederzahl einer Kranken- kasse 2003 berücksichtigt werden; dadurch wird den Kassen zugestanden, dass sie bei sinkenden Mitgliederzah- len aus arbeits- und tarif- rechtlichen Gründen oft nicht sofort Personal entlassen können.

Insgesamt ficht die Kran- kenkassen die Vorgabe nicht allzu sehr an. Es würden doch nur circa fünf Prozent der Beitragseinnahmen für Ver-

waltungskosten verwendet, „ein relativ kleiner Teil“, wie man betont. 70 Pro- zent davon seien Personalkosten.

„Wenn alle Vertragspartner in die Pflicht genommen sind, müssen und werden selbstverständlich auch die Krankenkassen in ihrem eigenen Be- reich ihre Anstrengungen zur Begren- zung der Verwaltungsausgaben ver- stärkt fortsetzen“, teilen die Spitzen- verbände huldvoll mit. Vielleicht kommt es dazu schneller, als sie den- ken. Ulla Schmidt hat unlängst in Talk-

shows und Zeitungsinterviews lauter als sonst darüber nachgedacht, dass ihr auch weniger als 370 Krankenkassen bundesweit genügen würden, vielleicht sogar nur 50. Dazu schweigen die Be- troffenen weithin. Nur die BKK erläu- terte, dass Fusionen in ihrem Segment an der Tagesordnung seien. „Von den rund 530 Betriebskrankenkassen, die es 1996 gab, sind ohnehin nur noch 270 übrig“, erklärte eine Sprecherin An- fang November gegenüber dem „Ta- gesspiegel“.

Mehr Furore hatte Schmidt sowieso damit gemacht, den Kranken- kassen eine Erhöhung ih- rer Beitragssätze schlank- weg zu verbieten. Diese Vorgabe ist zwar Gesetz, doch auch mit vielen Hin- tertürchen. Erfordern Zah- lungen für den Risiko- strukturausgleich derart hohe Überweisungen, dass die Beitragssätze deswe- gen angehoben werden müssen, ist das zulässig.

Weitere Ausnahme ist ei- ne Kassenlage, die nach dem Gesetz nicht mehr zulässig ist, Betriebsmittel und Rücklagen sind auf- gebraucht, Kredite müssen her.

Ohne Beitragssatzerhöhungen wer- den viele Kassen im nächsten Jahr auf keinen Fall auskommen. „Es ist ein er- heblicher Beitragssatzdruck da“, beton- te Robert Paquet vom BKK-Bundes- verband während der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss. 40 von 270 Betriebskrankenkassen wollen dem- nach die Beiträge erhöhen. Er schätzt, dass einige schon jetzt ein Defizit von rund einer Milliarde Euro verbuchen müssen und unzulässigerweise Kredite aufgenommen haben. Franz Knieps, Geschäftsführer vom AOK-Bundesver- band, geht davon aus, dass ein Drittel der Ortskrankenkassen so unter Druck ist, dass sie 2003 die Beiträge erhöhen werden. Betroffen sei davon rund ein Viertel der AOK-Versicherten. Dass Kassen „massiv“ verschuldet seien, sei ihm nicht bekannt.

Bestätigt wird die Tendenz durch das Bundesversicherungsamt, das über die Finanzen und Beitragserhöhungswün- sche all jener Kassen wacht, die in mehr als drei Bundesländern Versicherte ha- ben. Zusammen sind das etwa 185. „Der durchschnittliche Beitragssatz muss auf 14,2 oder 14,3 Prozent angehoben wer- den, das ist unausweichlich“, bekräftigte BVA-Präsident Dr. jur. Rainer Dauben- büchel Mitte November gegenüber der Presse. Er ist überzeugt, dass die meisten Kassen von der im Gesetz eingeräumten Ausnahmeregelung Gebrauch machen müssen. Andere Experten rechnen so- gar mit einem Durchschnittssatz von 14,6 bis 14,7 Prozent. Sabine Rieser P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4829. November 2002 AA3233

Erklärtes Ziel des Beitragssicherungs- gesetzes ist es, die Ausgaben der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) zu begrenzen und so die angebliche

„Kostenexplosion“ im Gesundheits- wesen zu stoppen. Dabei hat es eben jene so nicht gegeben. Denn: Aus- schlaggebend für die GKV-Beitrags- satzsteigerungen der letzten Jahre (sie- he Grafik) war nicht die Ausgaben-, sondern die Einnahmenseite. Ein Blick auf die Entwicklung des Anteils der GKV-Ausgaben am Bruttoinlands- produkt (BIP) zeigt, dass seit 1980 jährlich ein gleich bleibender Teil des gesellschaftlichen Wohlstands für die Finanzierung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung aufgebracht wurde.

Wieso können die Beitragssätze der GKV steigen, wenn ihr Ausgabenan-

teil am BIP konstant bei plus/minus sechs Prozent liegt? Die GKV-Beiträ- ge sind nicht Prozentsätze des BIP, sondern der beitragspflichtigen Löh- ne, Gehälter und Sozialeinkommen.

Sinkt der Lohnanteil am BIP (die Lohnquote), dann müssen die Bei- tragssätze auch bei konstantem Aus- gabenanteil steigen. Genau das ist seit Anfang 1982 der Fall. Hauptgrund hierfür ist, dass die Zahl der sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigten und damit der Hauptbeitragszahler in der GKV deutlich abgenommen hat.

Was seit 25 Jahren als „Kostenexplosi- on“ bezeichnet und mit Kostendämp- fungsgesetzen bekämpft wird, geht al- so auf Einnahmendefizite vor allem infolge der steigenden Arbeitslosigkeit

zurück. Jens Flintrop

Gesetzliche Krankenversicherung

Keine Kostenexplosion

Entwicklung der Beitragssätze

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