Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 144. April 2003 AA873
S E I T E E I N S
Kassenärztliche Abrechnungen
Mit offenen Karten K
assenärzte werden seit Jahren inerschreckender Regelmäßigkeit mit dem Vorwurf konfrontiert, betrü- gerisch abzurechnen. Zuletzt war dies in Niedersachsen der Fall. Dort sollen in größerem Ausmaß Leistun- gen an Patienten abgerechnet wor- den sein, die längst gestorben waren.
Ebenfalls in Niedersachsen startet noch in diesem Jahr ein Modellver- such, der auf verblüffend einfache Weise mehr Transparenz in die ärztli- chen Abrechnungen bringen soll. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und die Kaufmännische Krankenkas- se (KKH) haben vereinbart, dass von Oktober an 1 500 per Stichprobe er- hobene Versicherte eine detaillierte Arztrechnung erhalten. Die Informa- tion beinhaltet den Namen des Arz- tes, die Daten der Behandlungstage, die abgerechneten Leistungen in ei-
ner verständlichen Sprache und die Behandlungskosten in Euro. Die be- troffenen Ärzte erfahren über ihre KV, dass sie in der Stichprobe sind und die Leistungsauskünfte an einen oder mehrere KKH-Versicherte ver- sandt wurden. An wen die Rechnun- gen gehen, bleibt geheim. Stoßen die Versicherten auf Ungereimtheiten, werden KV und Krankenkasse dem gemeinsam nachgehen.
Dieses Verfahren hat den Vorteil, mit relativ geringem Verwaltungsauf- wand auszukommen. Es zeigt aber auch, was Transparenz eigentlich be- deutet: Kontrolle!
Nichts anderes hat die Politik im Sinn, wenn sie gebetsmühlenartig ein
„transparentes“ Gesundheitswesen beschwört. Argumente wie „Kosten- bewusstsein“ oder „Nachvollziehbar- keit des Leistungsgeschehens“ sind
da nur vorgeschoben. Die Politik will den Ärzten auf die Finger schauen.
In Niedersachsen wird dies künftig praktiziert. Bevor nun aber Vorwürfe laut werden, hier würden die Ärzte unter Generalverdacht gestellt, sollte man die positiven Auswirkungen ab- wägen. Die KV zeigt Bereitschaft, mit offenen Karten zu spielen. Klüngelei- en und das Gebaren einer „Schutzge- meinschaft“ kann man ihr nicht mehr vorwerfen. Die Ärzte wissen, dass von nun an jeder in die regelmäßige Stich- probe fallen kann. Korrekt abrech- nende Ärzte sollten dies mit Befriedi- gung zur Kenntnis nehmen. Und schließlich: Wenn die erbrachten Lei- stungen auch noch in Euro aufgeführt sind,gibt es endlich echte Transparenz über die ärztliche Vergütung. Ob das der Politik und den Krankenkassen gefallen wird? Josef Maus
Rürup-Kommission
Patt-Situation A
ls Ulla Schmidt am Montag ver-gangener Woche die SPD-Vor- standssitzung im Berliner Willy- Brandt-Haus verließ, dürfte sie das Grollen des Kanzlers noch im Ohr gehabt haben. Zu überhören war Schröders Ärger über die neuesten Querschüsse aus der Rürup-Kom- mission jedenfalls nicht, berichteten Teilnehmer. „Wenn das nicht zu stop- pen ist, wird die Kommission aufge- löst“, soll Schröder gedroht haben.
Auslöser für des Kanzlers Zorn waren zuvor bekannt gewordene Radikalvorschläge von Kommissi- onsmitglied Karl Lauterbach. Dieser hatte gefordert, die privaten Kran- kenversicherungen gänzlich abzu- schaffen und stattdessen eine Bür- gerversicherung für alle aufzubauen.
Schmidt gab die Kritik umgehend an Kommissionschef Bert Rürup
weiter. Der zeigte sich einsichtig und versprach, für mehr Verschwiegen- heit bei seinen Leuten zu sorgen.
Die versprochene Diskretion hielt allerdings nicht lange. Am ver- gangenen Wochenende zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntags- zeitung ein kommissionsinternes Positionspapier, in dem abermals für einen umfassenden Systemwechsel geworben wird. Besonders pikant:
Rürup selbst hat das brisante Papier gemeinsam mit seinem Kommissi- onskollegen Gert Wagner verfasst.
Nicht weniger radikal als Lauter- bach, jedoch mit entgegengesetzter Stoßrichtung, fordern die beiden Ökonomen, den Krankenkassenbei- trag komplett vom Arbeitseinkom- men abzukoppeln. Jeder Versicherte zahlt demnach unabhängig von der Höhe seines Einkommens eine Prä-
mie (Kopfpauschale). Wirklich neu sind weder die Ideen von Lauter- bach noch die von Chefberater Rürup. Ihre gegensätzlichen Zielset- zungen verdeutlichen aber einmal mehr die Zerrissenheit des 26-köpfi- gen Gremiums. Unmittelbar vor der entscheidenden Kommissions- sitzung am kommenden Mittwoch zeichnet sich eine Patt-Situation ab, zwischen dem gewerkschaftsnahen Lager um Lauterbach und den libe- ralen Kräften um Rürup. Zu erwar- ten ist nun bestenfalls ein wenig aus- sagekräftiges Mehrheiten-Minder- heiten-Votum.
Ob die Regierung überhaupt ei- nem der beiden Lager folgt, ist indes mehr als fraglich. Kanzler Schröder zumindest macht keinen Hehl dar- aus, dass ihm beide Reformvorschlä- ge missfallen. Samir Rabbata