DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
!I
Heutige Hochdrucktherapie:
Die Begleitkrankheit
bestimmt das Hochdruckmedikament
1 . . . nicht belegt
II
Wir möchten gerne einige Punk- te des Artikels kommentieren, die sich nicht mit den Stellungnahmen der nationalen und internationalen Gremien zu diesem Thema decken:Fehlen eines . . . vernünftigen Behandlungskon- zepts . . .": Richtlinien zur Behand- lung der Hypertonie werden laufend von der Deutschen Liga zur Be- kämpfung des hohen Blutdrucks er- stellt und verbreitet.
• „Eine stabile Hypertonie von 270/105 mm Hg . . . wäre nicht unbedingt behandlungsbedürf- tig . . .": Die diagnostischen Krite- rien und die Behandlungsindikation der milden Hypertonie sind von der WHO und der Deutschen Hoch- druckliga eindeutig definiert. Sie decken sich allerdings nicht mit den in dem Artikel aufgestellten Be- hauptungen.
• Diabetes und Hypertonie, Abbildung: „geeignet: ACE-Hem- mer, Prazosin, Reserpin, Verapa- mil, Diltiazem, Nifedipin; ungeeig- net: Betablocker, Thiazide": In al- len bisher durchgeführten Langzeit- studien, die die Wirksamkeit einer antihypertensiven Therapie auf den Verlauf diabetischer Nephropathie belegt haben, wurden Betablocker und Diuretika als Medikamente der ersten Wahl verwendet. Im Gegen- satz dazu liegen vergleichbare Stu- dien für die in dem Artikel als geeig- net genannten Substanzen nicht vor.
Dementsprechend werden in einem kürzlich publizierten Statement amerikanischer Diabetologen und Hypertensiologen Diuretika und kardioselektive Betablocker nach wie vor als Medikamente der ersten Wahl sowohl für Typ-1- als auch für Typ-2-Diabetiker empfohlen.
• Bronchospasmus und Hy- pertonie: ACE-Hemmer werden als geeignete Medikamente empfohlen:
Zu dem Beitrag von Prof. V. H. Heimsoth und Prof. E. H. Graul in Heft 19/1988
Es muß darauf verwiesen werden, daß derzeit keine Studien vorliegen, die die Langzeitsicherheit einer The- rapie mit ACE-Hemmern bei chro- nischen obstruktiven Lungenerkran- kungen belegen. Da aber anderer- seits berichtet wurde, daß ACE- Hemmer einen chronischen Husten verursachen können, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, daß diese Substanzen besonders bei Pa- tienten mit erhöhter bronchialer Re- aktivität die Hustensymptomatik verstärken.
Die von uns aufgeführten Punk- te sind nur eine Auswahl von unge- nauen oder nicht belegten Behaup- tungen des Artikels.
Literatur bei den Verfassern Dr. med. Peter Sawicki Dr. med. Ingrid Mühlhauser Prof. Dr. med. Michael Berger Medizinische Klinik und Poliklinik Abteilung für Ernährung und StOffwechsel
Universität Düsseldorf
Moorenstraße 5 - 4000 Düsseldorf 1
Artikel Möglichkeiten für eine diffe- renzierte Hypertoniebehandlung auf und plädieren für eine notwendige Berücksichtigung von Begleiter- krankungen auf die medikamentöse
Therapie. Dabei werden von den Autoren psychische Begleiterkran- kungen oder eventuelle Dispositio- nen nicht berücksichtigt. Nun sind für eine Reihe von Antihypertensiva mögliche psychische Begleiteffekte erwiesen. Dazu gehören Clonidin, Reserpin, Beta-Blocker und Kalzi- um-Antagonisten. Diese Substanzen werden gelegentlich sogar wegen ih- rer psychotropen Wirkung bei psy- chischen Erkrankungen eingesetzt.
Berücksichtigt man die klinische Erfahrung, daß gerade zu Beginn ei- ner antihypertensiven Therapie psy- chische Auswirkungen unterschied- lichen Ausmaßes (von Müdigkeit bis zur Verwirrtheit) auftreten können, deren Ursache wohl überwiegend in den eintretenden hämodynamischen Veränderungen zu sehen ist, ande- rerseits psychische Begleitwirkun- gen unter der Pharmakotherapie erst nach längerem Verlauf auftre- ten können, so erscheint die Unter- teilung der Antihypertensiva in sol- che mit geringem und mit höherem Überwachungsaufwand kaum ge- rechtfertigt, es sei denn, man mißt dem psychischen Befund bezie- hungsweise der psychischen Befind- lichkeit in der Behandlung des Hy- pertoniekranken keine Bedeutung bei. Für eine mangelnde Complian- ce findet sich so häufig eine Erklä- rung.
Auch wenn hier nicht im Detail für die Betrachtung der Hypertonie als eine psychosomatische Krankheit plädiert werden soll, so erscheint doch die Empfehlung gerechtfertigt, direkte und indirekte psychische Ef- fekte einer antihypertensiven Medi- kation — die Bedeutung der Arzt-Pa- tienten-Interaktion soll nur am Ran- de erwähnt werden — verstärkt zu berücksichtigen. So läßt sich einer- seits eine bessere Compliance errei- chen, andererseits eine zusätzliche (psychiatrische) Diagnostik und Therapie vermeiden.
2 Psychische Effekte
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Die Autoren zeigen in ihrem A-2676 (52) Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988Die Forderung der Autoren nach ei- nem „einfachen, praxisnahen, com- pliancefreundlichen Behandlungs- konzept" läßt sich so vielleicht leich- ter erfüllen.
Dr. med. Ulrich Drerup Arzt für Psychiatrie/
Psychotherapie
Schillerstraße 16 2300 Kiel
Mit ihrer Forderung „Die Be- gleiterkrankung bestimmt das Hoch- druckmedikament" rennen die Au- toren offene Türen ein. Bereits 1986 hat die Deutsche Liga zur Bekämp- fung des hohen Blutdrucks in ihren Empfehlungen zur Hochdruckbe- handlung darauf hingewiesen, daß das Stufenschema nur für Patienten gilt, die außer dem Hochdruck keine weiteren Erkrankungen oder Risi- kofaktoren aufweisen und daß das Schema modifiziert werden muß, wenn Begleiterkrankungen oder Zu- satzkriterien vorliegen. In unserem Leserbrief müssen wir uns auf einige Punkte beschränken.
O Eine patientenbezogene, in- dividuelle Auswahl von Antihyper- tonika kann sich nicht nur nach der Begleitkrankheit richten, sondern muß ebenso Lebensalter der Patien- ten und Schwere des Hochdrucks auf der einen, Langzeiterfahrungen, Einfluß auf die Lebenserwartung, Verträglichkeit, Wirkdauer und Ko- sten von Antihypertensiva auf der anderen Seite berücksichtigen.
fp
Die von Heimsoth und Graul angeführten zwölf Krank- heitsbilder können beliebig erwei- tert werden, beispielsweise bedurfte die von den Autoren aufgeführte Zusammenstellung für eine antihy- pertensive Therapie bei Hochdruck und koronarer Herzkrankheit einer Aufgliederung in Behandlung des Hochdrucks bei akutem Myokardin- farkt, Zustand nach akutem Myo- kardinfarkt, Angina pectoris und ventrikulärer Extrasystolie, um nur einige zu nennen. Eine solche Liste wird zu umfangreich. Solange man nicht unterscheidet, welche der vie- len Begleitkrankheiten eine diffe-renzierte Auswahl erforderlich macht und nur eine Vielzahl mög- licher oder theoretisch denkbarer differentialtherapeutischer Möglich- keiten anbietet, macht man die Hochdrucktherapie unnötigerweise viel zu kompliziert. Eine Beschrän- kung auf das Wesentliche tut not.
• Die apodiktische Einteilung in „geeignete" und „ungeeignete"
Antihypertensiva ist unrichtig und führt in dieser Form zur Verunsiche- rung von Patient und Arzt.
O Nicht alle verfügbaren Anti- hypertensiva sind frei kombinierbar und ergeben sinnvolle Kombinatio- nen. Dies gilt nicht nur für die von den Autoren aufgeführten fünf An- tihypertensiva, sondern auch für ei- ne Kombination von Dihydralazin und Nifedipin, die beide zu Tachy- kardie führen. Damit widerlegt sich die griffige Aussage der Autoren über eine prinzipiell freie Kombi- nierbarkeit von selbst.
• Die Einteilung in die zwei Stufen „geringer Überwachungsauf- wand" und „hoher Überwachungs- aufwand" verwirrt zusätzlich. Soll der Arzt — in Form einer Stufen- therapie nach Heimsoth und Graul — zunächst das Medikament nach der Begleitkrankheit und dann nach dem Überwachungsaufwand aus- wählen? Widersprüchlich ist, daß das in der Tabelle aufgeführte Mo- denol einen „geringen Überwa- chungsaufwand", das in diesem Prä- parat enthaltene Saluretikum aber einen „höheren Überwachungsauf- wand" erfordern soll.
• Eine Häufigkeit von 60 Pro- zent latenter oder manifester Herz- insuffizienz bei Hochdruckkranken erscheint wesentlich zu hoch. 70 bis 80 Prozent aller Hypertoniker gehö- ren in den Bereich der milden Hy- pertonie, bei der Hochdruckfolgen (noch nicht) vorliegen. Übernimmt man die von Heimsoth und Graul angegebenen Zahlen und ihre Ein- teilung in „geeignete" und „nicht geeignete" als richtig, wären bei mehr als 50 Prozent der Hypertoni- ker Beta-Blocker, Verapamil, Dil- tiazem oder Clonidin ungeeignet.
• Heimsoth und Graul heben als „ideales Medikament" für die Langzeitbehandlung einer milden Hypertonie die Kombination von re-
tardiertem Schleifendiuretikum und Kaliumsparer hervor. Diese Kombi- nation wurde bisher in keiner kon- trollierten klinischen Langzeitstudie geprüft, eine Voraussetzung, die ge- rade für die Langzeitbehandlung ei- ner chronischen Erkrankung unab- dingbar gefordert werden muß.
Für den Vorstand der
Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks
Professor Dr. D. Klaus Medizinische Klinik Mitte Beurhausstraße 40
4600 Dortmund 1
Schlußwort
Das derzeitige Stufenbehand- lungsschema der Hochdruckliga eig- net sich nicht für die Mehrheit der Ärzte in der Praxis.
Leserbrief Berger und Mitarbeiter
Zu 1.: Es ist nicht damit getan, Behandlungsrichtlinien herauszuge- ben. Sie müssen auch befolgt wer- den. In über zehn Jahren ist es der Hochdruckliga nicht geglückt, sich bei der Mehrheit der Ärzte mit ihren Behandlungsempfehlungen durch- zusetzen. Einer der Meinungsbild- ner der Hochdruckliga, Anlauf (Kli- nikum Essen), drückt dies deutlich aus, wenn er auf einem Workshop in Baden-Baden formuliert: Das Liga- Schema ist die eine Sache, das Ver- halten vieler oder der meisten Ärzte eine andere (2). Gründe hierfür sind: Die heute — bei nahezu gleicher Wirkungsstärke der empfohlenen Antihypertensiva — unbrauchbare Orientierung einer Hochdruckbe- handlungsempfehlung an der Schwe- re der Hypertonie, die auf unser ei- genes, in den 60er Jahren entwickel- tes und damals sinnvolles Stufen- schema unserer Essener Klinik zu- rückgeht, die Nichtberücksichtigung der Begleitkrankheiten, das Benut- zen allgemein nicht verständlicher pharmakologischer Gruppenbe- zeichnungen (zum Beispiel postsy- naptische Alpha-I-Blocker oder zen- trale Alpha-H-Stimulatoren), ein ungenügendes Präparateangebot für leichte und mittelschwere Hyperto-
1 3 Nicht nur die Begleitkrankheit....
Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988 (53) A-2677