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Sportbegeisterung zwischen Gesellschaft, Gender und intensiven Emotionen

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Academic year: 2022

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Sportbegeisterung zwischen Gesellschaft, Gender und intensiven Emotionen

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Stefanie Jamnig, BA

am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie Begutachterin: Univ.-Prof. Dr.phil. Johanna Rolshoven

Graz, 2021

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 1

2 Sportethnologie ... 4

2.1 Die Anfänge der Fachrichtung ... 4

2.2 Aktueller Forschungsstand ... 10

2.3 Publikumsforschung ... 12

3 Sport und Gesellschaft ... 15

3.1 Die Entstehung des modernen Sports vom 18. bis ins 20. Jahrhundert ... 15

3.2 Der Sport im 21. Jahrhundert ... 20

3.3 Werte und Normen in Sport und Gesellschaft ... 24

3.4 Sport und seine politische Komponente ... 26

3.5 Genderaspekt ... 30

3.5.1 Klischees und geschlechtsspezifische Stereotype ... 32

3.5.2 Sexismus ... 34

3.5.3 Maskulinität, Machismo und die männliche Herrschaft ... 38

3.5.4 Geschlechterrollen im Stadion und der Weg hinaus durch das Undoing Gender .. ... 39

4 Sport und Fans ... 43

4.1 Definitionen und Fantypen in der Wissenschaft ... 43

4.2 Definitionen und Fantypen meiner Interviewpartner und -partnerinnen ... 47

4.3 Meine Definition vom Fan ... 48

4.4 Kurzer Exkurs zu Ultras und Hooligans ... 48

4.5 Motivation von Sportfans ... 49

4.6 Der Inszenierungscharakter von Fans und Fangruppen ... 52

4.6.1 Von Choreografien und Gesangsschlachten ... 55

5 Sport und Emotionen ... 58

5.1 Wissenschaftliche Ansätze der Emotionsforschung ... 58

(3)

5.2 Emotionen im Sport ... 60

5.2.1 Anekdote aus meiner Kindheit ... 61

5.2.2 Corona – die Stadien sind leergefegt ... 62

5.2.3 Fanausschreitungen ... 64

6 Empirie ... 66

6.1 Theoretischer Hintergrund der verwendeten Methoden ... 66

6.1.1 Interview ... 66

6.1.2 Diskursanalyse ... 67

6.1.3 Selbstreflexion ... 68

6.2 Ergebnisse ... 69

6.2.1 Felix, 26 – Fußballfan und bekennender Ultra des Sturm Graz ... 69

6.2.2 Michaela, 41 – leidenschaftliche Arsenal-Supporterin ... 72

6.2.3 Thomas, 43 – Vorsitzender und Fanbeauftragter des größten Basketballfanclubs in Österreich ... 75

6.2.4 Max, 30 – Eishockeyfan und Mitbegründer eines eigenen Fanclubs ... 79

7 Resümee ... 83

8 Abbildungsverzeichnis ... 88

9 Literaturverzeichnis ... 88

(4)

1

1 Einleitung

Wächst man in einer sehr sportbegeisterten Familie auf, nimmt der Sport von Beginn an eine sehr große Rolle im Leben ein. Von Kindesbeinen an habe ich meinen Vater vom Spielfeldrand beim Fußball angefeuert, haben uns am Tennisplatz hin und her gejagt, sind die Pisten hinuntergefahren und gemeinsam mit meiner Schwester haben wir beim Leichtathletiktraining die Runden auf der Bahn gedreht.

Die Sportarten haben sich heute zwar ein bisschen geändert, jedoch nicht die Liebe zum Sport.

Auf der Suche nach einem Thema für meine Masterarbeit, welches mich nicht nur interessieren, sondern mir auch Freude bereiten sollte, bot sich der Sport somit quasi an. Nach dem Eingrenzen des Themengebietes war auch das genaue Forschungsfeld schnell gefunden. Schon immer hat mich die mitreißende Stimmung und Energie der Fanmassen in den Stadien fasziniert. Ganz automatisch habe ich bei den Jubel- und Buhrufen in der Eishockeyhalle miteingestimmt, denn man verspürt dabei ein ganz eigenes, fast schon berauschendes Gefühl, das nur schwer zu beschreiben ist.

Die vorliegende Arbeit soll sich also mit Sport und den Emotionen der Zuseher und Zuseherinnen befassen, wobei versucht wird, folgende Fragen zu beantworten:

Welchen Stellenwert hat der Sport in unserer Gesellschaft und wie beeinflussen diese Bereich einander?

Welche Rolle nimmt das Geschlecht im aktiven, wie auch passiven Sport ein?

Was bezeichnen wir als Fans und welche Motivation steckt hinter ihrer leidenschaftlichen Euphorie für ihren Verein?

Inwieweit sind Emotionen ein Teil dabei und welche Wirkung hat die Coronapandemie darauf?

Nach der Einleitung soll mit dem zweiten Kapitel in die Fachrichtung der Sportethnologie eingeführt werden. Das noch recht junge Forschungsfeld hat relativ lange um das ihm gebührende Ansehen kämpfen müssen, bis die Wissenschaft dessen Mehrwert und Wichtigkeit erkannte. Nachdem die Anfänge der Sportethnologie behandelt werden, folgt der aktuelle Forschungstand, mit einigen wichtigen Forschungen namhafter Ethnologen und Ethnologinnen.

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2 Auf Grund der Thematisierung der Zuseher und Zuseherinnen wird in diesem Abschnitt abschließend der Blick auch kurz auf die Publikumsforschung gerichtet.

Das dritte Kapitel widmet sich den Zusammenhängen zwischen der Gesellschaft und dem Sport. Da die Stellung des Sports in der jeweiligen Gesellschaft und Zeit sehr stark mit den aktuellen Geschehnissen verknüpft ist, soll zunächst die historische Entwicklung des modernen Sports zu dem, was er heute ist, behandelt werden. Wenig überraschend finden sich dabei zahlreiche Überschneidungen und Parallelen im Werte- und Normensystem der beiden Bereiche, welche im Anschluss beleuchtet werden sollen.

Nach der darauffolgenden Analyse der politischen Komponente des Sports soll sich dieses Kapitel auch den Genderfragen in diesem Themenfeld widmen. Dabei wird das Augenmerk vor allem auf die geschlechtsspezifischen Stereotype und Klischees, den Sexismus, sowie auf die Maskulinitätsvorstellungen gerichtet. Abgerundet wird dieser Abschnitt durch die Thematisierung der Geschlechterrollen im Stadion und den möglichen Ausbruch durch das sogenannte Undoing Gender.

Im Fokus des vierten Kapitels finden sich die Fans. Wie aber lässt sich dieser Begriff eigentlich definieren? Schon vorab kann gesagt werden, dass dies keine einfach zu beantwortende Frage ist und es keine universell gültige Antwort darauf gibt. Um diesen Begriff aber dennoch etwas greifbarer zu machen, wird mittels mehrerer Definitionen aus der Wissenschaft sowie meiner Interviewpartner und Interviewpartnerinnen versucht, diesen zu erläutern. Nach der Bestimmung des Terminus soll anschließend der Motivation der Sportfans sowie deren Inszenierungscharakter auf den Grund gegangen werden.

Wie bereits eingangs erwähnt, sollen auch die Emotionen in dieser Arbeit behandelt werden, da für die meisten Fans Gefühlsausbrüche ein fixer Bestandteil des Sports sind. Von eben dieser Materie handelt das fünfte Kapitel. Nach einem kurzen Diskurs über die Emotionen in der Wissenschaft, soll diese Verbindung zwischen Sport und Emotionen analysiert werden. Wie wichtig diese ist, zeigt auch die aktuelle Pandemie, deren Einflüsse im darauffolgenden Abschnitt thematisiert werden.

Im Zusammenhang mit den Emotionen sollen auch die Fanausschreitungen erwähnt werden.

Da sich diese Arbeit jedoch eher auf die positiven Emotionen konzentrieren soll, wird diese Thematik demnach nur kurz angeschnitten.

Mit dem letzten Kapitel soll schließlich genauer auf meine Forschung eingegangen werden.

Nach der anfänglichen theoretischen Einleitung zu den verwendeten Methoden – Interview,

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3 Diskursanalyse und Selbstreflexion – folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den vier Hauptinterviews, die im Laufe der Arbeit häufig zitiert werden: Felix, Fußballfan und bekennender „Ultra“ des SK Sturm Graz, Michaela, eine leidenschaftliche FC-Arsenal- supporterin, Thomas, der Vorsitzende und Fanbeauftragte des größten österreichischen Basketballfanclubs und Max, Eishockeyfan und Mitbegründer eines eigenen Fanclubs. Alle Personen wurden anonymisiert.

Abgeschlossen wird die vorliegende Arbeit mit einem Resümee, in dem die Thematik noch einmal kurz zusammengefasst und die Antworten auf meine Forschungsfragen gegeben werden sollen.

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2 Sportethnologie

Die Fachrichtung der Sportethnologie ist heute weit verbreitet, doch das war nicht immer so.

Im folgenden Kapitel soll zunächst eben diese sich ab dem 19. Jahrhundert anbahnende Entwicklung beleuchtet werden. Ebenso sollen hier auch dem aktuellen Forschungsstand, beziehungsweise den aktuellen Forschenden dieses Themenschwerpunktes Raum geboten werden.

Auf Grund meiner Auseinandersetzung mit den Zusehern und Zuseherinnen von Sportveranstaltungen, wird anschließen ebenso ein kurzer Blick auf die Historie der Publikumsforschung gerichtet.

2.1 Die Anfänge der Fachrichtung

Ob im antiken Rom, im alten Griechenland, bei Ritterspielen im Mittelalter oder bei den wiedereingeführten Olympischen Spielen Ende des 19. Jahrhunderts, der Sport genießt seit jeher große Aufmerksamkeit im Leben der Menschheit. Besonders heute ist er bei vielen ein fixer Bestandteil des Alltags. Trotz der weit zurückreichenden Popularität, befasste sich die Wissenschaft dennoch erst relativ spät mit dem Sport.

Bis ins frühe 19. Jahrhundert waren Analysen zu Sportphänomenen meist nur kleine Nebenprodukte von Studien, die ursprünglich eine andere Zielsetzung verfolgten. Mit den kommenden Jahrzehnten änderte sich schließlich das Interesse der wissenschaftlichen Welt am Sport. Dabei kann jedoch von keinem leichten Start gesprochen werden. Sportliche Betätigung galt zu jener Zeit als billiges Vergnügen für Bürger zweiter Klasse und wurde somit von der Bourgeoise kaum beachtet. Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen jener Zeit erkannten dennoch die Wichtigkeit des Sports als Forschungsfeld und die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse für die Gesellschaft. Vorreiter unterschiedlichster Disziplinen, wie der Ethnologie, der Soziologie oder der Pädagogik, nutzten und stärkten sich gegenseitig, um Anerkennung für den Sport als wissenschaftliches Feld zu erkämpfen.1

Erste kulturanthropologische Ansätze in dieser Richtung konzentrierten sich hauptsächlich auf die Rituale bei Spielen fremder Kulturen. So erforschte der amerikanische Ethnologe und Maler

1 Vgl. Karl-Heinrich Bette: Sportsoziologische Aufklärung. Bielefeld 2011, S. 183.

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5 George Catlin2 1834 etwa Körperpraktiken und Spiele der indigenen Bevölkerung in Nordamerika, wobei er sich besonders für Pferderennen, Ringkämpfe und ein dem Lacrosse ähnliches Laufspiel interessierte. Dabei handelte es sich nicht um klassische Wettkämpfe, wie wir sie heute kennen, sondern viel eher um zeremonielle Rituale, bei denen der Kampf gegen Gut und Böse verkörpert wurde. Sie boten zudem die Möglichkeit, sich mit anderen Stämmen fernab von kriegerischen Auseinandersetzungen zu messen.3

In der Soziologie war Herbert Spencer4 1861 einer der ersten Vertreter seines Faches, der sich mit der Thematik auseinandersetzte und dazu publizierte. Er sah im Sport eine Möglichkeit des Abbaus der überschüssigen Energie und untersuchte des Weiteren die Rolle des Körpers für die Entwicklung der geschlechtsspezifischen Identität.5

1879 setzte der britische Anthropologe Edward Burnett Tylor mit seinem Werk „Geschichte der Spiele“6 einen Grundstein für die interkulturell vergleichende Spielforschung. Er befasste sich mit dem Sport als grenzüberschreitendes Phänomen, welches in andere Kulturen integriert und an vorherrschende Gebräuche angepasst wird. Sein Wirken reichte so weit, dass sich kleine Subdisziplinen in den Bereichen der Pädagogik, der Psychologie sowie der Soziologie entwickelten. Im Bereich der Psychologie wäre etwa der Sozialpsychologe Norman Triplett zu erwähnen, welcher 1898 ein Buch7 zu den dynamischen Faktoren eines Wettbewerbs veröffentlichte, aber auch Thorstein Veblen, früherer Soziologe, Kulturkritiker und Ökonom sollte mit seiner Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Abhandlung „Theorie der Freizeitklasse“8 (1899) genannt werden.9

Schleppend ging es auch in den ersten Jahren des folgenden Jahrhunderts weiter. Es analysierten und publizierten zwar immer mehr namhafte Soziologen, wie Georg Simmel10 oder Max Weber11 zur Thematik des Sports, doch bis zum großen Durchbruch des Forschungsfeldes sollte es noch einige Jahrzehnte dauern.

2 Vgl. George Catlin: Letters and Notes on the Manners, Customs, and Conditions of the North American Indians. 2 Bände. London 1841.

3 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 183–184.

4 Vgl. Herbert Spencer: Education: Intellectual, Moral und Physical. London 1861.

5 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 185.

6 Vgl. Edward Burnett Tylor: The History of Games. In: The Fortnightly Review (1879), Vol. 31 Jänner-Juni, S.

735–747.

7 Vgl. Norman Triplett: The dynamogenic factors of pacemaking and competition. In: American Journal of Psychology (1898), 9. Jg., Heft 4, S. 507–533.

8 Vgl. Thorstein Veblen: The Theory of the Leisure Class. New York 1899.

9 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 184–186.

10 Vgl. Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908.

11 Vgl. Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen 1920.

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6 Gezeichnet von den Geschehnissen des Ersten Weltkrieges, fand die Bevölkerung neuen Trost und vor allem Ablenkung im Sport – sei es aktiv oder passiv. Die zahlreichen Wettkämpfe, neuen Weltrekorde und die im Jahr 1896 erstmals wieder stattfindenden und sich alle vier Jahre wiederholenden Olympischen Spiele brachten neue Lebendigkeit und Freude in das triste Leben der damaligen Zeit. Der Sport war nun nicht mehr nur Teil der arbeitenden Klasse, sondern gewann auch in höheren Schichten an Ansehen. Auch in der Wissenschaft sorgte zu jener Zeit ein Werk für Aufsehen. 1921 wurde von Heinz Risse die weltweit erste Monografie12, welche sich ausschließlich mit der Soziologie des Sports beschäftigte, veröffentlicht. Das sehr gesellschaftskritische Werk wurde von der akademischen Welt jedoch nicht wie erhofft angenommen und sogar Risse selbst zweifelte einige Jahre nach der Veröffentlichung an der Qualität seiner Publikation.13

In den folgenden Jahrzehnten gelang es etwa der Sportsoziologie, den Sportwissenschaften und der Sportpsychologie vor allem im englischsprachigen Raum an Anerkennung zu gewinnen. Im deutschen Sprachraum konnten sich die Fachrichtungen erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts durchsetzen. In Frankreich war die Situation ähnlich, erst Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurden vermehrt freizeitsoziologische Studien in Bezug auf Sport veröffentlicht. Zu erwähnen wären hier etwa die Forschungen der Soziologen Roger Caillois14 und Joffre Dumazedier15, welche den Sport unter anderem als Möglichkeit der Befreiung von alltäglichen Zwängen hervorhoben.16

Ab den 1960er Jahren wurde im Kampf um wissenschaftliche Anerkennung vermehrt versucht die Sportsoziologie in den Ausbildungen der Sportpädagogik und der Sportwissenschaften zu integrieren. Zusätzlich wurde von Vertretern und Vertreterinnen des Fachs angestrebt, möglichst häufig bei sportwissenschaftlichen Kongressen präsent zu sein. Die Bemühungen schienen jedoch nicht zu fruchten. Sport wurde von vielen immer noch als etwas Nebensächliches und als ein nicht seriöses Forschungsobjekt gesehen.17

12 Vgl. Heinz Risse: Soziologie des Sports. Berlin 1921.

13 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 190–194.

14 Vgl. Roger Caillois: Les jeux et les hommes. Paris 1958.

15 Vgl. Joffre Dumazedier: Contenue culturel du loisir ouvrier dans six villesd’ Europe. In: Revue Francais de Sociologie (1963), 4/1, 12–21.

16 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 195–204.

17 Vgl. Detlef Grieswelle: Sportsoziologie. Stuttgart [u.a] 1978, S. 8.

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7 Die Wende in der Akzeptanz

Gegen Ende der 60er Jahre wurde dem Sport, als wissenschaftliches Forschungsfeld, schließlich die nötige Anerkennung entgegengebracht. Mit der Erweiterung der Lehrstühle in der Sportwissenschaft wurden von nun an eigenständige Fachrichtungen, wie beispielsweise die Sportsoziologie, endlich als solche gesehen.18

Wo aber bleibt die Kulturanthropologie dabei? Der philosophische Anthropologe und Soziologe Helmuth Plessner stellte zu Recht fest, dass in der Ethnologie dem Sport, trotz seiner außerordentlichen gesellschaftlichen Bedeutung, bis in die späten 1950er Jahre quasi keinerlei Beachtung geschenkt wurde19.

Während in den genannten Disziplinen das Feld bereits immer stärker erforscht wurde, schien der Sport für Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen nach wie vor ein eher exotisches Thema zu sein. Erst in den späten 60er und 70er Jahren rückte der Sport vermehrt in den Blick der ethnologischen Forschung.

Zunächst schien der Durchbruch im angloamerikanischen Raum zu gelingen. Im Jahr 1974 schlossen sich einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammen und gründeten die

„Association for Anthropological Study of Play“, welche im Jahre 1985 schließlich zur Publikation „The Anthropology of Sport“ von Kendall Blanchard und Alyce Cheska führte – eine für die kommenden Jahre sehr wichtige und richtungsweisende Veröffentlichung20.21 Gleichzeitig etablierte sich dadurch auch die gleichnamige Fachrichtung in Nordamerika, die sich fortan mit gesellschaftlichen Phänomenen im Hinblick auf Sport und Ökonomie beschäftigte22.

Zu den Vorreitern unter den nordamerikanischen Kulturanthropologen und Kulturanthropologinnen zählt einer der Gründer der American Anthropological Association, Stewart Culin, der mit seinem 850-Seiten starken Buch zu den „Games of the North American Indians“23 (1907), wohl eines der umfangreichsten Werke des Faches verfasst hat. Ohne Frage ein Klassiker ist zudem das berühmte Essay24 von Clifford Geertz (1973), in dem er sich mit

18 Vgl. Ebd., S. 9.

19 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 206.

20 Vgl. Kendall Blanchard/Alyce T. Cheska: The Anthropology of Sport. An Introduction. Westport 1985.

21 Vgl. Niko Besnier/Susan Brownell/Thomas F. Carter: The Anthropology of Sport: Bodies, Borders, Biopolitics. Oakland 2018, S.11.

22 Vgl. Juliane Müller/Christian Ungruhe/Christian Peter Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports. In: Zeitschrift für Ethnologie (2016): 1–18, hier S. 3–4.

23 Vgl. Stewart Culin: Games of the North American Indians. Lincoln 1907.

24 Vgl. Clifford Geertz: Deep play: notes on the Balinese cockfight. In: Clifford Geertz: The interpretation of cultures. New York 1973, S. 412–453.

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8 den Hahnenkämpfen auf der indonesischen Insel Bali befasst, aber auch Marshall Sahlins (1999) Abhandlung25 zu japanischen Sumoringern prägte die Spate der Kulturanthropologie.26 In Europa waren es die Briten, die sich als erste Vertreter und Vertreterinnen des Faches vermehrt mit der Materie auseinandersetzten. Zum einen Mary und Max Gluckman, die mit ihrem 1977 veröffentlichten Buch27 zur Debatte um den rituellen Charakter von Sportwetten beitrugen. Zum anderen Victor Turner28 (1987), welcher die Ansicht vertrat, dass der Sport in einen modernen und einen traditionellen zu unterscheiden sei, wobei bei ersterem liminoide Tendenzen erkennbar seien, also eine Art Schwellenzustand29 (näheres dazu im Kapitel 4.6.).

Die dichotomen Sichtweisen der beiden Wissenschaftler und der Wissenschaftlerin werden jedoch heute mehrfach kritisiert.30

Das Interesse am Sport als wissenschaftliches Feld wurde nun auch in anderen europäischen Ländern geweckt. So zählt wohl der französische Ethnologe Christian Bromberger zu einem der bekanntesten Verfasser in dieser Materie. Er fokussierte sich häufig auf den Fußball und untersuchte dabei etwa den rituellen Charakter des Spiels, wie auch dessen Rolle als Ausdruck der Identität (198831). Auch der in Norwegen lebende argentinische Kulturanthropologe Eduardo Archetti (1984) und sein Werk32, in dem er den Zusammenhängen von Sport und nationaler Identität auf den Grund ging, muss hier erwähnt werden.33

Es lässt sich somit ein recht später Start der Sportethnologie, sowie weiterer sich mit dem Sport befassenden Disziplinen, verzeichnen. Wie eingangs schon kurz erwähnt, galt die sportliche Betätigung bis ins 19. Jahrhundert als trivial und derb. Eine Freizeitaktivität, die hauptsächlich der arbeitenden Bevölkerung zugeschrieben wurde, obwohl auch in elitäreren Kreisen das Interesse an Pferderennen, Rugby oder Boxen langsam geweckt wurde. Für die Etablierung in

25 Vgl. Marshall D. Sahlins: Two or Three Things That I Know about Culture. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute (1999), 5(3) S. 399–421.

26 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.4.

27 Vgl. Mary Gluckman/Max Gluckman: On Drama, Games, and Athletic Contests. In: Sally F. Moore und Barbara G. Myerhof (Hg.): Secular Ritual. Amsterdam 1977, S. 227–243.

28 Vgl. Victor W Turner: The anthropology of performance. New York 1987.

29 Dies geht auf die Übergangsriten von Arnold van Gennep zurück. Bei der Erforschung von Ritualen beobachtete Gennep, dass eine Person zwangsläufig mehrere Übergänge zwischen bestimmten Lebensphasen durchlebt (z.B.

Firmung, Bar Mizwa, von ledig zu verheiratet). Diese Übergänge unterteilt er in drei Phasen beziehungsweise Riten: 1. Ablösungsphase und Trennungsriten, 2. Zwischenphase (Liminalität) und Schwellenriten, 3.

Integrationsphase und Angliederungsriten.

30 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.4.

31 Vgl. Christian Bromberger: Pour une ethnologie du spectacle sportif: les matchs de football à Marseille, Turin et Naples. In: B. Michon (Hg.): Sciences Sociales et Sports. Etats et Perspectives. Straßburg 1988, S. 237–266.

32 Vgl. Eduardo P Archetti: Fútbol y ethos. Buenos Aires 1984.

33 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.4.

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9 der Wissenschaft reichte dies damals jedoch noch nicht. Über die Gründe dafür machten sich auch schon zahlreiche Ethnologen und Ethnologinnen in der Vergangenheit Gedanken.34 Robert Sands35 sah etwa in der Tatsache, dass zu jener Zeit der Großteil der Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen aus dem Bürgertum stammte, das Ausschlaggebende für das Desinteresse in wissenschaftlicher Hinsicht. Norbert Elias und Eric Dunning36 hingegen verorteten die Ursache, neben der mangelnden Fähigkeit des Forschers und der Forscherin sich von der eigenen Gesellschaft und deren Werte und Normen zu distanzieren, auch im Umstand, dass sich die Vertreter und Vertreterinnen unseres Faches lange Zeit verstärkt mit fremden Kulturen befasst haben und die eigenen kulturellen und sozialen Phänomene außer Acht ließen. Des Weiteren wurden sportliche Praxen häufig nicht mit gesellschaftlichen Gegebenheiten in Zusammenhang gesehen. So wurden beispielsweise Wettkämpfe lange Zeit lediglich aus einer rein ritualtheoretischen Sicht erforscht.37

Als sich der Sport in der westlichen Moderne immer stärker verankerte, begannen die zeitgenössischen Ethnologen und Ethnologinnen den Terminus Sport zu hinterfragen und hoben hervor, dass dieser immer wieder neu auszudifferenzieren sei. Etymologisch leitet sich der Begriff vom Lateinischen (de)portare ab, was mit fortbringen oder sich vergnügen übersetzt werden kann. Über das französische Wort deporter siedelte sich zunächst to disport im Englischen an, wobei sich die verkürzte Version sport ab dem späten 17. Jahrhundert in Großbritannien und ab dem 19. Jahrhundert im restlichen Europa durchsetzte. Damit wurde eine volkstümliche Form der Versportung38 der damals noch die gehobenen Gesellschaftsschichten betreffenden Wettkämpfe und Spiele gemeint.39

Im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts wurde der Sport zunächst als „nicht-berufsbezogene Freizeitgestaltung einer aristokratischen, meist ländlichen Elite“40 bezeichnet, gefolgt von einer Freizeitgestaltung, die auch für soziale Schichten niederer Ränge bestimmt war, sowie als eine idealisierte körperliche Ertüchtigung der breiten Masse. Heute wird der Begriff nicht mehr so eng gefasst. Nach wie vor versteht man darunter eine Freizeitaktivität, aber der Sport ist auch

34 Vgl. Ebd., S.4–5.

35 Vgl. Robert R. Sands: Anthropology, Sport and Culture. Westport: Bergin & Garvey, 1999.

36 Vgl. Eric Dunning/Norbert Elias: Sport im Zivilisationsprozeß. Studien zur Figurationssoziologie. Münster 1984.

37 Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.5.

38 Unter der Versportung versteht man eine Umformung von volkstümlichen Festen, Schützenfesten, populären Spielen und Wehrübungen zu Wettbewerben, bei denen der Kampf um Sieg oder Niederlage im Vordergrund steht.

39 Vgl. Ebd., S.6.

40 Ebd., S.6.

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10 Ausgleich, Gesundhaltung, Entspannung, Streben nach gewissen Schönheitsidealen, Selbstoptimierung, Beruf, sozialisierendes Mittel, Selbstverwirklichung oder Abenteuer. Schon diese Zahl an Aspekten, die der Sport in unserer heutigen Gesellschaft innehat, macht dessen Bedeutung im 21. Jahrhundert ein wenig sichtbar.41

2.2 Aktueller Forschungsstand

Passend zur zunehmenden Bedeutung des Sports in unser aller Leben, summieren sich im 21.

Jahrhundert auch die publizierten Abhandlungen zahlreicher Ethnologen und Ethnologinnen.

Müller, Ungruhe und Oehmichen halten hierbei fest, dass sich diese aktuellen Forschungen zum einen sehr stark am englischsprachigen Raum orientieren und sich zum anderen quasi in zwei Lager aufteilen lassen. Der Hauptunterschied zwischen diesen sei die Bemühung einiger Vertreter und Vertreterinnen, die Sportethnologie als eigenständigen Schwerpunkt zu etablieren, was bei jenen, die eben genau dies nicht versuchen, auf Gegenwind stößt. Sie wollen viel eher ethnologische Methoden sowie Diskurse auf die mit dem Sport in Verbindung stehende Phänomene anwenden.42

Ersterem Standpunkt wären etwa Kulturanthropologen und Kulturanthropologinnen wie Kendall Blanchard, Robert Sands, Niko Besnier oder Susan Brownell zuzuschreiben.

Blanchard43 (1995) konzentriert sich etwa auf die Kultur als eine wesentliche Rolle bei der Analyse sportethnologischer Forschungen. Er ist der Ansicht, dass kulturelle Einflüsse sportliche Settings durchdringen und beeinflussen. Der Sport reflektiert demnach die Kultur und die Kultur reflektiert den Sport. Einer Wechselwirkung, der sowohl Sands44 (2002), als auch Besnier und Brownell45 (2012) auf den Grund gehen.46

41 Vgl. Ebd., S.6.

42 Vgl. Ebd., S.6.

43 Vgl. Blanchard/Cheska: The Anthropology of Sport.

44 Vgl. Robert R. Sands: Sport Ethnography. Champaign 2002.

45 Vgl. Niko Besnier/Susan Brownell: Sport, Modernity and the Body. Annual Review of Anthropology (2012) Vol. 41, S. 443–459.

46 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.6–7.

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11 Das Lager der zweiten Richtung ist etwas kleiner und dementsprechend wurden in diesem Bereich auch weniger Publikationen veröffentlicht. Zu nennen wären hier jedoch beispielsweise Sigrid Paul47, Corina Hietzge48 oder Rolf Husmann und Gundolf Krüger49.50

In den letzten Jahren wurden in unserem Fach die Rufe lauter, in der immer stärker globalisierten Welt die diversen Phänomene und deren Verbindungen zu untersuchen. Der Sport präsentiert sich hierfür als wunderbar geeignetes Forschungsfeld, denn er wird von sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren und Veränderungen beeinflusst und spiegelt diese auch wider.51 Im nachfolgenden Kapitel 3 wird noch näher auf diese Thematik eingegangen.

Vor diesem Hintergrund hat sich zum Beispiel die Migration als Feld in der Sportethnologie entwickelt. Hier werden nicht nur zugewanderte Menschen und der Sport als integrativer Charakter in den Fokus gesetzt, sondern auch die Migration von Sportlern und Sportlerinnen selbst. Zu nennen wären unter anderem die Publikationen von Niko Besnier52 (2012), sowie Dominik Schieder und Geir-Henning Presterudstuen53 (2014), die sich jeweils mit männlichen Rugbyspielern in diesem Kontext auseinandersetzen, wie auch jene von Mari Engh und Sine Agergaard54 (2015), die in Skandinavien lebende afrikanische Fußballerinnen ins Zentrum ihrer Forschung rückten.55

Neben den Sportlern und Sportlerinnen an sich, zeigt sich das sportliche Umfeld natürlich genauso als prädestiniertes Forschungsfeld der Ethnologie. Besonders Fans und die Fankulturen sind hierbei sehr beliebt. Meist beschäftigen sich die jeweiligen Analysen mit einem einzelnen Verein, wobei unterschiedliche Aspekte untersucht werden. Die Forschungsschwerpunkte richten sich etwa auf geschlechtsspezifische Fragen, wie beispielsweise jene nach der Frau im Fankontext, sowie der nach den traditionellen Bildern der Männlichkeit im Sport. Sehr häufig finden sich aber auch Ethnografien, die sich auf die Fangruppen der Ultras und Hooligans

47 Vgl. Sigrid Paul: Laufen als Beispiel traditioneller Sport- und Spielausübung in Afrika. In: Rolf

Husmann/Gundolf Krüger (Hg.): Ethnologie und Sport. Beiträge einer Tagung. Frankfurt a.M. 2002, S. 119–13.

48 Vgl. Maud C. Hietzge: Kaleidoskope des Körpers. Rituale des Sports. Wiesbaden 2002.

49 Vgl. Rolf Husmann/Gundolf Krüger (Hg.): Ethnologie und Sport. Beiträge einer Tagung. Frankfurt a.M. 2002.

50 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.6.

51 Vgl. Ebd., S.10

52 Vgl. Niko Besnier: The Athlete’s Body and the Global Condition: Tongan Rugby Players in Japan. In:

American Ethnologist (2012) Vol. 39 (3), S. 491–510.

53 Vgl. Dominik Schieder/Geir-Henning Presterudstuen: Sport Migration and Sociocultural Transformation: The Case of Fijian Rugby Union Players in Japan. In: The International Journal of the History of Sport (2014), Vol.

31 (11) S. 1359–1373.

54 Vgl. Mari H. Engh/Sine Agergaard: Producing mobility through locality and visibility: Developing a

transnational perspective on sports labour migration. In: International Review for the Sociology of Sport (2015) Vol. 50 (8) S. 974–992.

55 Vgl. Müller/Ungruhe/Oehmichen: Neue Perspektiven einer Ethnologie des Sports, S.12

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12 konzentrieren, ebenso wie jene, die sich vor allem mit den positiven, wie auch negativen Emotionen der Fans beschäftigen.

Spannende Werke bei den Genderfragen wären beispielweise die auch für diese Arbeit herangezogenen Publikationen von Victoria Schwenzer56 (2002), Almut Sülzle57 (2011), Brigitte Trip58 (2009) oder Eva Kreisky und Georg Spitaler59 (2006). Zu nennen wären aber auch Ethnografien wie jene von Brigitta Schmidt-Lauber60 (2008) über den Verein FC St. Pauli, sowie zahlreiche Abschlussarbeiten, die sich zum Teil auch auf Grazer Vereine konzentrieren.

2.3 Publikumsforschung

Basierend auf der soeben beschriebenen recht späten Etablierung des Sports als Forschungsfeld, ist die ebenso späte Befassung mit dem Sportpublikum wenig überraschend. Im neu entdeckten wissenschaftlichen Schwerpunkt, wurde den Zusehern und Zuseherinnen zunächst recht lange keine oder nur geringe Beachtung geschenkt. Mit dem Ende der 1960er Jahre fanden sich nur vereinzelt Publikationen, in denen die Besucher und Besucherinnen am Rande kurz aufgegriffen wurden. Anfang der 70er Jahre widmeten sich dann schon vereinzelt einige Wissenschaftler und Wissenschaftler von einem psychologischen Standpunkt aus dem Thema.

Dabei standen vor allem Versuche, das Publikum zu klassifizieren, im Vordergrund.61

Im Laufe des Jahrzehnts wurde das Forschungsspektrum immer breiter und Analysen zur demografischen Zusammensetzung der Zuseher und Zuseherinnen, ihrer unterschiedlichen sozialen Schichten und ihren wesentlichen Eigenschaften wurden veröffentlicht. Anzumerken ist, dass sich die Forschungen fast ausschließlich auf den vor allem im deutschsprachlichen Raum als Volkssport bezeichneten Fußball konzentrierten.62

In den 80er Jahren erlebte die Publikumsforschung einen regelrechten Boom. Zahlreiche Forscher und Forscherinnen beschäftigten sich nun intensiv mit den Zusehern und

56 Victoria Schwenzer: Fußball als kulturelles Ereignis: Eine ethnologische Untersuchung am Beispiel des 1. FC Union Berlin. In: Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien (Hg.): Fußballwelten. Zum Verhältnis von Sport, Politik, Ökonomie und Gesellschaft. Jahrbuch für Europa- und Nordamerika Studien, Folge 5/2001, Wiesbaden 2002, S. 87–115, hier S. 109.

57 Vgl. Almut Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten. Eine ethnografische Studie im Fanblock. Frankfurt a.M.

2011.

58 Vgl. Brigitte Trip: Rote Karte für die Damen. Wie im Fußball, so auch im Leben. Graz 2009.

59 Vgl. Eva Kreisky/Georg Spitaler (Hg.): Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht. Frankfurt a.M./New York 2006.

60 Vgl. Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.): FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins. Münster 2008.

61 Vgl. Hans J. Stollenwerk: Sport - Zuschauer - Medien. Edition Sport und Freizeit. Bd. 4. Aachen 1996. S.15.

62 Vgl. Ebd., S.16.

(16)

13 Zuseherinnen, vor allem aber mit den Jugendlichen unter ihnen. In diesem Zusammenhang wurden auch gewalttätige Ausschreitungen oder Randale thematisiert. Durch die verstärkten Medienberichterstattungen zu eben diesen aggressiven Verhalten gewisser Zuschauergruppen, fokussierte sich die Wissenschaft in den folgenden Jahrzehnten verstärkt auf diesen Aspekt der Sportpublikumsforschung.63

Vor allem aber ab dem 21. Jahrhundert steigerte sich das Interesse am Sportpublikum. Der Soziologe Karl Heinrich Bette analysiert in seinem Buch die Beweggründe und hält dabei diese fünf besonders ausschlaggebenden Punkte fest:

(1) Durch die fortschreitende Kommerzialisierung des Sports hat sich das Interesse am Publikum nun auch auf außeruniversitäre Kreise ausgeweitet. Sponsoren und Medienanstalten beauftragen Forschungen, um möglichst viel über ihre Zielgruppen zu erfahren und sie bestmöglich beziehungsweise am gewinnbringendsten erreichen zu können.

(2) Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Fanausschreitungen bei Großveranstaltungen.

Lange Zeit wusste man relativ wenig über die Motive der später als Hooligans betitelten Zuseher und Zuseherinnen. Nicht ohne Grund findet man heute eine beträchtliche Zahl an Werken, die sich mit den Fanausschreitungen, besonders unter Jugendlichen, beschäftigen. Unter ihnen etwa die bereits im letzten Jahrhundert entstandene Analyse des Zuseherverhaltens im Fußball von Nobert Elias und Eric Dunning64 (1984), gemeinsam mit der Leicester School of Sport Sociology, die zu einer richtungsweisenden Einordnung des Fanverhaltens beitrug.

(3) Auch sportpsychologische Fragestellungen trieben die Publikumsforschung voran. Man interessierte sich an der möglichen Beeinflussung des Spiels durch die Fans, sowie für die Frage, ob es einen Unterschied für die Mannschaft macht, ob sie ein Heim- oder ein Auswärtsspiel bestreitet.

(4) Die immer wiederkehrenden Dopingskandale sind ebenso maßgeblich für das verstärkte Interesse am Publikum. Bette merkt an, dass die Zuseher und Zuseherinnen durch ihren immerwährenden Ruf nach Höchstleitungen der Sportler und Sportlerinnen die Dopingkultur systematisch miterzeugen.

(5) Als letzten Punkt nennt er die verstärkte Thematisierung der Zusammenhänge zwischen der Bevölkerung und gesellschaftlichen Systemen. Hierbei untersuchen zahlreiche

63 Vgl. Ebd., S.16

64 Vgl. Eric Dunning/Norbert Elias: Sport im Zivilisationsprozeß. Studien zur Figurationssoziologie. Münster:

Lit Verlag, 1984.

(17)

14 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Wechselwirkungen zwischen Sport und den gesellschaftlichen Phänomenen.65

65 Vgl. Bette: Sportsoziologische Aufklärung, S. 15–19.

(18)

15

3 Sport und Gesellschaft

Nach dem kurzen historischen Abriss der Fachrichtung, soll nun in aktuelle Gegebenheiten eingetaucht werden. Zunächst soll der Frage auf den Grund gegangen werden, wie sich der Sport zu dem entwickelt hat, was er heute ist – einem Element, das aus unserm Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Im Verlauf der Analyse der Sportgeschichte wird sich zeigen, dass der Sport unabdingbar mit aktuellen gesellschaftlichen Situationen in Verbindung steht, weshalb im Anschluss auf die Parallelen der Werte- und Normensysteme, sowie die politische Komponente eingegangen wird.

Abgerundet wird dieses Kapitel durch genderpolitische Fragen. Hierbei sollen die geschlechtsspezifischen Stereotypen, der Sexismus und die Maskulinitätsvorstellungen innerhalb des Sports, sowie die Geschlechterrollen im Stadion und ein diesbezüglich möglicher Ausweg thematisiert werden.

3.1 Die Entstehung des modernen Sports vom 18. bis ins 20. Jahrhundert

Um das 18. Jahrhundert setzte sich der Begriff des Sports, wie bei der epistemologischen Herleitung bereits kurz erwähnt, von Großbritannien ausgehend durch. Großbritannien ist zudem das Land, welches als Geburtsort des modernen Sports angesehen wird.66 In den ersten Jahren des Jahrhunderts wurden Sportereignisse stark durch ihren Jahrmarktcharakter ausgezeichnet und waren somit vor allem durch Sensation und Unterhaltung geprägt. Parallel dazu entwickelten sich die ersten groß organisierten Sportwettkämpfe. Besonders Rudern, Pferderennen, Boxen und Cricket standen hierbei im Vordergrund.67

Die Wettkämpfe jener Zeit können jedoch nicht mit denen der Gegenwart verglichen werden.

Im Unterschied zum heute nicht enden wollenden Streben nach Rekorden, waren die Sportereignisse im 18. Jahrhundert lediglich Momentaufnahmen. Natürlich wollten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch damals gewinnen, doch es wurden keinerlei Vergleiche

66 Vgl. Allen Guttmann: From Ritual to Record: The Nature of Modern Sports. New York 2012. S 57.

67 Vgl. Ilse Hartmann-Tews: Sportentwicklung in Europa unter Einbeziehung von Frauen. In: Das Parlament.

Aus Politik und Zeitgeschichte (24.06.2004), 31–38, hier S. 31.

(19)

16 zu vergangenen Wettkämpfen gezogen, wie wir es heute kennen. Das Motto „Schneller, höher, weiter“ galt jeweils nur für das spezifische Sportereignis.68

Nicht nur das Zusehen bei Sportereignissen, welches nach wie vor eher der Bourgeoisie vorbehalten blieb, gewann an Popularität, auch das aktive Ausüben wurde in ihren Kreisen immer präsenter. Zu diesem Zwecke gründeten Landadel und städtische Aristokratie zahlreiche exklusive Sportclubs. Einer der bekanntesten war wohl die 1754 gegründete „Society of St.

Andrews Golfers“, welche kurz darauf durch den König zum „Royal and Ancient Club of St.

Andrews“ umbenannt wurde. Schon damals galt diese Institution als die wichtigste für die Golfgemeinschaft in Großbritannien und fungiert auch noch heute als Dachverband des Golfsports des Inselstaates.69

Die Industrielle Revolution

Mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und verstärkt im 19. Jahrhundert zeichneten sich große Veränderungen ab. Von Großbritannien ausgehend breitete sich die industrielle Revolution über Westeuropa und Amerika aus. Die Zeit war geprägt von Fortschritt und zukunftsweisenden Erfindungen, wie der Dampflokomotive, dem mechanischen Webstuhl oder der häufig als Synonym für die Industrialisierung stehenden ersten Spinnmaschine „Spinning Jenny“. Der Umschwung von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft wurde eingeläutet.

Schritt für Schritt wichen kleine Manufakturen großen Fabriken, die Produkte wesentlich schneller und kostengünstiger erzeugen konnten.

Die rasant wachsenden Industriestädte zogen auch die teils in ärmlichen Zuständen lebende bäuerliche Bevölkerung der ländlichen Regionen an, was das Wachstum umso stärker beschleunigte. Viele Menschen fanden in den Fabriken zwar Arbeit, doch die sozialen Verhältnisse verschlechterten sich rapide. Die Zeit war geprägt von Ausbeutung, sozialen Missständen, schlechten Wohnverhältnissen und erschreckend langen Arbeitstagen. Die Kluft zwischen den mittellosen Arbeitern und Arbeiterinnen und den kapitalistisch geprägten Fabrikbesitzer und -besitzerinnen vergrößerte sich immer mehr.

Nicht nur die Arbeitswelt wurde von den Umwälzungen der industriellen Revolution beeinflusst. Die Veränderungen drangen in jeden Lebensbereich vor, so auch in den des Sports.

68 Vgl. Michael Maurer: Die Entstehung des Sports im 18. Jahrhundert. In: Europäische Geschichte Online (EGO) (2010): http://ieg-ego.eu/de/threads/modelle-und-stereotypen/anglophilie/michael-maurer-die-entstehung- des-sports-in-england-im-18-jahrhundert (Zugriff: 20.11.2020).

69 Vgl. Ilse Hartmann-Tews: Sportentwicklung in Europa unter Einbeziehung von Frauen, S. 31.

(20)

17 Hierbei muss zwischen zwei Ausprägungen unterschieden werden: Zum einen der Sport der Unterschicht, zum anderen der Leistungssport.

Beginnen wir zunächst mit der neuen Popularität des Sports unter der arbeitenden Bevölkerung.

Die tägliche Arbeit in den Fabriken war meist durch stumpfsinnige, eintönige und bewegungsarme Fließbandarbeit gekennzeichnet. Viele Arbeiter und Arbeiterinnen erkannten im Sport einen Ausgleich für die Monotonie in ihrem Leben. Nach und nach drangen sie somit in den einstmals eher exklusiv den oberen Gesellschaftsschichten vorbehaltenen Sport ein.

Bezüglich der Sportarten zog es sie jedoch in eine andere Richtung. Sie tendierten zu Mannschaftssportarten und so wurde beispielsweise der Fußball zum inoffiziellen Sport der arbeitenden Bevölkerung.70

Karl Marx sah in der sportlichen Betätigung der Arbeiterschaft auch für die kapitalistischen Fabrikleiter und -leiterinnen Vorteile. Marx war der Ansicht, dass der Sport zum einen positive Auswirkungen auf Körper und Geist habe und somit die Gefahr, Arbeiter und Arbeiterinnen durch Krankheit zu verlieren, reduziert werden könne. Zum anderen habe das Ausüben von Sport seiner Ansicht nach die Erhaltung der maximalen Arbeitskraft als Hauptziel.71

Zudem entwickelte sich der Sport in eine weitere Richtung. Wo früher die Belustigung und Unterhaltung der Zuseher im Vordergrund stand, begann mit der Industrialisierung das Umdenken in Richtung Leistung, Konkurrenz und Rekord. Die gleichen Werte, die in der Arbeitswelt vorherrschten, wurden auf den Sport umgemünzt.72

Mit dem Fortschreiten der Industriellen Revolution durchlebte der Sport Mitte des 19.

Jahrhunderts eine Ausdifferenzierung. Immer mehr Sportarten zogen in den Alltag, vor allem in jenen des Bürgertums, ein. Teile der über die letzten Jahrzehnte gegründeten Clubs öffneten nun auch ihre Türen für Frauen. Häufig hatten diese jedoch nach wie vor nur beschränkten Zutritt sowie, im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen, kein Stimmrecht bei Abstimmungen. Da sich viele Vereine aber immer noch weigerten, gemeinsam Wettkämpfe für Frauen und Männer anzubieten, wurden ab den 1880er Jahren eigens für Frauen bestimmte Sportclubs und damit auch Wettkämpfe ins Leben gerufen.73

70 Vgl. Guttmann: From Ritual to Record, S. 57–59.

71 Vgl. Ebd., S. 59.

72 Vgl. Ebd., S. 69.

73 Vgl. Ebd., S. 32.

(21)

18 Der Aufstieg des modernen Sports im 20. Jahrhundert

Mit dem Einzug des 20. Jahrhunderts ging auch die immer größere Beliebtheit des aktiven, wie auch passiven Sports einher. Besonders beim Fußball lässt sich die Entwicklung sehr gut beobachten. Die bis dato eher zu Gewalt neigende und der Arbeiterklasse vorbehaltene Sportart Fußball, entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts in eine neue Richtung. In Großbritannien, dem Herkunftsland des Ballsports, erkannten die Lehrer und Lehrerinnen der „Public Schools“

der Mittelschicht den charakterformenden Wert dieser Sportart. Die jungen Männer sollten durch das Spiel Teamgeist, Fair Play und Selbstbeherrschung erlernen. Um der Gewalt während des Spiels entgegenzuwirken, wurde ein Regelwerk entwickelt, welches auch heute noch als Basis der modernen Fußballregeln gilt.74

Durch Handelsbeziehungen beziehungsweise Aufenthalte auf der britischen Insel schwappte die Sportart Anfang des 20. Jahrhunderts auf Mitteleuropa über. In den Anfangsjahren wurde der Sport zumeist von der aufstrebenden bürgerlichen Schicht ausgeübt. So war die deutsche Nationalmannschaft vor dem Ersten Weltkrieg fast ausschließlich mit Akademikern besetzt.

Parallel dazu fanden im deutschen Sprachraum immer mehr Arbeiter das Interesse am Fußball und gründeten in den Jahren vor dem Krieg die ersten Fußballvereine. Doch auch die Kirche und große Firmen trugen zur Verbreitung des Sports in der arbeitenden Schicht bei. Während für die Kirche als Hauptgrund des Fußballangebots galt, dass Jugendliche von den Straßen geholt werden sollten, hatten Firmen mit ihren Betriebsmannschaften eher eigennützigere Ziele im Sinn. Durch die Spiele sollte die Gesundheit und die Disziplin der Mitarbeiter gefördert werden und diese sollten damit vor allem stärker an die Firmen gebunden werden.75

Die Zwischenkriegsjahre sollten als Sprungbrett des Fußballs in Deutschland und Österreich fungieren. Die Soldaten kehrten in ihre Heimat zurück und brachten auch vielerorts den Fußball mit, den sie während des Krieges kennengelernt hatten. In Deutschland verzeichnete man 1930 etwa 140.000 Männer in Mannschaften der Arbeitersportbewegung sowie über 900.000 Mitglieder im Deutschen Fußball-Bund (DFB), vorwiegend mit Herkunft aus den unteren Bevölkerungsschichten.76 In Wien lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten. Fußball wurde auch hierzulande nicht nur zum aktiv betriebenen Sport, sondern ebenso als Zuseherspektakel zu einem sozialen Massenphänomen77.

74 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 82.

75 Vgl. Ebd., S. 82–83.

76 Vgl. Ebd., S. 84.

77 Vgl. Roman Horak/Wolfgang Maderthaner: Mehr als ein Spiel. Fußball und populäre Kulturen im Wien der Moderne. Wien 1997, S. 21.

(22)

19 Schneller, höher, weiter

In den folgenden Jahren war der Sport vom immer stärker werdenden Leistungsprinzip bestimmt, eine ähnliche Entwicklung, die sich auch mit dem Fortschreiten der Industriellen Revolution in Großbritannien abzeichnete. Das bis dahin geltende Prinzip des „sportsman“, welches sich vom „gentleman“ ableitete, hatte keinen Platz mehr. Das verstärkte Verlangen nach maximaler Leistung wurde auch nicht unwesentlich vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägt. Der Sport erfuhr eine zunehmende Orientierung in Richtung Wettbewerb und Kommerzialisierung. 1932 wurde in Deutschland die erste Fußballprofiliga eingeführt, die jedoch schon ein Jahr später mit Verweis auf die „jüdische Kommerzialisierung“ des Sports aufgelöst wurde. Spätestens ab diesem Zeitpunkt lässt sich der Zusammenhang von Politik und Sport wohl nicht mehr von der Hand weisen.78

Die Welt wurde erneut von einem fürchterlichen Krieg erschüttert. Schon wieder standen viele Menschen vor dem Nichts, waren gezeichnet von Not, Trostlosigkeit und Armut. Im Sport fanden die Bürger und Bürgerinnen erneut eine willkommene Fluchtmöglichkeit aus ihrem tristen Alltag, wie es auch Hermann Bausinger sehr trefflich formulierte:

„Der Sport verkörperte gerade in seiner Nutzlosigkeit ein Stück Freiheit. Er bewies, dass sich die Anstrengungen nicht darin erschöpften, das nackte Überleben zu sichern, er führte aus dem isolierten Kampf ums tägliche Brot für die Familie hinaus in einen Raum der Kameradschaft, der Gesellung und Geselligkeit.“79

Der Sport bot ihnen nicht nur ein wenig Normalität, sondern auch ein Stück Heimat.

Besonders stark trat in den Nachkriegsjahren das Gefühl der Gemeinsamkeit im Sport in den Vordergrund. Die Wiederaufbauarbeiten verbanden die Bevölkerung und so wich der Konkurrenzgedanke vorerst jenem der Gemeinschaft. Zahlreiche der im Nationalsozialismus verbotenen Sportvereine wurden wiederbelebt sowie neue gegründet. Viele von ihnen wurden als sogenannte „Allsport-“ oder „Gemischtvereine“ ins Leben gerufen, um für die ohnehin schon stark vom Gefühl der Gemeinschaft geprägten Gesellschaft als zusätzlich neutralisierendes Mittel zu wirken.80

Mit der Verbreitung von Radio und Fernsehen in den Haushalten zog auch der Sport in viele Häuser ein. Sportberichte waren nun nicht mehr lediglich in den Zeitungen zu lesen, sondern

78 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 84–85.

79 Hermann Bausinger: Sport seit 1945 - Tendenzen und Entwicklungen. In: Helmut Digel u.a. (Hg.):

Sportkultur. Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft, Bd. 6, Tübingen 2006, S.30–

42, hier S. 33.

80 Vgl. Ebd., S.33–34.

(23)

20 flackerten über den Bildschirm und dröhnten aus den Boxen. Die verstärkte Vertretung von Sport in den Medien und die damit einhergehende größere Reichweite, trugen maßgeblich zum steigenden Interesse am Sport der Bevölkerung bei. Von nun an konnten auch jene Personen an den Sportereignissen ein Stück weit teilhaben, die nicht live vor Ort waren.

In Österreich führte die Popularität zur Gründung beziehungsweise Umgestaltung von einigen namenhaften Sportverbänden, die noch bis heute bestehen. Der 1889 gegründete ASKÖ (Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich) erklärte sich bereit, sich von nun an auch an Sportveranstaltungen von bürgerlichen Vereinen zu beteiligen. 1945 wurde die

„Österreichische Turn- und Sport-Union“ gegründet, die heute nur mehr den Namen SPORTUNION trägt81, sowie vier Jahre später der dritte Dachverband des österreichischen Sports, der ASVÖ („Allgemeiner Sportverband Österreichs“)82.

Während des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er und 1960er Jahre, auch als Wirtschaftswunder bekannt, war die Gesellschaft von Konsum, Geld, kürzeren Arbeitszeiten und Wertewandel geprägt. Die dadurch freigewordenen Ressourcen wurden zunehmend auch vermehrt in den Sport investiert. Ähnlich wie wir es schon bei den Entwicklungen während der industriellen Revolution beobachten konnten, richtete sich der Sport auch zu dieser Zeit wieder verstärkt in zwei Richtungen aus. Neben dem wachsenden Sektor des Freizeitsports wurde besonders dem professionellen Leistungssport ein Augenmerk geschenkt. Man erkannte das wirtschaftliche Potenzial des Leistungssports und den damit einhergehenden Massenveranstaltungen und Werbeeinnahmen. Der kommerzialisierte Sport wurde somit zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der zweiten Republik.83

3.2 Der Sport im 21. Jahrhundert

Heute ist der Sport aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sei es beim Hobbysport mit Freunden, beim Mitfiebern in Stadien oder vor dem Fernseher, beim Lesen der unzähligen Berichterstattungen über die Ergebnisse der Leistungssportler und -sportlerinnen in den Zeitungen, oder bei den zahlreichen Charitysportevents. Längst ist der Sport in jeden Bereich unseres Lebens vorgedrungen. Im folgenden Abschnitt möchte ich auf einige Phänomene

81 Vgl. SPORTUNION Österreich (Hg.), 2020. Online verfügbar: https://sportunion.at/ueber-uns/geschichte/

(Zugriff: 25.11.2020).

82 Vgl. Sport Austria - Österreichische Bundes-Sportorganisation (Hg.), 2020. Online verfügbar:

https://www.sportaustria.at/de/ueber-uns/sport-austria/geschichte-von-sport-austria/ (Zugriff am 25.11.2020).

83 Vgl. Otmar Weiß: Sport und Gesellschaft. Eine sozialpsychologische Perspektive. Wien 1990. S. 9.

(24)

21 unserer Zeit eingehen, die den Sport und unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert wiederspiegeln.

Ohne Frage hat die sportliche Betätigung eine sehr positive Auswirkung auf die Gesundheit.

Häufig wird man deshalb auf die Frage, warum man denn eigentlich Sport betreibe, als Antwort hören: „Weil es gut für den Körper und meine Gesundheit ist“84. Für viele, besonders im höheren Alter, ist dies deshalb wohl einer der ausschlaggebenden Gründe, Sport zu treiben. Mit Erfolg, denn er scheint den Menschen als wirksames Mittel zu dienen, um die immer häufiger auftretenden Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht vorzubeugen.

Der gesundheitliche Aspekt ist jedoch nicht nur bei der älteren Generation ein zentrales Thema, sondern auch jüngere Menschen beschäftigen sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker mit dem eigenen Körper und damit, diesen möglichst gesund zu halten. Neben den unterschiedlichsten Ernährungsvarianten tun sie dies eben auch häufig durch Sport.

Weiters dient der Sport als ein Ausgleich vom Alltag, beziehungsweise vom Arbeitsleben. Dies ist keineswegs eine neuzeitige Erscheinung, denn wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, lässt sich dieser Beweggrund für die sportliche Betätigung schon seit den frühen Entwicklungen des Sports beobachten. Unsere heutige Leistungsgesellschaft ist geprägt von Arbeitsdruck, Erfolgsdruck und Zeitdruck – Druck, den viele durch Sport abbauen. Er dient als eine Art Ventil. Zum einen finden viele Menschen diesen Ausgleich in „normalen“ Sportarten wie einer Laufrunde nach der Arbeit, bei einer kurzen Wanderung oder bei einem Tennisspiel. Zum anderen gibt es jene, denen diese körperliche Betätigung nicht mehr ausreicht. Sie finden ihren Ausgleich im Extremsport.

Unter der Sportart Free-Solo-Klettern oder Freeclimbing (aus dem Englischen: Freiklettern) etwa, versteht man das Klettern an Felswänden, jedoch ohne jegliche Sicherungen. Ein falscher Griff kann somit über Leben und Tod entscheiden. Diese Sportart ist wohl ein Paradebeispiel für den häufig in unserer Gesellschaft vertretenen unstillbaren Durst nach Adrenalin und Abenteuer, der besonders beim Extremsport eine große Rolle spielt. Ähnlichen Gefahren setzen sich auch Extrembergsteiger und -bergsteigerinnen aus. Ständig auf der Suche nach neuen Rekorden, werden besonders schwere Berge in möglichst kurzer Zeit erklommen und nicht selten kommt es dabei zu Unfällen und Abstürzen.

84 Interview mit meinem Vater, 27.11.2020.

(25)

22 Der Terminus Leistungsgesellschaft beschränkt sich nicht auf die Arbeitswelt, denn er prägt auch unsere Freizeit. Im Sport wird dies besonders sichtbar. Im ständigen Wettkampf mit sich selbst und anderen treibt man sich zu sportlichen Höchstleitungen. Man möchte sich messen, zeigen was man kann und die anderen übertrumpfen. Natürlich trifft dies nicht auf alle Sporttreibenden zu. Ich selbst kann mich hier wohl als Beispiel nennen, da ich Sport zum reinen Vergnügen ausübe und der Leistungsaspekt dabei für mich keine Rolle spielt.

In meiner Jugend habe ich neun Jahre lang Leichtathletik betrieben. Beim Training stand für mich immer der gemeinschaftliche Aspekt im Vordergrund, ob ich besser oder schlechter als meine Kollegen und Kolleginnen war, war nebensächlich. Wahrscheinlich waren mir gerade deshalb die mehrmals jährlich stattfindenden Wettkämpfe so unangenehm. Ich hätte alles gegeben, um nicht daran teilnehmen zu müssen, um mich keiner offensichtlichen Leistungsschau auszusetzen, doch das stand in unserem Verein nicht zur Diskussion. „Wenn man bei einem Verein ist, dann gehört der Wettbewerb einfach dazu“85, stellte mein Vater fest.

Ob gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst, der Leistungsvergleich ist im Sport des 21. Jahrhunderts ein wichtiger Aspekt.

Der Vergleich spielt auch bei der Körperlichkeit eine ungemeine Rolle. Der Körper ist in unserer heutigen Gesellschaft wohl so zentral wie nie zuvor. Schon 2006 schreibt Bausinger, dass der Sport in der neuen Körperkultur eine erhöhte Inszenierung und Exposition des Körpers erfahre86, ohne zu wissen, wie sehr es damit heute, 15 Jahre später, auf den Punkt trifft. Unsere Welt ist gezeichnet von der Inszenierung über soziale Medien. Besonders auf der Plattform Instagram lässt sich dieses Phänomen sehr gut beobachten. Mittels Fotos und Videos präsentieren Nutzer und Nutzerinnen ihr vermeintlich perfektes Leben. Neben den immer populärer werdenden Fitnessbloggern und -bloggerinnen zeigen sich auch unzählige Otto- Normalbürger und -bürgerinnen im engen Sportoutfit in lässiger Pose am Gipfel eines Berges oder vor dem Spiegel im Fitnessstudio, ständig auf der Suche nach den besten Winkeln, um ihren gestählten Körper zu präsentieren.

„Zu den Formen der neuen Köperkultur gehört nicht nur, dass sie Mittel zur Verfügung stellt, die Leistungssteigerungen klar erfahrbar machen, also auch eine schnelle positive Rückmeldung zulassen; auch neue soziale Formen gehören zu der

85 Interview mit meinem Vater, 27.11.2020

86 Vgl. Hermann Bausinger: Kultur als Sport. In: Helmut Digel u.a. (Hg.): Sportkultur. Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft, Bd. 6, Tübingen 2006, S. 4–14, hier S. 4.

(26)

23 scheinbar so individualistisch ausgerichteten Tendenz. Es ist richtig, dass die neue Bewegung mit einer gewissen Abkehr vom Vereinssport zusammengeht.“87

Neben der Tatsache, dass sich von Bausingers Aussage zu schnellen positiven Rückmeldungen ebenfalls wieder hervorragende Parallelen zur Instagram-Kultur ziehen lassen, weist er auf einen weiteren Aspekt des Sports im 21. Jahrhunderts hin: Der Sport entwickelt sich weg vom früher so üblichen Vereinssport, hin zum Individualsport.

Hat man sich früher hauptsächlich in Sportclubs körperlich betätigt, geht der Trend heute eher in Richtung eigenständiges Trainieren in Fitnessstudios. Ein möglicher Hintergrund dieser Entwicklung könnte die Entfremdung der Gesellschaft sein. Früher war meist die gesamte Familie Teil eines Vereins. Besonders in den ländlichen Bereichen entwickelte sich so eine stetige Gemeinschaft, die sich regelmäßig traf. 88 Natürlich sind diese Vereine auch noch heute zu finden, doch längst nicht mehr mit derselben Popularität. Heute ist unsere Gesellschaft geprägt von Anonymität, vor allem in den Städten. Hier zählt es eher zur Seltenheit, dass man seine Nachbarn und Nachbarinnen kennt. Möchte man Sport betreiben, neigt man dadurch vielleicht eher zum Individualsport, da es den klassischen Sportverein im Nachbarort schlicht und ergreifend einfach nicht gibt. Zudem sind Sportclubs im städtischen Gebiet häufig viel professioneller und kostspieliger aufgebaut.

Nichtsdestotrotz stimme ich Bausinger89 zu, dass dieses Abwenden von Vereinen mit Bedacht gesehen werden muss. Es bleibt außer Frage, dass sich die Vereine in den vergangenen Jahrzehnten dezimiert haben, doch es scheint auch außerhalb der kommerziellen Sportclubs der Wunsch nach Gemeinschaft stärker zu werden. So lässt sich dies etwa bei der Grüppchenbildung im Fitnessstudio oder bei organisierten Lauftreffs beobachten. Neben dem Verlangen nach individuellen Tendenzen, scheint der Gemeinschaftsgedanke im Sport also doch nicht ganz verloren zu sein.

Zuletzt bleibt noch ein weiteres Phänomen der Welt des Sports im aktuellen Jahrhundert zu erwähnen. Neben dem üblichen, stetig wachsenden Sportangebot ist heute vor allem die Onlinesportauswahl beträchtlich gestiegen. In den letzten Jahren, und gezwungenermaßen besonders in den aktuellen Zeiten der Corona-Pandemie, hat das virtuelle Sportangebot einen

87 Hermann Bausinger: Die schönste Nebensache... Etappen der Sportbegeisterung. In: Helmut Digel u.a. (Hg.):

Sportkultur. Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft, Bd. 6, Tübingen 2006, S. 15–

17, hier S. 27.

88 Vgl. Hermann Bausinger: Sind Vereine überholt? In: Helmut Digel u.a. (Hg.): Sportkultur. Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft, Bd. 6, Tübingen 2006, S. 43–59, hier S.55.

89 Vgl. Ebd., S.55.

(27)

24 regelrechten Boom erlebt. Nicht zuletzt diese leichte Erreichbarkeit von angeführten Trainings und Bewegungseinheiten, trägt zur steigenden Popularität und Ausübung von Sport bei.

3.3 Werte und Normen in Sport und Gesellschaft

Nach der Analyse der Sportgeschichte der letzten Jahrhunderte sollte nun klar ersichtlich sein, dass der Sport maßgeblich von der Gesellschaft und von aktuellen politischen und sozialen Gegebenheiten beeinflusst wird. Der Sport entsteht also nicht außerhalb oder abgegrenzt von einer Gesellschaft, viel eher kann er als Reflexion dieser gesehen werden. Er ist quasi ein Mikrokosmos sämtlicher kultureller, politischer, gesellschaftlicher und sozialer Aspekte im jeweiligen Kontext90 oder wie Otmar Weiß es passend zusammenfasst: „Der Sport ist ein Spiegel des Werte- und Normensystems, beziehungsweise Ausdruck des soziokulturellen Systems jener Gesellschaft, in der er etabliert ist.“91

Um die Zusammenhänge der Werte und Normen von Gesellschaft und Sport darzustellen, sollen im folgenden Abschnitt einige davon gegenübergestellt werden. Dafür soll beispielhaft vom „perfekten Arbeitnehmer/von der perfekten Arbeitnehmerin“ und vom „perfekten Sportler/von der perfekten Sportlerin“ ausgegangen werden:

Gesellschaft –

der perfekte Arbeitnehmer/die perfekte Arbeitnehmerin

Sport –

der perfekte Sportler/die perfekte Sportlerin

Leistungsdruck

Es wird immer die beste Leistung erwartet.

Leistungsdruck

Es wird immer die beste Leistung erwartet.

Selbstoptimierung Man ist nach ständiger Selbstoptimierung bestrebt (Weiterbildungen).

Selbstoptimierung Man ist nach ständiger Selbstoptimierung bestrebt.

Leistungssteigerung Man ist ständig bestrebt noch bessere

Leistungen zu erzielen (Abschlüsse, Projekte).

Leistungssteigerung Man ist ständig bestrebt noch bessere

Leistungen zu erzielen (Rangfolge, Ergebnisse).

Erfolgsstreben /Zielstrebigkeit Man ist ständig bestrebt eine gute Leistung zu erarbeiten.

Erfolgsstreben /Zielstrebigkeit Man ist ständig bestrebt sein Ziel zu erreichen (eine bestimmte Übung, eine bestimmte Zeit).

Eigenmotivation

Man muss immer motiviert sein zu arbeiten.

Eigenmotivation

Man muss immer motiviert sein, Sport zu betreiben.

Konsequenz/Durchhaltevermögen/Disziplin Man muss konsequent arbeiten, auch wenn man durch andere Faktoren belastet ist.

Konsequenz/Durchhaltevermögen/Disziplin

90 Vgl. Otmar Weiß: Einführung in die Sportsoziologie. Wien 1999, S. 30.

91 Vgl. Otmar Weiß: Sport und Gesellschaft, S. 68.

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