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Definitionen und Fantypen in der Wissenschaft

4 Sport und Fans

4.1 Definitionen und Fantypen in der Wissenschaft

Beginnen wir zunächst mit der Etymologie des Wortes. Der mittlerweile ins Deutsche eingebürgerte Terminus Fan leitet sich vom englischen „fan“, der Kurzform von „fanatic“ ab und kann mit Fanatiker/Fanatikerin oder mit dem Adjektiv fanatisch übersetzt werden. Der englische Begriff wiederum geht auf das Lateinische „fanaticum“ (fanatisch) zurück. Im Duden werden die Fans schlicht als begeisterte Anhänger von etwas oder jemanden beschrieben.139 In der Literatur wird der Fan häufig mit starken Emotionen und Leidenschaft assoziiert. Dies könnte auf den englischen Ursprung zurückzuführen sein. Der Fanatiker oder die Fanatikerin wird nämlich als „Person, die von bestimmten Ideen, einer bestimmten Weltanschauung o. Ä.

so überzeugt ist, dass sie sich leidenschaftlich, mit blindem Eifer [und rücksichtslos] dafür einsetzt140“ definiert. In der englischen Literatur wird zudem meist kein Unterscheid zwischen dem Fan und dem Fanatiker, der Fanatikerin gemacht141.

139 Vgl. Bibliographisches Institut GmbH (Hg): In: Duden, 2020. Online verfügbar:

https://www.duden.de/rechtschreibung/Fan (Zugriff: 09.12.2020).

140 Bibliographisches Institut GmbH (Hg): In: Duden, 2020. Online verfügbar:

https://www.duden.de/rechtschreibung/Fanatiker (Zugriff: 09.12.2020).

141 Vgl. Jochen Roose/Mike S. Schäfer/Thomas Schmidt-Lux: Einleitung. Fans als Gegenstand soziologischer Forschung. In: Jochen Roose/Mike S. Schäfer/Thomas Schmidt-Lux (Hg.): Fans: soziologische Perspektiven.

Wiesbaden 2017. S. 1–18, hier S. 3–4.

44 Jochen Roose, Martin S. Schäfer und Thomas Schmidt-Lux nehmen den emotionalen Aspekt in ihrer Definition ebenso auf. Sie beschreiben einen Fan wie folgt:

„Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren.“142

In dieser Erläuterung lassen sich also vier Kernpunkte finden: Erstens, die emotionale und leidenschaftliche Bindung. Zweitens, die andauernde, längerfristige Bindung. Hierbei merken die Autoren die Schwierigkeit dieses Faktors an, denn es kann nicht bestimmt werden, wie lange eine Person dem Objekt emotional verbunden sein muss, um als Fan zu gelten. Drittens, das Fantum, welches immer mit einem bestimmten öffentlichen und externen Fanobjekt verbunden ist, sei es eine Person, ein Verein oder eine Musikgruppe. Viertens, Geld und Zeit was für die Bindung, beziehungsweise das Objekt aufgewendet wird.143

Kurt Weis hält seine Definition wesentlich schlichter. Als Fans bezeichnet er eine diffuse Gruppe aus treuen Anhängern und Anhängerinnen eines Vereins, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Allerdings nimmt er zusätzlich eine Unterscheidung der verschiedenen Fantypen vor:

 „ „Normale“, unauffällige Jugendliche,

 Jugendliche in Fan-Kleidung (mit Vereins- und Fan-Club-Farben, Schals, Abzeichen, Fahnen), sog. Kuttenfans, darunter meist

o organisierte (vom Verein offiziell anerkannte) Fans, dabei auch

o „wilde“ Fans (die einem Verein nicht anerkannten Fan-Club angehören),

 früher in Farben und heute wieder in „zivil“ gehende Fans, die unerkannt bleiben wollen aus Angst oder auch, um von Gegner und Polizei unkontrolliert ihr eigens Unwesen treiben zu können,

 im Stadion meist nur kleinere Gruppen von (nach den jeweiligen Trends) Rockern, Bomberjacken, Hooligans, Skinheads, die teilweise nicht aus dem Fußballbereich stammen, dort aber Randbereiche für ihre Auftritte und gelegentliche Verbrüderung oder Kämpfe mit anderen brutalen Fan-Gruppen finden.“144

142 Roose/Schäfer/Schmidt-Lux: Einleitung. Fans als Gegenstand soziologischer Forschung, S. 3.

143 Vgl. Roose/ Schäfer/Schmidt-Lux: Einleitung. Fans als Gegenstand soziologischer Forschung, S. 4–5.

144 Kurt Weis: Identitätssuche und Ausschreitungen von Fan-Gruppen. Kulturstudien Band 23, In: Hubert Ch.

Erhalt/Otmar Weiß (Hg.): Sport zwischen Disziplinierung und neuen sozialen Bewegungen. Wien/Köln/Weimar 1993, S. 196–228, hier S. 204–205.

45 Spannend bei dieser Unterscheidung ist, dass Weis klar zwischen Jugendlichen und älteren Fans unterscheidet. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass in den 80er und 90er Jahren vermehrt jugendliche Fans im Fokus standen und nicht die gesamte Fangemeinschaft.

Eine weitere Typisierung nimmt Joanne Mackellar vor, indem sie vier Fangruppen unterscheidet:

1. „social segment“: Der soziale Aspekt der Veranstaltung steht für diese Personen im Vordergrund.

2. „dabblers“: Die Personen haben ein spezifisches, jedoch noch recht eingeschränktes, Wissen über das Fanobjekt und investieren bereits Zeit und Geld.

3. „fans“: Sie verfügen über ein ausgiebiges Wissen über das Fanobjekt, besuchen gezielt die Veranstaltungen, investieren viel Zeit und Geld und besitzen eine umfangreiche Sammlung an Fanartikeln.

4. „fanatics“: Das Fanobjekt ist ein zentraler Punkt in ihrem Leben. Sie sind bei jeder Veranstaltung anwesend, scheuen dafür keine Kosten und Mühen und sind intensive Mitglieder der Fanclubs.145

Ursprünglich wurde diese Unterscheidung anhand von Musikfans eines Konzerts getroffen, sie lässt sich jedoch auch sehr gut auf die Sportfans umlegen.

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Thomas Schmidt-Lux, wenn er auf Niklas Luhmanns Typisierung der drei Dimensionen sozialer Systeme zurückgreift und diese auf das Fantum ummünzt. Schmidt-Lux konzentriert sich bei der sachlichen, der sozialen und der zeitlichen Dimension vor allem auf die Alltagspräsenz des Fanobjekts.146

Unter der sachlichen Dimension versteht er die Aktivitäten, die Fans regelmäßig und gezielt ausüben: Das Konsumieren und Informieren von und über Faninhalte, das Sammeln von Fanmaterial, das Reisen zu speziellen Veranstaltungen, das Produzieren, worunter etwa das Erstellen von Fanpages und Fanforen fällt, sowie das Protestieren bei unakzeptablen, brisanten Ereignissen oder Entscheidungen. Die soziale Dimension hingegen behandelt die Interaktion von und mit Fans. Dabei ist besonders das Gemeinschaftsgefühl von großer Bedeutung. „A key appeal of fan groups is the sense of being part of a community, of sharing an enthusiasm with

145 Vgl. Thomas Schmidt-Lux: Fans und alltägliche Lebensführung. In: Jochen Roose/Mike S. Schäfer/Thomas Schmidt-Lux (Hg.): Fans: soziologische Perspektiven. Wiesbaden 2017, S. 133–160, hier S. 135.

146 Vgl. Ebd., S. 139

46 others who will understand147“, wie es Will Brooker passend ausdrückt. Als dritte und letzte Dimension – der zeitliche Aspekt. Fans investieren sehr viel Zeit in ihr Fanobjekt. Durch die Regelmäßigkeit kann hier auch von einer Art Ritualisierung gesprochen werden.148

Almut Sülzle vertritt die Ansicht, dass Grenzziehung nach außen hin typisch für jede Fanszene ist. Diese Abgrenzung funktioniert über die Differenzierung vom „echten“ Fan und dem

„sogenannten“ Fan, oder anders ausgedrückt vom „Fan“ und dem „Nicht-Fan“. Die Grenzen und Verhaltensregeln sind dabei jedoch keinerlei universal zu sehen, sondern sie werden je nach Fangruppe immer wieder neu definiert und festgelegt. In ihrer Publikation „Fußball, Frauen, Männlichkeiten“ legt sich Sülzle nicht direkt auf eine von ihr bestimmte Begriffsdefinition fest, viel eher lässt sie ihre Interviewpartner und –partnerinnen aus den Reihen der Kickers-Offenbach-Fans zu Wort kommen, was zu einer sehr interessanten Herleitung führt. Um den

„echten“ Fan und dessen Wesen demnach tatsächlich beschreiben zu können, wird zunächst analysiert was ein echter Fan nicht ist.149

Keine Fans sind zum einen Besucher, die nicht des Spiels willen ins Stadion kommen, wie zum Beispiel Politiker, Geschäftsleute, Freundinnen der „echten“ Fans oder Spielerfrauen. Zum anderen gibt es „Konsumfans“, die lediglich spannende Spiele besuchen. Sie werden auch als

„Schönwetterfans“, „Eventfans“ oder „Erfolgsfans“ bezeichnet. Bei dieser Unterscheidung lassen sich Ähnlichkeiten zu Wilhelm Heitmeyer und Jörg-Ingo Peters Klassifizierung der konsumorientierten, der erlebnisorientierten und der fußballzentrierten Fans beobachten.

Innerhalb des letzten Typus, dem fußballzentrierten Fan, welcher der Mannschaft absolute Treue entgegenbringt, werden zudem weitere Gruppen unterschieden. Diese werden wiederum mit dem „echten“ Fan in Kontrast gesetzt. Hier wäre etwa der „Fußballtrainer“, beziehungsweise die „Fußballtrainerin“ zu erwähnen. Diese Art von Fan kritisiert jeden Spielzug und weiß seines beziehungsweise ihres Erachtens alles besser. In der Folge wird dieser Typus abgewertet, weil er der Mannschaft nicht positiv genug verbunden ist.150

Was ist nun der „echte“ Fan in den Augen dieses Forschungsfeldes? Sülze fasst die getätigten Abgrenzungen des Forschungsfeldes wie folgt zusammen:

147 Will Brooker: “It Is Love”: The Lewis Carroll Society as a Fan Community. In: American Behavioral Scientist, März 2005, 48(7). Online verfügbar:

https://www.researchgate.net/publication/38178035_It_Is_Love_The_Lewis_Carroll_Society_as_a_Fan_Comm unity, 859–880, hier S. 863.

148 Vgl. Schmidt-Lux: Fans und alltägliche Lebensführung, S. 140–155.

149 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 117–118.

150 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 118–120.

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„Zentral ist die Treue zum Verein „in guten wie in schlechten Zeiten“, die Ausdruck einer tiefen emotionalen Verbundenheit ist. Das Fansein wird durch Leid bekräftigt.

Es fordert Mut zum Leiden, nur durch das gemeinsame Durchleiden schlechter Zeiten wird der Fan zum „echten Fan“ geadelt oder gar gestählt.“151