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Die Entstehung des modernen Sports vom 18. bis ins 20. Jahrhundert

3 Sport und Gesellschaft

3.1 Die Entstehung des modernen Sports vom 18. bis ins 20. Jahrhundert

Um das 18. Jahrhundert setzte sich der Begriff des Sports, wie bei der epistemologischen Herleitung bereits kurz erwähnt, von Großbritannien ausgehend durch. Großbritannien ist zudem das Land, welches als Geburtsort des modernen Sports angesehen wird.66 In den ersten Jahren des Jahrhunderts wurden Sportereignisse stark durch ihren Jahrmarktcharakter ausgezeichnet und waren somit vor allem durch Sensation und Unterhaltung geprägt. Parallel dazu entwickelten sich die ersten groß organisierten Sportwettkämpfe. Besonders Rudern, Pferderennen, Boxen und Cricket standen hierbei im Vordergrund.67

Die Wettkämpfe jener Zeit können jedoch nicht mit denen der Gegenwart verglichen werden.

Im Unterschied zum heute nicht enden wollenden Streben nach Rekorden, waren die Sportereignisse im 18. Jahrhundert lediglich Momentaufnahmen. Natürlich wollten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch damals gewinnen, doch es wurden keinerlei Vergleiche

66 Vgl. Allen Guttmann: From Ritual to Record: The Nature of Modern Sports. New York 2012. S 57.

67 Vgl. Ilse Hartmann-Tews: Sportentwicklung in Europa unter Einbeziehung von Frauen. In: Das Parlament.

Aus Politik und Zeitgeschichte (24.06.2004), 31–38, hier S. 31.

16 zu vergangenen Wettkämpfen gezogen, wie wir es heute kennen. Das Motto „Schneller, höher, weiter“ galt jeweils nur für das spezifische Sportereignis.68

Nicht nur das Zusehen bei Sportereignissen, welches nach wie vor eher der Bourgeoisie vorbehalten blieb, gewann an Popularität, auch das aktive Ausüben wurde in ihren Kreisen immer präsenter. Zu diesem Zwecke gründeten Landadel und städtische Aristokratie zahlreiche exklusive Sportclubs. Einer der bekanntesten war wohl die 1754 gegründete „Society of St.

Andrews Golfers“, welche kurz darauf durch den König zum „Royal and Ancient Club of St.

Andrews“ umbenannt wurde. Schon damals galt diese Institution als die wichtigste für die Golfgemeinschaft in Großbritannien und fungiert auch noch heute als Dachverband des Golfsports des Inselstaates.69

Die Industrielle Revolution

Mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und verstärkt im 19. Jahrhundert zeichneten sich große Veränderungen ab. Von Großbritannien ausgehend breitete sich die industrielle Revolution über Westeuropa und Amerika aus. Die Zeit war geprägt von Fortschritt und zukunftsweisenden Erfindungen, wie der Dampflokomotive, dem mechanischen Webstuhl oder der häufig als Synonym für die Industrialisierung stehenden ersten Spinnmaschine „Spinning Jenny“. Der Umschwung von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft wurde eingeläutet.

Schritt für Schritt wichen kleine Manufakturen großen Fabriken, die Produkte wesentlich schneller und kostengünstiger erzeugen konnten.

Die rasant wachsenden Industriestädte zogen auch die teils in ärmlichen Zuständen lebende bäuerliche Bevölkerung der ländlichen Regionen an, was das Wachstum umso stärker beschleunigte. Viele Menschen fanden in den Fabriken zwar Arbeit, doch die sozialen Verhältnisse verschlechterten sich rapide. Die Zeit war geprägt von Ausbeutung, sozialen Missständen, schlechten Wohnverhältnissen und erschreckend langen Arbeitstagen. Die Kluft zwischen den mittellosen Arbeitern und Arbeiterinnen und den kapitalistisch geprägten Fabrikbesitzer und -besitzerinnen vergrößerte sich immer mehr.

Nicht nur die Arbeitswelt wurde von den Umwälzungen der industriellen Revolution beeinflusst. Die Veränderungen drangen in jeden Lebensbereich vor, so auch in den des Sports.

68 Vgl. Michael Maurer: Die Entstehung des Sports im 18. Jahrhundert. In: Europäische Geschichte Online (EGO) (2010): http://ieg-ego.eu/de/threads/modelle-und-stereotypen/anglophilie/michael-maurer-die-entstehung-des-sports-in-england-im-18-jahrhundert (Zugriff: 20.11.2020).

69 Vgl. Ilse Hartmann-Tews: Sportentwicklung in Europa unter Einbeziehung von Frauen, S. 31.

17 Hierbei muss zwischen zwei Ausprägungen unterschieden werden: Zum einen der Sport der Unterschicht, zum anderen der Leistungssport.

Beginnen wir zunächst mit der neuen Popularität des Sports unter der arbeitenden Bevölkerung.

Die tägliche Arbeit in den Fabriken war meist durch stumpfsinnige, eintönige und bewegungsarme Fließbandarbeit gekennzeichnet. Viele Arbeiter und Arbeiterinnen erkannten im Sport einen Ausgleich für die Monotonie in ihrem Leben. Nach und nach drangen sie somit in den einstmals eher exklusiv den oberen Gesellschaftsschichten vorbehaltenen Sport ein.

Bezüglich der Sportarten zog es sie jedoch in eine andere Richtung. Sie tendierten zu Mannschaftssportarten und so wurde beispielsweise der Fußball zum inoffiziellen Sport der arbeitenden Bevölkerung.70

Karl Marx sah in der sportlichen Betätigung der Arbeiterschaft auch für die kapitalistischen Fabrikleiter und -leiterinnen Vorteile. Marx war der Ansicht, dass der Sport zum einen positive Auswirkungen auf Körper und Geist habe und somit die Gefahr, Arbeiter und Arbeiterinnen durch Krankheit zu verlieren, reduziert werden könne. Zum anderen habe das Ausüben von Sport seiner Ansicht nach die Erhaltung der maximalen Arbeitskraft als Hauptziel.71

Zudem entwickelte sich der Sport in eine weitere Richtung. Wo früher die Belustigung und Unterhaltung der Zuseher im Vordergrund stand, begann mit der Industrialisierung das Umdenken in Richtung Leistung, Konkurrenz und Rekord. Die gleichen Werte, die in der Arbeitswelt vorherrschten, wurden auf den Sport umgemünzt.72

Mit dem Fortschreiten der Industriellen Revolution durchlebte der Sport Mitte des 19.

Jahrhunderts eine Ausdifferenzierung. Immer mehr Sportarten zogen in den Alltag, vor allem in jenen des Bürgertums, ein. Teile der über die letzten Jahrzehnte gegründeten Clubs öffneten nun auch ihre Türen für Frauen. Häufig hatten diese jedoch nach wie vor nur beschränkten Zutritt sowie, im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen, kein Stimmrecht bei Abstimmungen. Da sich viele Vereine aber immer noch weigerten, gemeinsam Wettkämpfe für Frauen und Männer anzubieten, wurden ab den 1880er Jahren eigens für Frauen bestimmte Sportclubs und damit auch Wettkämpfe ins Leben gerufen.73

70 Vgl. Guttmann: From Ritual to Record, S. 57–59.

71 Vgl. Ebd., S. 59.

72 Vgl. Ebd., S. 69.

73 Vgl. Ebd., S. 32.

18 Der Aufstieg des modernen Sports im 20. Jahrhundert

Mit dem Einzug des 20. Jahrhunderts ging auch die immer größere Beliebtheit des aktiven, wie auch passiven Sports einher. Besonders beim Fußball lässt sich die Entwicklung sehr gut beobachten. Die bis dato eher zu Gewalt neigende und der Arbeiterklasse vorbehaltene Sportart Fußball, entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts in eine neue Richtung. In Großbritannien, dem Herkunftsland des Ballsports, erkannten die Lehrer und Lehrerinnen der „Public Schools“

der Mittelschicht den charakterformenden Wert dieser Sportart. Die jungen Männer sollten durch das Spiel Teamgeist, Fair Play und Selbstbeherrschung erlernen. Um der Gewalt während des Spiels entgegenzuwirken, wurde ein Regelwerk entwickelt, welches auch heute noch als Basis der modernen Fußballregeln gilt.74

Durch Handelsbeziehungen beziehungsweise Aufenthalte auf der britischen Insel schwappte die Sportart Anfang des 20. Jahrhunderts auf Mitteleuropa über. In den Anfangsjahren wurde der Sport zumeist von der aufstrebenden bürgerlichen Schicht ausgeübt. So war die deutsche Nationalmannschaft vor dem Ersten Weltkrieg fast ausschließlich mit Akademikern besetzt.

Parallel dazu fanden im deutschen Sprachraum immer mehr Arbeiter das Interesse am Fußball und gründeten in den Jahren vor dem Krieg die ersten Fußballvereine. Doch auch die Kirche und große Firmen trugen zur Verbreitung des Sports in der arbeitenden Schicht bei. Während für die Kirche als Hauptgrund des Fußballangebots galt, dass Jugendliche von den Straßen geholt werden sollten, hatten Firmen mit ihren Betriebsmannschaften eher eigennützigere Ziele im Sinn. Durch die Spiele sollte die Gesundheit und die Disziplin der Mitarbeiter gefördert werden und diese sollten damit vor allem stärker an die Firmen gebunden werden.75

Die Zwischenkriegsjahre sollten als Sprungbrett des Fußballs in Deutschland und Österreich fungieren. Die Soldaten kehrten in ihre Heimat zurück und brachten auch vielerorts den Fußball mit, den sie während des Krieges kennengelernt hatten. In Deutschland verzeichnete man 1930 etwa 140.000 Männer in Mannschaften der Arbeitersportbewegung sowie über 900.000 Mitglieder im Deutschen Fußball-Bund (DFB), vorwiegend mit Herkunft aus den unteren Bevölkerungsschichten.76 In Wien lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten. Fußball wurde auch hierzulande nicht nur zum aktiv betriebenen Sport, sondern ebenso als Zuseherspektakel zu einem sozialen Massenphänomen77.

74 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 82.

75 Vgl. Ebd., S. 82–83.

76 Vgl. Ebd., S. 84.

77 Vgl. Roman Horak/Wolfgang Maderthaner: Mehr als ein Spiel. Fußball und populäre Kulturen im Wien der Moderne. Wien 1997, S. 21.

19 Schneller, höher, weiter

In den folgenden Jahren war der Sport vom immer stärker werdenden Leistungsprinzip bestimmt, eine ähnliche Entwicklung, die sich auch mit dem Fortschreiten der Industriellen Revolution in Großbritannien abzeichnete. Das bis dahin geltende Prinzip des „sportsman“, welches sich vom „gentleman“ ableitete, hatte keinen Platz mehr. Das verstärkte Verlangen nach maximaler Leistung wurde auch nicht unwesentlich vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägt. Der Sport erfuhr eine zunehmende Orientierung in Richtung Wettbewerb und Kommerzialisierung. 1932 wurde in Deutschland die erste Fußballprofiliga eingeführt, die jedoch schon ein Jahr später mit Verweis auf die „jüdische Kommerzialisierung“ des Sports aufgelöst wurde. Spätestens ab diesem Zeitpunkt lässt sich der Zusammenhang von Politik und Sport wohl nicht mehr von der Hand weisen.78

Die Welt wurde erneut von einem fürchterlichen Krieg erschüttert. Schon wieder standen viele Menschen vor dem Nichts, waren gezeichnet von Not, Trostlosigkeit und Armut. Im Sport fanden die Bürger und Bürgerinnen erneut eine willkommene Fluchtmöglichkeit aus ihrem tristen Alltag, wie es auch Hermann Bausinger sehr trefflich formulierte:

„Der Sport verkörperte gerade in seiner Nutzlosigkeit ein Stück Freiheit. Er bewies, dass sich die Anstrengungen nicht darin erschöpften, das nackte Überleben zu sichern, er führte aus dem isolierten Kampf ums tägliche Brot für die Familie hinaus in einen Raum der Kameradschaft, der Gesellung und Geselligkeit.“79

Der Sport bot ihnen nicht nur ein wenig Normalität, sondern auch ein Stück Heimat.

Besonders stark trat in den Nachkriegsjahren das Gefühl der Gemeinsamkeit im Sport in den Vordergrund. Die Wiederaufbauarbeiten verbanden die Bevölkerung und so wich der Konkurrenzgedanke vorerst jenem der Gemeinschaft. Zahlreiche der im Nationalsozialismus verbotenen Sportvereine wurden wiederbelebt sowie neue gegründet. Viele von ihnen wurden als sogenannte „Allsport-“ oder „Gemischtvereine“ ins Leben gerufen, um für die ohnehin schon stark vom Gefühl der Gemeinschaft geprägten Gesellschaft als zusätzlich neutralisierendes Mittel zu wirken.80

Mit der Verbreitung von Radio und Fernsehen in den Haushalten zog auch der Sport in viele Häuser ein. Sportberichte waren nun nicht mehr lediglich in den Zeitungen zu lesen, sondern

78 Vgl. Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 84–85.

79 Hermann Bausinger: Sport seit 1945 - Tendenzen und Entwicklungen. In: Helmut Digel u.a. (Hg.):

Sportkultur. Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft, Bd. 6, Tübingen 2006, S.30–

42, hier S. 33.

80 Vgl. Ebd., S.33–34.

20 flackerten über den Bildschirm und dröhnten aus den Boxen. Die verstärkte Vertretung von Sport in den Medien und die damit einhergehende größere Reichweite, trugen maßgeblich zum steigenden Interesse am Sport der Bevölkerung bei. Von nun an konnten auch jene Personen an den Sportereignissen ein Stück weit teilhaben, die nicht live vor Ort waren.

In Österreich führte die Popularität zur Gründung beziehungsweise Umgestaltung von einigen namenhaften Sportverbänden, die noch bis heute bestehen. Der 1889 gegründete ASKÖ (Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich) erklärte sich bereit, sich von nun an auch an Sportveranstaltungen von bürgerlichen Vereinen zu beteiligen. 1945 wurde die

„Österreichische Turn- und Sport-Union“ gegründet, die heute nur mehr den Namen SPORTUNION trägt81, sowie vier Jahre später der dritte Dachverband des österreichischen Sports, der ASVÖ („Allgemeiner Sportverband Österreichs“)82.

Während des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er und 1960er Jahre, auch als Wirtschaftswunder bekannt, war die Gesellschaft von Konsum, Geld, kürzeren Arbeitszeiten und Wertewandel geprägt. Die dadurch freigewordenen Ressourcen wurden zunehmend auch vermehrt in den Sport investiert. Ähnlich wie wir es schon bei den Entwicklungen während der industriellen Revolution beobachten konnten, richtete sich der Sport auch zu dieser Zeit wieder verstärkt in zwei Richtungen aus. Neben dem wachsenden Sektor des Freizeitsports wurde besonders dem professionellen Leistungssport ein Augenmerk geschenkt. Man erkannte das wirtschaftliche Potenzial des Leistungssports und den damit einhergehenden Massenveranstaltungen und Werbeeinnahmen. Der kommerzialisierte Sport wurde somit zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der zweiten Republik.83