ÜBER NUNATION IN AFRIKANISCHEN SPRACHEN
Von J. Lukas, Hamburg
1. Nunation' wird in der semitischen Sprachwissenschaft als Terminus für
ein Suffixmorphem verwendet, das vor allem an einen großen Teil der No¬
mina des klassischen Nordarabischen antreten kann und Indetermination
bezeichnet. Das vom Namen des Buchstaben n (nuun) abgeleitete Wort hat
sich als brauchbare Bezeichnung für eine augenfällige Erscheinung einge¬
bürgert und soll auch im Folgenden für die Behandlung afrikanistischer
Probleme übernommen werden. Unter den Bestandteilen des Morphem¬
komplexes, den ein arabisches Nomen - wenigstens in vielen Fällen - dar¬
stellt, steht die Nunation an letzter Stelle; sie folgt also den Kasusmor¬
phemen, und diese der Nominalwurzel.
2. Stellen wir uns nun die Frage, ob sich in afrikanischen Sprachen ähn¬
liche Erscheinungen der Nunation nachweisen lassen. Versuche dieser
Art werden zunächst auf dem Gebiete der hamitischen Spraohen Erfolg
versprechen. In den folgenden Untersuchungen soll aber der Kreis der
behandelten Sprachen noch weiter eingeschränkt werden und nur die
wenig bekannten tschadohamitischen Sprachen umfassen.
3. In einer kürzlich erschienenen Arbeit hat Renate Lukas^ die Struk¬
tur des Nomens in der west-tschadohamitischen Sprache der Bade (Bäd6)
in Nord-Nigerien untersucht und gezeigt, daß diese Sprache viele Eigen¬
tümhchkeiten des Hamitischen in der Morphologie des Nomens bewahrt
hat. Dies gilt besonders von der Bewahrung des grammatischen Geschlechts
und vom Formemeichtum der Pluralbildung. Im Folgenden soll ein kurzer
Überblick über die Struktm des Nomens im Bade gegeben werden.
4. Das Nomen im Bade ist ein Komplex, d. h. es besteht aus mehreren
zu einer Einheit verschmolzenen Elementen. Der Minimalkomplex des
Badenomens setzt sich zusammen aus der Nominalwurzel, dem Stammvokal
und der Nunation. Die Nunation, d. h. das Suffix -n, ist Kennzeichen der
unbestimmten Form des Nomens. Innerhalb des Nominalkomplexes nimmt
sie die Endposition ein. Sie kommt sowohl in Singular- als auch in Plural¬
formen vor. Zizsammengesetzte Nomina mit mehr als einer Nominal wurzel
' Eine detaiUierte Darstellung dieses Themas erscheint in Kürze imter dem
Titel „Ntmation in afrikanischen Sprachen" im ANTHROPOS.
* Das Nomen im Bode (Nordnigerien). Afrika und Übersee Bd. LI, S. 91-116,
198-224.
über Nunation in afrikanischen Sprachen 1093
haben nur eine Nunation, die dann auch grenzsignahsierende Funktion für
den Nominalkomplex hat. In der determiiüerten Form fehlt die Nunation.
Kennzeichen der Determination ist ein suffigiertes Element -uu, das zur
Nunation in komplementärer Distribution steht und so ein unmißver¬
ständliches Zeichen für die Bedeutung der Nunation im heutigen Sprach¬
zustand des Bade bildet.
5. Nach der Untersuchung des Bade, in dem eine bedeutungsvolle Nuna¬
tion faßbar war, fragt es sich, ob sich auch in anderen westtschadohami¬
tischen Sprachen ähnliche Phänomene greifen lassen. Eine Sprache, in der
von der Nunation allerdings nur nooh Spuren vorhanden sind, ist das Hausa.
Die Silbenstruktur des Hausa läßt am Silbenende nur eine verhältnismäßig
kleine Anzahl von konsonantischen Phonemen zu, unter denen sich n be¬
findet. Unter den auf -n endenden Wörtern des Grundwortschatzes be¬
findet sich auch das Wort für ,, Mensch" mutun, dessen konsonantisches
Wurzelgerüst vom Standpunkt des Hausa her gesehen aus mtn besteht,
was z. B. durch den Plural mutäanee bekräftigt wird. Ein anderes Bild er¬
gibt sich aber, wenn man dieses Hausa-Morphem mit dem bedeutungs¬
gleichen Morphem des Bade mdon vergleicht. Wie aus den oben gemachten
Ausführungen hervorgeht, besteht dieser Nominalkomplex aus der Wurzel
md, dem Stammvokal o und der Nunation. Vom Badewort ausgehend
kommen wir also zu dem Schluß, daß das Hausanomen aus einer im Hausa
nicht mehr lebendigen und durch einen Zusatz erweiterten Wurzel mut¬
besteht. Der Zusatz ist das Element -n, das der Nunation im Bade ent¬
spricht. Der Vergleich gewinnt noch an Überzeugungskraft, wenn man die
Plm-alformen nebeneinanderstellt, denn Bade md-a-n entspricht Hausa
mut-aa-n-ee ,, Menschen" bis auf das Pluralsuffix -ee.
6. Das Hansa-Nomen mutun ist ein Vertreter der auf Konsonant endenden
Nomina. Die Mehrzahl der Hausa-Nomina endet aber auf einen Vokal. In allen
diesen Pällen müßte die Nunation in das Morpheminnere verdrängt und als -n-
vor dem letzten Vokal erhalten sein, ohne vom vergleichenden Standpunkt aus
zur Wurzel zu gehören. Hier bieten sich zunächst drei Nomina an, bei denen
eine Nunation zu vermuten wäre, ohne daß allerdings eine Aussage über
ihre Funktion gemacht werden könnte. Das eine dieser Nomina ist suunaa
,,Name". Die ihm zu Grunde liegende Wurzel ist *sum-, dessen -m nach
einem morphophonemischen Wandel zu -u geworden ist. Das Nomen ist
infolgedessen in die Bestandteile sum-n-aa zu zerlegen . Nominalstammbilden¬
de Auslautvokale sind im Hausa weit verbreitet. Sie entsprechen, mit eini¬
gen Vorbehalten, den Stammvokalen des Bade, die in dieser Sprache aller¬
dings nicht am Ende des Morphemkomplexes stehen, sondern an vorletzter
Stelle vor der Nimation. Es handelt sich also hier um einen anderen Tat¬
bestand als im Hausa, wo die Nunation vor dem auslautenden Vokal stehen
muß. In der rekonstruierten Form sum-n-aa steht das Element -n- auch
1094 J. Lukas
tatsächlich dort, wo wir es erwarten. Andere Wörter dieser Art sind hannuu
,,Hand" rmd tukunyaa ,, Kochtopf"; für beide Wörter ergäben sich etwa
folgende Zerlegungsmöglichkeiten: tuku-n-yaa bzw. han-n-uu. Auch hier
zeigt sich, daß die Wurzeln wohl ursprünglich kürzer anzusetzen sind, als
sie uns in ihrer heutigen Form entgegentreten. Der Vergleich mit den ent¬
sprechenden Bade-Nomina 'am-a-n ,,Hand" und gu-Skw-a-n ,, Kochtopf"
zeigt, daß das -n- im Hausa als Spur einer ehemals vorhandenen Nunation
anzusehen ist.
7. Die vorangegangenen Ausführungen mögen die Richtung andeuten,
in der man fortzuschreiten hätte, um im Hausa noeh weitere Spuren der
Nunation aufzudecken. Im Folgenden sollen einige Erscheinungen aus der
mittleren Gruppe der tschadohamitischen Sprachen, und zwar aus der
Sprache der Masa in Kamerun, untersucht werden, die im Zusammenhang
mit dem behandelten Thema von außerordentlichem Interesse sind. In
dieser Sprache finden sich die Morpheme -na und -ta. Sie sind nominale
Klassenanzeiger und kennzeichnen die maskulinen bzw. femininen Nomina,
sind jedoch gegenüber Determination bzw. Indetermination indifferent.
Es gibt aber zusätzlich Morpheme, mittels derer die Indetermination aus¬
gedrückt wird. Die Determination wird durch Demonstrativa gekennzeich¬
net. Es heißt also sa-na ,,Mann", mit dem Klassenanzeiger -na an den No-
minalstamm suffigiert. Die indeterminierte Form lautet sa'a ,,ein Mann".
Die determinierte Form, durch das Demonstrativ signalisiert, lautet san
keine ,, dieser Mensch". Der Abfall des Endvokals des Klassenanzeigers
kann unter bestimmten Bedingungen stattfinden, und zwar dann, wenn der
Nominalstamm airf Vokal endet. Entsprechend liegen die Verhältnisse be"
dem femininen Klassenanzeiger -ta, bei dem wir in Parallele zmr Nxmatioi
von einer Ta'ation sprechen können.
8. Die aus den Klassenzeichen resultierenden Elemente -n und -t lassei
sich mm durch Vergleich auch in anderen Sprachen der west-tschadoha¬
mitischen Gruppe aufspüren. Bemerkenswert ist hierbei, daß offensichtlich
die Zugehörigkeit zu einer der beiden Nominalklassen von Sprache zu
Sprache schwanken kann, so daß einer Nunation im Masana eine Ta'ation
etwa im Matakam oder Muzgu entspricht. Eine Funktion ist der Ta'ation
wie auch der Nimation in diesen Sprachen nicht mehr zuzuordnen.
9. Es scheint nunmehr deutlich zu sein, daß Zusammenhänge zwischen
der Nunation des Bade und den nominalen Klassenanzeigern des Masana
bestehen, obwohl die Funktion der Elemente in den einzelnen Sprachen
im heutigen Sprachzustand unterschiedlich ist. Die Entwicklung läßt sich
folgendermaßen nachkonstruieren: Die Klassenzugehörigkeit wurde ur¬
sprünglich auch im Bade durch morphologische Mittel gekennzeichnet;
durch Ausfall des Endvokals der Klassenanzeiger hat sich aus morpho¬
phonemischen Gründen auch das -t der femininen Nomina nicht gehalten.
Uber Nunation in afrikanischen Sprachen 1095
so daß die für die Klassenunterscheidung wichtige Opposition -n ~ -t
verloren ging. Das Kennzeichen der ehemahgen Maskulina - etwa die
Hälfte der Nomina - hielt sich aber im Wortauslaut und war so charakte¬
ristisch, daß es schheßlich auf alle Nomina übertragen wurde. In diesem
Stadium hatte das Bade bereits eine determinierte Form auf -uu entwickelt,
und diesem standen nunmehr die Formen auf -n gegenüber und übernahmen
die Funktion der Indetermination. Die Nunation des Bade, in der eingangs
beschriebenen Form, war geboren.
10. Es zeigt sich hier wieder, wie sehr es sich bei vergleichenden Studien
empfiehlt, zunächst von einem eng gesteckten Rahmen auszugehen tmd
sich dm-ch Ähnlichkeiten oder sogar Identitäten bei räumhch weit getrenn¬
ten Sprachen nicht zu übereilten Rückschlüssen verleiten zu lassen. Äuf
räumhch engem Gebiet wird man eher die historische Entwicklung eines
Phänomens verfolgen und sie schärfer fassen können. Erst durch unsere
Untersuchung hat sich gezeigt, daß die Nunation im Bade gewiß keinen
direkten Zusammenhang mit der Nunation des klassischen Ärabisch hat.
Die Nimation im Bade und im Semitischen kann als Ergebnis unabhängiger
Entwicklungen in beiden Sprachbereichen angesehen werden, doch dürfte
das für die Nunation verwandte Morphem ein gemeinsames, uraltes Erb¬
stück sein.
73 Or.-Tg.
EINIGE BEMERKUNGEN ZUM VOKALSYSTEM
DES MANDARA
Von Heide Mirt, Hamburg
1. Die folgenden Ausführungen handeln von der Sprache der Mandara'.
Dieses Volk lebt in Nordkamerun und ist aus der Literatur bekannt dm-ch
seine Vasallenschaft zum Reiehe von Bornu und die politische Rolle, die es
in Nordkamerun durch Jahrhunderte ausübte^. Aber nicht nur von diesem
Standpunkt aus sind die Mandara interessant. Rezente Untersuchungen,
die im Seminar für Afrikanische Sprachen und Kulturen der Universität
Hamburg durchgeführt wurden, zeigen die Beziehungen der Mandarasprache
zum tschadohamitischen Sprachkreis*.
2. Wenn ich weiter unten ein Problem aus der Phonologie dieser Sprache
herausgreife, so ist dies nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt ge¬
schehen, auf die Besonderheit dieses Problems innerhalb der westafrika¬
nischen Sprachen hinzuweisen*. Es handelt sich um das Vokalsystem des
Mandara. Die folgenden Ausführungen müssen jedoch präliminäre Ver¬
suche bleiben, da wir heute noch nicht imstande sind, die phonologische
Struktur der Mandarasprache völlig klarzulegen^.
' Das Material zu den Untersuchungen zu der Sprache der Mandara stammt
aus den Sammlungen von J. Lukas, das er mir zur Bearbeitung übergeben hat.
Es handelt sich hierbei um zehn Fabeln und ca. 5000 Zettel.
^ Siehe darüber besonders H. Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und
Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Gotha 1857/58. Bd. II, S. 338, 347, Bd. III, S. 112-146. Siehe ferner J. Vossart, Histoire du Sultanat du Mandara.
Etudes Camerounaises, No. 35-36 (1953). S. 19-52.
' Uber das Problem der tschadohamitischen Sprachgruppen sielie besonders
J. Lukas, The Linguistic Situation in the Lake Chad Area in Central Africa.
Africa, vol. IX, 3 (1936). S. 332-349. Ferner D. Westermann and M. A. Bryan, The Languages of West Africa. Handbook of African Languages Part II. London
1952. S. 153-177. (Worin das Mandara nach früheren Vorschlägen von J. Lukas
nooh in eino hypothetische ,, tschadische" Gruppo eingeordnet ist.) Und schlie߬
hch J. H. Greenberg, Tlie Languages of Africa. Part II des International Jour¬
nal of American Linguisties, vol. 29, 1 (1963). S. 42-65.
* In diesem Zusammenhang möchte ich auf die von F. W. Parsons hervor¬
gehobene, mir des öfteren von J. Lukas mitgeteilte Tatsache hinweisen, daß aueh
das phonologische Vokalsystem des Hausa, soweit es sich in der Wurzel zeigt,
Eigentümlichkeiten offenbart, die es mit der hamito-semitisehen Spraehfamilie verknüpfen. Zeigt es sich doch, daß in den Hausawurzeln ein Zweivokalsystem (a, i ~ u) wirksam ist.
' Die Aufzeichnungen von J. Lukas sind phonetisch niedergeschrieben, und