Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 45⏐⏐11. November 2005 AA2977
S E I T E E I N S
D
er Hartmannbund (HB), der tra- ditionsreichste und größte Ärzte- verband in Deutschland mit fach- und sektorenübergreifender Mitglied- schaft, will sich künftig kämpferischer positionieren: gegenüber der Politik, in den Medien und in der Öffentlich- keit. Der neue Vorsitzende, Dr. med.Kuno Winn (60), MdL,Allgemeinarzt aus Hannover, dem es im dritten An- lauf gelang, bei der 52. HB-Hauptver- sammlung am 30. Oktober in Pots- dam die Nachfolge des 16 Jahre lang mit großer Mehrheit amtierenden HB-Vorsitzenden Dr. med. Hans- Jürgen Thomas (66), Allgemeinarzt aus Erwitte, anzutreten, bemühte die Grundsätze des Verbandsgründers Hermann Hartmann, der den HB als Kampfverband und als Interessen- wahrer aller Ärzte 1900 ins Leben rief.
Der neue Vorstand – Mitglieder aus Winns „Kompetenz-Team“ und
der neue Vize, Dr. med. Roland Quast (58), der dem alten Vorstand bereits angehörte – will die HB-Mit- glieder wieder stärker für die Interes- sen des Freiberuflers Arzt gewinnen – verbunden mit dem Bestreben, zu einer grundlegenden Reform im Gesundheitswesen zu kommen.
Obwohl der Verband keine ge- sundheitspolitische Kehrtwendung erwartet, sieht der Hartmannbund derzeit ein „verbandspolitisches Va- kuum“, das durch die Schwächung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV, teilweise auch der Ärz- tekammern, entstanden sei. Hier will sich der freie Verband engagieren und sich mit aller Kraft dirigistischen Tendenzen und der Errichtung neuer bürokratischer Hemmnisse entge- genstemmen. Die Ärzte und deren Körperschaften dürften nicht länger als Erfüllungsgehilfen und Vollzugs-
organe für politisch gewollte, strikt gedeckelte Budgets missbraucht werden. Die Aufhebung der sektora- len Grenzen und die Abschaffung jedweder Budgetierung seien unab- dingbare Voraussetzung, um die Po- tenziale des Marktes zu nutzen.
Chancen sieht der Hartmann- bund in einem umfassenden, künftig auch tarifvertraglichen Vertretungs- anspruch und in der Tatsache, dass inzwischen die „Arbeitskraft Arzt“
zur Mangelware geworden ist. Da- durch könne der Patient eher als Verbündeter des Arztes gewonnen werden. Eine angemessene, gerechte Honorierung der Ärzte in Praxis und Klinik ist für den Verband eine wesentliche Voraussetzung zur Er- haltung einer hochstehenden Ver- sorgung und zur Erhöhung der At- traktivität der ärztlichen Berufs- ausübung. Dr. rer. pol. Harald Clade
Hartmannbund
Neuer Kampfgeist
A
us der Not eine Tugend machen oder einer unangenehmen Sache für sich das Beste abgewinnen will der Deutsche Pflegerat (DPR). An- gesichts des Ärztemangels im Osten Deutschlands und der hohen Zahl chronisch Kranker in zahlreichen Regionen plädiert die DPR-Präsi- dentin, Marie-Luise Müller, für ei- ne Ausweitung der Kompetenzen hochqualifizierter Pflegekräfte. Sie verweist auf die Akademisierung und die Professionalisierung des von ihr vertretenen Berufsstandes. Pfle- gepraxen könnten Aufgaben der Prävention und Nachsorge überneh- men, die heute von Ärzten wahrge- nommen werden. Im Unteraus- schuss Häusliche Krankenpflege des Gemeinsamen Bundesausschusses sollten Pflegende angemessen ver-treten sein, da weder Krankenkas- sen noch Ärzte häusliche Kranken- pflege wirklich definieren könnten.
Auch die Kassenärztliche Bun- desvereinigung (KBV) kann sich in- zwischen neue Formen der Zusam- menarbeit von niedergelassenen Ärzten und Pflegenden vorstellen.
Mit dem von der KBV-Vertrags- werkstatt entwickelten Integrations- vertrag zur chronischen Wunde soll die Versorgung koordiniert und interdisziplinär durch die Vertrags- partner – Ärzte, ambulante Pflege- dienste und Krankenhäuser – erfol- gen.
Bei der Langzeitbetreuung chro- nisch Kranker werden über kurz oder lang neue Versorgungsstruktu- ren erforderlich sein. Gegenwärtig zeigt sich bereits, dass eine Auswei-
tung der Disease-Management-Pro- gramme auf immer mehr chronische Krankheitsverläufe wenig sinnvoll ist. Eine mögliche Alternative für ei- ne langfristige Patientenversorgung stellt das in den USA entwickelte
„Chronic Care Model“ dar. Hier übernimmt das gesamte Praxisteam Anleitungs- und Coaching-Funktio- nen.Auf die Medizinische Fachange- stellte, bisher besser als Arzthelferin bekannt, kämen dabei ganz neue Aufgaben der Patientenführung zu.
Inwieweit diese verschiedenen Forderungen und Ansätze mit dem ärztlichen Selbstverständnis verein- bar sind, ist offen. Sicher kann man nur darin sein, dass es eine lebhafte Debatte geben wird, bei der prinzi- pielle Erwägungen im Vordergrund stehen dürften. Thomas Gerst