Klinik und Praxis
Zu dem Beitrag „Ärzte in Klinik und Praxis: Nicht mehr Herr im eigenen Haus“ von Heinz Stüwe in Heft 43/2005:
Ärztliche Kompetenz abgesprochen
Zusätzlich zu den im Artikel genannten Aspekten müssen wir Ärzte täglich erleben, wie uns unsere ärztliche Kompe- tenz abgesprochen wird. Dazu ein Fall aus der Praxis: Ein von mir seit mehreren Wochen we- gen einer tachykarden absolu- ten Arrhythmie und Bela- stungsherzinsuffizienz arbeits- unfähig geschriebener Patient bekommt, wie ich auch, einen Brief von seiner Arbeiterer- satzkasse, dass der MDK nach den vorliegenden Unterlagen davon ausginge, dass er nach Ablauf von 14 Tagen wieder arbeitsfähig sei. Der Patient, ein selbstständiger Einzel- händler, der ein wirklich sehr bescheidenes Krankengeld von seiner Krankenkasse be- zieht, erklärt mir dann, dass er das mit seiner Krankenkasse geklärt habe, er sei weiter krank. Also bekommt er von mir einen weiteren Auszah- lungsschein mit den oben be- schriebenen Diagnosen und dem Vermerk, dass der Patient trotz der MDK-Äußerung weiterhin arbeitsunfähig sei.
Ruft mich dann doch die Krankenkasse an und verlangt vom mir weitere Unterlagen, die die Krankheit meines Pati- enten begründen sollen. Auf meine Nachfrage, welche Un- terlagen denn vorhanden sei- en, werden die auch mir vor- liegenden verschiedenen Arzt- briefe der Kardiologie der Uni-Tübingen (Ablationen und Rhythmisierungsversuche anderer Art) benannt und auch der Befund des letzten Langzeit-EKGs (mit einer mittleren Herzfrequenz von 117/min!). Ich, jetzt doch schon mit deutlich erhöhter Sprechlage, frage den Kran- kenkassenangestellten, mit welcher Berechtigung denn der MDK einen Patienten nur nach Aktenlage gesund schrei- ben könne, den ich als der be-
handelnde Arzt für arbeitsun- fähig ansähe. Das sei geltendes Sozialrecht, davon hätte ich wohl keine Ahnung, wurde mir geantwortet. Ich hätte dafür aber mehr Ahnung von Medizin und hielte den Pati- enten für nicht arbeitsfähig, war meine Entgegnung. Sie würden jetzt dem Patienten mitteilen, dass ich nicht bereit sei, ihnen weitere Unterlagen zukommen zu lassen, war dann die abschließende Ant- wort der Krankenkasse. Ja, wohin sind wir denn gekom- men, dass der (von den Patien- ten finanzierte!) MDK nach Aktenlage einen Kranken mit einer mittleren 24-Stunden- Herzfrequenz von 117 Schlä- gen pro Minute gesund schreibt, ohne ihn überhaupt jemals gesehen zu haben? Wo- hin sind wir gekommen, dass die hier erfolgte ausdrückliche Krankschreibung des behan- delnden Arztes einfach igno- riert wird? Herr im eigenen Haus?
Dr. med. Johann Frahm, Böblinger Straße 169, 70199 Stuttgart
Vollständige Zustimmung
Den Thesen von Prof. Un- schuld gebührt die vollständige Zustimmung; allerdings lässt der oben genannte Beitrag Lösungsmöglichkeiten vermis- sen, wie sich denn nun die Ärzte aus ihrer misslichen La- ge befreien könnten. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Ärz- te werden erst dann wieder freie Berufe sein, wenn sie sich dem Staat, der sie zu unmündi- gen Befehlsempfängern de- gradiert, verweigern! Das be- deutet den Ausstieg aus jegli- cher staatsgebundenen Kör- perschaft – auch aus den Kam- mern –, denn gerade die Bin- dung an Institutionen, die durch vorauseilenden Gehor- sam zum Transmissionsriemen staatlicher Gängelung der Ärzteschaft mutiert sind, be- hindert die Entwicklung unab- hängiger Arzt-Patienten-Be- ziehungen und damit auch ei- ner freiheitlichen Medizin.
Dr. med. Steffen Lindner, Hauptstraße 102–104, 50126 Bergheim Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005 AA3249
B R I E F E