gefallen, und zwar von 29 Prozent auf 21 Prozent. Die Zulassungsmög- lichkeiten der Augen- und Nerven- ärzte übersteigen mittlerweile die der Anästhesisten.
Die Wiederöffnung weiterer Pla- nungsbereiche für die Hausärzte ist Folge der in der Studie zur Altersstruk- tur- und Arztzahlentwicklung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer beschriebe- nen Überalterung der Hausärzte – ins-
besondere in den neuen Bundesländern – bei zeitgleichem Wegbrechen des medizinischen Nachwuchses. Schon der- zeit ist in 22 Planungsbereichen (elf in den alten und elf in den neuen Bundes- ländern) die tatsächliche Versorgung mit Hausärzten unter die 90-Prozent- Grenze gefallen.
Im Vorjahr waren es erst 16 Pla- nungsbereiche, die diesen für die am- bulante medizinische Versorgung der Bevölkerung kritischen Schwellenwert
unterschritten haben. In den neuen Bundesländern hat bereits ein Pla- nungsbereich die rechnerische Unter- versorgungsgrenze von 75 Prozent er- reicht. Zugleich gibt es dort kaum noch überversorgte Gebiete. In den neuen Bundesländern vollzieht sich – stati- stisch nachweisbar – im hausärztlichen Bereich die in der Studie prognostizier- te Entwicklung mit negativen Folgen für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Dr. rer. pol. Thomas Kopetsch P O L I T I K
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A2786 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004
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uf dem Weg zu einer Pflege- begutachtung. Die „Ärztliche Bescheinigung“ zum Pflegebe- darf gibt „Altersschwäche“, „schwerst ausgeprägte Bewegungseinschränkun- gen bei Polyarthrose“ sowie „Hilfe- bedarf in allen Bereichen der täglichen Verrichtungen“ an. Dies sind detaillier- te Befunde zu Funktionseinschrän- kungen beziehungsweise Fähigkeits- störungen, wie jeder erkennt. Gut, dass ich hier zu Lebzeiten begutach- ten kann und nichtnach Aktenlage den Pflegebedarf ermitteln muss. Beim Hausbe- such öffnet mir die zu begutachtende Dame selbst die Tür. Sie ist
Ende siebzig und bewegt sich, hum- pelnd, aber sicher, durch ihre Woh- nung. Atemnot bei – nach Bescheini- gung vorliegender – „massiver Herz- insuffizienz NYHA IV“ ist nicht zu erkennen.
Dass Papier geduldig ist, ist bekannt.
Aber oft fühlt man sich als Gutachter ignorant vorgeführt. Denn mancher Versicherte und seine Angehörigen wundern sich sehr über die Diskrepanz in den Beurteilungen durch zwei ver- schiedene Ärzte. Der Gesetzgeber ver- mied die Feststellung der Pflegebe- dürftigkeit durch den Hausarzt. Ein Arzt kann nie die Aufgaben des Thera- peuten und des Gutachters am glei- chen Patienten erfüllen. Sonst wäre Befangenheit der ständige Vorwurf.
Wenn in einer ärztlichen Be- scheinigung bereits festgestellt wird:
„Zweifellos liegt eine Pflegestufe III vor, Schwerstpflegebedürftigkeit“, dann kommen dem Gutachter nicht nur erhebliche Zweifel. Wie können solche Aussagen zum Pflegebedarf unver- blümt von Kollegen getroffen werden, die die Pflegeversicherung offenbar nur dem Namen nach kennen? Beweise für fehlende Sachkenntnis vieler Ärzte gibt es: ihre Erklärungen zum Beste- hen einer Pflegestufe. Damit wird aber eine immense Erwartung bei den Ver-
sicherten induziert. Wenn zum Beispiel ein Professor schreibt „Pflegestufe III“, der Gutachter stellt aber nur eine Pflegestufe I fest, sind Ärger und Widerspruch programmiert. Wie viel Leichtfertigkeit oder Überheblichkeit ist zu tolerieren? Solche Gedanken wälze ich im Kopf, als ich jetzt keine erhebliche Pflegebedürftigkeit nach SGB XI ermittle. Viel muss ich erklären zur Pflegeversicherung und ihren Grundlagen. Für die Begutachte- te ist überwiegend hauswirtschaftliche Versorgung und Gesellschaft im Sinne psychosozialer Betreuung erforder- lich. In der Grundpflege ist sie fast selbstständig. Das ist ihr selbst klar.
Aber Zweifel wegen der unterschied- lichen Feststellungen bleiben bei der Dame und ihrer Tochter. Es bleibt ein
„G’schmäckle“. Ob hier Wind gesät
wurde? Ein Sturm der Entrüstung folgte heute noch nicht.
Jeder Sachverständige, der Gut- achten erstellt, hat sich auf ein der Sachaufklärung dienendes, für Laien verständlich nachvollziehbares Dar- legen eines Sachverhalts, einer Pflege- situation zu beschränken. Gutachter haben keine Entscheidungskompe- tenz. Medizinische Gutachter spielen keine Sonderrolle. Auch sie tragen nur mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfah- rung zur Entschei- dung bei. Dies er- fordert neben Unab- hängigkeit Beschei- denheit.
Das schwerste Zug- unglück der Bundes- republik durch den Radreifenbruch am ICE Wilhelm Conrad Röntgen bei Eschede im Juni 1998 ließ den Richter im Prozess sehr deutliche Worte finden:
Die Gutachter wurden, bevor sie zu Wort kamen, aufgefordert, „auf Profi- lierungsgehabe zu verzichten“. Weiter pochte der Richter auf allgemeinver- ständliche Formulierungen und führte der internationalen Expertenschar vor Augen: „Sie sind die Gehilfen des Gerichts, Sie können sich nicht an seine Stelle setzen. Dies ist kein Fach- kongress . . .“ Solche klaren Worte dür- fen sich auch Ärzte hinter die Ohren schreiben. Bei Leistungsentscheidun- gen von Behörden, Gerichten oder Ver- sicherungen dienen wir Ärzte nur als Gehilfen, notwendig für die Sachauf- klärung. Urteile oder Entscheidungen fällen andere. Dr. med. Wolfgang Wagener