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Archiv "Leipziger Studie zur Pflegeversicherung: Demenzkranke werden benachteiligt" (10.03.2000)

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ass Demenzkranke innerhalb der Pflegeversicherung be- nachteiligt werden, wird schon seit einiger Zeit behauptet und kri- tisiert. Ein Grund: Das Pflegeversi- cherungsgesetz ist somatisch orien- tiert und gewährt nur körperliche Hil- fen. Der tatsächliche Pflegebedarf Demenzkranker lässt sich damit

nicht einschätzen. Ob Demenzkranke tatsächlich nicht angemessen berück- sichtigt werden, war bisher wissen- schaftlich nicht belegt. Die „Leipziger Langzeitstudie in der Altenbevölke- rung“ (LEILA 75+, Projektleiter Prof. Dr. med. Matthias C. Anger- meyer*) legt hierzu erstmals bevölke- rungsrepräsentative Daten vor, die 1997/98 erhoben wurden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass ein erheblicher Teil der Dementen unangemessen eingestuft ist. Zum Studiendesign: Aus einer Zu- fallsstichprobe von 1 692 Leipziger Se- nioren, die älter als 75 Jahre waren, diagnostizierten Ärzte und Psycholo- gen bei 220 Studienteilnehmern eine dementielle Erkrankung, die mit ei- ner psychosozialen Beeinträchtigung verbunden war. Davon litten 94 Pati- enten an einer leichten, 64 an einer mittelschweren und 62 an einer schweren Demenz. Grundlage für die Einschätzung bildete eine klinische Untersuchung mithilfe des SIDAM (Strukturiertes Interview zur Diagno- se der Demenz vom Alzheimer-Typ, Multiinfarktdemenz und Demenzen anderer Ätiologie). Auskunft über die Pflegestufen erteilten die An- gehörigen.

Fast ein Viertel der Dementen, nämlich 24,6 Prozent, waren keiner Pflegestufe zuge-

ordnet. Dabei wur- de von 18,2 Pro- zent der Befragten gar kein Antrag gestellt. Dies be- trifft besonders die Leichtdementen.

„Im persönlichen Gespräch mit den alten Menschen und deren Angehörigen wurde deutlich“, er- läutert Anja Busse, Psychologin an der Klinik und Poli- klinik für Psych- iatrie der Univer- sität Leipzig und Initiatorin der Stu- die, „dass es große

Hemmschwellen gibt, überhaupt eine Pflegestufe zu beantragen.“ Besonders sei dies bei dementen Menschen ohne körperliche Beeinträchtigung der Fall.

Offensichtlich läge ein Informationsde- fizit über die Beantragungsmöglichkei- ten vor, konstatiert Busse.

Abgelehnt wurde der Antrag auf eine Pflegestufe bei 6,4 Prozent der Dementen. Die Pflegestufe 1 erhiel- ten 28,2 Prozent. Völlig fehl eingestuft in diese Kategorien wären jedoch 35 Prozent der Mittelschwer- und 16 Prozent der Schwerdementen. „Sar- kastisch formuliert, sind diese Perso- nen aber immerhin besser bedient als die 9 Prozent der Mittelschwerde- menten und ihre Angehörigen, deren Antrag abgelehnt wurde“, bemerkt Busse. „Diese Menschen erhalten trotz des Pflegebedarfs keine ange- messene Unterstützung durch die Pflegeversicherung.“ 30,5 Prozent der Dementen sind in der Pflegestufe 2, nur 7,7 Prozent in Stufe 3.

Manchmal gar keine Pflegestufe

Warum werden die Pflegestufen für die Dementen nicht adäquat ein- geschätzt? Die Arbeitsgruppe sieht die Gründe in der Begutachtungspra- xis: Einerseits seien die Richtlinien auf Demenzkranke schwer anwend- bar. Denn diese Patienten müssen häufig beaufsichtigt und angeleitet so- wie zur Selbstständigkeit motiviert

A-592 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 10, 10. März 2000

P O L I T I K AKTUELL

Leipziger Studie zur Pflegeversicherung

Demenzkranke werden benachteiligt

Eine repräsentative Studie bestätigt erstmals, dass demente alte Menschen nicht adäquat in der Pflegeversicherung eingestuft sind.

D

* LEILA 75+: Dipl.-Psych. Anja Busse, Dipl.- Psych. Astrid Sonntag, Dr. med. Steffi G. Riedel- Heller, Prof. Dr. med. Matthias C. Angermeyer;

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Univer- sität Leipzig; Projekt gefördert durch das Bundes- ministerium für Bildung und Forschung; Interdis- ziplinäres Zentrum für Klinische Forschung an der Universität Leipzig

Grafik 2

6 3 15

32

9

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6 5 6

30

35

9 9

5 19

55

16 3 1

2

100–

80–

60–

40–

20–

Prozent der Dementen 0–

leicht mittelschwer schwer

Ergebnis des Antrags:

Ikeine Angaben

IAntrag in Arbeit

IPflegestufe 3

IPflegestufe 2

IPflegestufe 1

IAntrag abgelehnt

Ikein Antrag gestellt Schweregrad der Demenz

Pflegestufe 2 30,5 %

Pflegestufe 1 28,2 % Pflegestufe 3

7,7 %

Kein Antrag gestellt 18,2 % 5,8 %

Antrag in Arbeit 3,2 %

Antrag abgelehnt 6,4 % Grafik 1

Ergebnis des Antrages auf Pflegestufe für die einzelnen Schweregrade der Demenz Verteilung der Pflegestufen für eine repräsentative

Stichprobe von N = 220 dementen Menschen

Keine Angaben

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werden. „Es ist eine aktivierende und nicht nur eine versorgende Satt-sau- ber-warm-Pflege notwendig“, erklärt die Leipziger Psychologin. „Dieser besondere Hilfebedarf ist sowohl in- haltlich als auch hinsichtlich des Zeit- bedarfs äußerst schwer fassbar.“

Andererseits ist die Begutach- tung kompliziert: Da Demenzkranke ihre Defizite nur schwer oder gar nicht beurteilen können, wird die Pflegebedürfigkeit verzerrt einge- schätzt, wenn nicht Informationen von Angehörigen mit einbezogen wer- den. Um aber die Gedächtnisfunktion zu testen, bedarf es gerontopsychia- trisch kompetenter Gutachter. Zum Teil seien in einer anderen Studie er- hebliche Unterschiede zwischen den Begutachtungsergebnissen von MDK- Gutachtern und Beurteilern aus der Gedächtnissprechstunde gefun- den worden, merkt Anja Busse an.

Pflegende überlastet

Nicht nur die Demenzkranken werden benachteiligt, in besonderer Weise sind von diesem Problem die pflegenden Angehörigen betroffen. Sie sind oft rund um die Uhr im Einsatz.

Professionelle Pflegekräfte werden hingegen vor die Wahl gestellt, adäqua- te Pflege ohne angemessene Vergütung zu leisten oder ungenügend zu betreu- en. Anja Busse prophezeit enorme Fol- gekosten, wenn auf das derzeitige Pro- blem nicht reagiert wird. Bliebe es bei der Situation, seien die Hilfesysteme auf die Dauer der Betreuung von de- menten alten Menschen nicht mehr ge-

wachsen. ER

A-594

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 10, 10. März 2000

ach dem Bekanntwerden der Pflegeskandale ist die Pflege- versicherung zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Miss- stände soweit wie möglich zu beseiti- gen ist Anliegen eines Eckpunktepa- piers zur „Qualitätssicherung und Stär- kung der Verbraucherrechte in der Pflege“, das Bundesgesundheitsmini- sterin Andrea Fischer Mitte Februar vorstellte. Von der Philosophie geprägt, dass Qualität nicht von außen in die Pflegeeinrichtungen „hineingeprüft“

werden könne, soll ein neues Gesetz die Eigenverantwortung der Einrich- tungsträger stärken. Sie werden ver- pflichtet, selbst für optimale Bedingun- gen zu sorgen, müssen aber jederzeit nachweisen können, dass sie die Qua- litätsstandards erfüllen. Der Medizini- sche Dienst wird ermächtigt, in Heimen und bei ambulanten Pflegediensten zu prüfen. Grundsätzlich soll das nur nach vorheriger Terminabsprache möglich sein, bei Verdacht auf schwere Pfle- gemängel aber auch unangemeldet.

Verstärkt sollen die staatlichen Heimaufsichtsbehörden mit den Me- dizinischen Diensten und den Sozial-

hilfeträgern zusammenarbeiten: Aus- tausch von Informationen und Daten sowie gemeinsame Beratungen und Heimbegehungen sind vorgesehen.

Stellt die Heimaufsicht Mängel fest, soll sie den Pflegekassen zunächst Ge- legenheit geben, diese zu beseitigen, bevor sie selbst einschreitet.

Fischer will zudem die Rechte der Pflegebedürfigen stärken. Die zustän- digen Pflegekassen sollen sachkundi- ge, ortsnahe Vertrauenspersonen be- nennen, die Pflegebedürftige und de- ren Angehörige beraten. Bei stationä- rer Pflege sind die Heime ausdrücklich verpflichtet, das dafür erforderliche Personal bereitzustellen. Zusätzlich sollen die Rechte der Pflegebedürfti- gen durch individuelle Heim- und Pflegeverträge gestärkt werden, in de- nen Standards vereinbart werden.

Entschieden lehnt Fischer den bayerischen Entwurf eines Qualitäts- prüfungsgesetzes ab. Dieser fordert, der Heimaufsicht zu gestatten, unan- gemeldet Pflegeheime zu begutachten.

Dies sei jedoch bereits verfassungs- rechtlich fraglich, heißt es in dem Eck-

punktepapier. ER

Pflegeversicherung

Fischer will Pflege verbessern

Ein neues Gesetz soll die Qualität von Pflegeeinrichtungen erhöhen und die Rechte der Pflegebedürftigen stärken.

N

Es klingt hervorragend: Demenzkranke sollen einmal wöchentlich in einer Tagespflegeeinrichtung untergebracht werden können, ohne dass dies die pflegen-

den Angehörigen einen Pfennig kostet.

Finanziert wird das Ganze von der Pflege- versicherung – die Entlastung für die Pfle-

genden. Zudem noch ein „Mehr an Lebensqualität“ für die Pflegebedürftigen, meint Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer in einem weiteren Eckpunktepapier.

Anlass für den Vorschlag: Die Tagespflege bleibe derzeit noch weit hinter ihren Möglichkeiten, die häusliche Pflege zu ergänzen, zurück. Nur 7 000 der rund 500 000 Demenzkranken würden Leistungen der teilstationären Pflege beziehen. „Finan- zielle Erwägungen und psychologische Hemmnisse“ wären daran schuld. Deshalb nun der Gesetzentwurf. Man könnte sich auch so richtig auf das neue Gesetz freuen, drängten sich

nicht die Fragen nach der Realisierung auf. Zunächst einmal:

Gibt es überhaupt eine ausreichende Anzahl dieser Tages- pflegeeinrichtungen? Und – wie weit muss man wohl fahren, um die nächste zu erreichen?

Zweitens: Wie groß ist die Entlastung für die Angehörigen und die Freude bei den Pflegebedürftigen?

Wie einfach transportiert man einen älteren, verwirrten, viel- leicht bettlägerigen, Menschen?

Drittens: Die Frage der Finanzierung. Kein Problem, meint Frau Fischer. Die Pflegekasse würde dies maximal 500 Millionen DM pro Jahr mehr kosten. Eine Beitragssatz- erhöhung sei auf absehbare Zeit nicht erforderlich. Täglich bis 40 Minuten mehr Grundpflege, wie von Bayern und Baden- Württemberg gefordert, lehnt das Bundesgesundheitsministe- rium jedoch als nicht finanzierbar ab. Dr. med. Eva A. Richter K O M M E N T I E R T

Mehr Schein als Sein

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