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Archiv "Demenzkranke – Opfer unethischer Ethik?" (26.03.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Demenzkranke -

Opfer unethischer Ethik?

Hirnligatagung 1992 in Salzburg

,er Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt ständig. Er beträgt derzeit bereits 20 Prozent, Prognosen für die nächsten Jahrzehnte sprechen von bis zu 40 Prozent. Parallel zu dieser demogra- phischen Veränderung ist die Tatsa- che zu vermerken, daß Demenzen immer häufiger auftreten. Die domi- nierende Rolle spielt dabei die De- menz vom Alzheimer-Typ. Gegen- wärtig kann davon ausgegangen wer- den, daß etwa 1,2 Millionen Men- schen in Deutschland unter dieser ]Form der Demenz leiden. Die De- menz vom Alzheimer-Typ führt in 1 bis 15 Jahren zum Tode und verkürzt damit die Lebenserwartung erheb- lich. Zur Zeit ist keine Heilung mög- lich. Eine Verlangsamung des Ver- laufs, verbunden mit einer Linde- rung der Beschwerden, ist unter an- derem durch pharmakotherapeuti- sehe Maßnahmen erreichbar. Aus diesen Umständen ergibt sich die Notwendigkeit einer umfassenden Erforschung der Ursache(n) sowie der ständigen Verbesserung von Diagnose- und Therapiemöglichkei- ten. In dieser Situation tut sich nun eine „ethische Schere" auf, die eine Verbesserung der Lage von Kranken und Betreuern erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht.

Zum einen wird offen und zum Teil noch wohlwollend gemeint die Frage gestellt, wieviel für einen älteren Menschen getan werden darf oder muß, zum anderen droht die Verun- möglichung der Forschung durch die notwendige, aber häufig fehlende Einwilligungsfähigkeit der Betroffe- nen in Untersuchungen zur Erfor- schung und Behandlung ihrer Krankheit. Die Hirnliga, Liga zur Er- forschung, Erkennung und Behand- lung von Hirnleistungsstörungen (Morbus Alzheimer), veranstaltete am 20. März 1992 in Salzburg mit der Österreichischen Alzheimer-Gesell- schaft eine Tagung zum Thema „Me- dizinische Ethik bei dementen Pa- tienten", um auf die prekäre Lage

der Betroffenen bei einem „Quasi- Verbot" der Erforschung der Ursa- chen und der Behandlungsmöglich- keiten aufmerksam zu machen.

Frau I. Fuhrmann, Vorstands- mitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, schilderte die Lage ei- ner Demenzkranken aus ihrer Sicht als betroffene Angehörige. Ethische Probleme beginnen schon bei Be- merken der Krankheit. Bereits dann müssen Entscheidungen getroffen werden, in die der Betroffene gege- benenfalls nicht einbezogen werden kann, zum Beispiel, wenn Betroffene ihre Krankheit nicht erkennen kön- nen und keinen Arzt aufsuchen wol- len. Gespräche mit Arzt oder Behör- den sind unabdingbar, um Schaden von Betroffenen abzuwenden. Sie geschehen häufig ohne Wissen der Betroffenen und ohne Rechtssicher- heit. Ist der Weg zum Arzt gelungen, stellt sich die Frage, wie eine behan- delbare Krankheit als Ursache der Demenz herausgefunden werden kann, wenn Betroffene krankheits- bedingt das Wesen der Untersuchun- gen nicht erkennen können. Leitend für die Entscheidung von Betreuern sollte dabei die Kenntnis der Mei- nung von Betroffenen zu Zeiten vor der Krankheit sein. Aus ihrer Erfah- rung mit Betreuern wisse sie, daß häufig das Ergebnis von Forschung sehnlichst erwartet werde, die Be- reitschaft aber, den Weg bis zur Be- handlung mitzugehen, also die ei- gentliche Forschung mitzumachen, eher gering sei. Hier tue auch eine umfassende Information durch die Ärzte und Forscher not, um eine ad- äquate Beurteilung der Situation zu ermöglichen.

S. Kanowski, Psychiatrische Kli- nik und Poliklinik der Freien Univer- sität Berlin, beschrieb die Einwilli- gungsfähigkeit als zentrale Frage für den Kliniker. Die Krankheit selbst greife Gedächtnis, Orientierung, Denken und Fühlen an. Entschei- dungen in komplexen Situationen könnten schon in frühen Stadien der

Erkrankung nicht getroffen werden.

Forschung setze aber Einwilligung voraus. Die wiederum könne aber nur zu einem Zeitpunkt als gegeben angenommen werden, wenn die Krankheit noch nicht sicher diagno- stiziert werden könne. Ohne Diagno- se sei eine sinnvolle Forschung er- heblich eingeschränkt, wenn nicht sogar unmöglich. Ohne Forschung werde sich an der bestehenden unbe- friedigenden Situation eingeschränk- ter therapeutischer Möglichkeiten nichts ändern. Das an erster Stelle stehende Ziel, das Wohl des Patien- ten zu erhalten oder wiederherzu- stellen, sei durch die derzeitigen rechtlichen Einschränkungen der Forschung erheblich gefährdet. Nur dem Einsatz der Ärzte für ihre Pa- tienten, ein rechtliches Risiko in Kauf nehmend, wozu sie nicht ge- zwungen wären, ist es zu verdanken, daß vielen Betroffenen geholfen werden konnte und die Forschung noch nicht zum Stillstand gekommen ist. Dem Einsatz müsse allerdings ei- ne sehr genaue Risiko/Nutzen-Ab- wägung in jedem Einzelfall zugrun- deliegen, um auch den Schaden durch mißbräuchliche Forschung auszuschließen. Hierbei würden die Ärzte durch in der Regel fachkundi- ge Ethikkommissionen unterstützt.

D. B. Linke, Abteilung für Klini- sche Neurophysiologie der Neuro- chirurgischen Klinik an der Universi- tät Bonn, thematisierte den Begriff der Würde des Menschen. Hirnlei- stungsstörungen beträfen den Men- schen in seiner Individualität und stellten damit an sich eine Bedro- hung der Würde des Menschen dar, gegen die etwas zu unternehmen ei- ne ärztliche Aufgabe sei. Er betrach- tete es als „das menschliche Streben schlechthin, etwas gegen Krankheit zu tun. Das ist der Auftrag der Medi- zin." Vorsicht müsse aber in Extrem- fällen walten, wo eine auch apparati- ve Förderung des Weiterlebens mehr Schaden als Nutzen für den Men- schen bringe oder Implantationen von Hirngewebe oder Maschinen die Frage aufwürfen, ob nach dem Ein- griff noch die „gleiche Person" be- handelt werde. Linke hielt aber auch entgegen: „Es gibt vitale Interessen im Organismus, am Leben zu blei- ben. Die kann man nicht einfach ig- Dt. Ärztebl. 90, Heft 12, 26. März 1993 (61) A1-883

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norieren. Es ist einfach nicht mög- lich, daß wir hier unser Engagement ohne weiteres zurücknehmen." Ka- nowski unterstrich ergänzend die Notwendigkeit medizinischen Hand- lungsbedarfs und warnte vor „biolo- gischen Horrorvisionen". Alle Maß- nahmen dienten Kranken und wür- den nicht zur Manipulation von Ge- sunden eingesetzt. Darüber hinaus setze sich schon die Psychoanalyse zum Ziel, die Persönlichkeit von Pa- tienten zu verändern, um Krank- heitssymptome zu beeinflussen.

Die Tagung spiegelte die Grat- wanderung der aktuellen Meinungen wider: den Arzt aufsuchen oder nicht, helfen oder unterlassen, wirk- same Therapien suchen oder unzu- reichende Therapien festschreiben.

Die Rechtssprechung läßt Angehöri- ge, Ärzte und Forscher dabei allein.

Bei restriktiver Auslegung des neuen

§ 1904 BGB würde jede Behandlung, selbst mit gängigen Verfahren und

Substanzen, die Anrufung des Vor- mundschaftsgerichts fordern, da eine potentielle schwere Gefährdung nicht sicher auszuschließen wäre.

Forschung mit dem Ziel, wirksame Therapien zu entwickeln und zu er- proben, würde im wesentlichen nur unter Einschaltung von Gerichten in jedem Einzelfall denkbar sein und damit praktisch ausgeschlossen. Die Folgen für die Betroffenen wären fa- tal und so sicher nicht gewollt. Eine Veränderung im Sinne einer fürsorg- lichen Betreuung, wie sie eigentlich intendiert war, muß, will sie die Würde des Menschen nicht antasten, einen Weg zu besseren Therapien eröffnen. Nach B. Sträter wäre dabei exakt zu definieren, wer im Einzel- fall stellvertretend für den einwilli- gungsunfähigen Demenzkranken die Einwilligung geben kann. Auch an den Einbezug früherer Stellungnah- men der Betroffenen kann gedacht werden. Anderenfalls wäre einer so-

zialen Euthanasie Tür und Tor ge- öffnet, die durch die „Einsparrege- lungen" im Rahmen der gerade dis- kutierten „Gesundheitsreform" zu- sätzlich gefördert würde. Forderun- gen nach „Alterssuizid" oder Ein- schränkung des Zugangs zu hoch- wertigen Therapiemaßnahmen nach Erreichen einer „Altersgrenze" (aus- führlich kritisiert bei Lauter und Meyer, Fortschr. Neurol. Psychiat.

60, 1992, S. 441-448) zeigen die Ak- tualität dieses Themas. Diesen Be- strebungen muß entschieden entge- gengetreten werden. Sollen De- menzkranke nicht ihrem Schicksal überlassen werden, ist Handeln drin- gend geboten.

Dr. med. Ralf Ihl

Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Universität Füchsleinstraße 15 W-8700 Würzburg

Nierenerkrankungen im Kindesalter

9. Kongreß der Internationalen Gesellschaft für pädiatrische Nephrologie, Jerusalem, September 1992

E

rhebliche Wachstumsdefizite sind wichtige Begleiterscheinun- gen einer chronischen Nierenkrank- heit bei Kindern, die selbst bei einer Besserung der Grunderkrankung langfristige psychosoziale Folgen mit entsprechender Einschränkung der Lebensqualität haben. Weltweit be- mühen sich deshalb pädiatrische Nephrologen, diese und andere Fol- gen der chronischen Niereninsuffi- zienz bei Kindern zu minimieren — ei- nes der Hauptthemen auch beim 9.

Kongreß der International Pediatric Nephrology Association Anfang Sep- tember 1992 in Jerusalem.

Ken Jureidini, Kinderhospital Adelaide, Australien, berichtet über ein beschleunigtes Wachstum bei kleinwüchsigen Kindern mit chroni- schem Nierenversagen, die sowohl einer strikten Diät unterzogen als auch mit rekombinantem Wachs- tumshormon behandelt wurden.

Neun Jungen mit schwerem chronischem Nierenversagen im Al- ter zwischen 4,8 und 15,6 Jahren wurden in einer insgesamt 24monati- gen Therapie mit rekombinantem humanem Wachstumshormon be- handelt. Sie erhielten ferner eine strikte Niedrig-Protein- und Niedrig- Phosphat-Diät, ergänzt mit Keto- und Aminoformen der essentiellen Aminosäuren und Histidin und zu- sätzlichen Kalorien. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: präpuber- tär (testikuläres Volumen <8 ml am Ende der Behandlung, n = 5) und pubertär (testikuläres Volumen >8 ml, n = 4).

Die durchschnittliche Wachs- tumsgeschwindigkeit blieb im zwei- ten Behandlungsjahr in beiden Gruppen deutlich größer im Ver- gleich zur Untersuchung zwei Jahre zuvor, doch nahm das Wachstum langsamer zu als im ersten Jahr. Die

Rate der Verschlechterung der Nie- renfunktion blieb im Vergleich zum ersten Jahr unverändert, obwohl fünf Kinder im Verlauf dieses zweiten Jahres wie prognostiziert zur Dialyse kamen. Die Knochenreifung ent- sprach während der zweiten 12-Mo- nats-Periode dem Lebensalter. Es schien keine Krankheitseffekte zu geben.

Rekombinantes menschliches Wachstumshormon scheint nach die- ser Beobachtung bei der Behandlung von Kindern mit chronischem Nie- renversagen für zwei Jahre sicher und effektiv zu sein, obwohl die Wachstumsrate, die verbessert bleibt, sich im zweiten Behandlungs- jahr verlangsamt.

In Israel wurde die Auswirkung einer Behandlung mit Wachstums- hormonen auf IGF I und GH-BP bei kleinwüchsigen Kindern mit und oh- ne chronischer Nierenerkrankung miteinander verglichen. Laut Alfred Drukker et al., Abteilung für pädia- trische Nephrologie der Kaplan und Shaare Zedek Hospitäler, Jerusa- lem, Israel, stieg die Wachstumsge- schwindigkeit in beiden Gruppen von 4,0 auf 7,1 beziehungsweise von 3,8 auf 8,4 — das heißt relativ gerin- ger in der Gruppe der Nierenkran- A1-884 (62) Dt. Ärztebl. 90, Heft 12, 26. März 1993

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