• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Chronische interstitielle Zystitis" (25.01.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Chronische interstitielle Zystitis" (25.01.2002)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

M E D I Z I N

A

A204 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002

D

ie chronische interstitielle Zystitis (IC) ist maßgeblich von qualvoller Pollakisurie, Harndrang und uro- genitalem Schmerz charakterisiert und befällt vorwiegend Frauen. Ihre Präva- lenz scheint einer amerikanischen Ko- hortenstudie zufolge die für Finnland ermittelten 18,1 Erkrankungen auf 100 000 Frauen (17) erheblich zu über- treffen. Eine Untersuchung der Har- vard Medical School Boston (6) geht von immerhin 60 Betroffenen unter 100 000 Frauen aus. Daraus ergäben sich für Deutschland annäherungsweise 25 000 Erkrankte, sodass statistisch auf je zehn in Deutschland praktizierende Allgemeinmediziner sieben Patienten entfallen (1). Dass diese Erkrankung dennoch selten diagnostiziert wird, liegt unter anderem am geringen Bekannt- heitsgrad dieses häufig als Harnwegsin- fekt, Blasenschwäche oder Schmerz- neurose fehlgedeuteten Leidens. Auch für Urologen (auf die jeweils sieben Er- krankte pro Arzt kommen) ist die Be- handlung von IC-Patienten eine beson- dere Herausforderung.

Pathogenese

Die IC ist eine chronische Entzündung aller Schichten der Harnblasenwand mit klinisch progredientem Verlauf bis hin zum Spätstadium der kleinkapazitären Schrumpfblase. Die Pathogenese ist weitgehend unbekannt. Obwohl die IC mit rezidivierenden bakteriellen Harn- wegsinfekten vergesellschaftet sein kann, konnte kein gesicherter Kausalzu- sammenhang mit Mikroorganismen er- bracht werden. Dem widerspricht, dass ein geringer Teil der IC-Patienten offen- bar von einer antibiotischen Therapie profitiert (7). Andere Autoren vermu- ten, dass antimikrobielle Substanzen den Entzündungsreiz der Erkrankung sogar auslösen oder unterhalten könn- ten (10). Bei IC werden Nervenfaser- proliferate der Blasenwand, Mastzellin- filtrate der Detrusormuskulatur und Mastzellprodukte im Urin vermehrt an- getroffen (3). Darüber hinaus wird ein Defekt der Glykosaminoglykanschicht mit Verlust der Schleimhautbarriere vermutet, der eine erhöhte Permeabi- lität für Noxen und einen Schutzverlust vor mikrobieller Adhäsion bedingen soll. Hypoxie (vaskulär, hormonell oder

toxisch induziert) könnte zu weiteren Mitverursachern der Erkrankung zäh- len (23). Störungen des Immunsystems werden wegen der statistischen Assozia- tion zu bestimmten HLA-Typen, der gehäuften Koinzidenz von Allergien und Autoimmunerkrankungen sowie aufgrund der sporadisch beobachteten Therapieansprache auf Immunsuppres- siva vermutet (18). Im Sinne der klassi- schen Entzündungstheorie entspricht die IC dem morphologischen Aspekt nach am ehesten einer chronischen, nichteitrigen, nichtgranulierenden Ent- zündung als Reaktion auf noch weitge- hend unbekannte Initiatoren und Pro- motoren.

Demographie

Die IC tritt insbesondere bei Frauen auf (Verhältnis im Vergleich zu Män- nern: 10 zu 1) und manifestiert sich klinisch vornehmlich im vierten Lebens- jahrzehnt. Ein Drittel der Patient(inn)en erleiden erste Symptome bereits vor dem 30. Lebensjahr. Patienten mit IC haben zum Teil eine schlechte- re Lebensqualität als Dialysepatienten

Chronische interstitielle Zystitis

Frank Oberpenning, Arndt van Ophoven, Lothar Hertle

Klinik und Poliklinik für Urologie (Direktor: Prof. Dr. med.

Lothar Hertle) des Universitätsklinikums Münster

Zusammenfassung

Die interstitielle Zystitis ist ein mit Pollakisurie und Harndrang einhergehendes Schmerzsyn- drom, an dem insbesondere Frauen erkranken.

Die Prävalenz ist größer als bisher vermutet wurde. Betroffene erleiden erhebliche Ein- schränkungen der Lebensqualität. Ätiologisch werden Infektion, alterierte Blasenschleimhaut- barriere, exogene Noxen sowie neurologische, hormonelle, vaskuläre, allergische oder autoim- mune Störungen vermutet. Die Diagnose beruht auf dem klinischen Erscheinungsbild (Miktions- protokoll) und einer Zystoskopie in Narkose, bei der nach Hydrodistension charakteristische Schleimhautblutungen (Glomerulationen) und -einrisse (Mukosa-Cracking) auftreten. Als hi- stologischer Indikator gilt eine Mastzellinfiltrati- on. In Ermangelung kausaler Therapieansätze wird symptomatisch mit oralen Therapeutika (unter anderem Analgetika, Antiallergika, Anti- depressiva, Immunsuppressiva), mit intravesi-

kalen Instillationen (beispielsweise Pentosanpo- lysulfat, Dimethylsulfoxid) oder endourologisch (Distension, Laserkoagulation) behandelt. Klini- sche Studien von hohem Evidenzniveau sind spärlich. Als Ultima Ratio bleiben letztlich nur offen chirurgische Verfahren (supra-/subtotale Zystektomie) mit Harnableitung.

Schlüsselwörter: Interstitielle Zystitis, Harnbla- senentzündung, Schmerzsyndrom, Harnablei- tung

Summary

Chronic Interstitial Cystitis

Interstitial cystitis is a urogenital pain syn- drome associated with debilitating frequency and urgency predominately affecting females.

It is more prevalent than previously assumed.

Patients suffer reduced quality-of-life consider- ably. Infection, altered bladder permeability,

exogenous toxic agents and neurological, hormonal, vascular, allergic or autoimmune disorders are hypothesized etiologically. The diagnosis is based on clinical findings (voiding diary) and cystoscopy under anesthesia with hydrodistension, where glomerulations and mucosa cracking are observed. Mast cell in- filtration is a histological indicator. In absence of causal therapies symptomatic treatments in- clude oral agents (e. g. analgesics, antiallergics, antidepressants, immunosuppressants), intra- vesical instillations (e. g. pentosanpolysulfate, dimethyl-sulfoxide) or endourological pro- cedures (hydrodistension, laser). Most ap- proaches lack scientific data of high level of evidence. For cases of uncontrollable agony surgical procedures (supra-/subtotal cystec- tomy) necessitating urinary diversion remain as ultimate solutions.

Key words: interstitial cystitis, bladder infec- tion, pain syndrome, urinary diversion

(2)

(9) und sind hinsichtlich Vitalität und seelischer Gesundheit stärker einge- schränkt als beispielsweise Rheumati- ker (13). 89 Prozent der Betroffenen be- klagen Schlafstörungen, 79 Prozent sind wiederholt oder dauerhaft arbeitsun- fähig, 70 Prozent erleben Partnerschafts- oder Familienkonflikte und immerhin 17 Prozent bedürfen psychiatrischer Be- treuung (11).

Diagnostik

Die Leitsymptome der IC sind häufiges Wasserlassen mit Nykturie, Harndrang und Schmerzen an Blase, Urethra, Ge- nitale und Perineum. Sie variieren indi- viduell in Kombination und Ausprä- gung.

Die 1987 vom amerikanischen NIH (National Health Institute) und NIDDK (National Institute of Diabe- tes, Digestive and Kidney Disease) ein- geführten Kriterien zur Diagnose der IC (Textkasten) sollen homogene Stu- dienkollektive für wissenschaftliche Untersuchungen definieren. Da ein Großteil der nach Expertenmeinung an IC erkrankten Patienten diese Krite- rien nicht erfüllt (8), besitzen sie bei der klinischen Diagnosestellung nur orien- tierenden Charakter. Hauptaspekt der Anamnese ist das Miktionsprotokoll mit objektiven Angaben zu Wasserlass- und Trinkgewohnheiten, sowie Drang- und Schmerzausprägung. Die Mikti- onshäufigkeit tags und nachts und die entleerten Harnvolumina (funktionelle Blasenkapazität) liefern die wichtigsten urodynamischen Grundgrößen. Bla- senkapazitätsmessungen in Narkose überschätzen bei IC-Patienten das wah- re Urinspeichervermögen im Wachzu- stand erheblich. Gegen IC sprechen Miktionsvolumina über 250 ml, mik- tionsfreie Intervalle von über zwei Stunden, das Fehlen von Nykturie oder längere Phasen der Beschwerdefrei- heit. Harnflussmessungen mit Rest- harnbestimmung, Urinuntersuchungen inklusive Zytologie (Ausschluss eines Carcinoma in situ), gegebenenfalls proktologische, gynäkologische, der- matologisch/venerologische Konsiliar- untersuchungen, im Einzelfall auch bildgebende Verfahren (Urogramm, Miktionszystourethrogramm, CT) wer-

den zum weiteren Ausschluss von Dif- ferenzialdiagnosen (Infekte, Steine, Anomalien, Blasenentleerungsstörung, Malignome) durchgeführt.

Bei Männern müssen Prostataer- krankungen (BPH, Prostatakarzinom, Prostatitis) ausgeschlossen werden. Ver- mutungen, dass chronisch abakterielle Prostatitiden oder vage definierte Syn- drome wie Prostatodynie und Perineal- Pain-Syndrome Varianten der IC dar- stellen, gelten noch als unbewiesen. Be- steht Verdacht auf IC, sollte eine Zysto- skopie in Narkose durch einen mit dem endoskopischen Aspekt der Erkran- kung vertrauten Untersucher erfolgen.

90 Prozent der IC-Patienten weisen en- doskopisch petechiale, teils flächig kon- fluierende Blutungen, die so genann- ten Glomerulationen, oder schlierenar- tige Blutabsonderungen (Mukosa-Crack- ing) auf, die sich oft erst nach Disten- sion der Blase manifestieren (Abbil- dung). Ausgestanzte Schleimhautde- fekte, so genannte Hunnersche Ulzera (die nicht mit iatrogenen Läsionen durch Instrumentierung oder Katheter zu verwechseln sind), kommen nur bei zehn Prozent der Fälle vor und werden von manchen Autoren der „klassischen IC-Form“ zugerechnet. Obwohl histolo- gische Kriterien (Urotheldenudation, Mastzellinfiltrate, Nerveneinsprossun- gen et cetera) eine IC weder zweifelsfrei beweisen noch sicher ausschließen kön- nen, dient eine Entnahme repräsenta- tiver Biopsien unter anderem dem Aus- schluss eines Carcinoma in situ, einem schlecht differenzierten endoskopisch oft inapparenten urothelialen Malig- nom, welches Beschwerden wie bei IC verursachen kann.

Von einigen Autoren wird empfoh- len zu prüfen, ob die intravesikale Instillation einer Kaliumlösung Be- schwerden auslöst. Ein positiver Kali- uminstillationstest soll Hinweise auf ei- nen Schleimhautbarrieredefekt geben.

Der Test ist aber für eine Diagnosestel- lung der IC nicht sehr spezifisch (5). Ei- ne Vielzahl von experimentell nur unzulänglich untersuchten IC-Markern (Histaminderivate, Tryptase, Wachs- tums- und Kernfaktoren, Zytokinprofi- le, Hyaluronsäure, Schmerzmetaboli- ten, Stickoxid et cetera) ist derzeit für die klinische Diagnostik nicht rele- vant (16).

Therapie

Zur Behandlung der IC steht keine hei- lende Kausaltherapie zur Verfügung.

Daher existiert ein breites Spektrum oraler, intravesikaler und interventionel- ler Behandlungsansätze zur Symptom- linderung. Anticholinergica (zum Bei- spiel Oxybutynin oder Tolterodin) und Antibiotika haben nur einen geringen Stellenwert bei der Behandlung der IC.

Bei ausgeprägter Schmerzkomponente sollte analog dem WHO-Stufenplan zur Behandlung chronischer Schmerzpati- enten (27) mit nichtsteroidalen Analge- M E D I Z I N

A

A206 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002

Kriterien des National Institute of Diabetes, Digestive and Kidney Diseases (NIDDK) für die Diagnose der interstitiellen Zystitis

Bedingungen:

Glomerulationen oder so genannte Hunner- sche Ulzera bei der Blasenspiegelung (minde- stens in drei der vier Quadranten der Harnblase mit jeweils mindestens zehn Glomerulationen ohne Zusammenhang mit dem Anschlag an der Blasenwand)

Schmerzen der Harnblase oder persistierender Harndrang

Ausschlussbedingungen:

Harnblasenkapazität im Wachzustand größer als 350 ml

Fehlen starken Harndranges bei rascher Fül- lung der Blase (mit 30 bis 100 ml/min)

Nachweis phasischer Detrusorkontraktionen bei oben genannter Füllungsrate

Beschwerden seit weniger als neun Monaten*

Fehlen der Nykturie*

Besserung der Beschwerden unter Antibiose, Anticholinergika, oder Spasmolytika*

Weniger als acht Miktionen pro Tag

Bakterielle Zystitis oder Prostatitis innerhalb der letzten drei Monate*

Tiefer Harnleiter- oder Blasenstein *

Aktiver genitaler Herpes

Malignome von Uterus, Vagina oder Urethra*

Urethraldivertikel*

Cyclophosphamid-induzierte oder sonstige chemische Zystitis

Tuberkulose der Harnblase

Strahlenzystitis

Benigne oder maligne Harnblasentumoren

Vaginitis*

Alter unter 18 Jahren*

(*bereits als Einzelsymptom relatives Ausschluss- kriterium)

Textkasten

(3)

tika bis hin zu Morphinderivaten oder durch instillierte Lokalanästhetika the- rapiert werden. Regional- und Leitungs- anästhesieverfahren (zum Beispiel peri- durale Schmerzpumpen) kommen bei unbeherrschbarer Schmerzeskalation vorübergehend zum Einsatz. Auch An- tidepressiva wie Amitriptylin, die bei chronischen Schmerzpatienten zur Schmerzdistanzierung genutzt werden, haben durch Bindung an H1- und Sero- toninrezeptoren mitunter einen die Analgesie unterstützenden Effekt, soll- ten aber wegen der psychotropen Ne- benwirkungen (Reaktionsvermögen!) vornehmlich abends verabfolgt werden.

Pentosanpolysulfat, eine heparinähnli- che hydrophile Substanz, die in den USA zur IC-Therapie (Elmiron) und in Deutschland als Agens zur Durch- blutungsförderung (Pentosanpolysulfat SP54) zugelassen ist, kann zum Wieder- aufbau der Glukosaminglykanschicht eingesetzt werden. Allerdings ist die Bioverfügbarkeit der oral aufgenomme- nen Wirksubstanz im Urin mit ein bis drei Prozent gering und die deshalb empfohlene hohe Dosierung von 300 bis 400 mg/d bei mehrmonatiger Wirklatenz kostenintensiv.

Da in den wenigen randomisiert kon- trollierten Doppelblinduntersuchungen zu Pentosanpolysulfat auch in Placebo- gruppen Schmerzlinderung erreicht wur- de, ist schwer beurteilbar, inwieweit die mitunter statistisch signifikant bessere Wirkung (zum Beispiel 28 Prozent versus 13 Prozent Schmerzbesserungsrate [15]) klinisch relevant ist.

Zu vielen weiteren Medikamenten lie- gen Studien von nur geringer Evidenz vor. Darunter fallen Antiallergika (zum Beispiel Hydroxycin), die aufgrund ihrer H1-Rezeptorblockade und der sedieren- den und anxiolytischen Begleiteffekte zum Teil auch in Kombination mit Corti- coiden eingesetzt wurden.

Prostaglandine (Misoprostol) fanden aufgrund ihres zytoprotektiven Effektes Anwendung, besitzen aber eine hohe Nebenwirkungsrate. L-Arginin wird als Inhibitor der Stickoxidsynthetase eine Reduktion der Mastzelldegranulation und Muskelrelaxation zugeschrieben.

Es führte in einer doppelblinden kon- trollierten Studie mit 16 Patienten (4) aber lediglich zur Verbesserung von Symptomscores, während Pollakisurie,

Nykturie und Miktionsvolumen nicht signifikant ansprachen. Nur bei wenigen IC-Patienten können orale Therapeutika eine langfristige Symptomlinderung er- zielen. Daher werden auch invasivere Maßnahmen wie Blasendehnungen oder intravesikale Medikamenteninstillatio- nen eingesetzt.

Zur therapeutischen Hydrodistension (Blasendehnung in Narkose) fehlen pro- spektiv kontrollierte Studien. Aus der spärlichen Datenlage muss gefolgert werden, dass allenfalls ein Drittel der Pa- tienten von einer Blasendehnung profi- tiert und der Therapieeffekt zeitlich limi-

tiert ist. Vereinzelt gibt es Berichte über positive Behandlungseffekte durch Ver- haltensmodifikationen wie Blasentrai- ning oder Beckenbodengymnastik. Die klinischen Erfahrungen sind aber meist enttäuschend.

Pentosanpolysulfat (alternativ auch Heparin oder Hyaluronsäure [14]) kann zur Erzielung höherer lokaler Wirkstoff- konzentrationen auch intravesikal instil- liert werden. In einer placebokontrollier- ten Doppelblindstudie mit zweimal zehn Patientinnen (2) werteten vier in der Ver- umgruppe und zwei in der Placebogrup- pe die Instillationen als Erfolg. Aller- dings blieb durch Verum die Miktionsfre- quenz tags unbeeinflusst und der Effekt auf Nykturie (von 4,0 auf 2,8 mal) und Blasenkapazität (von 226 auf 265 ml) war marginal.

Dimethylsulfoxid (DMSO) ist ein che- misches Lösungsmittel, dem nach intra- vesikaler Instillation eine entzündungs- hemmende, analgetische und Kollagen auflösende Wirkung zugeschrieben wird.

In einer doppelblinden, kontrollierten Studie an 33 Patienten (20) zeigte sich bei 93 Prozent nach objektiven und 53 Pro- zent nach subjektiven Kriterien Besse- rung (Placebo: 35 Prozent und 18 Pro- zent). Der nur ein bis zwei Monate anhal- tende Behandlungserfolg und der nach DMSO-Instillation auftretende knob- lauchartige Körpergeruch sind Nachteile dieser Behandlung.

Der Tuberkuloseimpfstoff Bacillus-Calmette-Guérin (BCG), den Urologen auch zur Instillationstherapie bei Carci- noma in situ geläufig, wurde ebenfalls bei IC eingesetzt.

Nach zunächst veröffentlichten Ansprechraten von 60 Prozent gegenüber 27 Prozent nach Placebo (21) ergibt ein aktuel- ler Cross-over-Vergleich von BCG versus DMSO keinerlei Verbesserung der maximalen funktionellen Blasenkapazität oder Pollakisurie durch BCG (19).

Das Prinzip der Iontophore- se kann bei Instillationsbe- handlungen genutzt werden, um Wirkstoffkonzentrationen im Zielgewebe zu erhöhen.

„Electromotive drug admini- stration“ (EMDA) ist ein bei IC verfolgtes Therapiekonzept, welches durch Anlage eines Spannungsfeldes am transurethral platzierten Spezialkatheter den aktiven Transport ionisierter Medi- kamente (zum Beispiel Lidocain, Dexa- methason) in tiefere Blasenwandschich- ten unterstützen soll. In einer nichtkon- trollierten Anwendung bei 21 Patien- tinnen zeigten 85 Prozent gutes Anspre- chen (Reduktion von Pollakisurie und Schmerz) nach zwei Wochen und 63 Pro- zent nach zwei Monaten (25). Es bleibt dabei unklar, ob ein Behandlungseffekt auf eine Medikamentenwirkung oder die mit der Therapie einhergehende Blasen- dehnung zurückzuführen ist.

Instillationen mit dem aus der Blasen- tuberkulosetherapie entliehenen Hypo- chlorsäuredetergenz Clorpactin können wegen ihrer Schmerzhaftigkeit nur in M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002 AA207

Abbildung: Endoskopischer Aspekt bei interstitieller Zysti- tis. Der initiale Zystoskopiebefund kann unauffällig sein (a). Nach Blasendehnung in Narkose imponieren petechia- le (b) oder flächige Schleimhautblutungen, so genannte Glomerulationen (c). Schlierenartige Blutabsonderungen in der Spülflüssigkeit durch Mukosa-„Cracking“ (d) verur- sachen mitunter widrige Sichtverhältnisse und erschweren die Biopsie.

(4)

Narkose erfolgen und sind nach Biopsie- entnahme und bei vesikoureteralem Re- flux kontraindiziert. Clorpactin wird da- her nur noch selten angewandt.

Endourologische Therapieverfahren zur Entfernung veränderter Blasen- wandareale durch Resektion oder Laser sind für die IC nur dürftig untersucht. Sie stellen durch ihren lokalen Ansatz bei dieser chronischen und generalisierten Blasenerkrankung keine kurative Kau- saltherapie dar (26).

Rofeim et al. (24) behandelten die Hunnerschen Ulzera von 24 Patienten mit Neodym-YAG-Laser und erzielten eine statistisch signifikante Ansprache der Schmerz- und Drangsymtomatik so- wie der Pollakisurie und Nykturie. Bei ei- ner mittleren Nachbeobachtungszeit von 23 Monaten benötigten allerdings elf Pa- tienten bis zu vier weitere Laserbehand- lungen wegen zwischenzeitlich aufgetre- tener Rezidive.

Die sakrale Neuromodulation über an S3-Nervenwurzeln implantierte Elektro- den erfreut sich bei der Behandlung neu- rogener Blasenentleerungsstörungen zu- nehmender Beachtung und wird seit kurzem auch bei IC erprobt. In einer nichtkontrollierten Untersuchung von 15 Patientinnen konnte nach Implantation des Stimulators das mittlere Miktionsvo- lumen von 90 auf 143 ml und die Mikti- onsfrequenz von im Mittel 20 auf elf (tags) beziehungsweise von sechs auf zwei (nachts) Miktionen verbessert wer- den (12). 73 Prozent wünschten nach Stu- dienende die Neuromodulation fortzu- setzen. Auch bei diesem Verfahren blei- ben kontrollierte Langzeituntersuchun- gen abzuwarten, bevor Anwendungen außerhalb klinischer Studien zu empfeh- len sind.

Schlagen konservative Therapien fehl und ist der Leidensdruck immens, blei- ben als Ultima Ratio nur offenchirur- gische Behandlungsverfahren, die durch operative Harnableitung Beschwerde- linderung bewirken können. Zu den heute angewandten Techniken zählen die trigonumerhaltende, supratrigonale Zystektomie sowie die subtrigonale Bla- senresektion mit anschließender Bla- senaugmentation durch ausgeschaltete detubularisierte Ileum- oder Ileozökum- segmente. Die zusätzliche Urethrekto- mie sollte erwogen werden, wenn Endo- skopiebefund und Beschwerdelokalisa-

tion auch für eine urethrale Manifestati- on der IC sprechen. Der Harnblasener- satz erfolgt dann nicht mehr orthotop, sondern wahlweise durch einen konti- nenten transumbilikal katheterisierba- ren Pouch aus Darmsegmenten, durch Harnumleitung in den Enddarm (Ure- tersigmoidostomie oder Sigmarektum- Pouch) oder mittels inkontinenter Uro- stomie (zum Beispiel Ileum-Conduit).

Auch eine Harnableitung ohne Zystek- tomie kann erfolgreich sein.

In einer aktuellen Studie (28) wurden 18 Frauen mit therapierefraktärer IC gemäß NIH-Kriterien nach trigonum- erhaltender Zystektomie mit iliozökaler (n=10) oder ilealer (n=8) Augmentation nachuntersucht (mittlere Beobachtungs- zeit 57 Monate). Zwei der 18 Frauen mussten wegen Schmerzpersistenz wei- teren Eingriffen zur Harnumleitung un- terzogen werden (Sigma-Rektum-Pouch und Nabelpouch). Von den 16 erfolg- reich operierten Patientinnen können zwölf (darunter alle Ileozökalaugmenta- te) ihre Augmentatblase spontan entlee- ren. Drei Patientinnen sind auf intermit- tierenden Einmalkatherismus angewie- sen. Eine Patientin zieht die Dauerver- sorgung mit einem suprapubischen Ka- theter dem Selbstkatheterismus vor. Bei den 16 erfolgreich operierten Frauen re- duzierte sich die Miktionsfrequenz tags von im Mittel 31 auf acht Toilettengänge und nachts von 13 auf einen Toiletten- gang. Das mittlere präoperative Mikti- onsvolumen von 57 ml konnte mehr als vervierfacht werden. 14 der 16 Frauen sind postoperativ komplett schmerzfrei.

In zwei Fällen trat lediglich Schmerzlin- derung ein, darunter bei der einzigen Pa- tientin, bei der eine vorbestehende Dys- pareunie nicht eliminiert werden konnte.

Die präoperativ bei allen vorhandene Drangsymptomatik konnte in neun Fäl- len beseitigt, in drei Fällen verbessert und bei zwei Patientinnen nicht beein- flusst werden. Bei einer Patientin halten die vorbestehenden Schmerzen beim Wasserlassen auch postoperativ an. 13 der 16 Patientinnen erteilten ihrem Ope- rationsresultat auf einer subjektiven Be- wertungsskala (hervorragend/gut/befrie- digend/schlecht) die Bestnote.

Eine offenchirurgische Blasenteilent- fernung mit Harnableitung stellt unum- stritten einen erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Trotz der er-

mutigenden Datenlage zur Beschwerde- linderung durch eine Operation muss die Rate peri- und postoperativer Kompli- kationen (Beschwerdepersistenz, Ileus, Metabolik, Steindiathese, Anastomosen- strikturen, Entartung et cetera) auf lange Sicht hin weiter untersucht und in das Ri- siko-Nutzen-Kalkül einbezogen werden.

Resümee

Der aktuelle Bericht der amerikanischen Interstitial Cystitis Data Base Cohort (ICDB) (22) betont die eingeschränkte Wirksamkeit konservativer Therapie- ansätze und den Aufklärungsbedarf zur IC. Diese 1993 vom NIDDK aufgelegte Langzeit-Multicenterstudie verfolgt 637 IC-Patienten. Bei einem Drittel der lang- fristig symptomatischen Patienten war vor Studieneintritt die Diagnose IC noch nicht bekannt. Die longitudinalen Sym- ptomprofile der mit den unterschiedlich- sten Konzepten behandelten Patienten zeigten bezüglich Schmerz, Drang und Pollakisurie über Jahre hinweg nur we- nig Veränderungen. Die Autoren kom- men zu dem Schluss, dass „die interstiti- elle Zystitis eine chronische Erkrankung darstellt, deren Symptome durch keine derzeit verfügbare Therapie auf lange Sicht hin signifikant beeinflusst werden können“. Bleibt zu hoffen, dass For- schungsbemühungen in naher Zukunft neue Therapiemodalitäten erschließen, die den heute noch als therapierefraktär geltenden IC-Patienten den letzten Aus- weg einer Harnableitungsoperation er- sparen.

Manuskript eingereicht: 16. 7. 2001, revidierte Fassung an- genommen: 6. 8. 2001

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 204–208 [Heft 4]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Frank Oberpenning Klinik und Poliklinik für Urologie Universitätsklinikum Münster

Albert-Schweitzer-Straße 33, 48129 Münster E-Mail: OBERPEN@uni-muenster.de M E D I Z I N

A

A208 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Trotz der hohen Dosis ergab sich zwischen Placebo und Ranitidin kein Unterschied, was den Schutz der Magenschleimhaut vor Erosio- nen oder Ulzera anlangt (siehe Abbil- dung 3)..

Die Autoren führten eine Studie mit 123 Patienten durch, die unter niedrig dosiertem Aspirin (weniger als 325 mg pro Tag) eine Ulkuskomplikation ent- wickelt hatten und

Hier liegt auch die Problematik der Da- tenreduktion: Einerseits immer mehr transformierte oder kor- relierte Werte, die auch für den Fachmann (außer auf schmalen Gebieten)

Die aktuarische Überlebenskurve für Patienten nach chirurgischer Be- handlung der Aortendissektion weist nach fünf Jahren eine Überle- bensrate von 57 Prozent auf, nach zehn

Kommt es zu Veränderungen in dieser Schutzschicht, sind Permeabi- litätsstörungen die Folge, die ihrerseits einen verstärkten Kaliumeinstrom und einen Zusammenbruch des

Vier Indi- katoren für Mortalität und Morbi- dität aufgrund der koronaren Herzkrankheit wurden unter- sucht: Todesfälle außerhalb des Krankenhauses, Todesfälle im Krankenhaus,

In der Praxis wird man den er- wünschten Einsatz einer Pflege- person in diesem Gebiet nur errei- chen können, wenn das Thema (viel Trinken verringert den Harn- drang und

In dieser Untersuchung wird eine Technik beschrieben, bei der durch direk- te Gramfärbung des Katheterseg- ments eine mikroskopische Un- tersuchung des gefärbten Kathe-