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A2820 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000
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bwohl die Sozial- und Kranken- versicherung dank des Wirt- schaftswachstums und eines Rückgangs der Arbeitslosenzahlen in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1985 schwarze Zahlen schreiben wird, will die französische Regierung die rasche Aus- gabenentwicklung in der ambulanten Versorgung, die seit Anfang des Jahres registriert wird, mit neuen Sparmaßnah- men bremsen. Die für das Jahr 2000 festgelegte Quote für die Ausgabenent- wicklung von 2,5 Prozent ge-genüber 1999 konnte nicht eingehalten werden: Von Ja- nuar bis Juli stiegen die Aus- gaben für Arzthonorare um 5,2 Prozent und die Ausga- ben für Arzneimittelverord- nungen um zehn Prozent ge- genüber den ersten sieben Monaten des Vorjahres. Aus diesem Grund beschloss die Regierung Ende August, die Honorare einiger Facharzt- gruppen, die für diese Ent- wicklung besonders verant- wortlich gemacht wurden, zu senken, sowie eine geplante Aufwertung einiger haus- ärztlicher Leistungen zu
streichen. Betroffen waren vor allem Kardiologen, Radiologen, Neurologen und Pneumologen, deren technische Leistungen bis zu zehn Prozent gekürzt wurden.
Gleichzeitig fordern auch andere Arztgruppen und Verbände der Heilbe- rufe eine Lockerung beziehungsweise Aufhebung der Budgets für die ambu- lante Versorgung sowie weitere gesund- heitspolitische Änderungen, die unter anderem die Finanzierung und Durch- führung der EDV-Abrechnungsrege- lungen und allgemeine Beziehungen mit den Krankenkassen betreffen. Seit Wochen protestieren ambulante Kran-
kenpfleger und Physiotherapeuten, weil sie sich wegen ihrer seit Jahren nicht mehr erhöhten Honorare in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht se- hen.
Die Verbände sind sich einig, dass der 26. Oktober der Beginn einer Pro- testwelle sein soll. Da diesmal fast alle Verbände ihre Mitglieder zum Streik aufgerufen haben – im Gegensatz zu einzelnen Protestaktionen in den ver- gangenen Monaten, die nur von einigen
Verbänden unterstützt wurden –, rech- nen Ärzteorganisationen damit, dass sich eine Vielzahl von Ärzten an dem Streik beteiligen wird. Wie in einem sol- chen Fall üblich, werden nur einige Pra- xen Not- und Bereitschaftsdienste ge- währleisten.
Die Folge für die Patienten: Termine werden sich verschieben, und Patien- ten, die einen niedergelassenen Arzt aufsuchen wollen, werden gebeten, sich an die Krankenhäuser zu wenden.
Auch Privatkliniken, in denen nieder- gelassene Ärzte tätig sind, wollen nicht dringende Behandlungen und Termine verschieben.
Ende Oktober soll das Parlament die Gesundheitsbudgets für das Jahr 2001 beschließen; fest steht bereits, dass die Budgets für die ambulante Versorgung nur um drei Prozent gegenüber diesem Jahr steigen werden. Die Verbände hal- ten diese Steigerung für viel zu niedrig.
Am 18. Oktober ist Sozialministerin Martine Aubry zurückgetreten, um ihre Kandidatur bei den nächsten Kommu- nalwahlen in ihrer Heimatstadt Lille im kommenden März vorzubereiten. Aber auch ihre Nachfolgerin, die bisherige Justizministerin Elisabeth Guigou, wird wei- terhin mit der Verärgerung der Heilberufe rechnen müs- sen. Ein Ende der Sparpoli- tik ist trotz des Amtswech- sels kaum zu erwarten, weil Premierminister Lionel Jo- spin dies ablehnt.
Die Hausärzte planen, im November für einen weiteren Tag ihre Praxen zu schließen, während die Fachärzte einen einwöchigen Streik vorberei- ten, der kurz vor Weihnach- ten stattfinden soll. Die ge- planten Praxisschließungen würden die öffentlichen Krankenhäuser „völlig lähmen“, er- klären Fachärzteverbände, weil Tau- sende von Patienten kaum andere Mög- lichkeiten hätten, als sich in den Polikli- niken der Krankenhäuser behandeln zu lassen. „Die Regierung wird endlich er- kennen, dass wir den Etat der Kranken- versicherung nicht verschwenden, son- dern unentbehrliche Behandlungen für die gesamte Bevölkerung leisten“, heißt es vonseiten der Fachärzte. Sollten die geplanten Aktionen nicht ausreichen, drohen sie mit noch radikaleren Prote- sten: „Wenn es nötig ist, sind wir bereit, im Januar drei volle Wochen zu schließen.“ Denis Durand de Bousingen
Frankreich
Ärzte protestieren gegen Sparpolitik
Verbände der Heilberufe haben ihre Mitglieder aufgerufen, am 26. Oktober ihre
Praxen zu schließen. Sie wollen damit vor allem gegen Honorarkürzungen protestieren.
Aubrys Nachfolgerin ist die bisherige Justizministerin Elisabeth Gui- gou (links). Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry ist am 18.
Oktober aus dem Kabinett ausgeschieden. Die Sozialistin kandidiert für das Bürgermeisteramt in Lille. Fotos: ap