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Archiv "Ökonomisierung der Medizin: Die Grenzen des Marktes" (10.06.2013)

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A 1134 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 23–24

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10. Juni 2013

ÖKONOMISIERUNG DER MEDIZIN

Die Grenzen des Marktes

Das Gesundheitswesen darf sich nicht allein an ökonomischen Vorgaben

orientieren. Sonst sind grundsätzliche ärztliche Prinzipien in Gefahr. Der Deutsche Ärztetag fordert eine Rückkehr zu Freiheit und Verantwortung in der Therapie.

D

er Freiburger Medizinethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio sprach vielen Delegierten aus der Seele. Eindringlich warnte er auf dem 116. Deutschen Ärztetag vor ei- ner zunehmenden Kommerzialisie- rung der Medizin. Nach Ansicht Maios wird die Ökonomie dann zum Problem, wenn ihre Logik nicht nur auf Strukturen und Handlungsbedin- gungen angewendet wird, sondern auf den Inhalt der Medizin selbst.

Maio: „Die Frage ist also: Wie weit ermöglicht die Ökonomie ärztliches Handeln und ab wann bestimmt die Ökonomie ärztliches Handeln?“

Aus Sicht des Medizinethikers laufen die Ärztinnen und Ärzte Ge- fahr, sich durch den wirtschaftli- chen Druck zu verändern und „Zug um Zug die eigentlich fremde Lo- gik der Ökonomie zu ihrer eige- nen Logik zu machen“. Sie würden

„umprogrammiert“. Die Logik der

Ökonomie widerspreche aber mit- unter ärztlichen Idealen, zum Bei- spiel wenn Patienten mit einer auf- wendigen Behandlung unter wirt- schaftlichen Gesichtspunkten unren- tabel würden. „Eine Medizin, die Patienten meidet, kann sich aber nicht mehr Medizin nennen“, sagte Maio unter dem Beifall des Ple- nums. Es seien gerade die Schwa- chen und alten Patienten, die in dem System zu kurz kämen.

Der Deutsche Ärztetag sandte dann auch eine eindeutige Botschaft an die Politik: Die Delegierten for- derten, das Gesundheitssystem statt nach rein ökonomischen Prinzipien

stärker an den Bedürfnissen der Patienten auszurichten. „Seit Jahren steigt die Zahl der Behandlungsfälle in Klinik und Praxis, die Zahl der tatsächlich zur Verfügung stehen- den Arztstunden aber ist rückläufig.

Zugleich nimmt der ökonomische Druck durch fortwährende Unterfi- nanzierung im ambulanten Bereich wie auch in der Klinik zu“, heißt es in dem Leitantrag „Menschen statt Margen in der Medizin“, der mit großer Mehrheit verabschiedet wur- de. Die Folge dieser Entwicklung sei eine Verdichtung von Arbeit, Überlastung und Demotivation von Ärztinnen und Ärzten.

Auch Maio thematisierte diese Entwicklung in seinem Referat zum Auftakt der Plenarsitzung im Han- nover Congress Centrum. „Befriedi- gung durch ärztliche Arbeit ist nur dann möglich, wenn die Ärzte nicht das Gefühl haben, dass sie einge- setzt werden, um Gewinne zu erzie- len“, sagte er. Durch die Ökonomi- sierung empfänden viele Ärzte ei- ne Sinnentleerung ihres Tuns. Den Ärzten würden immer mehr ad - ministrative Aufgaben aufgebürdet, wie die Kodierung der Fallpauscha- len oder immer mehr Bürokratie in der Qualitätssicherung. Entlastung an anderer Stelle erfolge aber nicht.

„Durch diese Verdichtung der Arbeit finden Gespräche mit den Patienten immer mehr in den Zeiten statt, in denen die Ärzte ihr Arbeitspensum erledigt haben, und dies eben oft ge- nug außerhalb der eigentlichen Ar- beitszeit“, erläuterte Maio. Kommu- nikation und Beziehungsaufbau ge- Die Logik der

Ökonomie verän- dert die Ärztinnen und Ärzte. Davon ist der Medizinethiker Giovanni Maio über-

zeugt.

TOP I: Gesundheits- und Sozialpolitik – Markt und Medizin Fazit

Das Gesundheitswesen darf sich nicht an rein ökonomischen Prinzipien ausrichten, sondern muss in erster Linie das Wohl der Patienten im Blick haben.

Bonuszahlungen für Chefärzte, die sich allein an dem Erreichen ökonomischer Ziele orientie- ren, sind mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar.

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10. Juni 2013 raten in den Hintergrund. „So spart

die Medizin nicht das Überflüssige ein, sondern sie spart am Kern ih - rer Identität.“ Die Arzt-Patienten- Beziehung sei kein „idealistisches Sahnehäubchen“. Gerade die Öko - no misierung führe zu einer Abwer- tung nicht direkt messbarer Qualitä- ten, wie das „In-Beziehung-Treten“.

Die Medizin sei aber kein industriel- ler Produktionsprozess. Außerdem, kritisierte Maio, den Ärzten werde neben der medizinischen auch die ökonomische Verantwortung, zum Beispiel für das Krankenhaus, in dem sie arbeiteten, zugeschrieben.

„Dadurch werden Ärzte in gewisser Weise erpressbar“, monierte Maio.

Der Medizinethiker stellte zu- gleich klar, es gehe nicht darum, wirtschaftliches Handeln und Effi- zienz zu verteufeln. „Das ökonomi- sche Denken ist eine Notwendigkeit und auch im Interesse der Beitrags- zahler“, sagte er. Eine unangemes- sene Übertragung ökonomischen Denkens auf die Medizin gefährde die Humanität. Daher forderte Maio:

„Es wird von Ärzten immer wieder erwartet, dass sie lernen, ökono- misch zu denken, aber es ist noch wichtiger, dass Ökonomen lernen, medizinisch zu denken.“ Sie müssten wissen, wo ökonomisches Denken angemessen sei, aber auch, wo man dem medizinischen Denken wie der den Platz frei machen müsse.

Begrenzte Mittel sind Realität In der Diskussion im Plenum wurde deutlich, dass die große Mehrheit der Delegierten die Sorge vor einer Ökonomisierung der Patientenver- sorgung teilt. Martin Grauduszus, Nordrhein, verwies auf die ärztliche Berufsordnung, nach der Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich ihrer ärztli- chen Entscheidungen keine Wei- sungen von Nichtärzten entgegen- nehmen dürften. „Das ist aber heute tägliche Realität“, kritisierte er. Die Ärzte hätten sich durch ökonomi- sche Vorgaben in einen Aktionis- mus treiben lassen, der unärztlich sei. „Wir brauchen ein neues Selbst- bewusstsein“, forderte er.

Doch welche Konsequenzen sol- len die Ärzte aus der Kritik an der Kommerzialisierung ziehen? „Pro- fessor Maio hat deutlich gemacht,

wie die Soziodynamik der Unterwer- fung des ärztlichen Berufs unter öko- nomische Prinzipien abläuft. Jetzt stellt sich die Frage: Was nun?“, gab Dr. med. Ellis Huber, Berlin, zu be- denken. Die Begrenzung der finan- ziellen Mittel für das Gesundheits- wesen sei eine selbstverständliche Realität – genau wie in jedem priva- ten Haushalt. „Wie managen wir die- ses System so, dass die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und zielgerich- tet eingesetzt werden?“ – das sei die entscheidende Frage. Dieser dürften sich auch die Ärzte nicht verwei- gern, sondern müssten dafür Verant- wortung übernehmen. Das Geld müsse vor allem in ärztliche Arbeit und in Gesundheitsförderung flie- ßen, nicht in Bürokratie.

Prof. Dr. med. Wulf Dietrich, Bayern, übte grundsätzliche Kritik am ersten Tagesordnungspunkt des Ärztetages. Es sei falsch gewesen, das Referat „Wie viel Markt verträgt die Medizin?“ des Medizinethikers Maio mit einer Entscheidung über

ein künftiges Konzept von pri vater und gesetzlicher Krankenversiche- rung in einem gemeinsamen Punkt zu verknüpfen. Das sei unpassend und solle wohl eher gegen ein schlechtes Gewissen helfen, wenn man sich für den Fortbestand der privaten Krankenversicherung aus- spreche, vermutete Dietrich.

Kritik an Chefarztboni

Schließlich kam auch das Thema Bo- nuszahlungen für Chefärzte zur Spra- che. Dr. med. Eva Müller-Danneker, Berlin, sagte dazu: „Ich erwarte von Chefärzten, dass sie sich nicht kor- rumpieren lassen.“ Ärzte seien An- wälte ihrer Patienten. Wie auch schon auf dem 115. Deutschen Ärztetag in Nürnberg sprachen sich die Delegier- ten in Hannover gegen Bonuszahlun- gen aus, die rein auf ökonomische Zielgrößen ausgerichtet sind. „Eine derartige Kopplung ärztlich-medizi- nischer Gesichtspunkte und ökono- mischer Erwägungen widerspricht dem ärztlichen Berufsethos“, heißt es in einem Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer, der mit großer Mehrheit angenommen wurde.

„Unbedenklich sind demgegen- über Bonuszahlungen, welche nicht an die Erreichung von ökonomi- schen, sondern von qualitätsbezo- genen Zielen im ärztlich-medizini- schen Bereich anknüpfen“, so der Beschluss. Die Kritik richte sich in- sofern nicht generell gegen Zielver- einbarungen und Bonusregelungen mit leitenden Krankenhausärzten.

Der 116. Deutsche Ärztetag begrüßt, dass gemäß den Empfehlungen nach

§ 136 a Sozialgesetzbuch V im Chef- arztvertragsmuster der Deutschen Krankenhausgesellschaft neben öko- nomischen Kriterien, die im Übri- gen streng unter Beachtung des ärztlichen Berufsrechts gestellt wer- den, nun ausdrücklich auch ärztlich- medizinisch orientierte Kriterien für Zielvereinbarungen hervorgeho-

ben werden.

Dr. med. Birgit Hibbeler Das vorhandene

Geld sinnvoll ein- setzen: Dafür plä- dierte Ellis Huber (oben).

Grundsätzliche Kritik am Tages- ordnungspunkt I und der Kombinati- on der Themen kam von Wulf Dietrich (unten).

„Wie viel Markt verträgt die Medizin?“ – eine Umfrage auf dem Ärztetag:

www.aerzteblatt.de/video54581 video.aerzteblatt.de

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