• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ärzte ohne Grenzen: „Man hat uns dort wirklich geschätzt“" (27.09.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ärzte ohne Grenzen: „Man hat uns dort wirklich geschätzt“" (27.09.2002)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

W

elcome to the Welcome Days“

steht auf der Tafel in einem der Seminarräume der Andreas Hermes Akademie in Bonn. Gut 20 Frauen und Männer – Ärzte, Kranken- schwestern und Logistiker – haben sich hier eingefunden, um sich in einem dreitägigen Seminar auf ihren Einsatz in einem der Krisengebiete dieser Welt vorbereiten zu lassen. Für viele ist es der erste Hilfseinsatz überhaupt, für an- dere der erste mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans Frontières, MSF).

Einer der wenigen, die schon wissen, in welchem Projekt sie mitarbeiten wer- den, ist Jürgen. Der 36-jährige Anästhe- sist wird in zehn Tagen für gut drei Mo- nate nach Sri Lanka ausreisen. „Seit An- fang des Jahres laufen dort Friedensver- handlungen zwischen den Bürgerkriegs- parteien. Ich glaube, Sri Lanka ist ein gutes Ziel für den ersten Einsatz“, sagt er. In einem internationalen Team von sieben MSF-Mitarbeitern, darunter zwei Ärzte, sowie einheimischem Personal wird Jürgen in der Stadt Madhu für die medizinische Versorgung der Bevölke- rung sorgen. MSF betreibt dort seit 1999 eine kleine Klinik. Vor der nach wie vor instabilen Sicherheitslage hat der Anästhesist keine Angst. „Ich frage mich eher, ob ich den fachlichen Anforderun- gen genüge“, sagt er. In Sri Lanka wird er als „Generalist“ für das gesamte Krank- heitsspektrum zuständig sein.

Die Entscheidung darüber, wo, wann und wie die Hilfsorganisation tätig wird, treffen die fünf so genannten operational centers in Frankreich, Belgien, Holland, Spanien und der Schweiz. Die Büros in anderen Ländern sind zuständig für die Anwerbung von Mitarbeitern und Spen- den sowie für die Öffentlichkeitsarbeit.

Derzeit betreut Ärzte ohne Grenzen 200 Projekte in 80 Ländern. Voraussetzung für eine Bewerbung bei MSF ist für Ärz-

te das abgeschlossene AiP. Chirurgen und Anästhesisten müssen über eine ab- geschlossene Facharztweiterbildung ver- fügen. Auf diese Standards haben sich die weltweit 18 Büros der Hilfsorganisa- tion verständigt. Ein weiteres Kriterium ist die Verfügbarkeit. Pflegekräfte soll- ten neun bis zwölf Monate, Ärzte sechs Monate einsatzfähig sein. Ausnahmen gelten für Chirurgen und Anästhesisten.

Ihr Einsatz ist bereits ab sechs Wochen beziehungsweise drei Monate willkom- men. Entscheidend ist darüber hinaus, dass die Bewerber fließend Englisch sprechen. Der Sinn dieser Regelung er- schließt sich spätestens bei den Welcome Days. Norweger, Schweden, Briten, Österreicher und Deutsche haben sich in

Bonn eingefunden. Die Dozenten stam- men aus der Schweiz, aus den Niederlan- den, aus Belgien, Deutschland und Gha- na. Auch in den Hilfsprojekten werden die „Neuen“ in internationalen Teams zusammenarbeiten. Die gemeinsame Sprache ist dort (über-)lebenswichtig.

„Interessant sind für uns natürlich auch Bewerber, die bereits Arbeits- oder Reiseerfahrung in Entwicklungs- ländern haben oder neben Englisch weitere Fremdsprachen wie Franzö- sisch, Spanisch, Portugiesisch oder Rus-

sisch sprechen“, sagt Andreas Fertig, Personalreferent des deutschen MSF- Büros in Bonn.Voraussetzung für einen Einsatz mit MSF sei dies aber nicht.

Ähnliches gelte für tropenmedizinische Kenntnisse. Sie seien zwar wünschens- wert, aber nicht verpflichtend.

Mariska absolviert in Vorbereitung auf ihren ersten Hilfseinsatz dennoch einen Tropenmedizin-Kurs in Heidel- berg. Die 29-jährige Ärztin, die sich in der Weiterbildung für Innere Medizin befindet, hat ihren befristeten Arbeits- vertrag auslaufen lassen, um für einen Einsatz verfügbar zu sein. Sich für ein Jahr freistellen zu lassen wäre an ihrer Klinik unmöglich gewesen, vermutet sie. Die Vorurteile gegenüber huma- nitären Hilfseinsätzen sind hierzulande offenbar immer noch deutlicher ausge- prägt als in anderen Ländern. „Ent- wicklungshilfe machen doch nur Leute, die woanders keinen Job bekommen“, beschreibt Mariska die Reaktion eines Kollegen auf ihre Entscheidung. Viele fürchten deshalb einen Karriereknick, wenn sie sich zur Mitarbeit in der huma- nitären Hilfe entschließen. „Dabei sind die Leute so motiviert. Schon allein auf- grund ihres Engagements können sie nach ihrer Rückkehr wertvolle Mitar- beiter sein“, hält Mariska dagegen.

Optimistischer, was seine Freistel- lung betrifft, ist Egil. Der 61-jährige Norweger, der perfekt Englisch und Deutsch spricht, hat nach 20 Jahren sei- ne eigene Praxis aufgegeben, weil er der zunehmenden Bürokratie überdrüssig war, und arbeitet jetzt in einer Polikli- nik. Er ist überzeugt, dass sein Chef ei- ner Freistellung für ein halbes Jahr zu- stimmen wird.

Trotz des straffen Zeitplans ist die Stimmung unter den Teilnehmern des Vorbereitungsseminars gelöst. Auf dem Stundenplan stehen die Geschichte der humanitären Hilfe, multikulturelle Kom- T H E M E N D E R Z E I T

A

A2532 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002

Ärzte ohne Grenzen

„Man hat uns dort wirklich geschätzt“

Neben der medizinischen Hilfe für Menschen in Not ist die persönliche Herausforderung ein wichtiges Motiv für die Mitarbeit in einem Projekt. Stimmen aus einem Vorbereitungskurs

Seit Jahren betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Hilfsprojekt im Süd-Sudan. Fotos: Sabine Kampmüller

(2)

munikation, Sicherheitsrichtlinien, Ver- haltensregeln, Stressmanagement und natürlich die ideelle und organisatorische Struktur von Ärzte ohne Grenzen. „Mir gefällt an den Welcome Days vor allem der intensive Kontakt mit den anderen Bewerbern und den projekterfahrenen Mitarbeitern von MSF“, sagt Mariska.

Angesichts der Komplexität des Pro- gramms hätte sie jedoch gerne länger als drei Tage Zeit für die Vorbereitung ge- habt. Die Welcome Days haben ihr unter anderem verdeutlicht, dass es während des Hilfseinsatzes Situationen geben kann, in denen sie überfordert ist. „Ich war noch nie in einer lebensbedrohlichen Situation und kann von daher meine Re- aktion nicht wirklich einschätzen.“

Neben dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes gehört Ärzte ohne Grenzen meist zu den Letzten, die ein Krisengebiet verlassen, wenn sich die Si- cherheitslage dramatisch verschärft. Die Organisation verfügt deshalb über strenge Sicherheitsrichtlinien und einen Evakuierungsplan für den Fall, dass die Lage für die Mitarbeiter vor Ort zu ge- fährlich wird. Arno Mulders, ebenfalls Personalreferent in Bonn, weist in die- sem Zusammenhang auf die zuweilen frustrierende Beschränkung der persön- lichen Freiheit hin. Er hat lange für MSF in Sarajewo gearbeitet. „Ohne Helm und kugelsichere Weste durften wir das Haus nicht verlassen. Auch dann nicht, wenn man nur etwas im Auto vergessen hatte, das zehn Meter weiter parkte.“

„Ich halte das Seminar für sehr sinn- voll“, sagt Sabine. „Die Leute müssen wissen, wie ernst die Lage werden kann.“ Die 29-jährige Krankenschwe- ster aus Österreich arbeitet derzeit im Wiener Büro von MSF. Zuvor war sie für die Organisation zwei Jahre lang in einem Slumprojekt in Kenia, drei Mo- nate in einem Wasserprojekt in Bergka- rabach und gut eineinhalb Jahre in ei- nem Basisgesundheitsprogramm im Süd-Sudan tätig. „Was die Hilfe betrifft, habe ich mit sehr idealistischen Vorstel- lungen begonnen. Mittlerweile bin ich

realistischer geworden“, sagt Sabine.

„In Nairobi fand meine erste wirkliche Begegnung mit Aids statt. Wir konnten damals nichts tun, um die Kranken zu behandeln. Es war schlimm zu sehen, wie auch unsere Mitarbeiter starben.“

Im Bürgerkriegsgebiet des Süd-Sudan war es die prekäre Sicherheitslage, die zu unterschwelliger Anspannung führte.

„Es ist eigenartig, wie sehr man sich dar- an gewöhnen kann“, meint Sabine im

Rückblick. Dort sei ihr auch bewusst ge- worden, wie wichtig die von MSF propa- gierte Neutralität und Unabhängigkeit von staatlichen, militärischen oder reli- giösen Einflüssen und Gruppierungen ist. Die Sudanesen seien zunächst skep- tisch gewesen, weil sie glaubten, MSF handele im Auftrag der Regierung.

„Aber in der Folge haben sie uns wirklich geschätzt. Jemand von ,draußen‘ interes- sierte sich für ihre Sitation und konnte der Welt darüber berichten.“ Den Hilfe- bedürftigen als Zeugen zu dienen ist ne- ben der medizinischen Hilfe der zweite Grundpfeiler der MSF-Philosophie. Je nach Ernst der Lage reichen die Mittel der Berichterstattung von der stillen Di- plomatie bis zur Einschaltung der Medi- en. Um ihre Unabhängigkeit zu bewah- ren, hat sich die Organisation die Ver- pflichtung auferlegt, dass mindestens 50 Prozent ihrer Mittel aus privaten Spen- den stammen müssen. „Wir wollen selber entscheiden, welche Projekte wir wo rea- lisieren“, sagt ein MSF-Mitarbeiter. „Im Zweifelsfall auch gegen den Willen der Regierung des betroffenen Landes.“

In Rollenspielen können die Teilneh- mer ausprobieren, wie schwierig zuwei- len die Kommunikation mit Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen sein kann. Trainiert wird unter Anleitung von Toni Kofi, der aus Ghana stammt und seit Jahren in Amsterdam lebt. Die Spielsituationen betreffen unter ande- rem den Umgang mit lokalen Mitarbei- tern und den Versuch, für ein Projekt die Unterstützung der örtlichen Dorf-

gemeinschaft zu gewinnen – durchaus realistische Situationen, wie Sabine aus eigener Erfahrung bestätigen kann: „Im Vorfeld einer großen Impfkampagne gegen Meningitis musste ich mit den lo- kalen Autoritäten verhandeln, weil wir zur reibungslosen Durchführung auf deren Kooperation angewiesen waren.

Davor hatte ich Angst. Wenn man sich allerdings Zeit für Gespräche nimmt, funktioniert es.“ Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, habe weniger Schwierig- keiten verursacht als befürchtet. „Die chiefs haben mich schlicht nicht als ,nor- male‘ Frau in ihrem Sinne angesehen.“

Rund 200 Bewerber zählt MSF- Deutschland jährlich. Gut 60 Prozent von ihnen werden nach Auswertung der Bewerbungsunterlagen und einem rund zweistündigen Interview in den Pro- jektpool aufgenommen. Dabei ist die Organisation ständig auf der Suche nach neuen Mitarbeitern, obwohl bei den „Altgedienten“ keine Projektmü- digkeit zu spüren ist. Befragt nach ihren Plänen antwortet Sabine: „Ich will wie- der rausgehen.“ Heike Korzilius T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002 AA2533

Wer sich für eine Mitarbeit interessiert, wendet sich an Ärzte ohne Grenzen, Personalabteilung, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin. Der Bewer- bungsbogen und weitere Informationen können im Internet unter www.aerzte-ohne-grenzen.de abgerufen werden.

Eineinhalb Jahre arbeitete Sabine Kampmüller in einem Basisgesundheitsprogramm im Sudan.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Denkbar seien in diesem Zusammen- hang die Besteuerung von Profiten oder die Verpflichtung, einen Teil der Gewinne für die Entwicklung von Arzneimitteln gegen Infektions- krankheiten

Die Organisation begründet diesen Schritt damit, daß die Regierung von Nordkorea sich weigert, die akute Not ihrer Bevölkerung an- zuerkennen und humanitäre Hilfe zu akzeptieren..

• Von den Ärzten, die den Fragebogen zurückgesandt hatten, zeigten nahezu 66 Prozent Interesse an einer Beratung über ihre Verord- nungsweise.. Wie aus Tabelle 2 (auf der

April, daß auch das linke Ufer der Drina von Panzern beschos- sen wird, „und diese Angriffe sind präziser als die der Artillerie". Am Samstag weitete das Team von „Ärz- te

„Mit dem Geld möchten wir die wich- tige Arbeit von Ärzte ohne Grenzen zur Eindämmung der Epidemie und die Hilfe vor Ort unterstützen“, so der Vizepräsident der Sächsischen

Ärzte ohne Grenzen hilft Menschen in Not, Opfern von Naturkatastrophen oder kriegerischen Auseinanderset- zungen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder

Ärzte ohne Grenzen hilft Menschen in Not, Opfern von Naturkatastrophen oder kriegerischen Auseinanderset- zungen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder

Wenn diese mit den Patienten zahlenmäßig überfordert sind, ist „Ärzte ohne Grenzen“ in der Lage, neue Fachkli- niken zur Behandlung endemischer Krankheiten oder für chirurgische