Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 21|
23. Mai 2014 A 917 HOCHSCHULFINANZIERUNGNotruf der Wissenschaft
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat fordern die Politik gemeinsam auf, endlich drängende Fragen zur Zukunft des Wissenschaftssystems zu lösen.
D
ie Wissenschaft schlägt Alarm: Sowohl die Forschung als auch eine gute universitäre Lehre seien in Deutschland wegen einer mangelnden Grundfinanzierung der Hochschulen gefährdet, warnten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Hochschulrektorenkon- ferenz (HRK) sowie der Wissen- schaftsrat am 19. Mai in Berlin. Es war erst der zweite gemeinsame Ap- pell der Organisationen überhaupt und der erste seit den Auseinander- setzungen um die Föderalismusre- form 2005. Mit ihm fordern die Spit- zenvertreter des Hochschul- und Wissenschaftssystems die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Parteien auf, die drängenden Zu- kunftsfragen des Hochschul- und Wissenschaftssystems rasch zu lö- sen. „Die hierfür notwendigen Wei- chenstellungen müssen in den kom- menden Wochen getroffen werden“, sagte DFG-Präsident Prof. Dr. phil.Peter Strohschneider. Andernfalls drohe dem Wissenschaftssystem und der akademischen Ausbildung ein Schaden, der nicht mehr wettge- macht werden könne. „Unser ge- meinsamer Appell soll ein Zeichen setzen und den Ernst der Lage unter- streichen“, erläuterte er. „Wir leiden unter einer Verhakung im politischen Feld: Bund, Länder und Parteien blockieren sich gegenseitig.“
In der Tat sind die Ausgestaltung und die Finanzierung des Hoch- schul- und Wissenschaftssystems zwischen Bund, Ländern und Par- teien immer noch umstritten – wenngleich in den Koalitionsver- handlungen im Herbst vergangenen Jahres ein breiter Konsens bei den Regierungsparteien bezüglich der Prioritätensetzung bei Bildung, Wissenschaft und Forschung herrschte. „Der Koalitionsvertrag hilft uns aber nicht weiter, weil Bund und Länder offenbar nicht
wissen, wie sie ihn umsetzen sol- len“, kritisierte Strohschneider.
„Die unzureichende Grundfinan- zierung ist das drängendste Problem des deutschen Wissenschaftssys- tems“, sagte HRK-Präsident Prof.
Dr. sc. tech. Horst Hippler. Diese müsse nachhaltig verbessert werden.
Drittmittel für die Forschung ersetz- ten an vielen Hochschulen die Grundfinanzierung. Je nach Fach würden so durchschnittlich zehn Prozent der Mittel von der For- schung abgezogen. Zudem sind auch die Fördergelder knapp: Selbst für sehr gute Forschungsprojekte reich- ten die Mittel der DFG längst nicht mehr, ergänzte Strohschneider.
Nach Ansicht der Wissenschafts- organisationen müssten Hochschu- len und Forschungseinrichtungen deshalb „einen substanziellen An- teil“ an den im Koalitionsvertrag für die Länder vorgesehenen Bun- desmilliarden für Bildung und Be- treuung erhalten. Aktuell gibt es ei- nen Dissens darüber, wie die sechs Milliarden Euro Bundesmittel, die den Ländern laut Koalitionsvertrag zur Entlastung für Kindertagesstät- ten, Hochschulen und Schulen bis 2017 versprochen wurden, am bes- ten verteilt werden können. Stroh-
schneider kritisierte die Erwägun- gen der Koalition als unzweckmä- ßig, den größeren Teil des Geldes
„quasi cash“ und ohne Zweckbin- dung an die Länder zu leiten. „Das wäre die schlechteste Lösung.“ Bil- dung und Forschung dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Als „völlig ungeeignet“ bezeich- neten die Organisationen auch das Verbot der Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich.
„Das im Grundgesetz festgeschrie- bene Kooperationsverbot muss ab- geschafft werden. Gelingt dies nicht, muss auf anderem Wege ein stärkeres Engagement des Bundes ermöglicht werden“, erklärte der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Prof. Dr. ing. Wolfgang Marquardt.
„Eine Große Koalition hat eigent- lich die besten Chancen, eine Ver- fassungsreform umzusetzen“, sagte er. Diese dürfe man nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Zügig müsse man sich auch mit der Weiterentwicklung der in den nächsten Jahren auslaufenden drei großen Pakte – der Exzellenzinitiati- ve, dem Pakt für Forschung und In- novation und dem Hochschulpakt – beschäftigen, mahnte Marquardt.
▄
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Es geht auch um
die Qualität der Lehre: Die hierfür notwendigen Weichenstellungen müssten in den kommenden Wochen getroffen werden.
Anderenfalls drohe ein irreparabler Schaden.
Foto: dpa