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Archiv "Doping: Im Reich der Mittel" (25.08.2008)

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D

er Stationsarzt einer chinesi- schen Klinik hatte klare Vor- stellungen davon, wie eine Zellthe- rapie zur Leistungssteigerung von Sportlern aussehen sollte: „Wir empfehlen vier Infusionen von Stammzellen aus Nabelschnurblut“, erklärte er den Fernsehreportern des Norddeutschen Rundfunks (NDR), die sich als Trainer von Profi- schwimmern vorgestellt hatten.

40 Millionen Stammzellen – je mehr, desto besser, meint der Arzt.

Die Stammzellen könnten die Lun- genfunktion stärken. Für 24 000 US- Dollar sei die Therapie zu haben.

„Abgesehen davon, dass die ange- botene Behandlung mit dem Risiko von Infektionen und Immunreaktio- nen verbunden ist – es gibt überhaupt keine Hinweise darauf, dass Stamm- zellen aus Nabelschnurblut die Leis- tung eines gesunden, gut trainierten Menschen steigern“, betont Prof. Dr.

rer. nat. Mario Thevis vom Zentrum für präventive Dopingforschung von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Der Antidopingexperte ist erschrocken darüber, wie real Gen- doping möglicherweise schon ist. „In dieser belegbaren Form habe ich mir das nicht vorgestellt“, sagt Thevis, zur- zeit als Dopingkontrolleur in Peking.

Kein übertriebenes Szenario Eine medizinisch nicht indizierte Übertragung von Genen, genetischen Elementen und/oder Zellen zum Zweck der Leistungssteigerung fällt nach Definition der Weltantidoping- agentur (WADA) unter Gendoping, ebenso die Regulierung der Gen- expression mit dem Ziel, die sportli- che Leistungsfähigkeit zu erhöhen.

Lange Zeit galt Gendoping als über- triebenes Horrorszenario, zumal es bei einigen klinischen Anwendun- gen der Gentherapie schwere, teil-

weise tödliche Nebenwirkun- gen gegeben hat. Als physiolo- gische Ansatzpunkte für Gendo- ping gelten:

> die Sauerstoffversorgung, zum Beispiel über eine Er- höhung der Hämoglobinkon- zentration

> die Skelettmuskulatur, zum Beispiel über Zielmoleküle wie Myostatin, Wachstumshormon (HGH) oder die Insulin-like- Growth-Factors(IGF)-1 und -2, welche die wachstumsfördernde Wirkung von HGH vermitteln

> und die Energiebereitstel- lung über den Fettsäure- und Glucosestoffwechsel in Leber und Muskel mit Zielmolekülen wie den Glucosetransportern.

In präklinischen Versuchen haben sich die entsprechenden Gene der Zielmoleküle als wirk- sam erwiesen. Beim Menschen sind Wirksamkeit und Unbe- denklichkeit bislang nicht be- legt. Dass sie dennoch für Gen- doping missbraucht werden könn- ten, haben Wissenschaftler schon kurz nach der Publikation präklinischer Daten feststellen müssen, wie Prof.

Dr. rer. nat. H. Lee Sweeney von der Universität in Pennsylvania/USA, der in den 90er-Jahren bei Mäusen über eine Zunahme der Muskelmas- se und eine schnellere Regeneration verletzten Muskelgewebes nach Transfer des IGF-1-Gens berichtet hatte. Er habe viele Anfragen von Leistungs- und Amateursportlern er- halten, die sich als Versuchsperso- nen angeboten hätten.

David Howman, Generaldirektor der WADA, sagte als Reaktion auf die Dokumentation des NDR, die Vorschläge des chinesischen Arz- tes bedeuteten „einen totalen Bruch mit den Standards, die die WADA eingeführt hat, um den Betrug durch

Gendoping zu verbieten“. Es sei

„schrecklich, dass Gendoping viel- leicht jetzt schon in China prakti- ziert wird“.

Auch das Büro für Technikfolgen- abschätzung beim Deutschen Bun- destag (TAB) hat sich mit Gendoping beschäftigt (TAB-Arbeitsbericht 124, 4/2008). Priv-Doz. Dr. rer. nat.

Patrick Diel (DSHS) war einer der Hauptgutachter: „Ich glaube nicht, dass in China ,Staatsdoping‘ betrie- ben wird wie in der ehemaligen DDR.

Aber das chinesische Regime hat die momentan wohl liberalste Wirt- schaftspolitik der Welt. Wer im Land investieren will und Wachstum ver- spricht, den lässt man gewähren, oh- ne ethische Einschränkungen.“

Grundsätzlich dürfte die Mög- lichkeit, dass Sportler Gendoping anwenden, in allen Ländern existie- ren. So ist 2006 beim Prozess gegen den Leichtathletiktrainer Thomas Springstein wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz eine E-Mail bekannt geworden, in der Springstein einen Vermittler um „Instruktionen“

für die Bestellung von RepoxygenTM bittet. Repoxygen ist ein Genthera- pieverfahren, das die intrakorporale Synthese von Erythropoietin kontrol- liert (bei Sauerstoffmangel) ankur- beln soll. Bislang gibt es nur präklini- sche Tests, ebenso wie zur Genthera- pie mit HGH, das die Funktion der Skelettmuskulatur verbessern und das Körperfett reduzieren soll. IGF und Myostatin sind weitere mögliche Zielstrukturen für Gendoping. Letz- teres ist ein wachstumshemmender Botenstoff, der von Skelettmuskel- zellen gebildet wird, wenn die phy- siologisch angestrebte Ausdehnung des Muskels erreicht ist. Eine Blo- ckade von Myostatin über Antisense- RNA bewirkt eine Zunahme sowohl der Faserdicke als auch der Faserzahl (Gene Therapy 2008; 15: 155–60).

Die Möglichkeit einer oralen Appli- kation erhöhe die Gefahr des Miss- brauchs erheblich, meint Diel.

Bis sich Gendoping so sicher nachweisen lässt, dass ein positiver Befund vor einem Sportgericht Be- stand hätte, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die Blutproben der Sport- ler in Peking aber werden eingefro- ren – für mindestens acht Jahre. I Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

DOPING

Im Reich der Mittel

Eine Dokumentation über China verstärkt die Befürchtungen, dass Athleten bereits Gendoping anwenden – trotz unabsehbarer gesundheitlicher Risiken.

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008 A1785

Foto:Gilead Sciences

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