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Archiv "Die dissoziative Identitätsstörung – häufig fehldiagnostiziert: Ausgezeichnete Hilfestellung" (13.04.2007)

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A1032 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 15⏐⏐13. April 2007

M E D I Z I N

LITERATUR

1. Brandt J, van Gorp WG: Functional („psychogenic“) amnesia. Sem Neurol 2006; 26: 331–40.

2. Brand BL, McNary SW, Loewenstein RJ, Kolos AC, Barr SR: Assess- ment of genuine and simulated dissociative identity disorder on the structured interview of reported symptoms. J Trauma Dissociation 2006; 7: 63–85.

3. Huntjens RJ, Peters ML, Woertman L: Inter-identity amnesia in disso- ciative identity disorder: a simulated memory impairment? Psychol Med 2006; 36: 857–63.

Dr. med. Matthias Mindach Humboldtstraße 5 15230 Frankfurt (Oder) E-Mail: mindach@onlinehome.de

Ausgezeichnete Hilfestellung

Der Übersichtsartikel von Frau Gast zur dissoziativen Identitätsstörung gibt eine ausgezeichnete Hilfestellung im Umgang mit einer Anzahl besonders schwieriger Pa- tientinnen. Unter jenen, die schon an der Rezeption re- gelmäßig für erhebliche Unruhe sorgen und die mir mit ihrer verwirrenden Symptomatik und unberechenbaren Stimmungen meine Grenzen aufzeigen, mögen 5 bis 10 eine dissoziative Identitätsstörung haben. Mit diesem Wissen lohnt sich der Versuch, einen respektvollen und fürsorglichen Kontakt zu diesen Frauen aufzubauen.

Damit kann schon in der Hausarztpraxis ein therapeuti- scher Weg eingeschlagen werden, der der Patientin und dem Gesundheitswesen eine unsinnige und belastende Diagnostik erspart und der aus eigener Erfahrung für Patient und Arzt sehr fruchtbar sein kann. Deshalb ist es erfreulich, dass sich das Deutsche Ärzteblatt dieses ver- sorgungsrelevanten Themas angenommen hat und Frau Gast ist zu danken für die überzeugende Darstellung dieses bizarren Krankheitsbildes und die klare Über- sicht der Diagnosekriterien.

Dr. med. Helga Duscha Philipp-Försch-Straße 15 55257 Budenheim

Fehlende Objektivierbarkeit

Die Diagnose DIS wird eher zu häufig als zu selten ge- stellt. Das Kernproblem ist gerade die von den Autoren geforderte „aktive Erfragung“ der Symptome. Dahinter verbirgt sich ein riskanter Indoktrinationsvorgang, dem hochsuggestible Personen – Patienten wie Therapeuten – zum Opfer fallen.

In meiner 20-jährigen Berufstätigkeit im psychiatri- schen Feld entpuppten sich alle DIS-Fälle als Irrtümer.

Angefangen von der simulierten DIS nach einem Tö- tungsversuch an der Ehefrau; weiter über 2 Fälle, in denen histrionische Patientinnen bei der „therapeu- tischen Aufdeckung“ unzähliger Persönlichkeiten in eine fatale Abhängigkeit von ihren Therapeuten ge- rieten, sich letztendlich selbst als Opfer von Manipula- tionen erkannten und schwere Vorwürfe gegen ihre Therapeuten erhoben. Bei einer Benzodiazepin-abhän- gigen Patientin bestand eine unübersichtliche Gemen- gelage aus toxisch bedingten Amnesien, appellativem Craving-Verhalten und infantiler Beziehungsmanipu-

lation. „DIS“ wurde hier willkürlich diagnostiziert. Ei- ne sehr junge Patientin hatte sich in die Thematik „ein- gelesen“. In einem Fall bestand eine fehlgedeutete Temporallappenepilepsie.

Fazit: Die Diagnose DIS ist bestenfalls Forschungs- diagnose, schlimmstenfalls Modediagnose. Ihr infla- tionärer Einbruch in die Klinik könnte Patienten und Therapeuten mehr schaden als nutzen. Mehr als andere psychiatrische Diagnosen entbehrt sie der Objektivier- barkeit. Die von den Autoren beschworene „neurobio- logische Basis“ mit mehr plakativen als repräsentati- ven Befunden ist sehr fragwürdig. Die DIS ist meines Erachtens kein Produkt der Amygdala, sondern Ema- nation des Zeitgeistes mit seinen wiederkehrenden Krisen des Individualismus, namentlich der deutschen Romantik, des Fin de siècle oder der globalen Postmo- derne.

Jürgen Horn Königstraße 19a 66578 Schiffweiler

Therapieempfehlungen fragwürdig

In den letzten Jahren war es ruhig um diese Diagnose ge- worden, entsprechend der Formulierung im ICD-10: „Die- se Störung ist selten, und es wird kontrovers diskutiert, in welchem Ausmaß sie iatrogen oder kulturspezifisch ist“.

So gesehen kommt der Artikel etwas überraschend.

Dass es das Phänomen multiple Persönlichkeit gibt, soll gar nicht bestritten werden, weil es im Seelischen nichts gibt, was es nicht gibt. Nur kommen mir die Zah- len der Autoren über die Häufigkeit maßlos übertrieben vor. In meiner über zwanzigjährigen Arbeit als psycho- therapeutischer Supervisor – häufig in Einrichtungen, deren Klientel für das beschriebene Krankheitsbild dis- ponieren müsste – gab es einen einzigen Fall, bei dem eine Patientin durchgängig das Phänomen multiple Per- sönlichkeit zeigte, wobei sie lediglich zwischen zwei Persönlichkeitszuständen hin und her pendelte.

Fragwürdig an dem Artikel sind die Therapieemp- fehlungen, die allgemeiner nicht sein könnten und kei- nen Unterschied machen. Neben der Empfehlung

„Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Be- ziehung“, was grundsätzlich immer gilt, wird ein so- genanntes „phasenorientiertes Vorgehen“ empfohlen,

„bei dem zunächst eine Stabilisierung der Patienten angestrebt wird, bevor man sich gezielt der Bearbei- tung traumatischen Materials zuwendet“. Was immer die Autoren unter Stabilisierung verstehen, so ist es ei- gentlich in den meisten Therapien üblich, zunächst die Patienten zur Aktivierung ihrer Ressourcen zu moti- vieren und erst nach einer gewissen Zeit die Bearbei- tung der Defizite anzubieten. Das als phasenorientier- tes Vorgehen zu beschreiben erscheint sprachlich ziemlich hypertroph. Das gilt gleichermaßen für den letzten Teil der Therapieempfehlung der „störungspe- zifischen Techniken“, „die darauf abzielen, die dis- soziierten Selbstzustände in die Therapie einzubezie- hen, um somit einen Integrationsprozess … einzulei- ten“. In der Psychotherapieforschung hieß dieses Vor-

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 15⏐⏐13. April 2007 A1033

M E D I Z I N

gehen allgemein „Problemaktualisierung“ und ist ei- ner der vier grundlegenden Wirkmechanismen einer jeden Psychotherapie.

Rolf Heinzmann Indianaring 45 76149 Karlsruhe

Tatsächliche Prävalenz eventuell niedriger

Das Ausmaß soziokultureller und iatrogener Einflüsse auf die Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung (DIS) wird unverändert kontrovers diskutiert.

Nachdem früher Einzelfälle eher alternierender Per- sönlichkeiten berichtet wurden, stieg vor allem nach der Buchveröffentlichung des Falls „Sybil“ 1973 in den USA die Anzahl sowohl der Fälle insgesamt als auch der Identitäten innerhalb eines Individuums sprunghaft an.

1976 erfolgreich verfilmt, wurde der Fall „Sybil“ erst 1998 als iatrogene DIS und Pseudologia phantastica aufgedeckt: Sowohl das seinerzeit rätselhafte Krank- heitsbild als auch die Erinnerungen der Patientin an frühkindliche Traumata beruhten auf Suggestionen der Psychotherapeutin (1).

In der wissenschaftlichen Diskussion wird neben ei- ner Unterdiagnostizierung ebenso eine Überdiagnosti- zierung angenommen. Auffallend ist, dass die DIS über- wiegend in Nordamerika und einigen westeuropäischen Staaten diagnostiziert wird, in den meisten anderen Staaten, darunter auch Frankreich und Großbritannien, hingegen nicht oder nur selten. Hohe Prävalenzangaben wie im vorliegenden Artikel sind vor diesem Hinter- grund kritisch zu hinterfragen und keineswegs zu verall- gemeinern. Bei der iatrogenen DIS muss, wie bei ande- ren psychotherapeutischen Kunstfehlern auch, von ei- ner Dunkelziffer ausgegangen werden.

Der Zusammenhang zwischen Trauma und Dissozia- tion ist viel weniger eindeutig als dargestellt (2). Retro- spektive Studien bergen in sich die Gefahr, Scheinkorre- lationen zu konstruieren, solange die Echtheit der retro- spektiv berichteten Traumata nicht verifiziert ist. Es exi- stiert kein psychopathologisches Symptom, von dem aus spezifisch auf ein Ereignis in der Vergangenheit ge- schlossen werden kann.

Die dargestellten ersten Ergebnisse neurobiologi- scher Untersuchungen zeigen psychophysiologische Korrelate auf. Spezifische ätiologische Implikationen ergeben sich hieraus nicht. So sind auch die Ergebnisse prospektiver Längsschnittuntersuchungen und einer Untersuchung an eineiigen Zwillingen mit der These einer traumabedingten Hippocampus-Atrophie nicht vereinbar (3).

LITERATUR

1. Stoffels H, Ernst C: Erinnerung und Pseudoerinnerung: Über die Sehn- sucht, Traumaopfer zu sein. Nervenarzt 2002; 73: 445–51.

2. Giesbrecht T, Merckelbach H: Über die kausale Beziehung zwischen Dissoziation und Trauma. Ein kritischer Überblick. Nervenarzt 2005;

76: 20–7.

3. Volbert R: Sind Traumaerinnerungen spezifisch? Konsequenzen für die aussagepsychologische Begutachtung. Praxis der Rechtsspsycho- logie 2006; 16: 249–69.

Dr. med. Ulrike Straeter Dipl.-Psych. Ivonne Schürmann Dr. med. Wolf Braun

Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen/Bezirksregierung Münster Albrecht-Thaer-Straße 9

48147 Münster

E-Mail: Ulrike.Straeter@bezreg-muenster.nrw.de

Hervorragender Artikel

Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung dieses hervorragenden Übersichtsartikels. Allen traumathera- peutisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen wird dieser Artikel in vieler Hinsicht aus der Seele sprechen.

Den Autoren ist es gelungen, dieses schwierige Krankheitsbild verständlich und nachvollziehbar darzu- stellen. Für die hausärztlichen Kollegen scheint es mir wichtig, dass sie die dargelegten Anhaltspunkte in die Hand bekommen, denn oft haben sie den ersten Kontakt mit diesen Patienten. Und Aufklärung tut Not.

So habe ich die Gelegenheit ergriffen und in den von mir geleiteten Balintgruppen für Hausärzte auf diesen Artikel mit guter Resonanz aufmerksam gemacht. Ich wünsche mir, dass viele ärztliche und psychologische Kollegen ihn gelesen haben.

Dr. med. Helga Ströhle Wolfstraße 6 89547 Gerstetten

Epidemiologische Studien notwendig

Die Autoren interpretieren in ihrer Übersicht die mul- tiple Persönlichkeit (ICD-10) beziehungsweise disso- ziative Identitätsstörung (DSM-IV) als Unterform einer so genannten „komplexen posttraumatischen Bela- stungsstörung“. Andere Erkrankungen (zum Beispiel Borderline-Persönlichkeitsstörung, Somatisierungsstö- rung) werden in eine Nähe von „posttraumatischen Er- krankungen“ gestellt. Sowohl in der ICD-10 als auch im DSM-IV existiert jedoch keine Kategorie „posttrau- matische Erkrankungen“. Berücksichtigt wurde allein die singuläre posttraumatische Belastungsstörung. Ei- ne „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ ist kein Bestandteil dieser Klassifikationssysteme. Es fragt sich hier, ob es hilfreich ist, eine nosographische Parallel- welt jenseits der (durchaus nicht unverbindlichen) kli- nisch-diagnostischen Leitlinien der WHO zu etablie- ren.

Die Assoziation von sexuellem Missbrauch in der Kindheit und späterer psychischer Erkrankung wurde oft untersucht. Der Einfluss anderer Faktoren ist gesi- chert, wurde aber weit weniger evaluiert (1). Daher wird das von den Autoren vorgeschlagene lineare Modell – „wonach die Erkrankung als psychobiologi- sche Antwort auf die erlittenen Traumatisierungen (…)“ eintritt – dem komplexen und nur zum Teil auf- geklärten Bedingungsgefüge dissoziativer Störungen nicht gerecht. Die behauptete Wirksamkeit der von den Verfassern vorgeschlagenen Kombination psy- chodynamischer, kognitiv-behavioraler, hypnothera- peutischer und traumaadaptierter psychotherapeuti- scher Verfahren über mehrere Jahre ist nicht erwiesen

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