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Archiv "In der Serie „Diabetische Neuropathien“ sind bisher erschienen" (05.07.1996)

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M

ehr als die Hälfte der Pati- enten mit Diabetes mellitus klagt über gastrointestinale Beschwerden (8, 10). Dabei stehen Obstipation, Diarrhö, Übel- keit und Erbrechen sowie Stuhlinkon- tinenz im Vordergrund. Es ist aller- dings fraglich, ob diese Symptome ausschließlich durch die bestehende Blutzuckerkrankheit und eine den Diabetes mellitus begleitende Neuro- pathie des autonomen Nervensystems verursacht werden. Vielmehr spiegeln sie auch die hohe Prävalenz gastroin- testinaler Symptome in der Allge- meinbevölkerung wider. Gastroin- testinale Symptome kommen bei Typ- I-Diabetikern im Vergleich zu einer Kontrollgruppe gleichen Alters und Geschlechts ohne Diabetes mellitus nicht häufiger vor. Lediglich bei Pati- enten mit Typ-II-Diabetes treten die Symptome Übelkeit und Obstipation öfter als in einer Kontrollpopulation auf (8, 33)(Grafik 1).

Störungen der gastrointestinalen Physiologie bei Diabetikern können auch asymptomatisch bleiben. Dies ist wahrscheinlich auf eine Schädigung viszeraler afferenter Nerven zurück- zuführen (32). Die Prävalenz gastro- intestinaler Symptome repräsentiert daher nicht die Prävalenz gastro- intestinaler Funktionsstörungen bei Diabetes mellitus.

Gastrointestinale

Symptome und autonome Neuropathie

Es gibt keine Symptome oder pa- thophysiologische Veränderungen, die spezifisch für die gastrointestinale diabetische autonome Neuropathie sind. Der Verdacht auf das Vorliegen einer gastrointestinalen diabetischen Neuropathie liegt nahe, wenn die in

der Tabelleaufgeführten Befunde er- hoben werden können.

Das gemeinsame Auftreten von therapiebedürftigen gastrointestina- len Symptomen und Zeichen einer kardialen und/oder urogenitalen auto- nomen Neuropathie sollte Anlaß zur weiteren gastrointestinalen Diagno- stik geben, insbesondere dann, wenn zusätzlich eine sonst nicht erklärbare Stoffwechsellabilität und/oder eine eingeschränkte oder fehlende Hypo- glykämiewahrnehmung vorliegen.

Pathogenese

Die Störungen der gastrointesti- nalen Physiologie bei Diabetes melli- tus beruhen auf einer Dysfunktion der neuralen Kontrolle von Motilität, Se- kretion, Resorption und Perzeption im Magen-Darm-Kanal. Wichtigste Ursache ist eine funktionelle Schädi- gung gastrointestinaler afferenter und efferenter Fasern des sympathischen und parasympathischen Nervensy- stems im Rahmen einer autonomen Neuropathie. Ob diese funktionelle Schädigung immer mit morphologi- schen Alterationen einhergeht, ist ungeklärt. Segmentale Myelin- scheidenverluste, Axondegeneratio- nen und Bildung großer Vakuolen im Zytoplasma wurden beschrieben (38) und als wahrscheinliche Ursache eine diabetische Mikroangiopathie und/oder metabolische Störungen dis- kutiert (25). Jedoch weisen stoffwech- selgesunde Personen, Patienten mit Diabetes mellitus ohne und mit Or- gankomplikationen und diabetische Patienten mit Enteropathie einen wei- ten Überlappungsbereich der elektro- nenmikroskopischen neuralen Mor- phologie auf (38). Der N. vagus als wichtigster afferenter und efferenter Strang des autonomen Nervensystems

Serie: Diabetische Neuropathie

Die autonome diabetische Neuropathie des

Gastrointestinaltraktes

Joachim Friedrich Erckenbrecht

1

Sabine Flesch

1

Thomas Frieling

2

Dan Ziegler

3

Martin Wienbeck

4

Wolfgang Caspary

5

1 Klinik für Innere Medizin und Gastroentero- logie (Chefarzt: Prof. Dr. med. Joachim Fried- rich Erckenbrecht), Krankenanstalten Florence- Nightingale, Diakoniewerk Kaiserswerth, Düs- seldorf

2 Klinik für Gastroenterologie (Direktor: Prof.

Dr. med. Dieter Häussinger), Medizinische Kli- nik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

3 Diabetes-Forschungsinstitut (Direktor: Prof.

Dr. med. Friedrich Arnold Gries), Heinrich-Hei- ne-Universität Düsseldorf

4 Medizinische Klinik III (Direktor: Prof. Dr.

med. Martin Wienbeck), Zentralklinikum Augs- burg

5 Zentrum der Inneren Medizin (Direktor: Prof.

Dr. med. Wolfgang Caspary), Johann Wolf- gang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Patienten mit Diabetes mellitus, be- sonders die mit Typ-II-Diabetes, wei- sen überdurchschnittlich häufig ga- strointestinale Symptome auf. Die Ur- sache dieser Symptome sind Störun- gen der gastrointestinalen Motilität, Sekretion, Resorption und Perzeption.

Von diesen sind die gastrointestinalen

Motilitätsstörungen durch den Einsatz

von manometrischen, elektrophysio-

logischen und szintigraphischen Tech-

niken sowie durch Transitzeitbestim-

mungen von inerten Markern am

besten charakterisiert. Die so aufge-

deckten Funktionsstörungen von Spei-

seröhre, Magen, Dünn- und Dickdarm

sowie des anorektalen Kontinenzap-

parates bei Diabetes mellitus korrelie-

ren allerdings nicht mit dem Vorhan-

densein oder dem Ausmaß einer au-

tonomen diabetischen Neuropathie

außerhalb des Gastrointestinaltrakts.

(2)

im oberen Gastrointestinaltrakt weist zumindest lichtmikroskopisch keiner- lei Veränderungen auf (43). Schließ- lich muß bedacht werden, daß gastro- intestinale Bewegungsvorgänge durch Hypo- und Hyperglykämien, Elektro- lyt- und pH-Veränderungen oder durch endokrinologische (Hypothy- reose) und andere Erkrankungen

(Anorexia nervosa) ebenfalls ohne Vorliegen einer Neuropathie beein- flußt werden können (14).

Organmanifestationen

Störungen von Perzeption und Motilität im Rahmen einer diabeti- schen autonomen Neuropathie kön- nen jedes Organ des Gastrointestinal- traktes betreffen (Grafik 2).

Ösophagusmotilitätsstörungen Störungen der Ösophagusmoti- lität bei Diabetikern können manome- trisch registriert werden. Zu ihnen zählen eine Abnahme der Kontrak- tionsamplitude, vermehrte spontane (tertiäre) Kontraktionen, mehrgipflige peristaltische Kontraktionen und ein erniedrigter Druck im unteren Öso- phagussphinkter (24). Diese Verände- rungen treten bei etwa 40 Prozent der

diabetischen Patienten ohne und bei etwa 60 Prozent der diabetischen Pati- enten mit Neuropathie auf (25). Sie sind vergleichbar mit denen nach einer Vagotomie. Mit szintigraphischen Me- thoden kann bei etwa 40 Prozent bis 80 Prozent der diabetischen Patienten ei- ne deutliche Verzögerung der ösopha- gealen Transitzeit für flüssige und feste

Speisen nachgewiesen werden (15, 20).

Eine Korrelation zu den manometri- schen Befunden besteht nicht. Meist sind derartige Veränderungen nicht symptomatisch, so daß diabetische Pa- tienten nur selten Symptome wie Sod- brennen oder Dysphagie angeben (7).

Magenmotilitätsstörungen Bei etwa der Hälfte aller insulin- pflichtiger und nicht insulinpflichtiger Patienten mit Diabetes mellitus ist die Magenentleerung gestört (14, 15, 17, 36). Klassische Symptome sind Übel- keit, Erbrechen, postprandiales Völ- legefühl, epigastrischer Schmerz, Ge- wichtsverlust, postprandiale Hypo- glykämie und labile Stoffwechsellage.

Feste Nahrungsbestandteile sind von der Magenentleerungsstörung stärker betroffen als flüssige. Allerdings kann selbst eine ausgeprägte Gastroparese völlig asymptomatisch verlaufen und sich erst durch Probleme bei der Blut-

zuckereinstellung äußern. Etwa 50 Prozent der Patienten mit diabeti- scher Gastroparese haben keine oder nur sehr geringe Symptome (14). Das motorische Korrelat der diabetischen Magenentleerungsstörung ist eine postprandiale antrale Hypomotilität (2, 4, 12). Diese hat zur Folge, daß feste Nahrungsbestandteile nicht oder nur verzögert zu einer Partikel- größe von kleiner als ein Millimeter zermahlen werden, was Vorausset- zung für eine normale Magenentlee- rung ist. Auch die Resorption von Medikamenten, die in Form von Dra- gees oder Tabletten eingenommen werden und daher den Magen erst wie große, nicht zerkleinerbare Nah- rungspartikel mit Einsetzen der Nüchternmotilität verlassen, kann durch diesen Mechanismus erheblich verzögert werden. Zusätzlich kann die Magenentleerung von Diabeti- kern durch das gehäufte Auftreten von tonisch-phasischen Kontraktio- nen des Pylorus behindert sein (14, 28). Angemerkt sei, daß bei Patienten mit „frühem“, nicht insulinpflichti- gem Diabetes mellitus die Magenent- leerung nicht verzögert, sondern im Gegenteil beschleunigt sein kann (31). Unabhängig von diabetesbe- dingten Veränderungen am enteralen Nervensystem beeinflußt die Höhe des Blutzuckers die Magenentlee- rung. Bei einem Blutzucker von über 200 mg/dl wird die Magenentlee- rungszeit mehr als verdoppelt.

Dünn- und

Dickdarmmotilitätsstörungen Bei der diabetischen Diarrhö handelt es sich um eine chronische, meist intermittierend auftretende Diarrhö, die von Phasen normalen Stuhlverhaltens oder von Obstipation unterbrochen wird. Häufig treten vo- luminöse wäßrige, manchmal auch nächtliche Durchfälle auf. Ob bei der Pathogenese dieser Diarrhöen eine autonome Neuropathie eine wesentli- che Rolle spielt, ist bisher unklar. Zu bedenken ist, daß Patienten mit Dia- betes mellitus gleichzeitig häufiger als stoffwechselgesunde Personen an an- deren Erkrankungen leiden, die mit chronischen Diarrhöen einhergehen.

Dazu zählen die chronische Pankrea- titis und die glutensensitive Enteropa-

*

* Völlegefühl

Übelkeit

Sodbrennen

Obstipation

Diarrhoe

0 2 4 6 8 10 12 14 16 0 5 10 15 20 25 Symptomprävalenz (%) in 4 Wochen Symptomprävalenz (%) in 4 Wochen

Typ-I-Diabetiker Typ-II-Diabetiker Kontrollen Grafik 1

Prävalenz gastrointestinaler Symptome bei Diabetikern (n = 143) und gesunden Personen (n = 143) (33)

(3)

thie (26, 27). Die Diarrhö dieser Pati- enten kann somit auch unabhängig von einer autonomen diabetischen Neuropathie des Gastrointestinal- trakts auftreten (Textkasten).

Die Diarrhö infolge einer bakte- riellen Fehlbesiedlung des Dünn- darms mit nachfolgender Steatorrhö wird durch eine neuropathiebedingte Hypomotilität des Dünndarms mit verminderter phasischer Kontrakti- onstätigkeit und nicht fortgeleiteten, lang anhaltenden Kontraktionsgrup- pen erklärt (4, 30). Das Fehlen pro- pulsiver motorischer Aktivität im Nüchtern- und postprandialen Zu- stand ermöglicht dann eine Keimas- zension aus dem Dickdarm in den Dünndarm (40). Zusätzlich scheint der Verlust von a2-Adrenozeptoren der Enterozyten an der Pathogenese der Diarrhö beteiligt zu sein. Da- durch kommt es zu einer Störung der autonomen Regulation des Io- nentransportes. Dieser Mechanismus erklärt auch, warum bei streptozoto- cininduziertem Diabetes mellitus bei Ratten statt der physiologischen Net- toresorption von Flüssigkeit und Elektrolyten im Ileum und Kolon ei- ne Nettosekretion in das Darmlumen stattfindet. Diese ist nach Gabe von Clonidin reversibel (5, 6). Auch beim Menschen wurden in Einzelfäl- len drastische Besserungen einer im Rahmen eines Diabetes mellitus auf- tretenden Diarrhö unter Clonidin be- schrieben (11).

Die Ursache für die bei Diabeti- kern gehäuft vorkommende Obstipa- tion ist unklar. Bisher wurde lediglich eine fehlende Stimulation der Dick- darmmotilität nach Nahrungsaufnah- me („gastrokolischer Reflex“) bei Diabetikern beschrieben (3). Es ist darüber hinaus vorstellbar, daß die propulsive motorische Aktivität des Dickdarms in Analogie zu den übri- gen Teilen des Gastrointestinaltrakts bei diabetischer autonomer Neuropa- thie vermindert ist. Direkte Untersu- chungen der Dickdarmmotilität bei diabetischer Neuropathie liegen aller- dings nicht vor.

Stuhlinkontinenz ist ein häufiges und oft aus Schamgefühl nicht ange- sprochenes Symptom bei Patienten mit und ohne Diabetes mellitus (8, 23). An der Ursache sind ein ernied- rigter Ruhetonus des internen Anal-

sphinkters als Hinweis für eine auto- nome Denervierung, eine verminder- te Willkürkontraktion der externen Analsphinktermuskulatur sowie eine gestörte rektale Perzeption beteiligt (9, 42). Allerdings findet sich keine Korrelation zwischen den Störungen der anorektalen Funktion bei Diabe- tikern und dem Auftreten und dem

Schweregrad einer autonomen oder peripheren Neuropathie in anderen Organsystemen (9).

Diagnostik und Therapie

Untersuchungsmöglichkeiten zur spezifischen Erfassung einer diabeti- schen autonomen Neuropathie des Ga- strointestinaltrakts stehen bisher nur in Ansätzen zur Verfügung (32). Die Dia- gnostik muß sich daher auf die Darstel- lung vermuteter Folgeerscheinungen der autonomen Neuropathie, die sich als Störungen der gastrointestinalen Physiologie äußern, beschränken.

Ebenso wie eine spezifische Dia- gnostik ist eine spezifische Therapie der autonomen Neuropathie des Ga- strointestinaltrakts bislang nicht be- kannt. Entsprechend steht die Prävention diabetischer Spätkompli- kationen durch eine optimale Stoff- wechseleinstellung im Vordergrund

der ärztlichen Bemühungen. Im übri- gen beschränken sich die therapeuti- schen Möglichkeiten auf symptomati- sche Maßnahmen.

Ösophagusmotilitätsstörungen Symptome von Ösophagusmoti- litätsstörungen im Rahmen einer auto- nomen Neuropathie sind selten. Bei den ungewöhnlichen Symptomen Dys- phagie und Odynophagie ist eine En- doskopie zum Ausschluß einer organi- schen Ursache notwendig. Bei Sod- brennen kann wegen des hohen prä- diktiven Wertes dieses Symptoms für das Vorliegen einer gastroösophagea- len Refluxkrankheit (22) ein sympto- matischer Therapieversuch mit einem Protonenpumpeninhibitor ohne vor- herige morphologische Diagnostik be- gonnen werden. Diese wird spätestens notwendig, wenn Symptome unter der Therapie persistieren oder nach Been- digung der Behandlung wieder auftre- ten. Bei ungenügender Klärung der Symptome durch Endoskopie und Ra- diologie ist bei therapiebedürftigen Symptomen eine weitere spezielle Funktionsdiagnostik durch Ösopha- gusmanometrie und pH-Metrie erfor- derlich. Für eine Genese der Be- schwerden im Rahmen einer autono- men Neuropathie des Gastro- intestinaltrakts sprechen die Beteili- gung anderer Organsysteme (zum Bei- spiel Herz-Kreislauf-System) und der manometrische Nachweis einer über- durchschnittlichen Anzahl mehrgipfli- ger, niedrigamplitudiger Ösophagus- kontraktionen. Bei therapiebedürfti- gen Symptomen im Rahmen einer dia- betischen Ösophagusmotilitätsstörung können motilitätsstimulierende Phar- maka (Cisaprid, Metoclopramid) ver- sucht werden.

Magenentleerungsstörungen Der Goldstandard für die Dia- gnose einer diabetischen Gastropa- rese ist der szintigraphische Nachweis einer Magenentleerungsstörung für feste Nahrungsbestandteile. Die Ma- genentleerung für Flüssigkeiten, die bei der diabetischen Gastroparese ebenfalls verzögert sein kann, aber nicht muß, läßt sich annäherungsweise auch sonographisch bestimmen. Sono- graphisch bestimmbare Zusatzinfor- Tabelle

Verdachtsmomente für das Vorliegen einer gastrointestinalen autonomen Neuropathie (modifiziert nach Haselbeck, 1995)

l Eindeutige sensomotorische Neu- ropathie (insbesondere bei

„schmerzhafter Neuropathie“) und/oder lange Diabetesdauer l Nachweis einer kardialen autono-

men Neuropathie

l Spezifische Organsymptome – dyspeptische Symptome,

Übelkeit, Erbrechen – Diarrhö, Obstipation – eingeschränkte oder fehlende

Hypoglykämiewahrnehmung – Ruhetachykardie

– erektile Impotenz l Nicht erklärbare

Stoffwechsellabilität

(4)

mationen sind Aussagen über die Fre- quenz und Intensität antroduodenaler Kontraktionen (41) und über den transpylorischen Fluß (Doppler-So- nographie) (18, 21). Möglicherweise gewinnt der 13C-Oktansäure-Atem- test in näherer Zukunft weiter an Be- deutung. Bei der Gastroskopie und dem Bariumbreischluck lassen sich häufig auch nach längerer Nüchtern- periode noch Nahrungsreste im Ma-

gen nachweisen, eine Quantifizierung der Gastroparese ist jedoch nicht möglich. Bei der szintigraphischen oder sonographischen Untersuchung der Magenentleerung muß sicherge- stellt sein, daß die Patienten während der Untersuchung euglykämische Blutzuckerwerte aufweisen.

Die Behandlung der diabetischen Gastroparese ist nur bei symptomati- schen Patienten indiziert. Sie hat die Korrektur der antralen Hypomotilität zum Ziel. Voraussetzung für eine er- folgreiche medikamentöse Therapie ist eine optimale Blutzuckereinstel- lung, um die neuropathieunabhängi- ge, hyperglykämiebedingte Verzöge- rung der Magenentleerung günstig zu beeinflussen. Bei Patienten mit neuro- pathischer Gastroparese kann dies schwierig sein, da wegen der Gastro- parese bereits eine Neigung zu post- prandialen Hypoglykämien besteht,

die durch eine normnahe Einstellung des Diabetes noch verstärkt werden kann. Das Zeitintervall zwischen Insu- linapplikation und Nahrungsaufnah- me muß daher die verzögerte Ma- genentleerung berücksichtigen; im Extremfall kann es notwendig sein, das Insulin erst postprandial zu injizie- ren (43). Ob durch eine diätetische Beeinflussung physiologischer Me- chanismen der Magenentleerung bei

Gesunden mit Einnahme von fettar- men Mahlzeiten und Vermeidung von nicht resorbierbaren ballaststoffhalti- gen Nahrungsmitteln auch bei Patien- ten mit diabetischer Gastroparese die Magenentleerung rascher erfolgt als bei einer fettreichen Kost, ist bisher nicht in kontrollierten Studien unter- sucht worden.

Für die medikamentöse Therapie stehen die Substanzen Metoclopra- mid, Domperidon, Cisaprid und Erythromycin zur Verfügung. Sie sti- mulieren die Magenentleerung durch die Blockade von Dopamin-Rezepto- ren (Metoclopramid, Domperidon), die Stimulation von Motilin-Rezepto- ren (Erythromycin) oder durch Frei- setzung von Acetylcholin sowie Sti- mulation von 5-Hydroxytryptamin- Rezeptoren (Cisaprid, Metoclopra- mid). Für Cisaprid konnten neben ei- ner Beschleunigung der Magenent-

leerung bei Patienten mit diabetischer Gastroparese eine Verminderung der Beschwerden der Patienten (1) und eine Gewichtszunahme bei unterge- wichtigen Patienten mit verzögerter Magenentleerung nachgewiesen wer- den (1). Metoclopramid ist wegen sei- nes innerhalb weniger Wochen nach- weisbaren Wirkungsverlustes, Dom- peridon wegen seiner Nebenwirkun- gen weniger geeignet. Ein neues The- rapieprinzip stellt das Makrolidanti- biotikum Erythromycin dar. Die Ma- genentleerung von fester und flüssi- ger Nahrung wird durch Erythromy- cin erheblich beschleunigt (16). Seine Wirkung beruht auf einer Bindung an und Stimulation von Motilinrezepto- ren im oberen Gastrointestinaltrakt.

Dosen von mehr als 3 mg/kg Körper- gewicht i. v. oder mehr als 250 mg p. o.

dreimal täglich führen zu kräftigen fortgeleiteten Kontraktionen im An- trum. Diese reinigen den Magen auch von größeren Nahrungspartikeln, zum Beispiel auch von nicht weiter verkleinerbaren festen Nahrungsbe- standteilen pflanzlicher Herkunft, die bei Retention im Magen Anlaß für ei-

ne Bezoarbildung geben können. Für die Langzeit-Therapie der diabeti- schen Gastroparese werden zur Zeit Erythromycin-Analoga mit motilin- agonistischer, aber fehlender antibio- tischer Wirkung entwickelt. Ihre Wirksamkeit auch bei langdauernder Anwendung sowie ihre Nebenwir- kungen sind bisher noch unbekannt.

Speiseröhre Kontraktionsamplitude Kontraktionsdauer Mehrgipflige Kontraktionen Transitzeit

Magen Magenentleerung Antrumkontraktionen Pyloruskontraktionen P III

Dünndarm Transitzeit Irreguläre P III Dickdarm Veränderungen des

„gastro-kolischen Reflexes"

Anorektum Sensitivität Sphinkterruhedruck Sphinkterpressdruck

Heitmann 1973 Clouse 1986 Leo 1985 Russell 1983

Horowitz 1989 Vogelberg 1989 Mearin 1983 Dooley 1987

Scarpello 1976 Quigley 1992 Battle 1980

Wald 1984 Erckenbrecht 1988 Erckenbrecht 1988 Grafik 2

Schematische Darstellung der Störungen der gastrointestinalen Motilität bei Diabetes mellitus. PIII: Phase III des interdigestiven migrierenden Motorkomplexes

Diarrhö bei Diabetes mellitus 1. Diarrhö ohne ursächlichen Zu-

sammenhang mit dem Diabetes 1 Chronische Pankreatitis 1Glutensensitive Entero-

pathie

2. Diarrhö in ursächlichem Zu- sammenhang mit dem Diabetes 1Dünndarmmotilitäts-

störungen

Õ langsamer Transit

Õbakterielle Fehlbesiedlung ÕSteatorrhö

1Veränderte intestinale Per- meabilität

1Flüssigkeitssekretion durch adrenerge Fehlregulation

(5)

Dünn- und

Dickdarmmotilitätsstörungen Bei der Diagnostik von diabeti- schen Patienten mit therapiebedürfti- ger Diarrhö steht der Ausschluß dia- betesunabhängiger Ursachen im Vor- dergrund. Wichtig ist auch der Aus- schluß einer bakteriellen Fehlbesied- lung des Dünndarms infolge einer durch die Neuropathie bedingten en- teralen Hypomotilität. Dazu eignet sich unter klinischen Bedingungen der H2-Atemtest mit Glukose (19). Bei Nachweis dieser Erkrankung erscheint unter theoretischen Gesichtspunkten neben einer intermittierenden antibio- tischen Therapie eine Behandlung der zugrundeliegenden Dünndarmstase mit einer motilitätsstimulierenden Substanz sinnvoll. Valide Therapiestu- dien zu diesem Behandlungskonzept fehlen jedoch bislang. Die Stan- dardtherapie der diabetischen Diarrhö bei Ausschluß anderer Ursachen ist Loperamid. Bei Patienten, bei denen als Ursache der Durchfälle eine neu- ropathieassoziierte Flüssigkeitssekre- tion in das Darmlumen infolge ad- renerger Fehlregulation vermutet wird, kann ein Therapieversuch mit dem a2-Sympathomimetikum Clo- nidin zu einer Besserung führen. Clo- nidin bewirkt eine Abnahme des Stuhlvolumens und eine Zunahme der intestinalen Wasser- und Elektrolytre- sorption (37). Hypotensive Nebenwir- kungen treten bei Patienten mit Dia- betes mellitus selten auf (11). Als Ulti- ma ratio kann ein Therapieversuch mit dem stark antidiarrhöisch wirkenden Somatostatin-Analogon Octreotid un- ternommen werden (39).

Obstipation

Die Diagnostik und Therapie der Obstipation bei Patienten mit Diabe- tes mellitus und autonomer Neuropa- thie unterscheiden sich nicht von de- nen von Nicht-Diabetikern. Wichtig ist die Unterscheidung von Obstipati- on, bedingt durch einen langsamen Transport des Darminhalts durch den Dickdarm, von einer anorektalen Form der Obstipation (35). Patienten mit Obstipation infolge einer genera- lisierten Transportstörung müssen mit motilitätsstimulierenden Laxan- zien behandelt werden. Bei Patienten

mit einer anorektalen Form der Ob- stipation ist häufig eine lokale, nicht medikamentöse Therapie möglich.

Anorektale Inkontinenz bei Diabetes mellitus

Zur Quantifizierung der rekto- analen Funktionsstörung sowie zur Festlegung des Therapiekonzeptes ist nach Ausschluß morphologischer Ur-

sachen bei allen Diabetikern mit Stuhlinkontinenz die Durchführung einer Rektummanometrie mit Be- stimmung der Sphinkterfunktionen und der rektalen Perzeptionsschwel- len erforderlich. Bei verminderter Funktion des M. sphincter ani exter- nus oder einer im Vordergrund ste- henden Perzeptionsstörung besteht die Therapie in einem Biofeedback- Training (42). Bei gleichzeitiger Di- arrhö können die Inkontinenzereig- nisse durch Loperamid reduziert wer- den (34). Ob dabei Loperamid eine eigenständige Wirkung auf den inter- nen Analsphinkter hat, ist umstritten (29, 34).

Resümee

Patienten mit Diabetes mellitus, besonders mit Typ-II-Diabetes, weisen überdurchschnittlich häufig gastroin- testinale Symptome auf. Als Ursachen kommen Störungen der gastrointesti- nalen Motilität, Sekretion, Resorption und Perzeption in Frage. Bisher sind die gastrointestinalen Motilitätsstörun- gen durch Einsatz manometrischer, elektrophysiologischer und szintigra- phischer Techniken sowie durch Tran- sitzeitbestimmungen von inerten Mar- kern am besten charakterisiert. Die Funktionsstörungen von Speiseröhre, Magen, Dünn- und Dickdarm sowie des anorektalen Kontinenzapparates bei Diabetes mellitus sind nicht spezi- fisch für das Vorhandensein einer auto- nomen Neuropathie im Gastrointesti- naltrakt. Sie können auch neuropathie- unabhängig durch die den Diabetes mellitus begleitende Hyperglykämie oder durch diabetesunabhängige meta- bolische oder endokrinologische Ver- änderungen entstehen. Direkte Unter- suchungsmöglichkeiten, die eine ein- deutige Zuordnung der Funktions- störungen zu einer autonomen Neuro- pathie des Gastrointestinaltrakts erlau- ben würden, sind nur in Ansätzen vor- handen. Eine kausale Therapie der dia- betischen autonomen Neuropathie des Gastrointestinaltrakts ist bisher nicht möglich. Im Vordergrund steht die Prävention durch normnahe Stoff- wechseleinstellung. Die medikamentö- sen Therapiemöglichkeiten beschrän- ken sich auf Behandlung der durch die Neuropathie ausgelösten gastrointesti- nalen Symptome.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1831–1835 [Heft 27]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med.

Joachim Friedrich Erckenbrecht Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie

Florence-Nightingale- Krankenanstalten

Diakoniewerk Kaiserswerth

Kreuzbergstraße 79 · 40489 Düsseldorf In der Serie

„Diabetische Neuropathien“

sind bisher erschienen:

(1)Editorial „Diabetische Neuropa- thie – Einführung in die Thematik der Serie“, Gries F A: Dt Ärztebl 1996; 93: A-678 [Heft 11]

(2)Ziegler D, Gries F A: „Klassifika- tion, Epidemiologie, Prognose und sozialmedizinische Bedeu- tung“. Dt Ärztebl 1996; 93: A- 680–684 [Heft 11]

(3)Reichel G, Neundörfer B: „Patho- genese und Therapie der periphe- ren und diabetischen Polyneuro- pathien“. Dt Ärztebl 1996; 93:

A-963–968 [Heft 15]

(4)Ziegler D, Claus D, Meinertz T, Gries F A: „Klinik, Diagnostik und Therapie der kardiovaskulären autonomen Neuropathie“. Dt Ärztebl 1996; 93: A- 1262–1272 [Heft 19]

(5)Neundörfer B, Claus D, Luft D:

„Klinik und Therapie der senso- motorischen diabetischen Polyn- europathie“. Dt Ärztebl 1996;

93: A-1529–1532 [Heft 23]

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