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Multimorbidität in der EPIC-Potsdam Studie

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Academic year: 2021

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Multimorbidität in der EPIC-Potsdam Studie

vorgelegt von

Diplom-Oecotrophologin, Master of Public Health Anja Schienkiewitz

von der Fakultät VIII – Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin

zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Gesundheitswissenschaften/Public Health

- Dr. P.H. -

genehmigte Dissertation

Promotionsausschuss:

Vorsitzende: Prof. Dr. Ulrike Maschewsky-Schneider Gutachter: Prof. Dr. Heiner Boeing

Gutachter: Prof. Dr. Reinhard Busse

Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 31. Mai 2007

Berlin 2007 D 83

(2)

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis...3

Tabellenverzeichnis ...4

Abkürzungsverzeichnis...6

I Einleitung ... 7

1 Ziel der Arbeit...8

2 Begriffsoperationalisierung: Multimorbidität ...9

3 Gesundheitswissenschaftliche Bedeutung der häufigsten ernährungsabhängigen chronischen Erkrankungen und multimorbiden Krankheitsmuster ...11

3.1 Typ-2-Diabetes...11 3.2 Kardiovaskuläre Erkrankungen ...13 3.2.1 Hypertonie ...14 3.2.2 Myokardinfarkt ...15 3.2.3 Schlaganfall...15 3.3 Tumorerkrankungen ...17

4 Risikofaktoren bei der Entstehung chronischer Erkrankungen...18

4.1 Übergewicht/Adipositas und körperliche Inaktivität...19

4.2 Rauchen ...21

4.3 Alkoholkonsum ...22

4.4 Ernährungsmuster ...22

4.5 Nicht modifizierbare Risikofaktoren ...24

II Material und Methoden... 25

1 EPIC-Potsdam Studie ...25

1.1 Erhebungsinstrumente der Basisuntersuchung...25

1.1.1 Anthropometrische Messungen und Blutdruckmessung ...26

1.1.2 Erhebung der Lebensstilfaktoren ...26

1.1.3 Ernährungserhebung ...26

1.1.4 Erhebung medizinischer Informationen ...27

1.2 Erhebungsinstrumente der Nachbeobachtung ...28

1.3 Identifizierung und Verifizierung der Erkrankungen ...29

1.3.1 Typ-2-Diabetes ...29

1.3.2 Hypertonie ...30

1.3.3 Myokardinfarkt und Schlaganfall ...31

1.3.4 Tumorerkrankungen ...32

1.4 Definition der Studienpopulation und des Studiendesigns ...32

2 Statistische Auswertungsmethoden ...36

2.1 Deskription der Ergebnisse...36

2.2 Risikoanalyse...37

2.2.1 Logistische Regression ...37

2.2.2 Competing Risk Analyse...38

(3)

2.4 Populationsattributable Risiken unter exponierten Fällen ...43

III Ergebnisse... 44

1 Deskription der Multimorbidität ...44

1.1 Krankheitskombinationen nach Anzahl ...44

1.2 Krankheitskombinationen differenziert nach einzelnen Erkrankungen...45

1.3 Querschnittsanalyse zur Identifikation von soziodemografischen und anthropometrischen Merkmalen, Lebensstil- und Ernährungsfaktoren ...50

1.4 Prospektive Risikoanalyse nach Anzahl unterschiedlicher Krankheitskombinationen...53

2 Multimorbiditätsvergleich ...56

2.1 Soziodemografische Merkmale ...56

2.2 Anthropometrische Merkmale, Lebensstil- und Ernährungsfaktoren ...57

2.3 Komorbiditäten der Hypertonie ...60

3 Populationsattributable Risiken der Multimorbidität...71

IV Diskussion... 76

1 Ergebnisse ...76

1.1 Multimorbidität ...76

1.2 Komorbidität der Hypertonie...79

2 Statistische Methoden...83

2.1 Klassifizierung des Erkrankungsstatus ...83

2.2 Risikoanalyse...85

2.3 Public-Health-Bedeutung...88

3 Schlussfolgerung und Ausblick ...90

V Zusammenfassung/Summary ... 92

VI Literaturverzeichnis ... 94

VII Anhang... 111

Danksagung ... 117

(4)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beschreibung der Studienpopulation... 34 Abbildung 2: Einzelerkrankungen und Krankheitskombinationen in der

EPIC-Potsdam Studie... 35 Abbildung 3: Prozentualer Anteil prävalenter Erkrankungen zur Basisuntersuchung

stratifiziert nach Geschlecht (Männer: n=10 130; Frauen: n=15 716) und Alter ... 44 Abbildung 4: Anzahl inzidenter Tumorerkrankungen stratifiziert nach

Lokalisation und Geschlecht (Männer: n=385; Frauen: n=403)... 47 Abbildung 5: Inzidente Erkrankungen (Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- oder

Tumorerkrankung) abhängig vom Hypertoniestatus (n=25 846) ... 49 Abbildung 6: Inzidente Erkrankungen pro 10.000 Personenjahre in unterschiedlichen

Altersstrata (n=22 997)... 57 Abbildung 7: Anzahl Hypertoniker und Normotoniker an inzidenten Erkrankungen

(Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung, Tumorerkrankung und

Mehrfacherkrankungen; n=22 997)... 61 Abbildung 8: Beobachtete Prävalenz multimorbid Erkrankter und Gesunder

abhängig von Übergewicht, körperlicher Inaktivität und

Rauchstatus bei Männern (n=8 855) und Frauen (n=14 142) ... 73 Abbildung 9: Populationsattributable Risiken für einzelne Multimorbiditäten

in Bezug auf Übergewicht, sportliche Inaktivität und Rauchen

(5)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Meta-Analysen zu Krebserkrankungen unter Typ-2-Diabetikern ... 13

Tabelle 2: Erhebungsinstrumente der Basisuntersuchung ... 26

Tabelle 3: Zusammenstellung der im persönlichen Interview zur Basisuntersuchung erfragten chronischen Krankheiten ... 27

Tabelle 4: Übersicht über die in der Nachbeobachtung erfragten Informationen ... 28

Tabelle 5: Erkrankungen in der EPIC-Potsdam Studie (n=27 548) ... 33

Tabelle 6: Anzahl prävalenter Erkrankungen in der EPIC-Potsdam Studie ... 33

Tabelle 7: Anzahl inzidenter Erkrankungen in der EPIC-Potsdam Studie ... 33

Tabelle 8: Anzahl inzidenter Erkrankungen abhängig von der Anzahl prävalenter Vorerkrankungen ... 34

Tabelle 9: β-Parameter und p-Wert der signifikanten Produktterme ... 40

Tabelle 10: Anzahl und prozentualer Anteil inzidenter Erkrankungsfälle ... 41

Tabelle 11: Beschreibung unabhängiger Modellparameter der logistischen Regressionsanalyse und Competing Risk Analyse ... 42

Tabelle 12: Anzahl der einzelnen Erkrankungen in der EPIC-Potsdam Studie stratifiziert nach Geschlecht (n=25 846) ... 45

Tabelle 13: Prävalente Krankheitskombinationen (n=25 846)... 46

Tabelle 14: Inzidente Morbiditäten und Multimorbiditäten (n=25 846) ... 48

Tabelle 15: Anzahl inzidenter Erkrankungen in Abhängigkeit der Anzahl prävalenter Vorerkrankungen bei Männern und Frauen (n=25 846) ... 48

Tabelle 16: Anzahl inzidenter Erkrankungen abhängig vom Hypertoniestatus bei Männern und Frauen (n=25 846) ... 50

Tabelle 17: Vergleich soziodemografischer und anthropometrischer Merkmale, einzelner Lebensstil- und Ernährungsfaktoren abhängig vom prävalenten Erkrankungsstatus (n=25 846) ... 51

Tabelle 18: Odds Ratios (95% KI) für Multimorbidität in Bezug auf soziodemografische und anthropometrische Merkmale sowie Lebensstil- und Ernährungsfaktoren bei Männern (n=10 130) und Frauen (n=15 716).... 52

Tabelle 19: Relative Risiken (95% KI) für Morbidität und Multimorbidität zur Basisuntersuchung gesunder Studienteilnehmer in Bezug auf soziodemografische und anthropometrische Charakteristika, Lebensstil- und Ernährungsfaktoren bei Männern (n=3 938) und Frauen (n=8 416) ... 54

Tabelle 20: Relative Risiken (95% KI) für Morbidität und Multimorbidität prävalent bereits erkrankter Studienteilnehmer in Bezug auf soziodemografische und anthropometrische Charakteristika, Lebensstil- und Ernährungs- faktoren bei Männern (n=5 158) und Frauen (n=6 337)... 55

Tabelle 21: Vergleich männlicher Nicht-Erkrankter und Erkrankter anhand von soziodemografischen und anthropometrischen Merkmalen, Lebensstil- und Ernährungsfaktoren (n=8 855) ... 58

(6)

Tabelle 22: Vergleich weiblicher Nicht-Erkrankter und Erkrankter anhand von soziodemografischen und anthropometrischen Merkmalen,

Lebensstil- und Ernährungsfaktoren (n=14 142) ... 59 Tabelle 23: Relative Risiken (95% KI) für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und

Tumorerkrankungen sowie Mehrfacherkrankungen in Bezug auf soziodemografische und anthropometrische Merkmale, Lebensstil-

und Ernährungsfaktoren bei Männern (n=8 855)... 62 Tabelle 24: Relative Risiken (95% KI) für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und

Tumorerkrankungen sowie Mehrfacherkrankungen in Bezug auf soziodemografische und anthropometrische Merkmale, Lebensstil-

und Ernährungsfaktoren bei Frauen (n=14 142) ... 63 Tabelle 25: Relative Risiken (95% KI) für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

bezüglich des Bildungsstatus bei Frauen mit Bluthochdruck (5 744) ... 64 Tabelle 26: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes,

Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumorerkrankungen bezüglich der Hypertonie s

tratifiziert nach Geschlecht (Männer: n=8 855; Frauen: n=14 142) ... 66 Tabelle 27: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-

und Tumorerkrankungen bezüglich Hypertonie, soziodemografischer und anthropometrischer Merkmale, Lebensstil- und Ernährungs-

faktoren bei Männern (n=8 855) ... 67 Tabelle 28: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-

und Tumorerkrankungen bezüglich Hypertonie, soziodemografischer und anthropometrischer Merkmale, Lebensstil- und Ernährungs-

faktoren bei Frauen (n=14 142)... 68 Tabelle 29: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes und Herz-

Kreislauf- Erkrankungen bezüglich der Hypertonie stratifiziert

nach Geschlecht und Alter (n=22 997) ... 69 Tabelle 30: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Myokardinfarkt und Schlaganfall

bezüglich der manifesten Grunderkrankung Hypertonie stratifiziert

nach Alter (n=22 997) ... 69 Tabelle 31: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes und Herz-

Kreislauf-Erkrankungen abhängig von der Hypertoniedefinition

stratifiziert nach Geschlecht (Männer n=4 942; Frauen n=5 792)... 70 Tabelle 32: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Typ-2-Diabetes in Bezug auf

den Hüftumfang stratifiziert nach Hypertoniestatus bei Männern (n=8 855)... 71 Tabelle 33: Anzahl multimorbider Hypertoniker ... 72 Tabelle 34: Hazardraten-Verhältnisse (95% KI) für Multimorbidität in Bezug auf

unterschiedliche dichotome Risikofaktoren bei Männern (n=8 855)

(7)

Abkürzungsverzeichnis

BMI Body Mass Index

COPD Chronic Obstructive Pulmonary Disease E./Tag Einheiten pro Tag

EPIC European Investigation into Cancer and Nutrition GKR Gemeinsames Krebsregister

HDL High-Density Lipoprotein

HOT „Hypertension Optimal Treatment”-Studie HR Hazardraten-Verhältnis

HYDRA „Hypertension and Diabetes Risk Screening and Awareness”-Studie ICD International Statistical Classification of Diseases and Related Health

Problems

KHK Koronare Herzkrankheit

KI Konfidenzintervall

KORA Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg LDL Low-Density Lipoprotein

MONICA Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease MRFIT Multiple Risk Factor Intervention Trial

NHANES National Health and Nutrition Examination Survey

n Stichprobenumfang

n.s. nicht signifikant

OR Odds Ratio

p Signifikanzniveau

PAR Populationsattributables Risiko

RR Relatives Risiko

Std Standardabweichung

WHO World Health Organisation WHR Waist-to-Hip Ratio

(8)

I

EINLEITUNG

Die demografische Entwicklung in Deutschland ist durch einen zunehmenden Alterungspro-zess der Gesellschaft und einen Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung gekenn-zeichnet. Zu den dominierenden Gesundheitsproblemen, die mit zunehmendem Lebensalter einhergehen, zählt neben dem Auftreten einzelner chronischer Erkrankungen eine altersspe-zifische Multimorbidität (1). Nach einer Hochrechnung der Daten des Bundes-Gesundheitssurveys hatten in Deutschland 1998 36.6 Mio. Menschen zwei oder mehr Er-krankungen. Die jährliche Zunahme von Neuerkrankungen wird auf 4.6 Mio. geschätzt. Ob-wohl Multimorbidität auch unter jüngeren Personen im erwerbstätigen Alter zu finden ist, geben am häufigsten 55- bis 65-jährige Männer und Frauen mehrere Erkrankungen an (2, 3). Im Alterssurvey 2002 hatten ein Drittel der Personen zwischen 40 und 54 Jahren zwei oder mehr Erkrankungen. Über die Altersgruppen nahm der Anteil jener, die multimorbid erkrankt waren, kontinuierlich zu. 56% der 70- bis 85-Jährigen berichteten von mindestens zwei und mehr Krankheiten (4).

Chronische und damit nicht heilbare Erkrankungen, die im fortgeschrittenen Alter häufig zur Multimorbidität akkumulieren, führen oftmals zu dauerhaften Einschränkungen körperlicher Funktionsfähigkeiten (5, 6), die nicht nur die Lebensqualität des Einzelnen negativ beein-flussen, sondern auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben. Mit steigender An-zahl von Gesundheitsstörungen werden der eigene Gesundheitszustand und die Lebensqua-lität schlechter bewertet (3, 7-9), und das MortaLebensqua-litätsrisiko ist gegenüber Personen mit nur einer Erkrankung erhöht (10). Je öfter multimorbide Krankheitszustände in einer Person vorliegen, desto häufiger werden Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen (3, 11, 12) und umso länger ist die beobachtete Aufenthaltsdauer in Krankenhäusern (8, 13). Damit steigen nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Gesundheitskosten (2, 13). Die bedingt durch den demografischen Alterungsprozess zukünftig häufiger auftretende Multi-morbidität im höheren Lebensalter und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesell-schaft stellen eine große Herausforderung im Public-Health-Bereich dar.

Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen zählen zu den häufigsten Krank-heiten, die Teil multimorbider Erkrankungsmuster darstellen. Sie sind aus Public-Health-Sicht bedeutsam, weil sie einerseits in der Bevölkerung weit verbreitet auftreten und gleich-zeitig in der Diagnostik und Therapie hohe Kosten verursachen, in ihrem Verlauf potenziell beeinflussbar sind (z.B. durch Verhaltensprävention) und sich durch gesundheitspolitische Maßnahmen (z.B. Verhältnisprävention) zum Großteil verändern lassen. In Deutschland le-ben ca. 4 Mio. Diabetiker, über 400.000 Personen sterle-ben jährlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und in ähnlicher Größenordnung liegt die Zahl der Krebsneuerkrankungen. Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen belegen seit Jahren die ersten Plätze in der Todes-ursachenstatistik und verursachen einen Großteil der direkten Krankheitskosten: 35 Mrd. Euro wurden im Jahr 2002 für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 15 Mrd. Euro für Krebserkran-kungen und ca. 5.2 Mrd. Euro für Diabetes mellitus ausgegeben (14). Zu den am weitesten verbreiteten ernährungsabhängigen Erkrankungen zählen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrieländern aufgrund der hohen – allerdings sehr unterschiedlichen – Prävalenzschätzungen die Krankheiten Hypertonie und Typ-2-Diabetes (15-17). Ein Drittel

(9)

der erwachsenen deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren weist einen Bluthoch-druck von systolisch mehr als 140mmHg und diastolisch mehr als 90mmHg auf (18), die Di-abetesprävalenz beträgt ca. 5% (19).

Bisherige Forschungsarbeiten zum Thema Multimorbidität haben sich überwiegend mit mög-lichen individuellen sowie gesundheitswissenschaftmög-lichen Konsequenzen von Mehrfacher-krankungen beschäftigt (2, 5-8, 10, 12, 13). Ätiologische Zusammenhänge zwischen einzel-nen Expositionsfaktoren oder einer Kombination mehrerer Einflussgrößen auf die Krank-heitsentstehung wurden dagegen hauptsächlich spezifisch für einzelne Krankheiten unter-sucht (s. Kapitel 4). Ein wissenschaftliches Konzept zur Untersuchung komplexer Strukturen von Mehrfacherkrankungen in prospektiven Studien ist dagegen noch nicht etabliert. In der Literatur finden sich keine Studien, die Multimorbiditätsmuster identifiziert und gleichzeitig einzelne Lebensstilfaktoren, die ernährungsbedingte Erkrankungen beeinflussen und in der Bevölkerung weit verbreitet sind (z.B. Übergewicht, Rauchen), untersucht und deren Ein-fluss auf die Entstehung von gesundheitswissenschaftlich bedeutenden Mehrfacherkrankun-gen beschrieben haben.

1 ZIEL DER ARBEIT

Aufgrund der Erkenntnis, dass Multimorbiditätsstrukturen bisher unzureichend untersucht worden sind, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, multimorbide Krankheitsmuster in der Eu-ropean Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Potsdam Studie differen-ziert zu betrachten. Im Fokus dieser Arbeit stehen nicht die Folgen von Multimorbidität, son-dern die Risikobeziehungen zwischen Public Health relevanten Einflussfaktoren und Mehr-facherkrankungen. Eine aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive bedeutende und in der Kohorte häufig auftretende Kombination aus Hypertonie und einer weiteren chronischen Erkrankung (Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- oder maligne Tumorerkrankungen) wird unter Berücksichtigung von anthropometrischen Merkmalen, körperlicher Aktivität, Rauchverhal-ten, Alkoholkonsum und Ernährungsfaktoren, detaillierter untersucht.

Es sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:

• Welche quantitativen und qualitativen Krankheitskombinationen treten zum Zeitpunkt der Basisuntersuchung und während der Nachbeobachtung auf?

• Sind soziodemografische und anthropometrische Merkmale, Lebensstil- und Ernäh-rungsfaktoren mit dem Auftreten von Multimorbidität assoziiert?

• Stellt eine Hypertonie eine Ausgangserkrankung für erhöhte Inzidenzen bei der Ent-stehung chronischer Erkrankungen, wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall) oder Tumorerkrankungen dar?

• Inwiefern modifiziert eine Hypertonie den Effekt klassischer Risikofaktoren, die für die Entstehung chronischer Erkrankungen verantwortlich sind? Unterscheidet sich die Stärke der Beziehung der Hypertonie zu den klinischen Endpunkten zwischen den ein-zelnen Erkrankungen (Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Tumorerkrankung)? • Wie wirken sich Risikofaktoren wie Übergewicht, körperliche Inaktivität und Rauchen

(10)

population-sattributable Risiko, d.h. welcher prozentuale Anteil an multimorbiden Erkrankungen kann auf diese Risikofaktoren zurückgeführt werden?

Datengrundlage zur Beantwortung der Fragen stellt die EPIC-Potsdam Studie, eine prospek-tive Kohortenstudie mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 6.3 Jahren, dar.

2 BEGRIFFSOPERATIONALISIERUNG:MULTIMORBIDITÄT

Der Begriff, der Mehrfacherkrankungen beschreibt, wurde Anfang der 70er Jahre von Fein-stein geprägt. Er sprach von „Komorbidität“ und verstand darunter das Auftreten zusätzli-cher Begleiterkrankungen ausgehend von einer Grunderkrankung („index disease“) (20). Zu den mit der Komorbidität begleitend auftretenden Funktionseinschränkungen zählen jedoch nicht nur chronische Krankheitsbilder wie Diabetes mellitus oder Krebserkrankungen, son-dern auch psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen) und kognitive Beeinträchtigungen (z.B. Demenz), die mit einer Grunderkrankung (z.B. Hypertonie) einhergehen. Im Verlauf der 70er und 80er Jahre wurde das Konzept der Komorbidität für klinische Fragestellungen weiterentwickelt, abhängig von der Anzahl und der Art der Erkrankungen, der Angabe der Krankheitsdiagnose durch den Arzt oder durch den Patienten (Selbstangabe) und dem Stu-diensetting (Allgemeinarzt, Krankenhaus, Pflegeheim). Um den Komorbiditätsstatus im Rahmen von klinischen Studien zu untersuchen, wurden Indizes entwickelt (21, 22). Den einzelnen Scores lagen unterschiedliche Ansätze zugrunde (23-27). Der bekannteste ist der „Charlson Comorbidity Index“, der sowohl Anzahl als auch Schweregrad der Erkrankungen berücksichtigt, um die Vorhersage der 1-Jahres Mortalität zu verbessern (23). Der Index of Coexistent Diseases (ICED) ermöglicht es, die gesundheitsbezogene Lebensqualität nach Operationen vorherzusagen, die Kaplan-Feinstein-Classification hingegen fokussiert auf die Bewertung des Komorbiditätszustandes bei Gefäßerkrankungen (24). Problematisch bei der Verwendung der oben beschriebenen Indizes ist, dass es eine Vielzahl dieser Größen gibt, die in nicht repräsentativen Studienpopulationen entwickelt wurden und deren zugrundelie-genden Datenquellen (Surveys, Datenbanken, Netzwerk von Allgemeinarztpraxen) unter-einander nicht vergleichbar sind.

Mitte der 90er Jahre erfolgte eine Überarbeitung des theoretischen Konzepts der Komorbidi-tät. Neben die Bezeichnung Komorbidität tritt der Begriff „Multimorbidität“, den van den Ak-ker in einer grundlegenden Forschungsarbeit als die Anwesenheit “mehrerer, wiederkehren-der, chronischer oder akuter Erkrankungen oder Symptome innerhalb einer Person zur glei-chen Zeit“ unabhängig von einer Grunderkrankung definiert (28). Unter Multimorbidität wer-den demnach komplexe Strukturen mehrerer individueller Krankheiten verstanwer-den. In Ab-grenzung zur Komorbidität gibt es bei Multimorbidität jedoch keine primär zugrundeliegende Erkrankung. Dennoch werden die Begriffe in der Literatur häufig synonym verwandt.

Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen variiert die Prävalenz von Ko- bzw. Multimorbi-dität altersabhängig zwischen 1% und 99% in der Allgemeinarztpraxis (29-31) bzw. zwi-schen 28% und 70% in verschiedenen Surveys (2, 6, 32). Es gibt nur wenige Studien, die die Prävalenz von Multimorbidität in Europa, den USA und Kanada untersucht haben (2, 13, 30-32). In einer Studie, an der mehrere holländische Allgemeinarztpraxen teilnahmen, hat-ten 15% der über 60-Jährigen mehr als eine der folgenden Erkrankungen: Typ-2-Diabetes,

(11)

Hypertonie, koronare Herzkrankheit, chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) oder Osteoarthritis (29). Nach Ergebnissen einer Datenbankauswertung von 42 Allgemeinarzt-praxen waren sogar 78% der über 80-Jährigen multimorbid (30). In einer Untersuchung an Überlebenden der Seven Countries Study zur kardiovaskulären Mortalität hatten 10% bis 15% der Männer im Alter von 65 bis 84 Jahren mindestens zwei oder mehr Erkrankungen. Mehrfacherkrankungen waren in dieser Studie unter Finnen häufiger zu finden als unter Ita-lienern und Niederländern (10). Ein multimorbides Krankheitsbild findet sich in Deutschland bei rund 16% der chronisch kranken Bevölkerung (33). Auch wenn die Vergleichbarkeit die-ser Zahlen schwierig ist, wird dennoch deutlich, dass es sich bei Multimorbidität um ein ernsthaftes Gesundheitsproblem handelt.

Die meisten in der Literatur identifizierten Studien zu Multimorbidität und Komorbidität un-tersuchten die aufgrund der bestehenden Mehrfacherkrankungen resultierenden Konsequen-zen, wie z.B. Mortalität (10, 27, 34, 35), körperliche Funktionseinschränkungen (36-39), Lebensqualität (9, 25, 35, 40) oder Behandlungskomplikationen durch Arzneimittelneben-wirkungen (41), Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (11, 35, 42) oder Versorgungsqua-lität (16, 43) und hohe Kosten (2, 13). Dabei handelt es sich um Studien, deren Setting die Allgemeinarztpraxis, das Krankenhaus oder auch Patientengruppen bzw. die Bevölkerung einer Region darstellt. Die Datenanalyse erfolgte bei Untersuchungen zur Mortalität über-wiegend retrospektiv (s. Übersichtsarbeit von (36)). Komorbidität und deren Auswirkungen auf Funktionsstatus und Lebensqualität wurden im Querschnitt (28, 35, 44) sowie in weni-gen sehr kleinen prospektiven Studien (45-47) untersucht. Für Deutschland repräsentative Daten zu Mehrfacherkrankungen lieferten Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurvey 1998, mit dem Ziel, nicht nur die Inzidenz und Prävalenz an Multimorbidität zu quantifizie-ren, sondern auch Erkrankungsmuster zu identifizieren und die Folgen und Konsequenzen von Mehrfacherkrankungen auf Bevölkerungsebene zu beschreiben (z.B. Lebensqualität, Folgekosten, gesundheitsbezogene Lebensqualität) (3). Die Bedeutung einer Erkrankung für weitere Folgeerkrankungen wurde jedoch nicht untersucht.

In einer Übersichtsarbeit zu Ursachen und Konsequenzen der Komorbidität finden sich ledig-lich vier Querschnittsstudien, die sich mit den Gründen für Krankheitskombinationen be-schäftigten. Die berücksichtigten Grunderkrankungen waren Epilepsie, Migräne und Asthma (36), die jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.

Zur Messung von Multimorbidität und Komorbidität finden sich in der Literatur unterschiedli-che Methoden, um Erkrankungsmuster bei einzelnen Personen zu ermitteln. Ein verbreiteter Ansatz ist die Bestimmung der Gesamtzahl der Erkrankungen (5, 6) und die Erfassung chro-nischer Erkrankungen unter einer Grunderkrankung (29, 48, 49). Mit dem Komorbiditätsin-dex wird in klinischen Studien neben der Anzahl zusätzlich der Schweregrad jeder einzelnen Erkrankung berücksichtigt (s.o.). Im Rahmen von Surveyuntersuchungen wird für die aufge-tretene Anzahl von Krankheiten auf Basis der Stichprobe geprüft, ob eine zufällige Häufung von Krankheiten vorliegt oder ob eine statistische Beziehung zwischen den zusammen auf-tretenden Krankheiten besteht (30).

Zur Beantwortung der Fragestellungen der vorliegenden Arbeit werden im Unterschied zu den aufgeführten Verfahren ausschließlich klinische Endpunkte der ausgewählten

(12)

ernäh-rungsabhängigen, chronischen Krankheiten Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Myokardinfarkt, Schlaganfall und maligne Tumoren betrachtet. Kennzeichnend für diese Erkrankungen ist ein langwieriger Verlauf, in deren Folge weitere Begleiterkrankungen oder Komplikationen auftreten, die wiederum häufig mit einer geringeren Lebenserwartung und frühzeitiger Mor-talität einhergehen. Zum Aufdecken möglicher Krankheitskombinationen wurde aufgrund der geringen Zahl an Krankheiten (n=5) auf einen exploratorischen Ansatz (z.B. Clusterana-lyse) verzichtet und mit empirisch ermittelten Krankheitsmustern gearbeitet.

3 GESUNDHEITSWISSENSCHAFTLICHE BEDEUTUNG DER HÄUFIGSTEN ERNÄHRUNGS-ABHÄNGIGEN CHRONISCHEN ERKRANKUNGEN UND DER MULTIMORBIDEN K RANK-HEITSMUSTER

Vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung sowie veränderter Lebensgewohnhei-ten stellen in Deutschland chronische, nicht übertragbare Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen den Großteil der Krankheitslast der Bevölkerung dar. Ihr Auftreten beeinflusst nicht nur die individuelle Gesundheit bzw. den Gesundheitszu-stand einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern auch die mit diesen Erkrankungen verbun-dene frühzeitige Morbidität und Mortalität (50). Gleichzeitig verursachen diese chronischen Erkrankungen hohe Kosten im Gesundheitswesen. 2002 entfielen in Deutschland die höchs-ten Krankheitskoshöchs-ten (35.4 Mrd. Euro) auf die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 6.6% der Gesamtkosten wurden durch Tumoren verursacht, 5.8% durch Stoffwechselerkrankungen, wobei 40% für die Behandlung des Diabetes mellitus aufgewen-det werden mussten (14).

3.1 TYP-2-DIABETES

Diabetes mellitus stellt eine Gruppe metabolischer Erkrankungen dar, die durch hohe Plas-maglukosekonzentrationen charakterisiert sind. Diese Hyperglykämie resultiert entweder aus einer Insulinsekretionsstörung oder einer Insulinresistenz der peripheren Gewebe bzw. stellt eine Kombination beider Defekte dar (51, 52). Ein chronisch zu hoher Blutzuckerspie-gel führt langfristig zu Folgeerkrankungen der Augen, der Nieren und des Nervensystems (diabetesspezifische Mikroangiopathie) sowie zu Beeinträchtigungen des Herzens und Ge-hirns und der peripheren Gefäße (diabetesspezifische Makroangiopathie) (53, 54). Unter diesen Stoffwechselerkrankungen ist der Typ-2-Diabetes die häufigste Erkrankungsform. Die weltweite Diabetesprävalenz über alle Altersgruppen wurde für das Jahr 2000 mit 2.8% geschätzt, für das Jahr 2030 werden 4.4% erwartet (55). Nach diesen Prognosen wird die Gesamtzahl an Diabetikern von 171 Mio. im Jahr 2000 auf 336 Mio. im Jahr 2030 ansteigen. In den USA nahm die Diabetesprävalenz um 33% von 4.9% im Jahr 1990 auf 6.5% im Jahr 1998 zu (56). Zusätzlich lag bei weiteren 2.8% ein nicht diagnostizierter Diabetes vor (57). In Deutschland leben – nach unterschiedlichen Schätzungen – rund 4 Mio. diagnostizierte Diabetiker. Die Prävalenz beträgt nach Angaben des Bundes-Gesundheitssurvey, die auf Selbstauskunft der 18- bis 79-jährigen Teilnehmer beruhen, etwa 5% (Männer: 4.7%; Frau-en: 5.6%) (58, 59). Damit wird die Prävalenz des Diabetes mellitus hierzulande allerdings unterschätzt. Eine bevölkerungsweite Untersuchung im Rahmen des KORA-Survey 2000

(13)

zeigte, dass der Anteil unentdeckter Diabetiker (8.2%) unter 55- bis 74-Jährigen so hoch war der Anteil diagnostizierter Diabetiker (8.4%) (60). Repräsentativen Daten des National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES), einem Bevölkerungssurvey in den USA, liegt die Anzahl unentdeckte Diabetesfälle bei einem Drittel aller erwachsenen Diabetiker (61). Obwohl in Deutschland eine Zunahme der altersspezifischen Typ-2-Diabeteshäufigkeit in bevölkerungsweiten Surveyuntersuchungen in den letzten 20 Jahren nicht beobachtet wurde, ist ein Anstieg der Typ-2-Diabetesprävalenz aufgrund der steigenden Anzahl älterer Menschen in der Gesellschaft zu vermuten (58, 60, 62). Aktuelle Ergebnisse aus telefoni-schen Gesundheitssurveys bestätigen diesen Trend (63).

Aufgrund der Morbidität an diabetesassoziierten Folgeerkrankungen werden nicht nur Le-bensqualität und Lebenserwartung eingeschränkt (53), sondern auch Leistungen im Ge-sundheitswesen häufiger in Anspruch genommen (64). Im Jahr 2002 fielen in Deutschland nach Angaben der Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamtes („top-down“-Ansatz) 5.12 Mrd. Euro direkte Kosten (2.3% aller krankheitsbezogenen Gesundheitsausga-ben) für die Behandlung des Diabetes mellitus an (14). Demgegenüber ermittelte die Costs of Diabetes in Europe-Type 2 (CODE-2)-Studie („bottom-up“-Ansatz) für Deutschland im Jahr 1998 16 Mrd. Euro direkte Kosten (65). Die Internationale Diabetesgesellschaft schätzt diese weltweit auf 70 bis 130 Mrd. US-Dollar (66).

MULTIMORBIDITÄT

In den USA, in denen 45% der Allgemeinbevölkerung und 88% der über 65-Jährigen mehr als eine chronische Erkrankung haben, werden über 75% der Gesundheitsausgaben für die Behandlung chronischer Erkrankungen ausgegeben (2). Nach einer Hochrechnung werden im Jahr 2036 in England 20% mehr Diabetesfälle auftreten als im Jahr 2000. Der Anstieg der Folgeerkrankungen wird bis dahin mit 20% bis 30% beziffert, die Behandlungskosten werden um ca. 25% ansteigen (67). Umfassende Evidenz aus epidemiologischen und klini-schen Studien zeigt, dass vaskuläre Erkrankungen Hauptursache für weitere Morbidität so-wie Mortalität unter Diabetikern sind (68-73). Diabetiker haben ein zwei- bis fünffach höhe-res Risiko für Gefäßerkrankungen als Nicht-Diabetiker (69, 74-77). Frauen weisen im Ver-gleich zu Männern ein höheres relatives Risiko für kardiovaskuläre Mortalität auf (78-80). Diabetiker ohne kardiovaskuläre Erkrankung hatten ein ähnlich hohes Mortalitätsrisiko wie Nicht-Diabetiker mit einem Myokardinfarkt (35, 81, 82). Eine Diabeteserkrankung stellt ei-nen unabhängigen Risikofaktor für Schlaganfälle dar und ist mit einem zwei- bis sechsfach höheren Schlaganfallrisiko assoziiert (83). Die Lebenserwartung liegt für Diabetiker um bis zu 8 Jahre unter derjenigen von Nicht-Diabetikern (84).

Manson et al. fanden in ihrer prospektiven Kohortenstudie unter Typ-2-Diabetikern eine dreifach höhere Hypertonieprävalenz. Das Risiko für eine koronare Herzkrankheit (KHK) war um das Vierfache, das Risiko für Schlaganfall um das Dreifache erhöht. 14% der KHK-Fälle und 12% der Schlaganfälle waren auf einen Typ-2-Diabetes zurückzuführen (85). Eine ver-besserte Blutzuckereinstellung reduzierte auch in der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) die Inzidenz eines Myokardinfarktes um 16% (86).

(14)

Bei vergleichbarem Blutdruck zeigte die MRFIT-Studie für Diabetiker ein größeres kardio-vaskuläres Risiko im Vergleich zu Nicht-Diabetikern (73). Die Hypertonie stellt auch einen Risikofaktor für Schlaganfall dar (87). Eine Blutdrucksenkung hatte in der UKPDS größere präventive Effekte auf makrovaskuläre Folgeerkrankungen als eine Blutzuckersenkung (88). Das Ergebnis einer Meta-Analyse randomisierter, kontrollierter Studien war, dass bei Diabe-tikern eine Blutdrucksenkung durch Medikamente sowohl die kardiovaskuläre Mortalität als auch Morbidität reduziert. Es zeigte sich, dass eine Blutdrucksenkung mit einem geringeren Myokardinfarktrisiko (RR=0.78; 95% KI: 0.67-0.92) sowie Schlaganfallrisiko (RR=0.65; 95% KI:0.53-0.80) assoziiert war (89). Auch Ergebnisse der „Hypertension Optimal Treat-ment“-Studie HOT belegen, dass eine intensive Blutdruckreduktion unter Typ-2-Diabetikern im Vergleich zur Normalbevölkerung einen größeren Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse hatte (90). Nach aktuellem Forschungsstand scheint der Diabetes mellitus ein größerer Risi-kofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Hypertonie und Hypercholesterinämie zu sein (91-93).

Darüber hinaus gilt ein Diabetes mellitus als unabhängiger Risikofaktor für Krebserkrankun-gen von Kolon, Pankreas, Brust, Endometrium und bei Männern auch der Leber und Blase (94, 95). Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über Meta-Analysen zum Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und einzelnen Krebserkrankungen.

Tabelle 1: Meta-Analysen zu Krebserkrankungen unter Typ-2-Diabetikern Folge-

erkrankung Publikation Studie/ Studienpopulation Richtung des Erkrankungsrisikos*

Kolonkrebs,

Rektalkarzinom Larsson SC et al. 2005 (96) Meta-Analyse 1966-2005 (9 Kohortenstudien, 6 Fall-Kontroll-Studien) ↑ Blasenkrebs Larsson SC et al. 2006

(97) Meta-Analyse 1966-2006 (7 Kohortenstudien, 3 Fall-Kontroll-Studien, 3 Kohortenstudien mit Diabetespatienten)

Kohortenstudien und Fall-Kontroll-Studien: ↑ Kohortenstudien mit Diabe-tespatienten: kein Zusam-menhang

Prostatakrebs Kasper et al. 2006 (98) Meta-Analyse 1971-2005

(10 Kohortenstudien, 9 Fall-Kontroll-Studien) ↓ Prostatakrebs Bonovas et al. 2004 (99) Meta-Analyse 1971-2002

(9 Kohortenstudien, 5 Fall-Kontroll-Studien) ↓ Pankreaskrebs Everhart et al. 1995 (100) Meta-Analyse 1975-1994

(9 Kohortenstudien, 11 Fall-Kontroll-Studien) ↑ Pankreaskrebs Huxley et al. 2005 (101) Meta-Analyse 1966-2005

(19 Kohortenstudien, 17 Fall-Kontroll-Studien) ↑ * ↑ Risiko erhöht, ↓ Risiko erniedrigt

Diabetes mellitus ist als Risikofaktor für Prostatakarzinome belegt (100, 102, 103), kann andererseits aber auch in dessen Folge auftreten (104, 105). Außerdem ist er mit einem höheren Risiko für Karzinome der Leber (102, 106), des Endometriums (102, 107), der Brust (107), des Kolons (108) und der Niere (102) assoziiert. Kein Zusammenhang wurde zwischen Diabetes mellitus und Ovarialkrebs gefunden (109).

3.2 KARDIOVASKULÄRE ERKRANKUNGEN

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellen weltweit die häufigste Todesursache dar (110). In Deutschland erlag fast jeder zweite Verstorbene (44.2%) einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, von denen über 90% älter als 65 Jahre waren. Pro Jahr sterben mehr als 400.000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa 43% aller Männer und über 50%

(15)

aller Frauen. Zu den Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen neben Bluthochdruck, ischämische Herzkrankheiten und zerebrovaskuläre Erkrankungen z.B. auch arterielle Verschlusskrank-heiten und rheumatisches Fieber. Mit rund 66.000 Todesfällen im Jahr 2005 stellte der aku-te und rezidivierende Myokardinfarkt die häufigsaku-te Todesursachengruppe unaku-ter den Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar. Im Alter zwischen 30 und 65 Jahren wurden Männer häufiger als Frauen wegen eines Myokardinfarktes behandelt (111).

An erster Stelle der im Jahr 2002 durch Behandlung entstandenen Gesundheitsausgaben standen dabei Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. Davon entfiel der größte Anteil auf die Hypertonie (8.1 Mrd. Euro), zerebrovaskuläre Krankheiten (7.8 Mrd. Euro) und ischämische Herzkrankheiten (7.0 Mrd. Euro). 43% der Gesamtausgaben waren den über 65-Jährigen zuzuordnen, bei denen die Ausgaben für Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit ca. 25% die erste Stelle einnahmen. Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems verursachen den größten Verlust an Lebensjahren (14).

3.2.1 HYPERTONIE

Nach der geläufigsten Definition der WHO liegt eine Hypertonie dann vor, wenn der systoli-sche Blutdruckwert ≥ 140mmHg und/oder der diastolisystoli-sche Wert ≥ 90mmHg beträgt (112). Nach repräsentativen Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 haben 42.1% der Frauen und 50.3% der Männer einen Bluthochdruck, der mit zunehmendem Alter ansteigt. In den neuen Bundesländern findet sich im Vergleich zu den alten Bundesländern eine höhere Hy-pertonieprävalenz (18). Nach Ergebnissen der „Hypertension and Diabetes Risk Screening and Awareness“-Studie HYDRA, einer für die bundesweit in der hausärztlichen Versorgung tätigen Ärzte repräsentativen Studie, haben 50% der Patienten in Allgemeinarztpraxen eine Hypertonie (16). Bei über 60-jährigen Patienten liegt der Prozentsatz an Hypertonikern so-gar bei 67% (113).

Im Gegensatz zu anderen Industrieländern ist in Deutschland damit die alters- und ge-schlechtsadjustierte Hypertonieprävalenz mit 55.3% vergleichsweise hoch. In Italien und Schweden beträgt die Prävalenz 38%, in England 42% und in Spanien und Finnland leiden 47% bzw. 49% an einem Bluthochdruck. In den USA und Kanada sind es nur halb so viele (28% bzw. 27%) (114). Nach weltweiten Schätzungen aus dem Jahr 2000 haben 26.4% der erwachsenen Bevölkerung eine Hypertonie und damit ca. 972 Mio. Menschen in Industrie-ländern (115).

Hypertonie stellt einen wichtigen Risikofaktor für Erkrankungen des zerebralen Gefäßsys-tems, für die koronare Herzkrankheit und die chronische Herzinsuffizienz sowie für die Ent-stehung eines chronischen Nierenversagens und peripherer Durchblutungsstörungen dar (15, 112), die einen großen Anteil der Morbidität und Mortalität in Deutschland (111) und auch weltweit (116) bestimmen. Bereits Anfang der 90er Jahre wurde in einer Übersichtsar-beit prospektiver Kohortenstudien (n=9) beobachtet, dass ein niedrigerer Blutdruck mit ei-nem geringeren Risiko für Schlaganfall und koronare Herzkrankheiten assoziiert war (117). Auch ein Review randomisierter kontrollierter Interventionsstudien zeigte, dass eine optima-le Blutdruckeinstellung mit einem 42% niedrigeren Schlaganfallrisiko und einem 14% gerin-geren Myokardrisiko verbunden war (118).

(16)

Geschätzte direkte und indirekte Kosten der Bluthochdruckerkrankungen gab die American Heart Association für 2006 mit 63.5 Mrd. Dollar an (119). Dies entspricht ca. 16% der Ge-samtausgaben für kardiovaskuläre Erkrankungen. In Deutschland entfielen 23% der direk-ten Kosdirek-ten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf Hypertonie (14).

3.2.2 MYOKARDINFARKT

Der Myokardinfarkt stellt die wichtigste akute Komplikation einer koronaren Herzkrankheit dar. Dabei kommt es zum Verschluss einer Koronararterie aufgrund einer unzureichenden Durchblutung der Herzkranzgefäße. Ursache dafür ist eine Arteriosklerose der Koronargefä-ße, deren Entstehung wiederum durch unterschiedliche lebensstilassoziierte Risikofaktoren beeinflusst wird (120). Das Gesamtrisiko für einen Myokardinfarkt ist umso größer, je mehr Risikofaktoren bei einer Person vorhanden sind (121). Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz bei beiden Geschlechtern an (122). Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen bei Frauen und Männern zählen, sank in Deutschland zwischen 1990 und 2003 die Herzinfarktsterblichkeit für beide Geschlechter – mit Ausnahme der über 90-jährigen Frauen. Somit starben im Jahr 2003 32 Frauen und 71 Männer (pro 100.000 Personen) an einem akuten Herzinfarkt (19). Bis zum 85. Lebensjahr sind Männer von ei-nem Herzinfarkt häufiger betroffen als Frauen (123).

Im Jahr 2002 entfielen 1.2 Mrd. Euro auf die Behandlung des akuten Myokardinfarkts (14). Darüber hinaus verursachte der Herzinfarkt 0.9% aller durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität oder vorzeitigen Tod verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre (123). In den USA wurden 2006 142.5 Mrd. Dollar direkte und indirekte Behandlungskosten für koronare Krankheiten (35.4% der Gesamtausgaben für kardiovaskuläre Erkrankungen) ausgegeben (119).

3.2.3 SCHLAGANFALL

Unter dem Begriff Schlaganfall werden unterschiedliche zerebrovaskuläre Erkrankungen zu-sammengefasst. Dabei kommt es zu einer plötzlich auftretenden Durchblutungsstörung des Gehirns, bei der es zu schlagartigen Lähmungen sowie Störungen der Sinne, der Sprache und des Bewusstseins kommen kann (124). Etwa 80% aller Schlaganfälle können auf eine mangelnde Durchblutung einer Hirnregion mit nachfolgendem Hirninfarkt zurückgeführt werden (Ischämie). Nur in etwa 20% der Schlaganfälle liegt eine Hirnblutung zugrunde (haemorrhagischer Schlaganfall) (19).

Bei der Betrachtung des Schlaganfalls unabhängig von anderen kardiovaskulären Erkran-kungen stellt dieser in den USA die dritthäufigste Todesursache hinter Herz- und Tumorer-krankungen dar (119). In Deutschland zählt der Schlaganfall bei den Frauen zur vierthäu-figsten, bei den Männern zur fünfthäufigsten Todesursache. Im Zeitvergleich 1990 bis 2003 wird deutlich, dass die Sterblichkeit durch einen Schlaganfall insgesamt zwar gesunken ist. Jedoch nimmt die Häufigkeit des Schlaganfalls mit steigendem Alter zu: Fast 85% aller Schlaganfälle treten in der 6. Lebensdekade und später auf (19). Wegen der mit dem Auf-treten des Schlaganfalls verbundene Behinderung (und möglicherweise eingeAuf-tretene Pflege-bedürftigkeit) stellt das Ereignis einen Hauptgrund für Pflegebedürftigkeit im Alter dar (125).

(17)

Nachdem zunächst lediglich internationale Daten über die enormen Kosten der Schlaganfall-versorgung publiziert wurden (126), zeigt eine aktuelle Veröffentlichung erstmals für Deutschland repräsentative Zahlen. Kolominsky-Rabas et al. untersuchten im Rahmen des Erlanger Schlaganfallregister-Projekts die mit Schlaganfällen assoziierten direkten Behand-lungskosten. Dabei verursachten Patienten, die einen ersten ischämischen Schlaganfall erlit-ten, im ersten Jahre 18.500 Euro Behandlungskosten in der Klinik und Rehabilitation. Dar-aus errechnete lebenslange direkte Kosten beliefen sich auf 43.000 Euro. Hochgerechnet auf Gesamtdeutschland wurden im Jahr 2004 7.1 Mrd. Euro für die medizinische Behandlung ei-nes ersten Schlaganfalls ausgegeben (127). In den USA werden die direkten Behandlungs-kosten für Schlaganfälle auf 37.3 Mrd. Dollar geschätzt, dies entspricht ca. 9.3% der Ge-samtausgaben für kardiovaskuläre Erkrankungen (119).

MULTIMORBIDITÄT

Obwohl unter in ärztlicher Behandlung befindlichen Patienten fast jeder zweite an arterieller Hypertonie und jeder fünfte an Diabetes mellitus leidet (16), stellen kardiovaskuläre Er-krankungen nicht nur ein bekanntes Erkrankungsrisiko und eine bedeutende Todesursache bei Typ-2-Diabetikern dar, sondern spielen auch im Rahmen von Multimorbiditäts- und Ko-morbiditätsanalysen ohne Diabetes mellitus eine bedeutende Rolle. Eine koronare Herz-krankheit ist abhängig vom Schweregrad mit einer drei- bis siebenfach höheren Mortalität assoziiert (128, 129). Die Hypertonie zählt innerhalb der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu dem etablierten Risikofaktor für weitere Krankheiten, wie zerebrovaskuläre Erkrankungen, ischämische Herzerkrankungen, Herz- und Nierenversagen (117). Weltweit sind nach Anga-ben der WHO 49% der ischämischen Herzkrankheiten auf eine suboptimale Blutdruckein-stellung zurückzuführen (116). In einer Arbeit von Glynn und Rosner im Rahmen der Physi-cians’ Health Study konnte gezeigt werden, dass ein Blutdruckanstieg systolisch und diasto-lisch um 10mmHg unabhängig von Alter, BMI, Cholesterol, Rauchen und Alkoholkonsum nicht nur mit einem insgesamt höheren Herz-Kreislauf-Risiko (systolisch: OR=1.20; 95% KI: 1.13-1.27; diastolisch OR=1.20 (1.09-1.32) assoziiert war, sondern sowohl ein hö-heres Myokardinfarktrisiko (systolisch: OR=1.14; 95% KI: 1.05-1.24; diastolisch OR=1.16 (1.02-1.33) als auch Schlaganfallrisiko (systolisch: OR=1.28; 95% KI: 1.17-1.40; diasto-lisch OR=1.23 (1.06-1.43) beobachtet wurde (130). Ein Vergleich europäischer Surveys zeigt, dass die Hypertonieprävalenz stark mit der Schlaganfallmortalität korreliert (r=0.78) (114). Eine Meta-Analyse randomisierter kontrollierter Studien kam bereits Anfang der 90er Jahre zu dem Ergebnis, dass eine Bluthochdruckbehandlung mit einem 40% geringeren Schlaganfallrisiko und einem 15% reduzierten Myokardinfarktrisiko assoziiert ist (118). Während eine Hypertonie als Risikofaktor bereits etabliert ist (15, 112), zeigen aktuelle Er-gebnisse einer Meta-Analyse von Kohortenstudien, dass Patienten nach einem überlebten Myokardinfarkt unabhängig von einer Hypertonie höhere Inzidenzen für einen Schlaganfall aufweisen (131). Lichtman et al. fanden heraus, dass Hypertonie, Diabetes mellitus und pe-riphere Gefäßerkrankungen auch Prädiktoren für einen Schlaganfall nach einem Myokardin-farktereignis darstellen (132). Diese Krankheitskombination hat nicht nur eine frühzeitige Mortalität zur Folge, sondern verursacht auch höhere Kosten aufgrund längerer

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Kranken-hausaufenthalte unter Überlebenden sowie einen kostenintensiven Betreuungsaufwand in-folge eingeschränkter Funktionsfähigkeit im Alltag (133).

Eine Meta-Analyse von 10 Kohorten- und 13 Fall-Kontroll-Studien untersuchte den Zusam-menhang zwischen Hypertonie und Krebserkrankungen bzw. Krebssterblichkeit (134). Dabei zeigte sich, dass Bluthochdruck mit einem höheren Mortalitätsrisiko assoziiert ist und in Zu-sammenhang mit den Tumorlokalisationen Endometrium, Kolon, Rektum, Brust (nur postmenopausale Frauen) und Niere als Risikofaktor diskutiert wird. In einer aktuelleren Auswertung der Nurses’ Health und Health Professionals Follow-up Study war eine Hyperto-nie unabhängig vom Übergewicht und Rauchen mit einem höheren Risiko für Nierenzellkar-zinome assoziiert (Männer: RR=1.9; 95% KI:1.4-2.7 und Frauen: 1.8; 1.2-2.7) (135). 3.3 TUMORERKRANKUNGEN

Unter Tumorerkrankungen wird ein sehr heterogenes Krankheitsbild aller Neubildungen ver-standen, die durch eine Fehlregulation des Zellwachstums entstehen und überwiegend im höheren Lebensalter auftreten. Maligne Tumoren stellen die Ursache für Krebserkrankungen dar. Die Entartung einer Zelle erfolgt aufgrund von DNA-Veränderungen, die das genetisch geregelte Gleichgewicht dieser Zelle zwischen Wachstum, Teilung und Zelltod stören (136). In Deutschland können 25% aller Todesursachen auf Krebserkrankungen zurückgeführt werden (111, 137). Die Anzahl jährlich neu auftretender Krebserkrankungen wurde für das Jahr 2002 bei Männern auf 218.000 und bei Frauen auf 206.000 geschätzt. Seit 1990 er-höhte sich damit die Neuerkrankungszahl bei Männern um 39% und bei Frauen um 19%, das mittlere Erkrankungsalter liegt für beide Geschlechter bei 69 Jahren (137). Während Männer am häufigsten an Lungenkrebs und Frauen an Brustkrebs (ein Fünftel) versterben, stellt die häufigste Neuerkrankung bei Männern der Prostatakrebs (n=48.650) dar. An zwei-ter Stelle steht Darmkrebs (n=35.600) und an dritzwei-ter Stelle Lungenkrebs (n=32.550). Bei Frauen ist der Brustkrebs (n=55.150) die häufigste inzidente Krebserkrankung, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs (19). Brustkrebs stellt die wichtigste Krebserkrankung bei jüngeren Frauen dar (138). Zwischen 30 und 55 Jahren treten Krebserkrankungen bei Frauen häufi-ger als bei Männern auf (137). Im europäischen Vergleich lagen die altersstandardisierten Inzidenzraten für Männer und Frauen über dem europäischen Durchschnitt. Für Männer wurden in Ungarn, in den Benelux-Staaten, in Tschechien und Italien noch höhere Erkran-kungsraten als in Deutschland beobachtet. Dänische und britische Frauen waren im Ver-gleich zu deutschen häufiger von Krebs betroffen (137).

Auf die Behandlung von Neubildungen entfielen im Jahr 2002 14.7 Mrd. Euro. Dabei verur-sachten Tumoren der Verdauungsorgane, der Brustdrüse, der Prostata sowie der Atmungs-organe die höchsten Kosten (14).

MULTIMORBIDITÄT

Obwohl im Laufe der 90er Jahre der Anteil der Krebserkrankungen an der Gesamtsterblich-keit zurückging, ist die Anzahl der Neuerkrankungen in diesem Zeitraum infolge des demo-grafischen Alterungsprozesses deutlich angestiegen. Durch die besseren Überlebenschancen aufgrund frühzeitiger Entdeckung und Behandlung wird auch zukünftig mit einer weiteren

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Zunahme an Krebserkrankungen (Frauen: Brustkrebs; Männer Prostatakrebs) zu rechnen sein (19).

Krebserkrankte wiederum haben nicht nur ein höheres Risiko für Sekundärtumoren und Mortalität, sondern auch dafür, dass bereits zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose prävalente chronische Erkrankungen, wie Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen, bestehen (139). Viele Untersuchungen zeigen, dass Komorbidität einen unabhängigen Risikofaktor für das Überleben von Krebspatienten (z.B. Brustkrebs) darstellt. Komorbide Brustkrebspatien-tinnen haben eine geringere Überlebensrate im Vergleich zu PatienBrustkrebspatien-tinnen ohne weitere Funktionseinschränkungen (27, 34, 43, 140-142). In einer prospektiven Beobachtungsstu-die in Detroit hatten 40- bis 84-jährige Brutstkrebspatientinnen mit drei oder mehr Erkran-kungen eine vierfach höhere Gesamtsterblichkeit im Vergleich zu Patienten ohne Komorbidi-täten (27). Die Anzahl der Krankheiten und auch die Anwesenheit bestimmter Erkrankun-gen, wie Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre ErkrankunErkrankun-gen, erhöhen das Mortalitätsrisiko für Patienten mit Kolonkarzinom (25). Im Fokus der Studien zu Krebserkrankungen und de-ren Komorbiditäten stehen vor allem die vor der Krebsdiagnose aufgetretenen Krankheiten (143-146). Die Prävalenz unter 16.000 Krebserkrankten, bereits an mindestens einer chro-nischen Erkrankung wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, respiratorischen Er-krankungen oder Arthritis erkrankt zu sein, betrug 67%, 33% gaben sogar zwei und mehr Erkrankungen zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose an. Die höchste Zahl weiterer Erkrankun-gen war unter den 60- bis 69-JähriErkrankun-gen zu beobachten. Hypertonie stellte mit 41% die häu-figste prävalente Erkrankung unter allen Krebspatienten dar. Die Diabetesprävalenz war am höchsten unter Patienten mit Lungen- und Augentumoren. Zwischen 19% und 31% gaben abhängig von der Tumorlokalisation eine kardiovaskuläre Erkrankung an. Die Prävalenz ze-rebrovaskulärer Erkrankungen betrug zwischen 4% und 10% (145, 25).

FAZIT

Mehrfacherkrankungen sind charakteristisch für den Gesundheitszustand einzelner Bevölke-rungsgruppen. Da ein Großteil dieser multimorbiden Krankheitsbilder auf modifizierbare Ri-sikofaktoren zurückzuführen ist, bietet sich möglicherweise ein Präventionspotenzial mit ge-sundheitswissenschaftlicher Bedeutung. Inwiefern einzelne lebensstilassoziierte und ernäh-rungsabhängige Risikofaktoren die Entwicklung chronischer Erkrankungen beeinflussen, wird in Kapitel 4 ausführlich beschrieben.

4 RISIKOFAKTOREN BEI DER ENTSTEHUNG CHRONISCHER ERKRANKUNGEN

Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen stellen multifaktorielle Krankheits-bilder dar, die nicht monokausal auf jeweils einen Risikofaktor zurückzuführen sind. In der von der WHO durchgeführten Global Burden of Disease Study sind unter den zehn wichtigs-ten Risikofaktoren für Morbidität in Industrieländern Rauchen, Bluthochdruck, Alkohol, Übergewicht und Adipositas, geringer Obst- und Gemüseverzehr sowie körperliche Inaktivi-tät identifiziert worden (147). Die größte Krankheitslast ist unter denjenigen zu finden, die lediglich moderat erhöhte Grenzwerte, z.B. beim Blutdruck, Cholesterol oder BMI, aufwei-sen: 52% der auf körperliche Inaktivität zurückzuführenden Gesamtkrankheitslast findet

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sich unter denjenigen, die weniger als die empfohlenen 30 Minuten täglich sportlich aktiv sind (148). Bei der Pathogenese von Tumorerkrankungen sind nach Angaben der WHO zwei quantitativ bedeutsame Risikofaktoren von besonderer Bedeutung: 30% der Krebserkran-kungen können auf den Faktor Rauchen und weitere 30% auf die Ernährung zurückgeführt werden. Für die restlichen Erkrankungen sind Infektionen (18%), die genetische Disposition (4%), der Alkoholkonsum (3%), Umwelteinflüsse (4%) und berufliche Faktoren (6%) ver-antwortlich (136). In Europa tragen Übergewicht und Adipositas zu 5% aller Krebserkran-kungen bei (149).

Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, körperliche Inaktivität und Rauchen haben eine wichti-ge wichti-gesundheitswissenschaftliche Bedeutung, weil sie in der Bevölkerung weit verbreitet und in ihrem Zustand beeinflussbar sind. Im Folgenden werden die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren und deren Assoziation mit Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkran-kungen kurz beschrieben. Weitere in der Literatur diskutierte Risikofaktoren, wie z.B. gene-tische Prädispositionen oder ein niedriges Geburtsgewicht in Zusammenhang mit dem Typ-2-Diabetesrisiko (150-153) bzw. erhöhte Werte für Gesamtcholesterol und LDL-Cholesterol sowie niedrige HDL-Cholesterolspiegel für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (154), werden in der vorliegenden Arbeit nicht ausführlich diskutiert, da es sich nicht um krankheitsübergreifende Einflussfaktoren handelt.

4.1 ÜBERGEWICHT/ADIPOSITAS UND KÖRPERLICHE INAKTIVITÄT

Unter Adipositas wird eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfet-tes verstanden. Sie wird definiert als BMI von mehr als 30 kg/m2, beim Übergewicht beträgt der BMI zwischen 25 und 30 kg/m2. Neben dem Ausmaß des Übergewichts, das durch den BMI bestimmt wird, stellt die Fettverteilung einen Risikofaktor für metabolische und kardio-vaskuläre Komplikationen dar. Eine abdominale Adipositas liegt bei einem Taillenumfang von mehr als 88 cm für Frauen und über 102 cm bei Männern vor (155). In Deutschland le-ben nach Angale-ben des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 die Hälfte der Männer und ein Drittel der Frauen mit Übergewicht. 17% der Männer und 20% der Frauen sind als adipös einzustufen (156, 157). Adipositas und Übergewicht sind mit einem erhöhten Erkrankungs- und Mortalitätsrisiko sowie einer kürzeren Lebenserwartung verbunden (158, 159). Weltwei-te Schätzungen gehen davon aus, dass 58% der DiabeWeltwei-tesfälle, 21% der ischämischen Herzerkrankungen und 8% bis 42% der Krebserkrankungen auf Übergewicht zurückzufüh-ren sind (116).

Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen dem Risikofaktor Übergewicht und der Entstehung eines Typ-2-Diabetes bei Männern (160-166) und bei Frauen (164, 166-169). Unabhängig vom Ausgangsgewicht erhöhte auch eine Gewichtszunahme im Erwach-senenalter das Erkrankungsrisiko (160, 162, 165, 170-173). Ein größerer Taillenumfang bzw. eine höhere WHR ist unabhängig vom Körpergewicht mit einem erhöhten Typ-2-Diabetesrisiko assoziiert (174-178).

Übergewicht, Adipositas und eine Gewichtszunahme per se stellen ebenfalls Risikofaktoren für eine Hypertonieerkrankung dar (179-187). Übergewicht hat auch unabhängig vom Auf-treten anderer lebensstilassoziierter und klinisch relevanter Risikofaktoren Einfluss auf die

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Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen (160, 164, 179, 188-190). Eine Meta-Analyse von 10 Studien untersuchte den Effekt des BMI auf das KHK-Risiko. Das Risiko für Frauen mit einem BMI von mehr als 33 kg/m2 war im Vergleich zu Frauen mit einem BMI von 23 kg/m2 um mehr als das Dreifache erhöht: RR=3.17 (95% KI: 2.37-3.97) (Männer: RR=3.19 (2.62-3.76) (191). In der prospektiven Framingham Study konnte gezeigt werden, dass ein hoher BMI mit einem höheren KHK-Risiko (179, 192) bzw. Myokardinfarktrisiko as-soziiert war (193). In der Nurses’ Health Study zeigte sich bei Frauen mit einem BMI von über 25 kg/m2 und einer Gewichtszunahme von mehr als 10 kg ein höheres KHK-Risiko im Vergleich zur Referenzgruppe, deren Gewicht um lediglich 3 kg schwankte (190). Auch scheint ein im Bereich des Normalgewichts höheres Ausgangsgewicht das Risiko für korona-re Herzkrankheiten zu erhöhen (194), eine Gewichtszunahme nach dem 20. Lebensjahr war mit einem höheren Myokardinfarktrisiko assoziiert (195). Übergewicht und eine Gewichtszu-nahme stellten zwar wichtige Parameter für einen ischämischen Schlaganfall, nicht aber für einen haemorrhagischen Schlaganfall dar (196). Das relative Risiko für Teilnehmer mit ei-nem BMI von mehr als 30 kg/m2 war für das Schlaganfallrisiko doppelt so hoch (RR=2.0; 1.48-1.72). Unabhängig von Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und einer Hypercholesterinämie erhöhte die Zunahme des BMI um eine Einheit das Risiko für ischämische Schlaganfälle um 4% (197).

Für Tumoren in Oesophagus, Kolorektum, Brust (postmenopausale Frauen), Endometrium und Niere wurde Übergewicht ebenfalls als Risikofaktor identifiziert (149, 198).

Zahlreiche Übersichtsarbeiten haben in prospektiven Studien den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Adipositas für unterschiedliche Einzelerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen dargestellt. Aber nur sehr wenige Arbeiten haben mehr als eine Erkrankung als Zielgröße im Zusammenhang mit anthropometrischen Größen untersucht. Übergewicht und Gewichtszunahme vor der Diabetesdiagnose erhöhten das KHK-Risiko unter Typ-2-Diabetikerinnen (199). Bei Frauen wurde beobachtet, dass Überge-wicht und eine GeÜberge-wichtszunahme das Typ-2-Diabetesrisiko um mehr als das Neunfache, das KHK-Risiko um das Sechsfache erhöhen (91).

Anthropometrische Merkmale, wie BMI, WHR und Taillenumfang, beeinflussen die Krank-heitsentstehung unterschiedlich. In der Iowa Womens Health Study war ein höherer BMI stärker mit dem Hypertonierisiko assoziiert als eine hohe WHR. Das Typ-2-Diabetesrisiko wurde dagegen sowohl von einem hohen BMI als auch einer hohen WHR beeinflusst. Auch unter den 20% der Teilnehmer mit niedrigstem BMI stieg das Erkrankungsrisiko mit zuneh-mender WHR an. Das allgemeine Krebsrisiko war zwar positiv, aber nicht signifikant mit hö-heren BMI- und WHR-Werten assoziiert. Für den BMI im Vergleich zum Taillenumfang wurde ein stärkerer Zusammenhang in Beziehung zum postmenopausalen Brust- und Kolonkrebs gefunden (169). Ergebnisse der Framingham Offspring Study zeigen, dass Gewicht und Grö-ße das Typ-2-Diabetes- und KHK-Risiko unterschiedlich beeinflussen: Das Körpergewicht war zwar mit dem Typ-2-Diabetesrisiko assoziiert, Gewicht und Größe waren jedoch keine signifikanten Prädiktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (200).

Körperliche Aktivität erhöht nicht nur die Lebenserwartung, sondern senkt auch das Risiko für chronische Erkrankungen (201). Nach Angaben des Bundes-Gesundheitssurveys 1998

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bewegen sich lediglich 13% der erwachsenen Bevölkerung an mindestens 3 Tagen der Wo-che eine halbe Stunde. Ein Drittel der Bevölkerung ist überhaupt nicht sportlich aktiv (19). Im europäischen Vergleich von 15 Ländern zählt Deutschland zu den Nationen mit dem in-aktivsten Lebensstil (202).

Dabei reduziert moderate körperliche Aktivität sowohl das Risiko für Typ-2-Diabetes (203-207) als auch das Hypertonierisiko (207-212), das KHK-Risiko (92, 207, 213-216) sowie das Schlaganfallrisiko (217, 218). Zwischen körperlicher Aktivität und Brustkrebs bzw. Kolon-karzinom wird ebenfalls eine inverse Assoziation beobachtet (198, 219). Für Ovarial-, Pros-tata- und Lungenkrebs besteht möglicherweise auch dieser Zusammenhang (220).

Übergewicht, Adipositas und Bewegungsmangel stellen etablierte Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen dar. Metabolische Veränderungen, die dadurch hervorgerufen werden, erhöhen das Typ-2-Diabetesrisiko stärker als das KHK- und Schlaganfallrisiko (221).

4.2 RAUCHEN

Der Tabakkonsum ist der bedeutendste Risikofaktor für vorzeitige Mortalität und Morbidität (116). Dabei ist unerheblich, ob Zigaretten (222), Zigarren (223, 224) oder Pfeife (225) ge-raucht wird. In Deutschland sterben jährlich ca. 140.000 Menschen an den gesundheitlichen Folgen, die mit dem Rauchen in Zusammenhang stehen, wie z.B. kardiovaskuläre Erkran-kungen und Tumoren der Lunge, Mundhöhle, Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse (226, 227). Daten des Mikrozensus 2003 haben ergeben, dass 22% der Frauen und 33% der Männer über 15 Jahre rauchen. 20% der Männer und 11% der Frauen konsumieren über 20 Zigaretten pro Tag (228). Repräsentative Daten des Robert Koch-Instituts aus dem Telefo-nischen Gesundheitssurvey 2003 zeigen, dass 28% der Frauen und 37% der Männer regel-mäßig rauchen. Während der Anteil männlicher Raucher in den letzten 20 Jahren rückläufig war, zeigt sich, dass der Anteil der Raucherinnen in demselben Zeitraum zugenommen hat (229). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Tabakkonsum der über 15-Jährigen mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 2000g im Mittelfeld (19).

Rauchen bewirkt über die Vasokonstriktion der Gefäße einen unmittelbaren Blutdruckanstieg (230) und gilt mittlerweile nicht nur als gesicherter Risikofaktor für Krebs- und Gefäßer-krankungen (116, 227), sondern auch für Typ-2-Diabetes (203, 204, 231-235). Untersu-chungen aus der Nurses’ Health und Health Professionals Follow-Up Study, der UKPDS und dem MRFIT belegen, dass Typ-2-Diabetiker, die rauchen, ein erhöhtes Risiko für eine koro-nare Herzkrankheit (236), einen Myokardinfarkt (237) und eine höhere Sterblichkeit an kar-diovaskulären Erkrankungen (73) haben.

Rauchverzicht führte bereits nach einer Woche zur Abnahme des mittleren Blutdrucks (238), nach 10 Jahren wurde auch ein niedrigeres Risiko für koronare Herzkrankheiten (239) und Schlaganfall (240, 241) beobachtet. Typ-2-Diabetiker, die nicht rauchten, hatten gegenüber Rauchern ein geringeres Myokardinfarktrisiko (237).

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4.3 ALKOHOLKONSUM

Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 liegt der Alkoholkonsum bei 31% der Männer über der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung angegebenen gesundheitlich verträglichen Zufuhrmenge von 20g pro Tag (242). 16% der Frauen trinken mehr als 10g bis 12g pro Tag (243). Bei Überschreitung dieser Zufuhrmengen wird bei den meisten ge-sunden Erwachsenen ein höheres Erkrankungsrisiko für einzelne Krebserkrankungen, Hoch-druckerkrankungen und den haemorrhagischen Schlaganfall beobachtet (244, 245). Ein moderater Alkoholkonsum von 1 bis 3 Gläsern pro Tag war mit einem geringeren Typ-2-Diabetesrisiko assoziiert, viele Studien zeigen aber auch mit höherem Alkoholkonsum ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Typ-2-Diabetes (U-förmiger Zusammenhang) (203, 204, 246). In Deutschland wurde bei Männern eine direkte Beziehung zwischen Alkoholkonsum von mehr als 20g pro Tag und dem Typ-2-Diabetesrisiko gefunden (166). Alkohol wird als Risikofaktor für eine Hypertonie diskutiert, eine J-förmige Beziehung wird dagegen für koro-nare Herzkrankheiten angenommen (244, 245, 247, 248). Sogar unter normalgewichtigen (BMI von weniger als 25 kg/m2), männlichen Nichtrauchern mit körperlich aktivem Lebens-stil und gesundem Ernährungsmuster wies ein moderater Alkoholkonsum (bis 30g/Tag) auf ein geringeres Myokardinfarktrisiko hin (249). Diese Trinkmenge war auch bei Typ-2-Diabetikern mit einem geringeren Risiko für koronare Herzkrankheiten assoziiert (250, 251). Für das Schlaganfallrisiko wurde ein U-förmiger Zusammenhang gefunden. Nach Über-schreiten einer moderaten Trinkmenge steigt das Erkrankungsrisiko höher an als das für Nicht-Trinker (252, 253). Der Alkoholkonsum stellt auch einen Risikofaktor für Tumoren des oberen Verdauungstraktes, der Leber und der Brust dar (198, 245, 254). Kein Zusammen-hang wurde dagegen zwischen Alkoholkonsum und Ovarialkrebs gefunden (255).

Unter Berücksichtigung der Multimorbidität zeigte eine Meta-Analyse aus 14 prospektiven Studien, dass ein moderater Alkoholkonsum (18g/Tag) unter Typ-2-Diabetikern im Ver-gleich zu Nicht-Trinkern mit einem 25% bis 66% geringeren Risiko für weitere koronare Herzerkrankungen assoziiert war (256).

4.4 ERNÄHRUNGSMUSTER

Unter den modifizierbaren Risikofaktoren nimmt die Ernährung neben dem Alkoholkonsum und Rauchen eine wichtige Stellung ein. Beim Vergleich des Verzehrs einzelner Lebensmittel innerhalb der letzten 20 Jahre zeigt sich, dass inzwischen mehr frisches Obst, Gemüse, bal-laststoff- und kohlenhydratreiche Lebensmittel sowie mehr nicht-alkoholische Getränke kon-sumiert werden (19). Der für die Primärprävention von Herz-Kreislauf- und bestimmten Krebserkrankungen empfohlene Obst- und Gemüseverzehr von mehr als 400g pro Tag (257) wird jedoch nur von der Hälfte der Bevölkerung erreicht. Hauptenergieträger waren nach Angaben des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 Milch- und Milchprodukte, Brot und Süßwaren. Die hohe Zufuhr gesättigter Fettsäuren bei Männern resultiert aus einem hohen Wurst- und Fleischkonsum (258).

In prospektiven Studien identifizierte Ernährungsmuster, die durch einen hohen Verzehr von rotem Fleisch und Wurstwaren, Butter, Kartoffeln und Vollmilch charakterisiert waren, hat-ten eine stärkere Assoziation mit dem Typ-2-Diabetesrisiko (259-261). In der Finish

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Diabe-tes Prevention Study führte ein regelmäßiger Verzehr von Vollkornprodukten, Gemüse, Obst, fettarmen Milch- und Fleischprodukten sowie ungehärteten Fetten zu einer Reduktion des Typ-2-Diabetesrisikos um 58% (262). Allerdings konnte der Ernährungseffekt nicht un-abhängig von anderen Lebensstilfaktoren, wie Gewichtsabnahme oder körperliche Aktivität, interpretiert werden. Sowohl in Kohorten- als auch in Interventionsstudien wurde für Bal-laststoffe eine blutdrucksenkender Effekt gefunden (263, 264). Auch ein Ernährungsmuster mit viel Obst und Gemüse und fettarmen Milchprodukten konnte den mittleren systolischen und diastolischen Blutdruck deutlich reduzieren (265) und das Hypertonierisiko senken (266). Ernährungsmuster, die mit dem Auftreten koronarer Herzkrankheiten assoziiert sind, konnten im Rahmen der Primärprävention nicht identifiziert werden. Vielmehr scheint die Zusammensetzung der Nahrung Einfluss auf andere KHK-Risikofaktoren wie Übergewicht, Fettstoffwechselstörung und Bluthochdruck (zusammen Parameter des Metabolischen Syn-droms) zu haben (267). In der INTERHEART-Studie war ein täglicher Obst- und Gemüsever-zehr sowie ein regelmäßiger Alkoholkonsum (dreimal pro Woche oder häufiger) invers mit dem Myokardinfarktrisiko assoziiert (121). Frauen mit einem Ernährungsmuster, das viele Ballaststoffe, Omega-3-Fettsäuren, Folsäure und ein hohes Verhältnis mehrfach ungesättig-ter zu gesättigten Fettsäuren und einen geringen Anteil an trans-Fettsäuren enthielt, hatten ein um 82% geringeres koronares Erkrankungsrisiko (268). Auch scheinen n-3-Fettsäuren die Atherogenese der Gefäßwand günstig zu beeinflussen (269). Eine Meta-Analyse von Ko-hortenstudien zum Obst- und Gemüseverzehr und Schlaganfallrisiko zeigte, dass im Ver-gleich mit Personen, die weniger als drei Portionen Obst und Gemüse pro Tag konsumieren, diejenigen mit 3 bis 5 Portionen ein 11% (RR=0.89; 0.83-0.97) und diejenigen mit mehr als 5 Portionen ein 26% (RR=0.74; 0.69-0.79) geringeres Schlaganfallrisiko hatten (270). Im Rahmen der EPIC-Potsdam Studie wurde ein höheres Diabetesrisiko bei Probanden beo-bachtet, die wenig frisches Obst, viel Fleisch, Wurst, Hülsenfrüchte und Weißbrot aßen und kalorienreiche Erfrischungsgetränke und Bier konsumierten (271). Ein Ernährungsmuster mit Vollkornbrot, frischem Obst, Olivenöl, Pilzen, Kohlgemüse, Weiß- oder Rotwein und Nüs-sen war in dieser Kohorte mit einem geringeren Myokardinfarktrisiko assoziiert (272). Ein Index, der Lebensmittel und Nutrienten berücksichtigt, die entsprechend der Empfeh-lung der „Food Guide Pyramid“ der USA mit einem geringeren Erkrankungsrisiko assoziiert sind, zeigt, dass das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im 5. Quintil im Vergleich zum 1. Quintil bei Männern um 39% und bei Frauen um 28% reduziert ist. Für Krebserkrankun-gen zeigte sich kein Zusammenhang. Eine Ernährungsweise entsprechend der Ernährungs-empfehlungen war stärker mit einer geringeren Mortalität für koronare Herzkrankheit als für Krebserkrankungen assoziiert (273-276).

Ein Ernährungsmuster, das in prospektiven Studien die weitere Entstehung chronischer Er-krankungen über eine Grunderkrankung hinaus beeinflusst, konnte nicht identifiziert wer-den. Lediglich für einzelne Nährstoffe wurden Zusammenhänge mit Folgeerkrankungen beo-bachtet: In der Nurses’ Health Study bewirkte eine höhere Aufnahme von gesättigten Fett-säuren und Cholesterol einen Anstieg des kardiovaskulären Risikos unter Typ-2-Diabetikern um 30% (277).

(25)

4.5 NICHT MODIFIZIERBARE RISIKOFAKTOREN

Neben soziodemografischen Faktoren, Lebensstilmerkmalen und anthropometrischen Grö-ßen stellt das Alter einen starken unabhängigen Einflussfaktor für die Entstehung (ernäh-rungsabhängiger) chronischer Erkrankungen dar. Die Prävalenz für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und maligne Tumorerkrankungen steigt mit zunehmendem Alter an (19, 55). Männer sind bis zum 70. Lebensjahr häufiger von einem Typ-2-Diabetes und bis zum 85. Lebensjahr öfter von einem Herzinfarkt betroffen. Im höheren Alter findet sich eine höhere Typ-2-Diabetesprävalenz bei Frauen und ein etwa gleiches Verhältnis für die Morbidität an Myokardinfarkten. 85% der Schlaganfälle treten nach dem 60. Lebensjahr auf und nach Schätzungen aus dem Erlanger Schlaganfallregister sind Männer dabei häufiger betroffen als Frauen (278). Die Inzidenzraten für Krebserkrankungen stiegen in den letzten 10 Jahren sowohl bei Männern als auch bei Frauen, wobei Männer häufiger von einer Krebserkrankung betroffen sind als Frauen (137). Infolge des demografischen Alterungsprozesses wird zu-künftig mit einer weiteren Zunahme dieser einzelnen Krankheiten zu rechnen sein. Auch für Mehrfacherkrankungen wird eine höhere Prävalenz unter Älteren beobachtet (3).

Nicht nur Personen im fortgeschrittenen Alter, sondern auch Menschen mit niedrigem Bil-dungsstand weisen eine relativ hohe Morbidität und Multimorbidität auf. Die soziale Schicht-zugehörigkeit hat demzufolge Einfluss auf das Risiko, zukünftig multimorbid zu erkranken und ist in unteren sozialen Schichten am größten (3, 279). Eine Auswertung der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie zeigte, dass die Häufigkeit eines Herzinfarktes und eines Schlaganfalls mit abnehmendem Einkommen zunahm. Verglichen mit der obersten Einkom-mensgruppe traten diese Erkrankungen in der untersten Gruppe 1.6 mal häufiger auf (280). Die Typ-2-Diabetesprävalenz war in der unteren sozialen Schicht im Vergleich zur oberen ungefähr doppelt so hoch (279). Dieser Zusammenhang wurde auch im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 beobachtet (63). Auswertungen der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie zeigen, dass sich für einzelne maligne Tumoren, wie Magen-, Darm- oder Lungenkrebs, eine deutliche Zunahme der Prävalenz mit abnehmender sozialer Schicht fin-det (279). Bei Studienteilnehmern mit einer längeren Ausbildungsdauer wurde in einer nor-wegischen prospektiven Kohortenstudie ein höheres Brustkrebsrisiko beobachtet (281).

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II

MATERIAL UND METHODEN 1 EPIC-POTSDAM STUDIE

Die EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), die vom IARC (International Agency for Research on Cancer) in Lyon, Frankreich, koordiniert wird, ist eine prospektive, multizentrische Kohortenstudie, die den Zusammenhang zwischen Er-nährung und Krebs untersucht (282). Die EPIC-Potsdam Studie als Teil dieser europaweiten Studie will darüber hinaus Fragestellungen zu Ernährungsfaktoren und anderen chronischen Erkrankungen, wie Typ-2-Diabetes, Myokardinfarkt und Schlaganfall, bearbeiten (283). In Potsdam wurden die Studienteilnehmer zwischen August 1994 und September 1998 durch Ziehung von Zufallsstichproben des Einwohnermeldeamtes aus der Allgemeinbevölke-rung rekrutiert. Die Teilnahmerate betrug 22.7%. In die Kohorte wurden abschließend 27 548 Teilnehmer aufgenommen, darunter 16 644 Frauen zwischen 35 bis 65 Jahren und 10 904 Männer zwischen 40 bis 65 Jahren (284).

Ein Vergleich einzelner Eigenschaften der Studienteilnehmer ist mit dem für die fünf neuen Bundesländer repräsentativen „Gesundheitssurvey Ost-West“, der zwischen 1990 und 1992 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, möglich. Hier zeigt sich, dass Adipositas (BMI von mehr als 30 kg/m2) und Hypertonie seltener in der EPIC-Potsdam Kohorte als unter den Teilnehmern des Surveys zu finden sind. In Potsdam gibt es mehr Probanden mit Hoch-schulabschluss und mehr Personen im Angestelltenverhältnis. Der Anteil der männlichen Raucher war niedriger, der der Nichtraucher höher als im Survey. Im Gegensatz zur reprä-sentativen Surveypopulation weisen die Teilnehmer der EPIC-Potsdam Studie günstigere so-ziodemografische und anthropometrische Merkmale sowie Lebensstilfaktoren auf (284). 1.1 ERHEBUNGSINSTRUMENTE DER BASISUNTERSUCHUNG

Nach Einwilligung in die Teilnahme erhielten die Probanden Fragebögen zur Ernährung und zum Lebensstil, die sie ausgefüllt zur Untersuchung ins Studienzentrum mitbrachten. An diesem Tag wurden die Fragebögen eingelesen und, falls notwendig, gemeinsam mit dem Teilnehmer korrigiert bzw. fehlende Informationen nachgetragen. Während eines computer-gestützten Interviews wurden die Teilnehmer zu Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, körperlicher Aktivität und zum Rauchverhalten befragt. Außerdem wurden klinische Unter-suchungen, wie anthropometrische Messungen und Blutdruckmessungen, eine Blutentnah-me und bei den StudienteilnehBlutentnah-merinnen eine KnochendichteBlutentnah-messung durchgeführt (Tabelle 2) (283).

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