• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ambulante Notfallversorgung: Patienten behandeln – aber am richtigen Ort" (27.02.2015)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ambulante Notfallversorgung: Patienten behandeln – aber am richtigen Ort" (27.02.2015)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 9

|

27. Februar 2015 A 353

H

ier spricht der automatische Anrufbeantworter von Dok- tor Gundel. Die Praxis ist zurzeit nicht besetzt. Nur in dringenden Notfällen erreichen Sie Doktor Gundel unter der Woche unter der Rufnummer 17 888. Ab 18 Uhr abends unter der Woche, am Wo- chenende und an Feiertagen suchen Sie bitte direkt die zentrale Notauf- nahme im Kreiskrankenhaus Reut- lingen auf. Dringend notwendige Hausbesuche fordern Sie bitte an unter der Rufnummer des Reutlin- ger DRK, Rufnummer 19222 oder 0180 1929210, Notfälle immer un- ter Rufnummer 112.“

Wer als Patient von Dr. med.

Udo-Frank Gundel in Reutlingen diese Ansage hört, weiß, wohin er sich wenden kann, wenn es ihm au- ßerhalb der Sprechstundenzeiten des Hausarztes und Diabetologen schlecht geht. Kommt er ins Kreis- krankenhaus Reutlingen, kann er dort am Wochenende und an Feier-

tagen direkt zur zentralen Notfall- praxis gehen und damit zu einem niedergelassenen Arzt im Bereit- schaftsdienst. Im Kreis wurden in Münsingen und Bad Urach zwei weitere solcher Notfallpraxen an Kreiskliniken eingerichtet.

Gundel, bis vor kurzem Kreis- notfalldienstbeauftragter in Baden- Württemberg, hat sich lange dafür eingesetzt, den Bereitschaftsdienst in einer Notfallpraxis am Kranken- haus anzusiedeln. Doch das war nicht die einzige Veränderung des ambulanten ärztlichen Bereit- schaftsdienstes bei ihm im Süden.

Weniger Belastung als früher Wie viele andere Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) haben auch die Baden-Württemberger die Or- ganisation des Bereitschaftsdiens- tes im Vergleich zu früher stark ver- ändert. Größere Notdienstbezirke, Notfallpraxen der Niedergelassenen an Krankenhäusern, begleitete Fahr-

dienste für Ärzte im Bereitschafts- dienst auf Hausbesuchstour – wo man auch nachfragt, nirgendwo läuft es noch so wie vor zehn oder 20 Jahren. Der Druck, dem ärztli- chen Nachwuchs akzeptable Ar- beitsbedingungen auch im Bereit- schaftsdienst zu bieten und extrem ungleiche Belastungen von Ärzten auszugleichen, war einfach zu groß.

Das bekräftigt Dr. med. Thomas Miklik, Notdienstbeauftragter des Vorstandes der KV Schleswig-Hol- stein. „Einige ländliche Bereit- schaftsdienste bestanden aus drei Ärzten, die daher mehrfach in der Woche Dienst hatten. Kein Wunder, dass junge Kolleginnen und Kolle- gen mit ihren Familien dadurch ab- geschreckt wurden, sich auf dem Land niederzulassen“, erinnerte er vor kurzem im Versorgungsbericht.

Die Schleswig-Holsteiner haben ihren Bereitschaftsdienst bereits 2007 drastisch reformiert und schon damals auf Anlaufpraxen, wie sie im Norden heißen, gesetzt, bevor- zugt an Krankenhäusern. Diese bie- ten einen kinder- und augenärztli- chen sowie einen Bereitschafts- dienst der Hals-, Nasen- und Oh- renärzte an. Zusätzlich hilft dort, wie auch an vielen anderen Stellen in Deutschland, medizinisch ge- schultes Fachpersonal in Leitstellen Anrufern weiter. Die Disponenten beantworten Fragen, raten zur Ab- klärung der Beschwerden in einer Anlaufpraxis, informieren eventuell den Fahrdienst für Haus- oder Pfle- geheimbesuche oder verweisen auf die 112, den Rettungsdienst. Mit der 116 117 gibt es seit 2012 eine einheitliche Telefonnummer für den Bereitschaftsdienst, in dessen Rah- men jährlich fast neun Millionen Patienten behandelt werden.

Die KV Baden-Württemberg ist mit ihren Reformen zufrieden.

Mittlerweile hätten die Patienten

„am Wochenende und an den Feier- tagen 114 zentrale Notfallpraxen als Anlaufstellen“, erklärte KV-Vor- AMBULANTE NOTFALLVERSORGUNG

Patienten behandeln – aber am richtigen Ort

Klinikambulanzen sind überlastet, weil der Bereitschaftsdienst nicht funktioniert? Falsch, dessen Reformen greifen doch? Vom Streit über die zeitgemäße Versorgung von Patienten, die zur Unzeit kommen.

Praxis in der Klinik:

114 Notfallpraxen fürs Wochen- ende und die Feiertage gibt es mittlerweile in Baden-Württem- berg.

Foto: dpa

P O L I T I K

(2)

A 354 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 9

|

27. Februar 2015 stand Dr. med. Johannes Fechner

zu Jahresanfang. Diese seien meist an Krankenhäusern angesiedelt.

„Durch die festen Anlaufstellen müssen die Patienten nicht mehr re- cherchieren, welcher Arzt Bereit- schaftsdienst hat, sie können ohne Voranmeldung kommen und wer- den dort versorgt.“ Das Angebot komme an, wie eine Umfrage bele- ge: „95 Prozent der befragten Pa- tientinnen und Patienten würden die Notfallpraxis weiterempfehlen.“

Die neue Organisation habe für alle Vorteile: „Durch die Reform haben wir erreicht, dass die Ärzte nicht mehr als sieben Dienste im Jahr leisten müssen.“ Vorher seien es teilweise mehr als 50 gewesen.

„Und die Krankenhäuser profitie- ren, weil wir ihre Notfallambulanz entlasten“, ergänzte Fechner.

Die Basis kritisiert manches Doch die Reformen des Bereit- schaftsdienstes haben nicht nur Befürworter. Basisfern, gleichma- cherisch, teuer und teilweise nach- teilig für Patienten seien sie. Das monieren Kritiker, zuletzt aus den KVen Nordrhein und Hessen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kann gar nicht erkennen, dass sich am Bereitschaftsdienst ir- gend etwas verbessert hat, im Ge- genteil. „Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind vielerorts stark überlastet und absolut unterfinan- ziert. Sie werden immer stärker zum Lückenbüßer für die eigentlich zuständigen Bereitschaftsdienste der KVen“, schimpfte DKG-Haupt- geschäftsführer Georg Baum am 17. Februar in Berlin. Er berief sich auf ein Gutachten im Auftrag von DKG und Deutscher Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akut- medizin (DGINA).

Nach Baums Darstellung ver- zeichnen die Krankenhäuser mitt- lerweile rund zehn Millionen ambu- lante Behandlungsfälle pro Jahr.

Acht Millionen davon beträfen Be- handlungen, um einen Notfall abzu- klären. Doch nach Ansicht der DKG könnte die Hälfte, vier Mil- lionen Kranke, von niedergelasse- nen Ärztinnen und Ärzten in Praxen versorgt werden. Etwa 30 Prozent der acht Millionen Notfälle erhalten

nämlich eine „allgemeine Notfall- behandlung“, für die man nicht ins Krankenhaus gehen müsste. Weite- re 20 Prozent werden im Rahmen einer „fachspezifischen Notfallbe- handlung“ versorgt, bekommen al- so eine Wunde genäht, einen Dauer- katheter gelegt, eine Ultraschallun- tersuchung gemacht oder Ähnli- ches. „Diese Behandlungsfälle könnten aus medizinischer Sicht im vertragsärztlichen Bereich versorgt werden, wenn durch die KVen flä- chendeckend auch fachspezifische Bereitschaftsdienste bereitgestellt würden“, heißt es in dem Gutach- ten. Für dieses überließen 55 Kran- kenhäuser mit mehr als 600 000 ambulanten Notfällen pro Jahr der Management Consult Kestermann (MCK) fallbezogene Kosten- und Leistungsdaten zur Auswertung. 37 Krankenhäuser steuerten Angaben zu Erlösen bei. Die Daten sind nicht repräsentativ. Doch die MCK-Gut- achter geben an, dass Krankenhäu- ser im Schnitt 32 Euro pro ambu- lantem Notfall erhalten, aber durch- schnittliche Fallkosten von mehr als 120 Euro haben. Bundesweit kommt MCK auf ein Gesamtdefizit von einer Milliarde Euro jährlich.

Kooperationen zwischen ambu- lantem und stationärem Sektor zur Patientenversorgung außerhalb der Praxissprechzeiten seien nicht ausreichend, befand Dr. med.

Timo Schöpke, Generalsekretär der DGINA. So sei das Angebot von Be- reitschaftspraxen an Krankenhäusern zu klein. Zwar gebe es davon mittler- weile rund 400, aber: „Die wenigsten haben in der sprechstundenfreien Zeit durchgehend geöffnet.“

DKG: mehr Geld und Einfluss Die DKG verlangt deshalb mehr Geld und mehr Einflussnahme auf die Bedingungen der ambulanten Notfallversorgung im Kranken- haus. Die KVen reklamierten die Zuständigkeit für sich, kritisierte Baum, aber: „Das ist nicht die Rea- lität. Die ambulante Notfallversor- gung findet im Krankenhaus statt.“

Das bestreitet das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). Tatsächlich be- handelten niedergelassene Ärzte rund 70 Prozent der ambulanten Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Kassenärzt-

liche Vereinigungen (KVen) haben das Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zur Fehlinan- spruchnahme der Notfallambulanzen zum Anlass genom- men, um vor den Folgen einer weitergehenden Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung zu warnen:

Die DKG zeige selber auf, dass die Kliniken mehr ambulante Versorgung nicht verkraften könnten, erklärte der KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. med. Andreas Gassen:

„Dieses Eingeständnis muss die Politik hellhörig machen.“

Die Krankenhäuser hätten notwendige Strukturreformen lange verschleppt. Gassen verwies darauf, dass insbeson- dere kleinere Häuser viele ärztliche Leistungen gar nicht mehr vorhalten könnten: „Ohne die niedergelassenen Ärz- te ist eine gute Versorgung der Patienten nicht zu bewerk- stelligen – insbesondere im Notfall.“

Für den Vorstandsvorsitzenden der KV Baden-Würt- temberg, Dr. med. Norbert Metke, ist das Gutachten ein weiterer Versuch der Krankenhäuser, durch ein unnötiges Konfliktszenario mehr finanzielle Mittel in ihre Kassen zu lenken. Anstelle von Schuldzuweisungen forderte er mehr Kooperation.

Tatsächlich seien den Krankenhäusern Patienten in den Notfallaufnahmen oft sehr willkommen, da die Häuser auf zusätzliche Einnahmequellen nicht verzichten könnten, sagte die Vorstandsvorsitzende der KV Rheinland-Pfalz, Dr.

med. Sigrid Ultes-Kaiser. Sie wies zudem darauf hin, dass die ärztlichen Bereitschaftsdienstzentralen neben den Ein- nahmen aus den Behandlungen über Umlagen der nieder- gelassenen Ärzte finanziert würden, während sich die Län- der an den Krankenhausinvestitionen beteiligten.

„Nicht nur der stationäre Bereich ist unterfinanziert, sondern auch wir“, betonte Dr. med. Monika Schliffke, Vor- standsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein. Die Kritik der DKG, die KVen kämen ihrem Versorgungsauftrag nicht nach, wies sie zurück. Die KV hatte im Mai 2014 ein Kon- zept entwickelt, wie man Patienten besser steuern könnte:

durch sogenannte Portalpraxen von KVen und Kliniken an Krankenhäusern. Viele Patienten, so die Begründung, suchten aus Unkenntnis des Systems oder aus Bequem- lichkeit die Notaufnahme von Krankenhäusern auf. Dort könne man sie aus rechtlichen Gründen vielfach nicht ab- weisen oder zum niedergelassenen Arzt schicken. Deswe- gen könnten gemeinsam betriebene Portalpraxen eine Al- ternative sein.

KRITIK AN DER DKG

Foto: picture alliance

P O L I T I K

(3)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 9

|

27. Februar 2015 A 355 Notfallpatienten. Die ZI-Wissen-

schaftler beziehen sich auf vertrags- ärztliche Abrechnungsdaten, in de- nen auch die ambulante Versorgung in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser enthalten ist.

Die Analyse zeige, dass zwi- schen der Versorgung im vertrags- ärztlichen Bereitschaftsdienst und der in Krankenhausambulanzen strukturelle Unterschiede bestehen:

„So sind die im Bereitschaftsdienst behandelten Patienten im Durch- schnitt deutlich älter und haben mehrere meist chronische Krank- heiten.“ Auch die dokumentierten Behandlungsanlässe unterschieden sich: „Während in den Notfallam- bulanzen Indikationen zu kleinchi- rurgischen Maßnahmen oder zur radiologischen Abklärung im Vor- dergrund stehen, sind es bei den Patienten der Vertragsärzte Krank- heiten des Herz-Kreislauf-Sys- tems, der Atmungsorgane sowie Schmerzpatienten.“ Bemerkens- wert sei auch, dass gerade Notfall- ambulanzen in Städten stark bean- sprucht würden, obwohl es dort ei- nen gut organisierten Bereitschafts- dienst gebe.

Nordrhein: weniger Dienste Damit spricht das ZI einen wichti- gen Punkt an, wie auch der Vor- standsvorsitzende der KV Nord- rhein, Dr. med. Peter Potthoff, am 11. Februar vor Journalisten ein- räumte: „Dafür haben wir noch kei- ne Lösung.“ Auch in Nordrhein be- müht man sich seit rund vier Jah- ren um eine grundlegende Reform des Bereitschaftsdienstes. Die KV strebt wie andere eine einheitliche Notdienststruktur und eine aus - geglichenere Dienstbelastung der Ärzte in Stadt und Land an. Sie sol- len in Zukunft maximal 50 Stunden im Jahr Bereitschaftsdienst leisten.

Außerdem werden Sitz- und Fahrdienst getrennt: Ärzte, die in der Notdienstpraxis Dienst tun, müssen keine Hausbesuche mehr absolvieren. Das übernehmen Kol- legen im Fahrdienst, die ein Fahrer begleitet. 54 Wagen sollen künftig außerhalb der Sprechzeiten im Ein- satz sein. Die Arztrufzentrale in Duisburg koordiniert die Hausbe - suche. Schlecht ausgelastete Not-

dienstpraxen will man schließen, neue dort er öffnen, wo es nötig er- scheint. Statt 61 sollen es am Ende 41 sein. Dazu kommen 15 kinder- ärztliche Notdienstpraxen (bisher 18) sowie jeweils fünf HNO- und augenärztliche Notdienstpraxen, bei Bedarf auch noch mehr. Not- dienstpraxen konsequent an Kran- kenhäusern anzusiedeln, sei erstre- benswert, sagt Potthoff. Dem Kon- zept hat nun zwar eine Mehrheit der Vertreterversammlung zugestimmt, doch es gibt trotzdem noch massive Kritik.

Selbst die Landeskrankenhaus- gesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) warnte vor den Folgen der Reform. Angesichts immer wei- ter steigender Fallzahlen in den Notfallambulanzen der Kranken-

häuser sei man entsetzt über den Plan, Notdienstpraxen zu schließen.

Ähnlich wie die DKG argumentiert auch die KGNW, Krankenhäuser könnten nicht ohne Kompensation als „Ausfallbürgen“ herhalten, wenn die KV die Notdienstversorgung nicht sicherstellen könne.

Mancher Arzt hingegen fürchtet um zusätzliche Einnahmen, wenn seine Bereitschaftsdienstzeiten re- glementiert werden oder sich die Bezahlung von Fahr- und Sitzdiens- ten ändert. Andere ärgern sich über weitere Einsatzwege oder eine hö- here Notdienstumlage.

Stark betroffen von den Reform- plänen ist Köln. In der Millionen- stadt will man künftig statt zehn nur noch vier Notdienstpraxen vorhal- ten – über die Stadt verteilt, an Krankenhäusern angesiedelt. Zwar räumt der Vorsitzende der Kreis-

stelle Köln Reformbedarf ein. Es gebe Standorte, die, gemessen an den Fallzahlen, nicht wirtschaftlich arbeiteten, erläutert Dr. med. Jürgen Zastrow dem Deutschen Ärzteblatt.

Die kleinste Notdienstpraxis ver- sorge im Jahr 600 Patienten, darun- ter viele Privatversicherte, die größ- te 18 000. Aber: „Man muss immer dem Bedarf Tribut zollen.“ Für eine angemessene Versorgung der Be- völkerung seien sechs statt vier Notdienstpraxen notwendig, davon sind die Kölner nach eigenen Be- rechnungen überzeugt.

Lokale Lösungen belassen Es werde sich schon ein Kompro- miss finden, glaubt Zastrow. Mehr als alles andere stört ihn der zentra- listische Ansatz. Es bleibe kaum Raum für lokale und damit „be- darfsgerechte“ Lösungen: „Die Dinge hier sind historisch gewach- sen. Die Versorgungslandschaft ist unterschiedlich.“ Die Kölner hätten schon früh darauf gesetzt, den Be- reitschaftsdienst in eine zentrale Anlaufstelle für die Patienten zu verlagern. Dafür hätten sie sich in Vereinen zusammengeschlossen, Räume gemietet und dort den Not- dienst auf eigene Kosten organi- siert, zum Teil mit Hilfe von Vertre- terpools. „Jetzt nimmt man die Ent- scheidung vor Ort weg und will gleich machen, was nicht gleich zu machen ist“, kritisiert Zastrow.

Die Behauptung von Kranken- hausvertretern, sie seien durch am- bulante Notfälle überlastet und könnten nicht gegensteuern, ärgert ihn ebenfalls: „Die Krankenhäuser gebrauchen den Notdienst auch, um ihre Betten zu füllen.“ Immerhin werde jeder zehnte Notfall stationär aufgenommen, womit die Klini- ken durchschnittliche Umsätze von 3 000 Euro je Fall erzielten. „Die Krankenhäuser können mit dem schlecht bezahlten Notdienst viel besser leben als die niedergelasse- nen Ärzte“, ist Zastrow überzeugt.

Ähnlich wie in Nordrhein stehen auch die Reformen in Hessen stark in der Kritik. Dort strukturiert die KV seit 2013 Region für Region den ärztlichen Bereitschaftsdienst um. Wer die 116 117 anruft, weil er außerhalb der Sprechstundenzeiten

Foto: dpa

P O L I T I K

(4)

A 356 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 9

|

27. Februar 2015 Hilfe benötigt, wird von medizini-

schem Fachpersonal und bei Bedarf von Ärzten in zwei Dispositions- zentralen beraten. Sie können Kran- ken auch empfehlen, die nächste Bereitschaftsdienstzentrale anzu- steuern, oder sie informieren den Hausbesuchs- oder Rettungsdienst.

Proteste in Wiesbaden Heftig haben unter anderem Ärztin- nen und Ärzte in Wiesbaden gegen die Veränderungen protestiert. Dort gelten die Neuregelungen seit Jah- resanfang. Bislang lag der ärztliche Bereitschaftsdienst (ÄBD) in der hessischen Landeshauptstadt in den Händen von 40 bis 50 Kollegen.

Nun sollen sich alle 700 Fach- und Allgemeinärzte im Bereitschafts- dienst abwechseln oder eine Vertre- tung organisieren. Das hat bei vie- len zu der Sorge geführt, Patienten im allgemeinen Bereitschaftsdienst nicht fachgerecht versorgen zu kön- nen – zumal, wenn man als HNO- Arzt, Laborarzt oder Psychothera- peut seit vielen Jahren nicht mehr mit Notfällen in Berührung gekom- men ist.

Auch viele Wiesbadener Kritiker räumen ein, dass der neu organisier- te Dienst für ländliche Regionen mit geringer Arzt- und Bevölke- rungsdichte eine erhebliche Verbes- serung für Patienten und Ärzte mit sich bringt. Doch in den Ballungs-

zentren mit einer hohen Arzt- und Klinikdichte und ehemals gut orga- nisierten Diensten gebe es eben massive Probleme.

Bei Dr. med. Michael Wilk, ei- nem der fünf ÄBD-Obmänner, steht das Telefon nicht mehr still. Kolle- gen bitten um Unterstützung beim Tausch des Dienstes mit ande- ren, erfahreneren Ärzten. „In der Tauschbörse auf dem Portal ,Mein ÄBD’ ist der Teufel los“, berichtet Wilk. „Niemand will erleben, dass eine Diagnose beim Patienten nicht hundertprozentig sicher erfolgen kann. Dann ist ein Tausch mit er- fahrenen Kollegen allemal besser.“

Über das Portal „werden auch Finanzanreize für einen Tausch ge- boten, die früher unter Kollegen nicht üblich waren“, sagt der Allge- meinmediziner. Die Reform der KV hat nach Angaben von Wilk zu- dem zu erheblichen finanziellen Einbußen geführt. Er spricht von

„bis zu 30 Prozent weniger Umsatz im Fahrdienst“. Auch die Dispositi- on von Patienten über die Leitstelle kritisieren manche als holprig. Dr.

med. Thomas Mainka hat im Fall eines Patienten aus einer Unter- kunft für Asylbewerber mit einem anaphylaktischen Schock erlebt, wie bedrohlich sich ein falscher Rat auswirken kann. „So eine Fehlein- schätzung in einer Leitstelle darf nicht passieren“, findet Mainka.

Dr. med. Klaus Heckmann, Lan- desvorsitzender des hessischen Be- rufsverbands der Augenärzte, be- mängelt, dass durch die gestiegenen KV-Umlagen für den Bereitschafts- dienst sowie teurere „Tauschge- schäfte“ als vorher wesentlich hö- here Kosten auf die Ärzte zukom- men. In seiner Gemeinschaftspraxis mit drei Ärzten betrug die ÄBD- Umlage im II. Quartal 2013 noch 220 Euro. Im I. Quartal 2014 erhöh- te sie sich auf knapp 1 600 Euro, im II. Quartal, in dem die Praxis nur noch mit zwei Fachärzten besetzt war, betrugen die Umlagen gut 900 Euro. „Wir bezahlen jetzt vier- bis sechsmal so viel an Umlagen für ei- nen ÄBD, der Probleme macht“, är- gert sich Heckmann.

Auch an die Dörfer denken Unwidersprochen bleibt die Kritik der Wiesbadener nicht. Dr. med.

Uwe Popert, Allgemeinarzt aus Kas- sel und bei der KV Hessen in die Re- form des Bereitschaftsdienstes ein- gebunden, verweist darauf, dass es nicht um Einzelinteressen gehen kann: „Wir müssen versuchen, eine vernünftige Versorgung für alle zu finden, insbesondere auf dem Land.

Es kann nicht sein, dass einige einen Luxus-Bereitschaftsdienst auf Kos- ten anderer organisieren.“ In Städten wie Frankfurt oder Wiesbaden habe man jahrelang sehr teure Strukturen finanziert, beispielsweise für jeden zweiten Anrufer im Bereitschafts- dienst einen Hausbesuch.

Die Unzufriedenheit über die Dispositionszentralen könne man aufgreifen und durch Schulungen die Qualität verbessern, sagt Popert.

Und wenn die zentrale Bereit- schaftsdienstnummer 116 117 über- lastet sei, müsse man eben ergän- zend regionale Nummern anbieten.

Aber eines ist für ihn angesichts ei- nes zunehmendes Mangels an Ärz- ten auf dem Land klar: „Wir können froh sein, dass solche Zentralen vorhanden und Tag und Nacht be-

setzt sind.“

Heike Korzilius, Sabine Rieser, Regine Schulte Strathaus

@

Interviews und Hintergrundinfos zum Thema aus den Regionen: www.aerzte blatt.de/15353

Mehr Kooperation an der Schnittstelle zwischen Notfallambulanz in der Klinik und Bereitschafts- dienst der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte will die schwarz-rote Koalition per Gesetz verord- nen. Ein Passus im Entwurf des GKV-Versor- gungsstärkungsgesetzes sieht vor, dass die KVen

„den Notdienst auch durch Kooperation und eine organisatorische Verknüpfung mit zugelassenen Krankenhäusern sicherstellen“ sollen.

Auch mit Landesapothekerkammern sowie mit den Rettungsleitstellen der Länder sollen sie ko- operieren. „Mit dieser Regelung werden bereits bestehende Kooperationen der KVen mit zugelas- senen Krankenhäusern, wie zum Beispiel die Ein- richtung von Notarztpraxen in den Räumen der Krankenhäuser oder die unmittelbare Einbezie- hung der Krankenhausambulanzen in den Not-

dienst, gestärkt“, heißt es im Entwurf. Bei den Vorgaben für die geplanten Terminservicestellen der KVen werden die Krankenhäuser ebenfalls genannt. Gelingt es den Mitarbeitern der Service- stelle nicht, in berechtigten Fällen einen Facharzt- termin innerhalb von vier Wochen zu vermitteln, müssen sie einen Termin in einem Krankenhaus anbieten (Ausnahme: Psychotherapie-Termine).

Die Behandlung dort muss „nicht zwingend durch Ärztinnen und Ärzte mit einer bereits abgeschlos- senen Facharztweiterbildung erfolgen“, so die Formulierung im Entwurf. Der Facharztstandard müsse aber gelten.

Lässt sich ein Versicherter in der Klinik behan- deln, kann er dort auch ambulante Folgetermine wahrnehmen, „wenn diese dazu dienen, den Be- handlungserfolg zu sichern oder zu festigen“.

DER GESETZGEBER WILL KOOPERATION

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dennoch ist noch niemand auf die Idee gekommen, dass solche Zahlen in der Öffentlichkeit nur „Ängste schüren und Vertrauen zerstören“ – für alle sind solche Zahlen in

Die KBV strebt für ambulante Operationen zwar keine Vergütung wie für stationäre Eingriffe an, wohl aber eine verbesserte Bezahlung.. Derzeit liege der Orientierungswert

Wenn eine stationäre Behandlung notwendig wird, sollte sie in jedem Fall in einem psychiatrischen Krankenhaus bezie- hungsweise in einer Fachabteilung erfolgen, in der

Nach einem Jahr waren 2,1 % der Patienten mit symptomatischer atherothrombotischer Erkrankung und 1,5 % der Patienten mit mindestens drei kardiovaskulären Risikofaktoren an

In den psychiatrischen Ein- richtungen arbeiten zudem auch Be- rufsgruppen (zum Beispiel Pädago- gen oder Soziologen), die sich bei nachgewiesener mehrjähriger psych- iatrischer

Daraus geht hervor, daß in allen Bundeslän- dern Regelungen über die Berufs- pflichten der Ärzte, die die Ver- pflichtung zur Versorgung von Pa- tienten auch an Wochenenden

Fazit: Das differenzialdiagnostische Spek- trum beim Rückenschmerz alter Men- schen ist gross; deshalb sollte eine ge- zielte und wenn immer möglich kausale Therapie angestrebt

Außerdem führt eine zu späte Über- weisung des Patienten dazu, dass die Dialyse spät und ohne entsprechende Vorbereitung des Patienten begonnen werden muss.. Häufig erfolgt die