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Archiv "Programmierte Diagnostik in der Allgemeinmedizin" (12.03.1981)

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Heft 11 vom 12. März 1981

Programmierte Diagnostik in der Allgemeinmedizin

Robert N. Braun

Die diagnostische Leistung des Allgemeinmediziners be- ginnt mit der Bewertung des ersten Eindrucks vom Patien- ten. Sie setzt sich in der Wahl der Diagnostikart fort. Dabei zeigt sich, daß die „selbstge- strickte" Diagnostik, auf die sich mancher beruft, auch nach jahrzehntelanger Berufs- ausübung noch viel zu wün- schen übrigläßt — was bei der Kompliziertheit der Allgemein- medizin eigentlich nicht ver- wundern sollte. Es gilt daher, für bestimmte umschriebene diagnostische Problemlagen Handlungs-Richtlinien zu er- arbeiten. Damit hat sich das Niederösterreichische Institut für Allgemeinmedizin be- schäftigt.

Unter Qualitätssicherung wird in der Medizin Unterschiedliches verstan- den. So kann die Verläßlichkeit von Laboruntersuchungen gemeint sein.

In vielen Ländern dienen regelmäßi- ge Kontrollen diesem Zweck. In das- selbe Kapitel gehören Nacheichun- gen von Geräten und ähnliches. Nun sagt jedoch die Genauigkeit von Be- funden allein nichts über die Quali- tät ärztlicher Leistungen aus. Will man diese beurteilen, so benötigt man spezielle Maßstäbe.

Ein Beispiel dafür gab Böhler in der Unfallchirurgie. Er verglich seine mit den von anderen Chirurgen erzielten Resultate. Maßstab war der Prozent- satz von Rentenfällen. Für diese Sta- tistiken war wichtig, daß es mit Rönt- genbildern relativ leichtfällt, exakte Diagnosen zu stellen. Böhler hatte also die Gewähr, die Ergebnisse nach identischen Ausgangssituatio- nen zu vergleichen. Die einzige Va- riable war die therapeutische Tech- nik. Daraus ergab sich, daß er selbst z. B. nach Oberschenkelbrüchen nur 70 Prozent Rentenfälle hatte, wäh- rend der sonstige Durchschnitt in Österreich bei 90 Prozent lag (2). Die systematische wissenschaftliche Be- schäftigung mit der Allgemeinmedi- zin hob in den vierziger Jahren an.

Am Beginn des folgenden Jahr- zehnts wurden erste Untersuchun- gen über die Tätigkeit praktischer Ärzte veröffentlicht. Darunter neh- men die Publikationen von Hadfield (10) und von Peterson u. M. (11) ei- nen besonderen Rang ein. Beide Be- richte beschäftigen sich auch mit der Qualität allgemeinmedizinischer Leistungen:

Hadfield urteilte auf Grund persönli- cher Eindrücke. Er zeigte Verständ- nis für die Funktion, wenn er fest- stellte, daß die Praktiker manchmal eine volle Viertelstunde für einen einzigen Patienten aufwendeten, um in der nächsten Viertelstunde 5 oder 6 Patienten akzeptabel zu beraten.

Peterson u. M. beurteilten die Lei- stungsqualität nach Punkten. Dabei erfolgte eine getrennte Punktever- gabe für die Anamnese, für die Un- tersuchung, für den Laborsektor usw. Maßgeblich für die Zahl der Punkte waren die Forderungen der Inneren Medizin. Auch die „Schieds- richter" waren Internisten. Schon vorher aber war eine Publikation erschienen, in der bewiesen worden war, daß die praktischen Ärzte ei- ne eigenständige Funktion im mo- dernen ärztlichen Team-work aus- üben (3).

Wer selbst Allgemeinmedizin zu be- treiben beginnt, erfährt bald am ei- genen Leib, unter welchen Hand- lungszwängen er arbeiten muß.

Das Problem ist, daß die Allgemein- mediziner von der Ausbildung her auf diese Beanspruchung nicht opti- mal vorbereitet sind. Sie gehen in den Beruf mit dem Willen, ihren Pa- tienten in Ruhe zuzuhören, sie gründlich zu befragen, eingehend zu untersuchen, exakte Diagnosen zu stellen, ihnen umfassend (auch fürs Leben) zu raten, interkollegiale Kontakte zu pflegen u. a. m. In Wirk- lichkeit stehen sie dann vor der Tat- sache, daß all dies nur höchst be- schränkt realisierbar ist.

(2)

Diagnostik in der Allgemeinmedizin

Bald wird ihnen von den unabänder- lichen Umständen ein rasches Bera- ten abgerungen, bei dem die Kran- ken vorwiegend passiv bleiben. Die- se Veränderung geschieht unbe- wußt. Sie soll nach einem Praxis- jahrzehnt im wesentlichen abge- schlossen sein (12). Die Praktiker üben späterhin ihren Beruf verhält- nismäßig zufrieden aus. Was sich an ihrem Denken und Handeln inzwi- schen geändert hat, wissen sie frei- lich nicht genau.

Leider werden die für ihre Funk- tionsanpassung nötigen schöpferi- schen Leistungen der Allgemeinme- diziner nicht so hoch geschätzt, wie sie es verdienen würden.

Wie ließe sich die allgemeinmedizi- nische Diagnostik beurteilen? Dazu muß man wissen, daß sich an der ersten ärztlichen Linie drei typische Wege zur Problemlösung entwik- keln (4):

1. Die intuitive direkte Diagnostik Mittels dieser Diagnostik versucht der Arzt bei charakteristischen Sym- ptomen die unmittelbare Identifika- tion mit einem wissenschaftlichen Krankheitsbegriff zu erreichen. Bei- spiele dafür wären Verbrennungen oder Schnittwunden. Die direkte Diagnostik muß nicht zu einer Dia- gnosestellung führen. Sie kann auch

„in der Nähe" eines Krankheitsbe- griffes bzw. einer Gruppe zusam- mengehöriger Krankheiten enden.

Das gilt etwa für das Bild eines Pa- naritiums oder eines Hautmali- gnoms.

2. Die intuitive örtliche Routine Damit wird bei uncharakteristischen Symptomen ohne Umschweife und ausschließlich eine Region unter- sucht. Voraussetzungen sind:

a. Kein schwerkranker Eindruck (ob- ligat)

b. Keine sonstigen nennenswerten Allgemeinerscheinungen (obligat) c. Eine kurze Erkrankungsdauer (fa- kultativ).

Örtliche Routinen werden z. B. bei Husten, bei Ohr- und Gelenkschmer- zen angewandt. Dabei setzt sich die Diagnostik stets aus Elementen von mehreren Fächern zusammen. Die dem erfahrenen Arzt „einfallenden", integrierten individuellen Kurzpro- gramme sind spezifisch für seine Funktion.

Aus seiner diagnostischen Erfah- rung visiert der Allgemeinmediziner einerseits die häufigsten Vorkomm- nisse an. Diesen wird höchstwahr- scheinlich auch der aktuelle Fall zugehören. Das diagnostische Schwergewicht liegt aber anderer- seits auf der Exklusion potentiell be- drohlicher Erkrankungen. So selten daraus ein Verdacht resultiert: Die Existenzberechtigung der Allge- meinmedizin hängt vom Festhalten an diesen Exklusionen ab.

Die örtlichen Routinen führen mei- stens nicht zu einer exakten Diagno- se. Der Durchschnittsfall bleibt „ab- wartend offen".

Die Regel sind primärörtliche Rou- tinen.

Wie bei sämtlichen Wegen in der Allgemeinmedizin kann es aber auch sekundär (4) dazu kommen:

Beispielsweise mag vor der örtli- chen Routine — erfolglos — eine di- rekte Diagnostik versucht worden sein. So könnte der Arzt vermutet haben, daß lokale Schmerzen von einer Verletzung herrührten. Der Pa- tient aber hätte die entsprechenden Fragen verneint. Solche zielende Versuche sind oft genug erfolgreich und daher ökonomisch.

3. Die intuitiven

„Allgemeinen Routinen"

Auch hier geht es um uncharakteri- stische Symptome. Doch ist deutlich der Gesamtorganismus betroffen.

Die Patienten klagen etwa über Fie- ber und/oder Mattigkeit, über Appe- titlosigkeit usw.

Die Bedachtnahme auf „abwendbar gefährliche Verläufe" ist überaus wichtig. Die Frühstadien schwerer Krankheiten sind ja manchmal von

Bagatellen mit Allgemeinerschei- nungen kaum zu unterscheiden.

Je nach der Symptomatik entwickelt der Allgemeinmediziner problem- orientierte Routinen. Diagnosestel- lungen sind selten.

Meine nähere Beschäftigung mit dieser Diagnostikform begann vor 35 Jahren. Hatte ich doch am Heim- weg von Hausbesuchen bei fiebern- den Patienten oft genug quälend empfunden, daß ich wichtige Fragen und/oder Untersuchungen verges- sen hatte. Offenbar wird unsere indi- viduell-intuitive Diagnostik durch uns selbst im nachhinein unbewußt überprüft. „Aufgedeckte" Versäum- nisse werden dann nachdrücklich si- gnalisiert.

Glücklicherweise haben die Unter- lassungen für die Patienten mei- stens keine nachteiligen Folgen.

Aber nicht immer. Da es hier um Informationen geht, die ich raschest hätte gewinnen können, erhob sich mir bald die Frage, ob alle diese Ge- wissensbisse nun bis ans Ende mei- ner Berufstätigkeit weitergehen müssen.

Von dieser Überlegung bis zur Ob- jektivierung und Analyse des eige- nen Vorgehens bei Patienten mit un- charakteristischem Fieber war dann nur mehr ein Schritt.

Den zweiten Schritt stellte die Opti- mierung der persönlichen intuitiven Vorgangsweisen in einem ausgewo- genen Programm dar. Es versteht sich, daß dabei den Forderungen der spezialistischen Medizin im Rah- men des Möglichen Rechnung ge- tragen wurde.

Der dritte Schritt war die breite, kriti- sche Erprobung des ersten diagno- stischen spezifisch-allgemeinmedi- zinischen Programms in der eigenen Praxis.

Als vierter Schritt folgte die Veröf- fentlichung des neuen Praxisbehel- fes (7).

Daß mein erstes Programm den un- charakteristischen Fieberfällen galt, 512 Heft 11 vom 12. März 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Exophthalmus („böser Blick'') beiderseits

feinschlägiger Fingertremor warme Hände

Puls über 100

systolisches Herzgeräusch RR-Amplitude über 59 euphorisch, ängstlich, erregt krank, verändert seit Symptome im Vordergrund bestimmtes Ereignis am Beginn Struma seit

zittrige Hände seit

hitzeempfindlich, Kältevorliebe Gewichtsabnahme seit (wieviel) müde, schwach

appetitlos

Herzklopfen, -aussetzen (Extrasystolen) Schlaf gestört

Arbeitsdyspnoe Pollakisurie, Durchfälle Durst, Schwitzen Haarausfall

eigene Vermutung über Ursache sonst noch (andere Leiden) diagnostische Richtung

motorische Unruhe, Hyperhidrosis psychisch auffällig

Struma Perkussion (substernal) Struma Palpation, Auskultation oberer Thorax Venenerweiterungen EKG

Laborbefunde in Spezialstationen

Darstellung 1: Beispiel für ein integriertes allgemeinmedizinisches Programm zur erweiterten direkten Diagnostik

Erster Eindruck:

Vorschalt- untersuchung („Börner-Test"):

Subjektiv:

Gezielte Untersuchung:

Klassifizierung:

Therapie:

ist kein Zufall. Handelt es sich doch um eine der häufigsten und zugleich verantwortungsvollsten Beratungs- probleme in der Allgemeinmedizin.

In den folgenden Jahren entwickelte ich viele weitere Programme. Sie wurden schließlich in Buchform pu- bliziert (5). Zusätzlich gebe ich eine Mappe mit Programmvordrucken für den direkten Gebrauch in der Praxis heraus (6). Die Programme wurden geschaffen, wie sich mir der Bedarf dafür bei meiner Berufsarbeit ergab.

Aitken ordnete die Handlungsanwei- sungen den folgenden Typen zu (1).

I. Programme für eine erweiterte di- rekte Diagnostik. Beispiel: Pro- gramm 83 (Darstellung 1).

Ila. Programme für eine überwie- gend örtliche Routine bei einer Be- schwerde oder einem Krankheitszei- chen als Leitsymptom. Beispiel: Pro- gramm 34 (Darstellung 2).

Ilb. Programme für eine überwie- gend örtliche Diagnostik aufgrund eines besonderen Komplexes von Beschwerden und/oder Krankheits- zeichen.

Illa. Programme für eine einge- schränkte allgemeine Routine auf der Basis eines Leitsymptoms.

111b. Programme für eine einge- schränkte allgemeine Routine ange- sichts eines Komplexes von Be- schwerden und/oder Krankheitszei- chen. Beispiel: Programm 3 (Dar- stellung 3).

111c.Programme für eine schwer- punktlose Allgemeinuntersuchung bei einer Gruppe völlig uncharakte- ristischer Beschwerden und/oder Krankheitszeichen.

Nun einige Überlegungen zu den diagnostischen Leistungen in der Krankenhausmedizin. Dabei fasse ich diejenigen Sparten ins Auge, bei denen die Diagnostik problemreich ist.

Den vielfach im Anfängerstadium befindlichen Erstuntersucher kon- trolliert ein Vorgesetzter. Ist die ver-

(4)

Handlungsanweisung 34 zur allgemeinpraktischen Untersuchung bei uncharakteristischen Schmerzen in der präkordialen Region (R. N.

Braun und S. R. West).

Beginn sehr schmerzhaft Schmerzdauer kurz/Stunden Vernichtungsgefühl

Dasselbe/Infarkt schon gehabt Ursache

Aufregung

Anstrengung, Verletzung Verkühlung, sonstiges Thoraxschmerzen innen/außen Inspektion (Zoster)

Palpation (Myalgien)

Schmerzlokalisation subjektiv mehrere Schmerzanfälle Dauerschmerzen Ausstrahlungen

diagnostische Richtung (bisher) Beschwerden progredient

Schmerzen diffus/quer durch die Brust Schmerzcharakter drückend/stechend schlechter durch

Anstrengung, Bewegung Husten, Tiefatmen Aufregung, Angst tags/nachts

Rauchen, Bohnenkaffee, Alkohol vollen Magen, Linkslage Witterung, sonstiges

besser durch Antazida, Nitroglyzerin, sonstiges

Herzklopfen, -stolpern Herzjagen, -aussetzen Schlaf gestört

Darstellung 2: Beispiel für eine programmierte örtliche Routine bei einer Beschwerde oder einem Krankheitszeichen als Leitsymptom

• Fortsetzung auf Seite 516 Erster Eindruck:

Direkte Anamnestik:

Vorschalt- diagnostik:

Gezielte Anamnestik:

Diagnostik in der Allgemeinmedizin

514 Heft 11 vom 12. März 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

mutete Diagnose nicht akzeptabel, so wird die diagnostische Leistung dadurch kaum gemindert. Es gilt vielmehr, daß ein junger Arzt eben noch nicht so weit sein könne, wie ein erfahrener. Da die Krankenge- schichte und alle Untersuchungen auf dem Patientenblatt dokumen- tiert sind, ist eine Überprüfung der Diagnostik jederzeit möglich.

Was das Denken und Handeln bei den höheren Instanzen angeht, so entzieht es sich in der Mehrzahl der Fälle einer Kritik. Diese gezielten Überprüfungen, Vertiefungen und Erweiterungen der Erstbemühungen werden ja nicht in extenso protokol-

liert. Immerhin tritt bei einer Minori- tät von Fällen der Pathologe als Kon- trolleur auf. Doch geht es dann we- niger um die Diagnostik als um die Diagnosen (8). Wir wissen aber, daß ein gutes ärztliches Handeln und un- richtige „Diagnosen" einander kei- neswegs ausschließen (14).

Die diagnostische Leistung in der Allgemeinmedizin beginnt mit der Bewertung des ersten Eindrucks vom Patienten. Sie setzt sich in der Wahl der Diagnostikart fort. Dabei spielen diverse Vorschaltungen (4) eine Rolle. Da es uns an brauchba- ren Parametern mangelt, sind diese initialen Schritte der Allgemeinmedi- ziner nicht beurteilbar.

Die diagnostische Fortsetzung ließe sich bei denjenigen 86 Problemkrei- sen, wofür Handlungsrichtlinien er- arbeitet wurden (5) überprüfen. Man brauchte in der Praxis nur die ein- schlägige intuitive Diagnostik auf Band aufzunehmen und an Hand des zugehörigen Programms zu be- urteilen. Dabei könnte sich durch- aus ergeben, daß die individuell-in- tuitiven Kurzprogramme den opti- mierten Handlungsanweisungen im Effekt nicht nachstehen.

Unveröffentlichte Untersuchungen aus jüngster Zeit belegen aber das Gegenteil. Daneben stellen sie die, seit dem „Heidelberger Gespräch"

(9) immer wieder zitierte britische Ansicht in Frage, daß ein Allgemein- mediziner nach 10 Praxisjahren den Berufsanforderungen voll gewach-

(5)

Klassifizierung:

Therapie:

Darstellung 2: Beispiel für eine programmierte örtliche Routine bei einer Beschwerde oder einem Krankheitszeichen als Leitsymptom

Handlungsanweisung 3. Standard für den mit uncharakteristischem Fieber anscheinend leicht erkrankten Patienten (R. N. Braun et al., Med. Welt 15, 1964, 1320).

Gezielte Anamnestik:

Appetit, Gewicht Ängste, Mattigkeit

kardiale Insuffizienz (Verdacht) Kopfschmerzen, kalte Beine sonstiges

Patientenvermutung über Ursache Eigentherapie (Arzneimittelabusus) Angst vor

Gezielte Druck auf Thorax, Brustwirbelsäule Untersuchung:

Radialispuls Herziktus Fußpulse RR

Urin: Eiweiß, Zucker EKG

Blutentzyme Thoraxröntgen Übergewicht

Erster Eindruck: schwerkrank Subjektiv: Beratungsursache

vermutete Krankheitsursache Furcht vor

subjektive Klassifizierung sonst noch

Bettruhe seit

Fieberhöhe und Dauer

Darstellung 3: Programmbeispiel für eine eingeschränkte allgemeine Routine angesichts eines Komplexes von Beschwerden und/oder Krankheitszeichen

• Fortsetzung auf Seite 517

sen ist (12). Jene neuen Analysen lehren nämlich, daß die „selbstge- strickte" Diagnostik auch nach jahr- zehntelanger Berufsausübung noch viel zu wünschen übrig läßt. Und wie könnte es — angesichts der Kompli- ziertheit der Allgemeinmedizin — auch anders sein?

Im übrigen kann der Arzt in der All- gemeinmedizin nicht einfach von heute auf morgen damit anfangen, programmiert zu arbeiten. Die Pro- gramme sind Teile eines neuartigen diagnostischen Denkens und Han- delns. Es erfordert eine Einschu- lung.

Anders sieht es mit denjenigen Jungärzten aus, denen schon wäh- rend des Studiums die berufstheore- tischen Grundlagen der Allgemein- medizin nahegebracht wurden. Für sie ist die Allgemeinmedizin eine un- entbehrliche, eigenständige, im Grundlegenden erlernbare Funk- tion. Sie wissen, wie wenig Zeit und Mittel für die „Durchschnittsbera- tung" zur Verfügung stehen, wie sel- ten überzeugende Zuordnungen von Beratungsergebnissen zu Krank- heitsbegriffen möglich sind.

Sie lernen, Beratungsprobleme

„zwischen" den Diagnosebegriffen zu orten und zu klassifizieren bzw.

Fälle „abwartend offen" zu lassen.

Die stete Berücksichtigung „ab- wendbar gefährlicher Verläufe" ist für sie ebenso selbstverständlich wie ein rationelles Management im Rahmen der Berufsausübung.

Die Absolventen des Niederöster- reichischen Instituts für Allgemein- medizin fragen, warum denn nicht alle Kollegen bei den betreffenden diagnostischen Problemsituationen mit Handlungs-Richtlinien arbeiten.

Die Vorteile der eigenen program- mierten Führung solcher Fälle ste- hen für sie außer Frage. Insgesamt handelt es sich bei 40 bis 60 Bera- tungen am Tag um 1-2 Patienten.

Das ergibt im Jahr rund 300 über- prüfbare diagnostische Führungen.

Die Patienten schätzen dieses pro- blemorientierte Herangehen ihres Arztes hoch ein.

(6)

Appetitlosigkeit Schlafstörung Frösteln, Schweiße Ausschlag

andere Allgemeinersch.

Schnupfen, anfangs Niesen Husten

Halsschmerz Kopf-, Ohr-, Stamm-, Glieder-

sonstige Schmerzen Erbrechen

Durchfall Pollakisurie

menstruelle Anomalien sonstiges

Eigentherapie Inspektion Oberkörper Nasensekretion Kopfbeugung frei Halsdrüsen Mund, Rachen Otoskopie (Kleinkind) Lungenperkussion Basenverschieblichkeit Auskultation

Herziktus Auskultation

Abdomen palpatorisch Nieren klopfempfindlich sonst auffällig

Objektiv:

Klassifizierung:

Subjektiv: Mattigkeit

Handlungsanweisung 3. Standard für den mit uncharakteristischem Fieber anscheinend leicht erkrankten Patienten (R. N. Braun et al., Med. Welt 15, 1964, 1320). lt Fortsetzung von Seite 516

Therapie:

Darstellung 3: Programmbeispiel für eine eingeschränkte allgemeine Routine angesichts eines Komplexes von Beschwerden und/oder Krankheitszeichen

Allgemeinmedizin: Diagnostik

Es handelt sich um verantwortungs- volle Beratungen. Eine höhere Ef- fektivität erscheint garantiert. Der Arzt kann solche Patienten „bei mi- nimalem Streß" beraten. Das pro- grammierte Vorgehen dauert nicht länger als die intuitive Diagnostik gewissenhafter, erfahrener Kolle- gen. Die Beratungen sind eo ipso weitgehend komplett dokumentiert.

Dabei werden die Karteikarten ent- scheidend entlastet.

Zusammenfassung

Qualitätssicherungen sind in der All- gemeinmedizin in bezug auf die Ge- nauigkeit von Messungen, von appa- rativen und von Laborbefunden möglich. Die gestellten „Diagnosen"

eignen sich nicht zur Beurteilung der Qualität ärztlicher Leistungen.

Dagegen machen programmiert be- fragte und untersuchte Problemfälle wesentliche Abschnitte des diagno- stischen Vorgehens einer Überprü- fung zugängig.

Literatur: (1) Aitken, A., u. Braun, R. N.: Primer of Family Medicine, i. Druck — (2) Böhler: Un- terricht und Organisation der Unfallchirurgie.

Verlag Maudric, Wien, Bonn, Bern 1957, S.

2311 — (3) Braun, R. N.: Fortbildung, Kritik und die Garantie einer ärztlichen Minimalversor- gung, Österr. Ärzt. Ztg. 9 u. 10 (1949) — (4) Braun, R. N.: Lehrbuch der ärztlichen Allge- meinpraxis, Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin, München u. Wien, 1970 — (5) Braun R.

N.: Diagnostische Programme in der Allge- meinmedizin, Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin, München u. Wien, 1976 — (6) Braun, R.

N.: Jahresbedarf diagnostischer Programme für die Allgemeinmedizin, Brunn an der Wild, 1977 — (7) Braun, R. N., Freitag, A., Leitner, I., u.

Prosenc, F.: Die diagnostische Erstberatung beim fiebernden Patienten, Med. Welt 15 (1964) 1320 —(8) Drexler, H., Staudinger, M., u.

Dansritter, W.: Autopsie und klinische Diagno- se, Med. Welt 30-33 (1979) 1177 — (9) Freitag, A., Sachse, P., u. Schulze, H.: Ausschuß für Grundlagenforschung und Fortbildung im BPA, Schriftenreihe für den praktischen Arzt Heft 2, 1967, S. 18 —(10) Hadfield, St. J.: A Field Survey of General Practice 1951/52, Brit. med.

J. 4838 v. 26. 9. 53, S. 683-706 — (11) Peterson, 0. L., Andrews, L. P., Spain, R. S., u. Green- berg, B. G.: An analytic study of North Carolina general practice, J. o. med. Edu. 31-12 (1956) part 2 — (12) Reichenfeld, H., s. Freitag u. M. — (13) Stein, R.: Qualitätskontrolle. Wie funktio- niert das in den USA? Med. Tribune 42 (1979) 426 — (14) Wieland, W.: Diagnose, W. de Gruy- ter Verlag, Berlin, New York, 1975, S. 32

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Robert N. Braun Universitätsdozent Obermedizinalrat A-3595 Brunn an der Wild Nieder-Österreich

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 11 vom 12. März 1981 517

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