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Archiv "Wesen, Geschichte und Behandlung des menschlichen Schmerzes" (21.09.1978)

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Abbildung 3: Asklepios heilt einen Kranken, hinter ihm seine Tochter Hygieia, links die Familienmitglieder des Kranken; Weiherelief aus dem Asklepiosheiligtum in Piräus (um 400 v. Chr.)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Nach ihrem Glauben soll die Medizin dem Arzt jene Zauberkräfte verlei- hen, deren er bedarf, um die bösen Dämonen zu verscheuchen, um dem Kranken so auf magische Weise bei- zustehen. Welch eine „Psychothera- pie"! Man stelle sich für einen Au- genblick einmal vor, unsere heuti- gen Ärzte würden diese Methode an- wenden und alle verschriebenen Medikamente auch selber zu sich nehmen! Ein Ergebnis wäre mit Si- cherheit zu erwarten: Die vielbeklag- te Arzneimittelflut würde beträcht- lich abnehmen!

Unter sorgfältiger Einhaltung be- stimmter Zeremonien wurden in frü- heren Zeiten auch Verbände ange- legt, Ätzungen oder Einreibungen und Bewegungsübungen vorge- nommen. Wenn Wunden gereinigt und „desinfiziert" wurden, so hatte die Pflege nur Aussicht auf Erfolg, wenn zugleich der „Blutsegen" ge- sprochen wurde. „Heile Krankheiten durch Kräuter, durch das Messer, am sichersten aber durch das heili- ge Wort", so lehren die Bücher der alten Perser, und diese Anweisung kehrt bei allen Heilhandlungen in frühen Kulturen wieder.

Der Priesterarzt

In den Kulturen, bei denen sich der Glaube an die Elementarseelen und -dämonen bereits zu einem Glauben an Götter in Menschengestalt ge- wandelt hat, wird aus dem Zauberer, dem Herrn und Meister der flüchti- gen und kriechenden Dämonen, der Diener und Vertraute der Gottheit — der Priester. Diesem Hüter der Tem- pel und Opfer obliegt es nun, die himmlischen Mächte nach der Ursa- che der Krankheit zu befragen, ihren Zorn zu besänftigen, die Hilfe der Heilgötter zu erflehen; denn unter allen Göttern, ob in Hellas, Germa- nien, Ägypten, Babylonien, China oder Mexiko, gibt es gütige, die be- reit sind, den Menschen die Last der Schmerzen und Krankheiten abzu- nehmen, wenn Opfergeruch zu ih- nen aufsteigt und ihren Sinn gnädig stimmt, und durch ihre Priester die notwendigen Mittel zur Heilung kundzutun.

Wesen, Geschichte und Behandlung

des menschlichen Schmerzes

Wilhelm Blasius

Erste Fortsetzung

Zu den wichtigen Hilfsmitteln, mit denen der Zauberarzt die Krank- heitsdämonen bannen kann, gehör- ten Dinge, denen eine besondere

magische Kraft zugeschrieben wu r- de, Blut, auch Körperteile von Ver- storbenen, etwa Haare und Nägel.

Neben dem Dämonen- und Fetisch- glauben gibt es seit den frühesten Mutterrechtskulturen auch schon ein Wissen um die heilende Wirkung bestimmter Pflanzen, Kräuter, Rin- den und Wurzeln. So kennt die Heil- kunst der zauberkundigen Frauen und der Zauberärzte verschiedene Abkochungen, Aufgüsse, Säfte und Latwergen, die heute noch von den Ärzten verwandt werden. Aber auch diese, dem Heilbedürfnis und man- cher richtigen Erfahrung entstam- menden Mittel sind in der magi- schen Phase der Heilkunst mit Zau- berei verknüpft. Nur zusammen mit gesprochenen Zauberformeln, unter

bestimmten Zeremonien können die Säfte und Zaubertränke die richtige Heilkraft entwickeln: Denn die Pflan- ze ist dem mit der Natur verbunde- nen Menschen nicht nur ein Ge- wächs, sondern sie besitzt wie Mensch und Tier eine Seele, und diese ist es, welche die Heilung be- wirkt. Darum müssen schon beim Einsammeln der Kräuter und Wur- zeln und dann bei ihrer Zubereitung alle jene Vorschriften streng beob- achtet werden, die es bewirken, daß die Elementarseelen sich freundlich und hilfsbereit erweisen.

Kennzeichnend für eine solche An- schauung von der magischen Kraft der Heilmittel ist der oft beobachtete Brauch, daß die Zauberärzte der Na- turvölker ihren hilfesuchenden Kranken kunstvolle Tränke brauen, diese aber dann selber austrinken, in der festen Meinung, hierdurch den Leidenden geholfen zu haben.

2164 Heft 38 vom 21. September 1978 DEUTSCHES ARZ'I'EBLATT

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Abbildung 4: Edmund der Bekenner, König von Eng- land, einen Kranken hei- lend, aus: Die Heiligen des Hauses Oesterreich

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Der menschliche Schmerz

Im Olymp der griechischen Götter- welt wohnen mehrere Heilgotthei- ten: Apollon, Artemis, Hermes und auch Poseidon, die die Gebete der Kranken erhören und ihnen wunder- wirkenden Balsam spenden können.

Der Heilheros und Halbgott Askle- pios (Abbildung 2), einer der Söhne Apollons, der Blindheit und Wahn- sinn zu heilen und selbst Tote zum Leben zu erwecken vermochte (Ab- bildung 3), diesen großen Ahnherrn der europäischen Heilkunde ver- setzten die Griechen nach seinem Tode als „Schlangenträger" unter die ewigen Sterne.

Aus dem uralten Priesterkönigtum leitet sich die legendäre, heilende Kraft des Herrschers ab, aus einer Überlieferung, nach der der König bestimmte Krankheiten wegzuzau- bern vermag. So heilten durch Auf- legen der Hand die Pharaonen, die hebräischen Könige und im europä- ischen Kulturkreis die Könige von England und Frankreich (Abbildung 4). Noch Ludwig XVI. mußte, bis die Revolution ihn aufs Schafott brach- te, alljährlich den Skrofulösen, die aus dem ganzen Lande an einem vorbestimmten Tage zum königli- chen Hoflager strömten, die Hände auflegen.

Der Nothelfer und Heilbringer, der mit göttlichen Kräften ausgestattet

Abbildung 5: Hippokrates von Kos (* 460 v. Chr. Kos, t 375 Larissa/Thessalien);

Uffizien, Florenz

in Menschengestalt auf Erden wan- delt, um die Welt von allem Übel, von seelischen und körperlichen Leiden und Schmerzen zu reinigen und zu befreien, ist von jeher als Wundertä- ter und Arzt erschienen. So wird in den Evangelien der Bibel von den Heilungen Christi berichtet, wie er Aussätzigen, Blinden und Schlag- flüssigen die Gesundheit wiederge- geben. Bei den frühen Christen heißt daher das Neue Testament die „Bü- cher des weisen Arztes", und im

Laufe vieler Jahrhunderte wird Chri- stus auf Gemälden immer von neu- em als Arzt und Apotheker darge- stellt.

Daß die Gesundheit und Schmerz- freiheit des Menschen nicht nur von der Unversehrtheit seines Körpers, sondern auch von der seiner Seele und seines Gemütes abhängt, haben die heilenden Zauberer und Zaube- rinnen geahnt, die Götter, Priester, Priesterkönige und Ärzte gewußt, und dieses Wissen haben Weise, Philosophen, Dichter in Worte ge- faßt. Wenn in heutiger Zeit, in wel- cher Krankheiten, Schmerzen und seelische Nöte offensichtlich zuneh- men, eine große Zahl von Ärzten, Seelsorgern, Psychotherapeuten, Psychologen und anderen Helfern sich wieder mehr um den seelischen Bereich des Menschen bemühen, so ist dies ein bewußter Rückgriff auf uraltes Wissen und tiefe Erkenntnis- se der gesamten Menschheit.

Die empirisch-rationale Periode der Menschheit

und der Heilkunde

Jede sich entwickelnde Kultur ge- langt früher oder später in eine Pha- se, in welcher die magische An- schauung durch rationales Denken abgelöst und der Versuch unter- nommen wird, die Welt und ihre Vor- kommnisse mit dem Verstand zu er- fassen. Diese Rationalisierung, die- ses logozentrische Denken, welches in Gegensatz zu dem vorausgehen- den biozentrischen steht, vollzieht sich in der für unsere abendländi- sche Entwicklung so bedeutsamen griechischen Kultur um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends.

Die griechische Philosophie wendet sich dem Rationalismus zu und nachfolgend auch die Heilkunde, die sich bis dahin in die Glaubensan- schauungen der Griechen einfügte.

War die Krankheit zuvor auf Einflüs- se der Elementardämonen und auf Einwirkungen bestimmter Gotthei- ten zurückgeführt worden, war Hei- lung durch Beschwörung, Versöh- nungszeremonien und priesterli- ches Mittlertum zustande gekom- men, so werden jetzt die Krankheits-

2166 Heft 38 vom 21. September 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 7: Albrecht Dü- rer weist auf seine schmerzhafte Milz (um 1510); ehem. Kunthalle Bremen

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Abbildung 6: Verwundeter Krieger vom Westgiebel des Aphaia-Tempels in Aigina;

Glyptothek, München

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

ursache und ihre Behandlung zum Gegenstand logischen Denkens, und das Amt des Heilers geht vom Zauberer und Priester auf den Ge- lehrten über.

Hippokrates, der gelehrte Arzt Der Mann, in dessen Persönlichkeit und Werk sich diese Trennung der Medizin von der Religion am auffäl- ligsten verkörpert, ist Hippokrates, der große Arzt aus Kos (Abbildung 5). Im Jahre 460 v. Chr. geboren, leitet er sich selbst noch aus dem

„göttlichen Geschlecht der Askle- piaden" her, doch seinem Denken nach muß er ein Schüler des Phi- losophen Empedokles genannt wer- den.

Mit der apodiktischen Feststellung, daß Krankheiten nicht durch eine Schuld der Menschen den Göttern gegenüber und nicht durch deren Rache hervorgerufen werden, son- dern durch natürliche, durch die Stofflichkeit des Körpers und des Klimas bedingte Ursachen, löst Hip- pokrates die Heilkunde ganz aus dem Bereich des Glaubens und der Religion heraus. Die Heilung hat da- her nach seiner Lehre auch nicht in der Austreibung böser Dämonen, in Sühneriten und Tempelschlaf, son-

dern in planmäßigen, dem logischen und kausalen Denken entsprechen- den Einwirkungen auf den Körper zu bestehen.

Ob die rein rationale Medizin unse- rer Tage die Wirklichkeit der Krank- heit, des Leidens und des Schmerz- erlebnisses wahrhaft zu beschreiben vermag und den richtigen Weg zur Heilung des Schmerzes weist, sollte zum Schluß dieses Kapitels wenig- stens in Umrissen gegeben werden.

Wenn man sich mit der vorausset- zungslosen Aneinanderreihung von Tatsachen und mit Gesetzmäßigkei- ten, welche die Verknüpfungen von Ursache und Wirkung darstellen, be- gnügt und nicht dogmatisch den Zu- sammenhang des Seelischen mit dem Körperlichen ausschließt, dann befindet sich die Medizin noch im Bereich ihrer vollen Möglichkeit.

Wenn aber der rationale Versuch unternommen wird, die Krankheiten nur entweder chemisch oder physi- kalisch zu interpretieren, dann sind die Denkmöglichkeiten einge- schränkt, und die lebendige Natur wird einseitig auf das Körperliche reduziert. Oder es wird das materia- listisch-mechanistische Konzept in Verkennung der lebendigen Wirk- lichkeit auch auf den seelischen Be- reich ausgedehnt. Hier liegen die Grenzen und besonderen Gefahren der rationalen Medizin, auf die ich in meinem Buch „Probleme der Le- bensforschung" ausführlich einge- gangen bin und die ich hier nicht wiederholen möchte.

Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. W. Blasius Aulweg 129

6300 Gießen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 21. September 1978 2167

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