• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ewiges Existenzdrama von Leben und Tod" (18.05.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ewiges Existenzdrama von Leben und Tod" (18.05.1984)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Kulturmagazin

Ewiges

Existenzdrama von Leben

und Tod

Peru-Ausstellung in Essen

Rainer Wick

Figurengefäße eines Gefangenen (links) und eines knieenden Kriegers (rechts), Ton, Moche-Kultur; Tonfigur einer unbekleide- ten Frau, Nasca-Kultur (unten)

H

errschaftsarchitektur, Dokument imperialisti- scher Größenphanta- sien. Kein Ort der Hei- terkeit, sondern düster, unwirt- lich, bedrückend — trotz der großen Räume und hohen Dek- ken. Grau livriertes Dienstperso- nal, nur unzureichend trainiert für den Umgang mit enthusiasti- schen Kunstfreunden, obwohl doch tagtäglich Scharen dieser Spezies Mensch aus der ganzen Republik und darüber hinaus anreisen. Ausstellungsregie, Präsentationstechnik und didak- tische Aufarbeitung mit erheb- lichen Schwächen; der eigent- liche Katalogteil des dickleibi- gen und reichbebilderten Hand- buches zumeist rein deskriptiv und ohne analytisches Bemü- hen; die an sich verdienstvolle Sammlung der Aufsätze von mehr als dreißig südamerikani- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 20 vom 18. Mai 1984 (77) 1633

(2)

Menschliches Antlitz, in der rechten Backe scheint ein Koka-Pfriem zu stecken; der harte Gesichtsschnitt hat immer wieder Phantastereien über eine „atlantide Herren- rasse" belegen müssen; Stein in einer Nische, Tiahuanaco-Kultur

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Peru

schen Fachautoren infolge hol- priger Übersetzungen ins Deut- sche eine zum Teil schwer ver- dauliche Kost.

Peru und die Inka, eine Gleichung, die nicht aufgeht Zu berichten ist trotz dieser kriti- schen Einleitung über ein kultu- relles Ereignis von höchstem Rang, nämlich über die in der Krupp-Villa Hügel in Essen noch bis zum 30. Juni zu besichtigen- de Ausstellung „Peru durch die Jahrtausende — Kunst und Kultur im Lande der Inka". Dieser Un- tertitel zementiert nun zunächst einmal jenes bekannte Vorurteil, das Peru und die Inka beque- merweise einfach gleichsetzt, ein Vorurteil, das dann durch die Ausstellung selbst jedoch gründlich korrigiert wird. Sie macht deutlich, daß die Inka in der jahrtausendelangen Kultur- geschichte des südamerikani- schen Landes nur eine kurze Spanne abdecken, knapp hun- dert Jahre nämlich, von 1438 bis 1532. Daß dieses militärisch straff durchorganisierte, zentra- listisch geführte Riesenreich der Inka in wenigen Jahren im An- sturm einer grotesk kleinen Schar spanischer Eroberer zer- brach und unterging, gehört zu den dramatischen Höhepunkten der Menschheitsgeschichte. So ist es verständlich, daß die Er- eignisse um den spanischen Konquistador Francisco Pizarro und seinen Gegenspieler, den letzten Inkakönig Atahualpa, bis heute das Interesse der Allge- meinheit in einem solchen Maße fesseln, daß die Prä-lnkazeit häufig ebenso vergessen wird wie von der späteren Hispanisie- rung des Andenstaates kaum Notiz genommen wird.

Den kulturhistorisch übergrei- fenden Gesamtzusammenhang Perus von den Anfängen bis zur Gegenwart deutlich zu machen und mit rund 800 erlesenen Ex- ponaten — davon 540 aus perua- nischen, der Rest aus europä-

ischen Sammlungen — zu bele- gen ist die große Leistung der Essener Ausstellung.

Bevor die Spanier kamen Hat der Besucher seine ur- sprüngliche, einseitig auf die In- ka gerichtete Erwartungshal- tung aufgegeben, entfaltet sich vor ihm das eindrucksvolle Pan- orama einer Kulturregion, die, fremdartig und in ihrer Fremd- heit faszinierend, sich nur all- mählich nach Epochen und geo- graphischen Teilräumen struk- turiert. Dazu ist es unerläßlich, sich zumindest in groben Zügen mit den äußerst kompliziert ge- schichteten Kulturphasen des Landes bekannt zu machen: In den rund zweitausend Jahren vor Christus kommt es in Peru zu hochkulturellen Ausformun- gen, die von den Archäologen unter dem Sammelbegriff for- mativ subsumiert werden. Es handelt sich um entwickelte Agrargesellschaften mit einer klaren Klassentrennung zwi- schen Regierenden und Be- herrschten, mit einem imposan- ten Architekturschaffen und ei- ner bemerkenswerten Keramik- produktion. Innerhalb dieser

„formativen Phase" besitzt die panperuanische Kultur von Cha- vin, so benannt nach einem in Nordperu in mehr als 3000 m Höhe gelegenen archäologi- schen Fundort, den größten Be- kanntheitsgrad. Dem späten Formativ bzw. dem Übergang zu den sogenannten klassischen Kulturen (etwa bis 800 n. Chr.) gehört die nordperuanische Re- gionalkultur von Vicüs an, die erst nach 1960 entdeckt wurde und deren plastische Gestaltun- gen, meist Figurengefäße aus Ton, auf ein künstlerisch unge- wöhnlich begabtes Volk schlie- ßen lassen. Im Unterschied zu ihrem zum Teil frappierenden Realismus besticht eine andere Regionalkultur jener klassi- schen Periode, nämlich Nasca, durch flächenhafte Abstraktio- nen, während die Keramik von Moche (4. bis 8. Jahrhundert n.

Chr.) wiederum durch einzigarti- ge Lebensnähe fasziniert und interessante Einblicke in das da- malige Alltagsgeschehen er- laubt.

Auf die Phase der „klassischen Kulturen" folgen von ca. 800 bis 1200 als zweite panperuanische Phase Tiahuanaco und Huari, wie Chavin ebenfalls nach ar-

1634 (78) Heft 20 vom 18. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(3)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Peru

chäologischen Stätten in Peru benannt. Politisch bedeutet die- se Periode erstmals die Vereini- gung der in den Zentralanden ansässigen Völkerschaften; es ist eine Zeit der Monumentalar- chitektur und der städtischen Expansion infolge dramatisch gestiegener Bevölkerungszah- len. Die relative Einheitlichkeit der Huari-Kultur zerfällt dann in der Phase der Kleinen Reiche (13. bis frühes 15. Jahrhundert) erneut in mehr oder minder au- tonome Regionalkulturen; ihre Einverleibung in das Imperium der Inka (1438 bis 1532) mit Cuz- co als Reichsmittelpunkt mar- kiert dann die dritte und letzte panperuanische Phase, bevor die Spanier kamen und dem Land ihren Stempel aufprägten.

Zwischen Leben und Tod Es ist an dieser Stelle ausge- schlossen, ausführlicher über diese Kulturen zu berichten, über ihre ethnologischen, sozio- logischen und ökonomischen Besonderheiten, über ihre Da- seinstechniken und ihr Kunst- schaffen, über Mythos und Ri- tual, über Religion und Brauch- tum, über Krieg und Frieden.

Dies alles ist kompliziert, häufig auch erst unzureichend er- forscht. Ebenso unmöglich ist es, hier einzelnen herausragen- den Exponaten jene Aufmerk- samkeit zukommen zu lassen, die ihnen zweifellos gebührt. Es ist eine Ausstellung, deren Kost- barkeiten — Gold-, Silber-, Kup- fer-, Keramik-, Stein-, Holz-, Fe- der- und Textilarbeiten — man selbst gesehen, mit den eigenen Sinnen erfahren haben muß.

Hingewiesen sei lediglich auf ei- nen einzigen Teilaspekt, der sich gewissermaßen leitmoti- visch durch die ganze Ausstel- lung hindurchzieht — das Thema des ewigen Existenzdramas von Leben und Tod. So finden sich, ganz ähnlich wie in anderen frü- hen Hochkulturen, auch in der Kunst der Andenvölker über

Porträtkopf eines Vornehmen mit Tur- ban, aus dem zwei Vogelköpfe hervorra- gen; Ton, Moche Fotos (4): Wick

Jahrtausende hinweg Darstel- lungen, die — ungeachtet gravie- render formaler und ikonogra- phischer Differenzen — einem und demselben Prinzip, nämlich dem Lebensprinzip, huldigen:

Fruchtbarkeitsbringer in Men- schen- oder Katzengestalt mit

Der Katalog:

ein „Legendenkiller"

Zur Ausstellung „Peru durch die Jahrtausende" ist ein Ka- talogbuch erschienen, das die Veranstalter als „Legenden- killer" anpreisen. Es umfaßt 454 Seiten, enthält neben dem eigentlichen Verzeichnis der Exponate 34 Beiträge aus- gewiesener Fachautoren und mehr als 600 Abbildungen, davon 200 in Farbe. Preis in der Ausstellung 32 DM, bei Postversand 38 DM, zu bestel- len bei Verlag Aurel Bongers KG, Postfach 10 02 64, 4350 Recklinghausen.

Die Ausstellung ist im An- schluß an Essen (bis 30. Juni) noch vom 26. August bis zum 25. November 1984 im Mu- seum zu Allerheiligen in Schaffhausen zu sehen.

Trophäenköpfen und Erdfrüch- ten, Kaulquappen als Sinnbilder des Lebenskeimes, Szenen mit Menschenopfern, durch die man den Erhalt der eigenen Le- benskraft zu erwirken hoffte, Fi- gurengefäße in anthropophalli- scher Form, die Stärke und se- xuelle Potenz demonstrieren sollten, Paare in realistischer Darstellung beim Geschlechts- akt. Und selbst der aufwendige Totenkult — die Verstorbenen wurden mumifiziert, in kostbar- ste Textilien gewickelt und hok- kend beigesetzt — ist ein Hinweis auf die Vorstellung von einem wie auch immer gearteten Le- ben nach dem Tode.

Daß man das Sterben schon da- mals mit erstaunlichen chirurgi- schen Eingriffen aufzuhalten suchte, zeigen einige Schädel- öffnungen an zum Teil künstlich deformierten Langschädeln, wie sie in der Kultur von Paracas Ca- vernas (Formativ) häufig anzu- treffen sind. Derartige Trepana- tionen scheinen bei Schädelver- letzungen durch Keulenhiebe oder Steintreffer durchgeführt worden zu sein, um dadurch ei- ne Erleichterung des Druckes zu erreichen, doch könnten sie auch magisch motiviert gewe- sen sein und der Dämonenaus- treibung gedient haben. Den mit Koka betäubten Patienten wur- de die Schädeldecke mit schar- fen Instrumenten aus Obsidian, Kupfer oder Bronze durch Krat- zen, Sägen oder Schneiden ge- öffnet, nach dem Eingriff wurde die Öffnung durch Bandagen geschlossen. Die Tatsache, daß zahlreiche Patienten solche Be- handlungen überlebt haben, wie Kalkbildungen an den Opera- tionsrändern beweisen, gehört — neben allen großartigen Kunst- schätzen, die in Essen zu be- sichtigen sind — mit zu den stärk- sten Eindrücken, die der Besu- cher mit nach Hause nimmt.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Rainer Wick Tränkerhof 43

5303 Bornheim 4

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 20 vom 18. Mai 1984 (81) 1635

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Geglückt ist dem Kölner Museum das jetzt mit der ungewöhnlichen Ausstellung „Auf Leben und Tod – Der Mensch in Malerei und Fotografie“, in der 40 klassische Gemälde aus

Beide waren dessel- ben Jahrgangs, waren vor langer Zeit in dieselbe Schul- klasse gegangen und hatten sich nun nach mehr als 40 Jahren zum ersten Mal wiedergesehen.. Herr Ludwig

Die Antwort von Frau Kübler-Ross ist, daß sterbende Patienten ihre ei- gene symbolische Sprache haben, und daß es für eine Verständigung ausschlaggebend ist, diese zu ver- stehen

Die Zu- schauer können mit Ignaz Semmelweis in Wien die Ur- sachen des Kindbettfiebers (1846) entdecken, Zeuge der dramatischen Erprobung des Insulins 1922 in einem klei- nen Labor

Auf der anderen Seite geht es in unserer Gesellschaft nicht um Krankheit oder Behinderung und gar Sterben, sondern es wird nicht zuletzt durch die Hochleistungsmedi- zin

Wenn Krankheit aber das Leiden eines Menschen mit Bewusstsein, Sprache und sozialen Beziehungen bedeutet, dann muss das Therapieziel die Bereiche des Sozialen,

ab, die Note ist ihm egal, er macht erstmal Zivildienst, aus- gerechnet in einem Kloster, wo die Mönche nicht viel mit ihm anzufangen wissen: Meist steht er im Keller und druckt

„Es gibt keine Si- cherheit in der Wissenschaft, wo nicht die Mathematik angewandt werden kann." So überrascht es nicht, daß Leonardo da Vinci sein Leben lang Anatomie