VAIROCANA UND DAS LICHTKREUZ:
MANICHÄISCHE ELEMENTE IN DER KUNST VON ALCHI (LADAKH)
von Hans-Joachim Klimkeit, Bonn
Am linken Ufer des oberen Industales, etwa 20 km stromab von der Einmündung des Sangskar-Flusses in den Indus, liegt das Kloster Alchi (A-lci), dessen bemerkens¬
werte alte Wandmalereien schon von A. H. Francke als frühe Zeugnisse tibetischer
Kunst erkannt worden sind. Jüngst hat D. L. Snellgrove in dem von ihm und T.
Skompski erarbeiteten Werk, „The Cultural Heritage of Ladakh. Vol. I: Central
Ladakh" (Warminster 1977), eine erste ausführhchere Analyse der Kunst von Alchi vorgelegt. Es ist hier auf der Basis von Inschriftenstudien wahrscheinlich gemacht worden, daß Alchi während des 11. oder 12. Jahrhunderts erbaut und künstlerisch ausgeschmückt wurde. Die meisten frühen Malereien sind in diese Zeit zu datieren,
jedenfalls die in der Hauptversammlungshalle {'Du-khang = Heiligtum A im Lage¬
plan von Snellgrove und Skompski, S. 24f ), im Untergeschoß des danebenstehen¬
den ,, Drei-Stockwerk-Tempels", des Sum-tsek, ferner auch in den Eingangschörten (Jl, J2 und J3 im Lageplan). Die ursprünglichen Malereien im zweiten und dritten
Stockwerk des Sum-tsek dürften ebenfalls aus der Gründerzeit stammen, sie sind
aber z.T. im 16. Jahrhundert zur Zeit des Herrschers Tashi Namgyal restauriert
worden. Davon zeugt eine Inschrift, die versichert, daß die Reparaturen in der ur¬
sprünglichen Weise (rgyud pa'i lugs-laj, also „im traditionellen Stil", durchgeführt worden sind.
Von diesen ursprünglich auf das 11. /12. Jahrhundert zurückgehenden Fresken,
die sich im 1. Stockwerk des Sum-tsek befmden, soll uns hier eine Darstellung von
fünf Buddhas interessieren. (Zur. Lage und Gesamtansicht s. Snellgrove/Skompski,
S. 54 f., Abb. 39 und 41, leider nur schwarz-weiß wiedergegeben.) Sie zeigen in
deuthch voneinander getrennten Feldern verschiedener Grundfarbe die fünf Tathä¬
gatas (die sogenannten „Dyani-Buddhas"). Die gewöhnlich den Tatägathas zugeord¬
neten Farben kennzeichnen hier Uir Feld, in dem sie erscheinen.
Oben rechts in unserer Serie erscheint das weiße Feld des Vairocana, der an
seiner Handhaltung (dharmacakramudra) erkennbar ist. Er erscheint im braunen
Flickengewand als Säkyamuni, umgeben von tibetischen und indischen Verehrern.
Er darf als im Zentrum des mandala befindlich aufgefaßt werden, was seiner zentra¬
len Stellung in Alchi und anderen ww«dflZa-Darstellungen dort entspricht.
Links neben dem Reich des Vairocana ist das blaue Feld des Aksobhya zu sehen.
Er ist erkennbar an seiner Geste der Erdanrufung ( bhümisparsamudra ). Auch er
erscheint im braunen Flickengewand, auf einem leuchtend weißen Lotosthron
sitzend. Als Symbol ist ihm aber nicht, wie üblich, ein DonnerkeU zugeordnet, son¬
dern ein auffällig angebrachtes, weißes, in eine gelbe Umrandung strahlendes Kreuz, das man als Lichtkreuz deuten möchte. Er ist umgeben von tibetischen Geistlichen
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
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und indischen GestaUen (eventueU zentralasiatischer Herkunft). Aber auch eine
Reihe von weiß und braun gekleideten Gestalten mit zentralasiatischer Gewandung gehören zu seinen Verehrern.
Als drittes Feld ist das des Ratnasambhava zu nennen (untere Reihe Mitte), das
eine leuchtend gelbe Farbe aufweist. Wir sehen den Buddha des Südens ebenfalls im
Flickengewand auf einem Lotosthron mit klassischer wunschgewährender Haltung
(varadamudrä). Nur Inder und Tibeter beherbergen sein Paradies.
Links neben Ratnasambahavas Bereich ist der Raum Amitäbhas mit roter Grund¬
farbe dargestellt. Gestalt und Feld des westlichen Buddha sind besonders aufschlu߬
reich. Zunächst fällt er durch Gewandung und Farbe aus der Reüie der anderen
Buddhas heraus. Sein weüJes, geschlossenes Gewand erinnert an das eines byzantini¬
schen Christus, würde er nicht in der MtdiXäXionä^^dXXnng (dhyänamudrä) verharren
und den charakteristischen Kopfauswuchs (usnisa) aufweisen. Er scheint ebenso wie
der über ihm abgebüdete Aksobhya eine gepflegte Barttracht zu haben. (Man ver¬
gleiche die Darstellungen des erhöhten Mani aus Turfan). Im Felde der Verehrer
sehen wir neben Indern und Tibetern zwei weißgekleidete, zentralasiatisch wirkende Gestalten. Einer davon ist offenbar ein Laie, der andere ein weißgewandeter Mönch
mit weißem, dreieckigen Hut. Links und rechts unten im Feld des westlichen
Buddha sind die Symbole von Sonne und Balkenkreuz angebracht, beide in weiß.
Das Kreuz nünmt hier also die Stelle ein, an der man den Mond erwarten würde.
Das am schlechtesten erhaltene Feld rechts unten ist das des Amoghasiddhi. Die
üim zugeordnete grüne Farbe beherrscht seinen Raum, er zeigt die klassische Hand¬
haltung der Furchtlosigkeit (abhayamudra). Die üin verehrenden Gestalten sind
Inder, Tibeter und gelbgekleidete (eventuell übermalte?) Langröckige, wie wir sie
mehrfach in Alchi beobachten.
Was nun die außergewöhnlichen Kreuzessymbole anbelangt, die in unserem
Freskenabschnitt erscheinen, so sei daran erinnert, daß das Lichtkreuz ein zentrales manichäisches Zeichen für das in der Welt der Materie gefangengehaltene Licht dar¬
steUt. Dieses wüd in der westhchen Tradition in der Gestalt des Jesus patibilis nam¬
haft gemacht, der in ostmanichäischen Texten mit dem Begriff Buddha gotra gedeu¬
tet wird. (Z.B. sogdisches Xuäsvänift, Londoner chinesische Hymnenrolle, Vers
234 b).
Da das Kreuz im nestorianischen Verständnis Zeichen des Triumphierenden und
Erhöhten ist, das nestorianische Kreuz aber auch in der manichäischen Malerei vor¬
kommt, dürfte das Kreuz grundsätzlich im Manichäismus auch als Hinweis auf den
Erlöser „Jesus der Glanz" dienen. Dieser wird im Monde wohnend vorgesteUt und
zusammen mit dem Sonnengott angerufen, (kün ai tängri ist der knappe Nenner im
Uigurischen, auf den beide Formen des Dritten Gesandten begrifflich gebracht
werden.)
Da es sich bei unserer Serie von Buddha-Feldern um die Darstellung der Paradie¬
se der fünf Tathägatas handelt, wie schon Snellgrove feststellt (S. 56), könnte die Einbeziehung der Kreuzeszeichen in diese Reihe, vor aUem aber die Substituierung des vajra durch das Lichtkreuz, eine Deutung erfahren durch die Heranziehung jenes
manichäischen Hymnus über die Reiche der fünf Lichten, der uns in der Londoner
chinesischen Hymnenrolle im Rahmen einer Preisung der Welt des Lichts überliefert ist (S. insbesondere die Verse 235-338.) Dieser Preishymnus auf die Lichtwelt, der
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seine Vorlage im parthischen Hymnenzyklus „Huwidagmän" hat, also zum aUge¬
meinen Hymnengut des östlichen Manichäismus gehörte, spricht gerade im Zusam¬
menhang mit den ,f ünf Lichten" oder „Fünf Großen Buddhas des Lichts" (Vers 244) (die manichäisch selbstverständlich als jener ,, Fünfgott" zu deuten sind, der dem ersten göttlichen Gesandten ,, Urmensch" zugeordnet wird), auch vom ,, Fleisch und Blut Jesu" (Vers 254). Diese sakramentale Wendung aber bezieht sich gerade auf das in der Materie gefangene, „gekreuzigte" Licht, das seinen symbolischen Aus¬
druck im Kreuz des Lichtes fmdet. Auch die Untersuchung der anderen Symbole
weist in eine manichäische Richtung.
Schließlich sei hervorgehoben, daß Vairocana auch eine zentrale manichäische Gestalt ist, nämlich die ,jSäule der Herrlichkeit", die wiederum eine besondere Form des Dritten Gesandten repräsentiert. Wie stark jedenfaUs in Turfan buddhisti¬
sche Vairoeana-Theologie und manichäische Christologie sich angliehen, mag das
Turfan-Fragment T I D 200 belegen.
RELIGIÖSE ELEMENTE IN DER SÄKULAREN SCHRIFTKUNST CHINAS
von Lothar Ledderose, Heidelberg
Die Zeit der Sechs Dynastien (3.-6. Jh. n.Chr.) war eine der entscheidendsten
Epochen in der Geschichte der chinesischen Schriftkunst. Als die beiden größten
Meister der Zeit gelten Wang Hsi-chih (306-367) und sein Sohn Wang Hsien-chih
(344-388). Im 7. Jh. wurde auf Betreiben des Kaiserhauses die von ihnen begründe¬
te schriftkünstlerische Tradition im ganzen Reich verbreitet und beherrschte von da an als die klassische Tradition die Geschichte der Schriftkunst für über ein Jahr¬
tausend.
Über die formative Periode der Wang-Tradition, d.h. die Zeit vom 4. bis zum
7. Jh. ist allerdings recht wenig bekannt. In meinem Referat versuche ich, hierauf
neues Licht zu werfen, indem ich Parallelen zu der kalligraphischen Tradition der
Mao-shan-Schule des religiösen Taoismus aufzeige. Die Mao-shan-Tradition geht auf
den Visionär Yang Hsi (330-386) zurück, der in Trance religiöse Texte nieder¬
schrieb. Die wichtigste Quelle für diese Tradition ist das von T'ao Hung-ching (456—
536) kompilierte Chen-kao.
Die Gemeinsamkeiten zwischen der Wang- und der Mao-shan-Tradition werden
in vier Abschnitten behandelt.
1. BIOGRAPHISCHE ZUSAMMENHÄNGE
Die beiden Wang waren selbst praktizierende Taoisten. Sie schrieben taoistische
Texte und waren gut mit denjenigen Mitgliedern einer gewissen Familie Hsü be¬
kannt, die als Patrone des Yang Hsi fungierten.
Der erste Kunstkritiker, der sich theoretisch über den Stil der beiden Wang
äußerte, war ein Schüler des Wang Hsien-chih namens Yang Hsin (370—442). Er
übte priesterliche Funktionen aus und war der Enkel eines Visionärs vom Schlage
des Yang Hsi.
Der erste Connoisseur und Historiker der Wang-Tradition, der sich kritisch zur Authentizität einzelner Werke des Wang Hsi-chüi äußerte, war der bereits erwähnte T'ao Hung-ching, der bedeutendste Taoist seiner Zeit. Zum Experten für Manuskrip¬
te war er dadurch geworden, daß er sich jahrzehntelang mit dem OEuvre des Yang
Hsi beschäftigt hatte.
2. STILISTISCHE BEZIEHUNGEN
Der Visionär Yang Hsi schrieb in zwei Stilen. Im Zustand der Trance schrieb er
in einer flüssigen Kursivschrift (ts'ao-shu), und später kopierte er dann seine Auf¬
zeichnungen säuberlich in einer exakten Regelschrift (chen-shu oder k'ai-shu). Die chen-shu Schrift des Yang Hsi ist stilistisch derjenigen des Wang Hsi-chih eng ver¬
wandt. Dies zeigt eine dem Yang Hsi zugeschriebene Version des taoistischen Textes
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen