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Die Dichtung dagegen ebenso wie die Kunst überhaupt oder etwa noch die Geschichtsschreibung ist dabei ganz in den Hintergrund ge¬ treten

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Arabische Homerverse

1

Von Jörg Kraemer, Tübingen

Enno Littmann

zum achtzigsten Geburtstag I

Wir haben seit langem gelernt, die Beziehungen zwischen verschie¬

denen Kulturen nicht mehr im Sinne bloß mechanischer Einwirkungen

und Übernahmen zu verstehen, sondern echte Begegnungen in ihnen

zu erkennen, die sich nach ähnlichen Gesetzen wie zwischen Lebewesen

vollziehen — toioüto Se o av öpyavixov. Dadurch aber sind wir auch

hellhöriger geworden für all das, was bei solchen Kulturbegegnungen un¬

beachtet geblieben, sozusagen unter den Tisch gefallen ist. „Jeder her¬

anwachsende Mensch und jede lebendige Kultur hat beständig ungezählte

Tausende von möglichen Einflüssen um sich, von denen ganz wenige als

solche zugelassen werden, die große Mehrzahl aber nicht. Sind es die

Werke oder die Menschen, welche die Auswahl treffen ?" Für diese be¬

rühmte Frage Oswald Spenglers'^ hat, wie bekannt, die ,, arabische Kul¬

tur" das Schulbeispiel geliefert. Bei dem überstarken Einströmen spät¬

antik-griechischen Bildungsgutes in die islamisch-arabische Welt sind ja

medizinische, philosophische, mathematisch-astronomische und sonstige

naturwissenschaftliche Werke in reicher Fülle übersetzt und von der neu

sich büdenden islamischen ZivQisation auch innerlich übernommen wor¬

den. Die Dichtung dagegen ebenso wie die Kunst überhaupt oder etwa

noch die Geschichtsschreibung ist dabei ganz in den Hintergrund ge¬

treten. Auf das Ausleseprinzip, das hier offenbar wirksam war und zu

dessen Erklärung man schon viel Scharfsinn aufgewandt hat^, haben

ältere wie neuere Beurteiler oft genug hingewiesen: ,,So viel wir ... mit

Zuverlässigkeit wissen können, haben weder das arabische Spanien und

Sizilien noch der Orient selbst die Muse eines Homer, Virgil oder (Hora-

^ Der Untergang des Abendlandes II 64.

Vgl. etwa J. 6. Wenrich, De Auctorum Graecorum Versionibus et Com¬

mentariis. . . Commentatio, Lipsiae 1842, p. 36, 73£f.; H. H. Schaeder, Der

Orient und das griechische Erbe, in Die Antike IV 1928, S. 226ff., bes. 237;

R. Walzer, Arabic Transmission of Qreek Thought to medieval Europe, Bull.

John Rylands Libr. 29 (1945/46), S. 162; R. Paret, Der Islam und das

griechische Bildungsgut, Tübingen 1950, S. 14 und andere.

18*

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260 JÖBG Kbaemeb

tius) Flaccus bis dahin begünstiget, daß ihr in den Gefilden des Orients

eine bleibende Hütte erbauet worden wäre"'^.

So hat es denn eine zusammenhängende arabische Übersetzung auch

nur von Teüen der homerischen Epen mit Sicherheit bis zu den Tagen

Sulaimän al-BustänIs nicht gegeben. Die Übertragung der Ilias in klas¬

sische arabische Metren, die dieser nach jahrelangem Bemühen 1904 mit

einem ausführlichen Kommentar veröffentlicht hat^ und in der die

garä'ib und nawädir auf den Leser nur so horeinprasseln, bietet ein ein¬

drucksvolles Zeugnis für die Gelehrsamkeit und Sprachgewandtheit des

von seiner Aufgabe begeisterten Verfassers. Er ist, nicht selten mit Er¬

folg, bemüht, durch breit einherrauschende, bilderreiche Sprache und

durch geschickten Wechsel des Metrums seinem Werk etwas von der

Kraft und Lebendigkeit des griechischen Originals einzuhauchen. Als

Beispiel sei seine Wiedergabe von Ilias V 1 —3 angeführt (S. 385, Wäfir):

Habat Fäläsu (= HaXXac; 'Aaly]V7)) däka l-yauma 'azman / wa-bd'sanli-bni

Tidiyusin (= TuSetSv]) mani'ä jj li-ya'zuma fi banl l-Igriqi Sa'nan / wa-

ydbluga fihimu s-sarafa r-rafi'ä. (,,Jetzo schmückt' Athene des Tydeus

Sohn Diomedes / hoch mit Kraft und Entschluß, damit vorstrahlend aus

allem / Danaervolk er erschien' und herrlichen Ruhm sich gewänne",

Voß). Trotzdem können wir Bustänis Opus, dem auch I. Krackovskij

eine Abhandlung gewidmet hat^, heute nicht mehr mit den enthusiasti¬

schen Worten Martin Hartmanns als ,, meisterhafte Arbeit und Denk¬

mal ... bedeutender dichterischer Schaffenskraft"* anerkeimen. Dafür

ist sein Ausdruck doch oft zu gesucht und gekünstelt und das Ganze zu

sehr Erzeugnis der Studierstube. Auf die Erneuerungsbewegung in der

arabischen Literatur unseres Jahrhunderts hat diese Ilyäda denn auch

die von ihrem Urheber erstrebte und erwartete tiefere Wirkung nicht aus¬

geübt; heute ist sie wohl nur noch als eine ,, literarische Kuriosität"* zu werten.

^ Samuel F. G. Wahl, Von dem Schiksal (sie) des Homer und andrer

klassischen Dichter bei den Arabern und Persern usw., Programm Halle 1793,

S. 3. — Das Schriftohen ist wenig ergiebig.

2 Ilyädat Hümlrüs mu'arraha nazman wa-'alaihä Sarh ta'rihi adabi (GAL

S III 350f.), Kairo, Matb. al-Hiläl 1904. 1260 Seiten, davon 200 S. Einleitung

und 104 S. Indices mit Glossar. Anfang (Hafif): Rabbata ä-M'ri 'an Alßla bni

Fllä ( = nY]X7]i(xSE<i> 'Aj^iXyjo?) / aniidinä wa-rwi htidäman wäbllä (i. e. dl- gadab aä-äadld al-maS'üm, Sarh) usw.

^ In der Zeitschrift FepMecT., Jahrgang 1909, S. 37—42; vgl. Die Welt des

Islams 11, 1928, S. 174; 185f.

* Der islamische Orient Bd. III S. 236 (nach freundlicher Mitteilung von

J. Fück).

° J. Fück (brieflich). — Der 1935 verstorbene Muliammed Raäid Ridä

dürfte sein Urteil „Ich habe die Ilias gelesen, und sie ist der arabischen

Poesie unterlegen" (bei H. S. Nyberg, Das Studium des Orients und die

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Anders würde es stehen mit der alten syrischen Homerübersetzung

aus dem achten Jahrhundert, wenn wir sie noch besäßen. Wir hören von

ihr erst bei Barhebraeus (13. Jahrhundert), der Handschriften davon zu

kennen angibt und dem zufolge der maronitische Hofastrologe des

Kalifen al-Mahdi, Theophilos von Edessa (gest. 785), ,,die beiden Bücher

des Ümüüs über die in alter Zeit erfolgte Eroberimg der Stadt Ilyün"

aus dem Griechischen ins Syrische übertragen haben solP. Es ist jedoch

durchaus unsicher, ob wir diese Notiz als Hinweis auf eine vollständige (?)

Übersetzung von Ilias und Odyssee, nur von Ilias Buch I und II oder

aber irgendemes späten, dem Homer nur untergeschobenen Sagenhand¬

buches zu betrachten haben*. Merkwürdig ist immerhin, daß G. Cardahi

in seinem Liber Thesauri de Arte poetica Syrorum^, leider ohne seine

Quelle zu nennen, als angebliches (mid einziges) Zitat aus der verlorenen

Übersetzung des Theophilos den allbekannten Vers Ilias II 204 oux

aya'&ovTOXuxoipaviy)' zlc, xo^pavo«; eoTW in folgender Form mitteilt :

Lä Sappirä wa-m^'add^rä märüt saggiye

ellä d'had, malkä uxt-d'had puqdänä nehwe.

Diesen beiden, in korrektem zwölfsUbigem Metrum gebauten syrischen

Versen lassen sich weitere syrische Homer-Bruchstücke, und zwar aus

der Ilias sowohl wie aus der Odyssee, an die Seite stellen, die Lagarde

und andere in dem ,,Buch der Schätze" des Severus bar Sakkü (gest.

1241) wiedergefunden haben*. Es kann sich dort aber ebensogut um bloße

europäische Kultur, ZDMG 103, 1953, S. 13) nur auf die Kenntnis von

Bustänis Übersetzung gegründet haben.

^ Historia Compendiosa Dynastiarum ed. Pocockius, Oxford 1663, p. 228,

6 V. u. ( = Muhtasar ad-duwal ed. Sälhäni, Beirut 1890, p. 220,3): . . . wa-

naqala kitäbai TJrmrüs aS-Sä'ir 'alä fath madinat Ilyün fl qadlm ad-dahr min

äl-yünänlya ilä s-suryänlya. Vgl. nooh Poo. 40, 4 v. u. ; 61 paen. (wa-nusha-

tähumä maugüdatän 'indanä\) = Säih. 41,4; 61,7.

2 Cf. Wenrich 74; Baumstark, Oeschichte der syr. Literatur, Bonn 1922,

S. 341 etc. Über Theophilos als Übersetzer (auch der Sophistischen Elenchen und von Analytica I) s. nooh Kh. Georr, Les Categories d'Aristote dans leurs

versions syro-arabes, Beyrouth 1948, p. 30f., imd R. Waizer, New Light on

the Arabic Translations of Aristotle, Oriens VI, 1953, S. 100, 112, 114. Wie

G. Levi Della Vida, JAOS 70, 1950, S. 186, Anm. 28 die Frage beurteüt,

habe ich leider nicht feststellen können.

^ Rom 1875, S. 40. Das seltsame Zitat ist oft diskutiert worden, so von

W. Wright, A short History of Syriac Lit., London 1894, S. 164, von R.

DuvAL bei H. Derenbourg, Melanges Weil, Paris 1898, S. 118, Anm. 4

(vgl. seine Litt, syriaque, 3. ed. 1907, S. 323f.), mid besonders ausführlich von

Sui. Bustänl, Ilyäda S. 266f. Der letztere nennt als Gewährsmann den

Assemani (welchen ?), dem bei seiner Überfahrt nach Rom im 18. Jahrhun¬

dert angeblich ein vollständiges Exemplar der Theophilos-Übersetzung ver¬

loren gegangen sein soU ( ?).

* The Academy Bd. II, London 1871, Sp. 467 f.; vgl. C. Frick, Die syrische.

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262 JÖBO Kbaemeb

Zitate handeln, die als solche bereits aus griechischen oder syrischen

Schriftstellern herübergenommen worden waren.

Wie dem auch sei und ob der syrische Homer des Theophilos von

Edessa vollständig existiert haben mag oder nicht: auf die arabische

Literatur der ,, klassischen" Übersetzerzeit des neunten bis zwölften Jahr¬

hunderts hat er offenbar nicht gewirkt. Es fällt auch schwer, sich vorzu¬

stellen, was die Araber jener Tage mit den homerischen Epen, selbst

wenn sie ihnen in ihrer Sprache zugänglich gemacht worden wären,

hätten anfangen sollen. Die Übersetzer selbst freUich, die ja größtenteUs

Christen und mit dem Griechischen vertraut waren, mögen sie noch in

der Ursprache gekannt haben. Es klingt nicht unglaubwürdig, wenn von

dem bedeutendsten aller Übersetzer, dem berühmten Hunain ibn Ishäq

(gest. 873) erzählt wird, er habe, allerdings nur für sich selbst, ,, Dich¬

tungen von Homer, dem Dichterfürsten der Griechen", auf griechisch

rezitiert^. Für die Einstellung der späteren arabischen Gelehrten jedoch,

die sich als Theoretiker gelegentlich auch mit der ihnen so fremden Epik

zu befassen hatten, ist das Selbstzeugnis ihres berühmtesten Vertreters

dieser Richtung, nämlich des Averroes (gest. 1198), bezeichnend. In

seiner hier noch öfter zu erwähnenden Epitome zur aristotelischen

Poetik erklärt er bei Besprechung des Inhaltes von Kapitel 23 ausdrück¬

lich, daß al-aS'är al-qisasiya (wohl = y] Siv)Y7)(jLaTixY) xal i[m.sxpo(; [i.i.[jiy]Tixyi

Poet. 1459 a 16) ... wa-muhäkät hädä n-nau' min al-wugüd qalil fl lisän

al-'Arab seien: wa-kullu dälika hässun bihim (i. e. bi-l-Yünän) wa-gairu

maugüdin mitäluhü 'indanä !* Mit Ausnahme der pseudo-pythagoreischen

die armen, und die georg. Übers, der homerischen Oedichte, Berliner PliUolog.

Wochenschrift 30, 1910, Sp. 444—47. Es handelt sich um Ilias I 225f., VI

325, XVI 745 und Odyssee 18,26; leider wird nur der letzte Vers in extenso

zitiert. — Weitere Homerverse körmten der syrischen Übersetzung der

(pseudo-)aristotelischen Schrift De Mundo entnommen werden, die Lagabde,

Analecta Syriaca (1858), p. 134—158, herausgegeben hat und von der eine

arabische Übersetzimg bisher nicht bekannt ist (vgl. Steinschneideb, Die

arab. Übers, aus dem Griechischen, Centralbl. für Bibl.swesen Beüi. 12, 1893, S. 55, Anm. 264).

' Wa-huwa yataraddadu wa-yunSidu äi'ran bi-r-rümlya li-TJmirus raHs

iu'arä' ar-Rüm: Ibn abi Usaibi'a ed. A. Müxleb, Bd. I, 1884, p. 185,8 v. u.

Auf diese Stelle verweist bereits E. W. Lane, The 1001 Nights vol. III,

London 1859, p. 689 f.

2 Ibn RuSd, Talhls Kitäb Aristütälls fl s-Si'r ed. F. Lasinio, Pisa 1872, p. 40, 14.18; 41,11; jetzt auch in Aristütälls Fann aä-Si'r ed. 'A. Badawi,

Kairo 1953, p. 245, 14.19; 246,14. Die lateinische, von Jacob Mantinus im

16. Jahrhundert nach dem Hebräischen des Todros Todrosi gefertigte Para¬

phrase hat: ,, Historiae vero narrativae seu fabulae. ., huius autem generis imitatio raro fit in lingua Arabica;. . . totum tamen hoc est proprium ipsis Graecis et non reperitur apud nos simile" (ed. F. Heidenhain, Jahrbücher für class. Philologie, Suppl.band 17, 1890, S. 379,37; 380,2. 15f.).

m

(5)

Xpufföc ETOji — die sich mit ihrem didaktischen Inhalt und ihrer weithin

monostichischen Form für eine Aufnahme in arabische Spruch- und

Weisheitssammlungen ja geradezu anboten — ist deim auch, so viel ich

weiß, bisher kein Stück der griechischen Dichtung bekannt, das in größe¬

rem Zusammenhang und um seiner selbst wülen während des Mittel¬

alters ins Arabische übersetzt worden wäre".

Wo also Worte und Verse aus dem echten Homer irgendwie doch in

die arabische Literatur Eingang gefunden haben, konnte das nur unbe¬

absichtigt und gewissermaßen nebenbei geschehen : dort nämlich, wo sie

als Zitate bereits in griechischen Schriften gestanden hatten, mit denen

zusammen sie nun übernommen und auf mehr oder minder verständliche

Weise wiedergegeben wurden. Für das anfüge Schrifttum auch noch der

spätesten Zeit bedeuteten ja die homerischen Epen, ähnlich wie für den

islamischen Orient der Koran und für das christliche Abendland die

heiligen Schriften der Bibel, eine schier unerschöpfliche Fundgrube. Man

entnahm ihnen, nicht immer mit phüologischer Genauigkeit, emzelne

Verse oder auch nur Bruchstücke von solchen, wo sich Gelegenheit dazu

bot ; und so manches Dictum Homeri ist dabei, namentlich wenn es nur

aus dem Gedächtnis zitiert wurde, umgeformt oder sonstwie zurecht¬

gemacht worden. Wenn nun solche Schriften, oft genug erst auf dem Um¬

weg über eine syrische Zwischenübersetzung, ins Arabische übertragen

wurden, dann nimmt nicht wunder, daß die beziehungslos und unver¬

ständlich gewordenen Verszitate ganz besonders der Mißdeutung aus¬

gesetzt waren. Für die Häufung von seltsamen Mißverständnissen und

geradezu skurrüem Widersinn, der dabei gelegentlich zutage tritt, ist vor

allem die viel behandelte arabische Übersetzung der aristotelischen

Poetik durch den Nestorianer Abü Bi§r Mattä ibn Yünus (gest. 940) be¬

kannt*. Zur Charakterisierung genügt es, auf die dortige Wiedergabe von

zwei besonders verunstalteten Homerstellen hinzuweisen. Das vyjüi; Se [loi

T^S' £aT7)xev (eTt' äypoü viacpi TtoXYjo?) Odyssee 1,185 = 24,308 (,, Und mein Schiff liegt außer der Stadt am freien Gestade", Voß), das Aristoteles

PoetUs 21. 1457b 10 anführt, ist im Arabischen (Ma 56,3f. / Tk 266,12 /

Ba 130,1) zu al-qüwatu [für 'al-füßf als Transliteration von sjt. dfä

1 Dazu F. Rosenthal, On the Translaiion of the Golden Verses, Orientalia

10, 1941, S. 104—115. Der Text ist jetzt am leichtesten zugänghch in der

Ausgabe von Miskawaihs Öävndän Hirad : Al-Hikma al-hälida ed.'A. Badawi,

Kairo 1952, p. 225—28.

2 Vgl. aberTeilll dieser Arbeit, S. 302ff. ; zu Aratos' Phainomena s. S. 271 f.

' Diese Übersetzimg wird hier nach allen drei Ausgaben zitiert: 1. D.

Margoliouth, Analecta Orientalia ad Poeticam Aristoteleam, London 1887

(= „Ma"), p. 1—87; 2. J. Tkatsch, Die arabische Übersetzung der Poetik

des Aristoteles, Wiener Akad. I 1928 ( = „Tk"), II 1932; 3. Aristütälls Fann aä-Si'r ed. 'A. BadawI, Kairo 1953 ( = „Ba"), p. 83—145.

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264 Jörg Kraemer

„Schiff" ?i] llati li ja-hiya hädihl 'alaiya geworden: 'Die Kraft, die mir ist, so ist sie auf mir diese'. Und das Versbruchstück tjiove? ßoowtnv .,die

Gestade brüllen, brausen" aus Ilias XVII 265 = Ar. Poetik 22. 1458 b 31

begegnet uns bei Abü Bisr (Ma 62,13f. / Tk 272,6 / Ba 134,3 v. u.) als

anba'a l-Yünäniyln 'er benachrichtigte die Griechen' wieder. Die Ver¬

lesung von HI ONES inlSlNES erscheint da zwar verzeihlich, weü sie sich

auch in den meisten griechischen Handschriften der Poetik findet*. Im

Arabischen ist aber außerdem, was hier noch gar nicht berücksichtigt

ist, ein Teil des bei Aristoteles voraufgehenden Zitates Siippov äsix^Xiov

xaTaM? öXiyTiv xsTpaTie^av aus Od. 20, 259 (= Poet. 22. 1458b 29f.) mit

dem nachfolgenden so sinnlos zusammengefiickt worden, daß ein völlig

unverständliches ,, Monstrum"* entstanden ist. In eben dem letzt¬

genannten Odysseezitat („wies ihm dort einen kleinen Tisch und win¬

zigen Schemel", v. SchefFer) ist schließlich noch lehrreich, daß das Wort

asixeXiOi; dem syrischen Vorgänger des Abü Bisr offenbar unbekannt

war und jener es sich deshalb in dei „immer" und einen , .Eigennamen"

Kelion zerlegt hatte; der Araber hat daraus dann dä'iman Qaliyfm

gemacht*.

Aber solche Fälle von einfacher arabischer Transliteration griechischer

Worte — um einen Augenblick bei dieser zu bleiben — sind nicht auf die

Übersetzung der Poetik und damit der in ihr enthaltenen Homer¬

fragmente beschränkt. Schon den Anfang der Ilias, den Aristoteles unter

anderem in den Sophistischen Elenchen 24. 180a 21 anführt, hat der be¬

kannte Schüler des Abü Bisr und des Färäbi, der Jakobit Yahyä ibn

'Adi (gest. 974) in seiner Übersetzung dieses Werkes bloß durch jl^ o,! Li«

wiedergegeben, was ja gewiß nichts anderes sein kann als der Versuch

einer Transliteration von (x^viv asiSe S-ed. Der ältere Übersetzer derselben

aristotelischen Schrift, Ibn Nä'ima (um 835), hat sich auf noch mühe¬

losere Weise geholfen, indem er anstatt des Zitates einfach ka-dä wa-ka-dä

einsetzte. 'Isä ibn Zur'a dagegen (gest. 1008), ein Schüler des Yahyä ibn

'Adi, dem wir die dritte und jüngste arabische Fassung der Sophistischen

1 Diese Deutung ist mir wahrscheinlicher als der komplizierte Weg von

syr. elfä über a{n)pä (Sing.\) ,, Gesicht" zu arab. al-füh (d.i. al-fam ,,der Mund"!) und damit al-qüwa, den Tkatsch I 207a imten (zur Beibehaltung des Fem. s. ib. 150a, Anm. 1 uit.) annimmt.

2 Tk II 62a; A. Gudeman, Aristoteles Ilepl IIoiYjTixr)«;, Berlin 1934, S. 64

zm Stelle. —■ Ba 134, 3 v. u. liest gar abnä' al-Yünänlyln „die Söhne der

Griechen".

^ „dessen einzelne Glieder sich aber leicht ablösen lassen" : Tk I 206b, wo weitere Beispiele aufgeführt sind.

* Ma 62,11 / Tk 272,5 / Ba 134,14. — Gerade diese zu den „ärgsten Mi߬

verständnissen" (Tk I 200b) gehörende arabische Wiedergabe hat hier je¬

doch zm Sicherung der angezweifelten Lesart (xe) äcix^Xiov geführt, s. Tk II

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Elenchen verdanken, bringt den von Aristoteles nur abgekürzt zitierten

Vers in seiner annähernd vollständigen Form als

Udkurl ll aiyatuhä l-älihatu s-sahata l-muhlika li-Ähilüs (= 'A^iX^o?)!.

Diese Ergänzung wird 'Isä ibn Zur'a aber kaum auf Grund eigener

Kenntnis des homerischen Originals angebracht, sondern schon seiner

Vorlage, d. h. wohl der früheren syrischen Übersetzung des Athanasius

von Balad (gest. 686)*, entnommen haben. —Ähnhch liegen die Verhält¬

nisse im Falle des Anfangs der Odyssee. Aristoteles zitiert ihn, übrigens

zusammen mit (i^jviv astSs ^tä., in der Rhetorik III 14. 1415a 17 gleich¬

falls abgekürzt als avSpa [xoi evvetcs (xoücra. Die arabische Übersetzung

der Rhetorik ist bekanntlich, ebenso wie die der Poetik und des ganzen

übrigen Organen, in dem schon oft untersuchten und beschriebenen

Pariser Unicum ar. 2346 (anc. f. 882 A) erhalten*. Als einziges Stück

dieser wichtigen Handschrift, die heute der Auflösung entgegengeht, ist

gerade die Rhetorik noch nicht ediert, was angesichts der Bedeutung des

Gegenstandes für den Hlm al-baläga wie für die arabische Literatur über¬

haupt zu bedauern bleibt*. Die Wiedergabe unserer Stelle mit den beiden

1 Alle drei Übersetzungen in 'A. Badawls Ausgabe von Mantiq Aristü III,

Kauo 1952, p. 962, Anm. 3; 966,3; 964,3. Bei Yahyä ibn «Adi ist wohl

zu lesen.

2 S. R. Walzeb, New Light etc., Oriens VI, 1953, S. 99 (wo nach Georr 26

als Todesdatum das Jahr 696 angegeben ist) und 113f. ; Baumstark, Oe¬

schichte usw., 256f.

3 42 X 30 / 30 X 18 cm, 380 Blatt zu 18 bis 25 ZeUen m teüs altertüm¬

lichem und regelmäßigem (so Rhetorik), teils jüngerem und flüchtigem (so

z. B. Poetik), kaiun punktiertem Neshi; Schriftzüge durch Tintenfraß, Risse

imd Löcher des brüchig gewordenen Papiers sowie durch Wasserschaden und

unsachgemäße Reparaturen vielfach stark zerrüttet und stellenweise un¬

leserlich. Die ausführlichsten Angaben über den Inhalt des Codex imd vor

allem die zahlreichen wichtigen Randnotizen (zu denen s. Walzer, Oriens VI,

lOlff.) bietet jetzt Kh. Georr, Les Categories p. 183—200. Eine wertvolle

Liste früherer Beschreibungen des , .venerable manuscrit" gibt M. Bouyges,

Averroes Talkhis Kitäb al-Maqoülät (Bibl. Ar. Scholast. IV), Beyrouth 1932,

p. XXX f. — Für die Topik, Sophistik, Rhetorik imd Poetik dürfte die

Pariser Hs. auch weiterhin Unicum bleiben. Die übrigen Teile des arabischen

„Organen" jedoch, also Isag. Porph., Cat., De Interpr., An. Pr. und An.

Post., sind auch in der, allerdings viel jüngeren, Istanbuler Hs Saray Ahmet

III 3362 enthalten, wie mir R. Walzer auf Grund eines Hinweises von D. S.

Rice freundlichst mitteilt.

* Eine Herausgabe auch der Rhetorik, zu der schon Tkatsch ,, alles Mate¬

rial gesammelt" hatte (L. Radermacher im Vorwort, S. 1) hat 'A. Badawi

vorbereitet, aber meines Wissens noch nicht veröffentlicht. Als vorläufiger

Ersatz karm die resümierende Bearbeitung des Avicerma dienen: Al-Shifä',

al-Mantiq VIII, al-Hitäba ed. Salim Sälim, Kairo, Wizärat al-Ma'ärif 1954.

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266 Jörg Kraemer

allbekannten Zitaten findet sich dort auf Blatt 59 a 9, eingeleitet durch

wa-dälika ka-mä qila, in folgender Form :

1. Anbi'ini^ aiyatuhä l-iläkatu 'an gadabi Ähilüs (also ganz ähnlich wie

oben in der Übersetzung der Elenchen), und

2. Anbi'inP- yä Müsä (? )* 'ani r-raguli l-katiri l-makä'idi lladi ftasama?

umüran katiratan min ba'di mä hur(r)ibati l-madinatu l-'ämiratu

Ilyün ,, Berichte mir, o Muse, von dem listenreichen Manne, der

viele Dinge entschieden* hat, nachdem die volkreiche Stadt Ilion

zerstört worden war".

Hier also hat der arabische Übersetzer (dessen Namen wir bisher nicht

kennen) sogar noch den ganzen zweiten Vers ergänzt. Aber auch er wird

dabei von einem homerkundigeren syrischen Vorgänger abhängig ge¬

wesen sein.

Zu den angeführten Beispielen kann auch das ixyjviv deiSs •ö-eoc in. der

sonst so fehlerhaften Poetikübersetzung des Abü Bisr noch gestellt wer¬

den, wo es (Ma 51,6f. / Tk 262,11 / Ba 125,16 = Poet. 19. 1456b 16)

ziemlich korrekt als

Habbiri aiyuhä l-ilähu (sie) 'ala s-sahatati wa-l-harad

erscheint. — Das alles zeigt immerhin, daß selbst bei Wiedergabe der so

leicht mißzuverstehenden griechischen Verse und Versbruchstücke die

oben angedeuteten Unzulänglichkeiten und Entstellungen nicht oder

jedenfalls nicht immer zum Maßstab für die Leistungen der Übersetzer

als Ganzes genommen werden dürfen. Derartige oft recht ergötzliche

Sprachschnitzer, von denen aus dem arabischen Bereich noch eine Fülle

mitgeteilt werden könnte*, finden sich ja zum Beispiel auch in der la-

1 So? Ms: ^1.

2 Das L->-l' des Ms ist wohl nur tahrif für L-^ l>. — Diesen Passus hat

D. S. Margoliouth bei seiner (nicht ganz korrekten) Wiedergabe des Zitates

weggelassen, s. On the Arabic version of Aristotle's Rhetoric, Semitic Studies

in memory of Alex. Kohut, Berlin 1897, S. 377.

^ Mißverständnis von nXiyx^rj als 27rXr]5ev o. ähnl. ? Vielleicht aber auch

als Passiv zu lesen : husima „der von (der Erreichung) vieler Dinge abge¬

halten wurde".

* Den bekaimten Zusammenstellungen aus der arabischen Poetik von

Tkatsch (I 201 ff.) oder Gudeman {Die Textüberlieferung der aristotelischen Poetik, in Philologus 90, 1935, S. 47 u. a.) läßt sich noch mancherlei aus der

Rhetorik hinzufügen. Dafür hier nur zwei Beispiele: Die Worte t' oijaa

■njpdcvvcov in dem Simonidesvers Rhet. I 9. 1367b 20 sind in der Pariser Hs

ar. 2346, Bl. 15a 9 v. u. mit li-r-raguli mina s-Sätüränas übersetzt, folglich

als TOÜ 2aTupavvcov mißverstanden worden. Avicenna, al-Hitäba 90,4 erklärt

dieses 'Appellativum' gar noch durch ka-anna s-Sätüränas qabllatu aärafa

(sie) mina l-Yünänlyln. — Rhet. I 13. 1374b 20 ist von dem Manne die Rede,

der sich, statt vor Gericht (et; Stxyjv) zu gehen, lieber einem Schiedsspruch

:(8iatTa) vmterwirft. Der Araber scheint dies Bl. 21b paen. mit den (auf

(9)

teinischen Literatur des Mittelalters (und nicht nur in dieser!) genügt;

allzu streng soll man mit ihnen nicht ins Gericht gehen. „Perversiones

potius quam versiones": mit diesem häufig und nicht einmal immer

richtig zitierten Wort des Michael Casiri* war man bei uns früher rasch

geneigt, die griechisch-arabischen Übersetzungen ebenso wie ihre latei¬

nischen Abkömmlinge geringschätzig abzutun. Ein solches Urteil muß

auf Grund der uns heute zugänglich gewordenen, großenteUs vortreff¬

lichen Erzeugnisse jener mittelalterlichen arabischen Übersetzerschiilen

wesentlich revidiert werden*. Selbst die Wiedergabe vieler Homerverse

der bisher geschüderten Art macht hiervon keine Ausnahme. Von den

über zwei Dutzend Homerzitaten, die ich bisher in arabischen Über¬

setzungswerken — in der Rhetorik freilich nur in Einzelfällen — habe

feststellen können, ist dem reinen Wortlaut nach die Mehrzahl doch

ziemlich richtig, wenn auch nicht immer ganz sinngemäß, wiedergegeben.

Auch aus der sklavischen Wörtlichkeit des um den Sinn seiner Vorlage

gänzlich unbekümmerten Poetik-Übersetzers hat die klassische Philolo¬

gie ja manchen, allerdings umstrittenen Nutzen zu ziehen gewußt. Auf

die Kontroverse, die sich an die Beurteilung dieser Frage geknüpft hat,

kann hier natürlich nicht eingegangen werden*. Für unseren Zweck ge¬

meinem Fihn schJecht lesbaren) Worten fa-inna hudüra l-walä'imi ahabbu

ilaihi ( ?) min hndüri l-husümati wiederzugeben: „Es ist ihm lieber, an Gast¬

mählern (Statxa!) als an einem Rechtsstreit teilzunehmen". Auch hier folgt

Avicerma dem Übersetzer getreulich: li-yakun hudüntka {li-)l-walä'im(i)

awadda 'alaika min hudüri l-husÜ77iät (K. al-Magmü' au al-Hikma al-'arüdlya

fi ma'äni Kitäb Bitüriqä ed. Salim Sälim, Kairo 1950, p. 74,5; ähnlich

al-Hitäba 115,8).

i'Oer griechische Eigenname Polyzelos in einer Schrift des Alexander von

Aphrodisias wird lateinisch mit 'est multum diligens" wiedergegeben (M.

Grabmanst, Mittelalt. lat. Übersetzungen von Schriften der Aristoteles-Kom¬

mentatoren Joh. Philoponos usw., Sitz.ber. Bay. Akad. 1927/7, S. 57); für

poSoSaxTuXoi; Yjtii; in der aristotelischen Rhetorik III 2. 1405b 19 setzt die sog. Vetusta Translatio 'r. quam ut' ( = t) <«)<;, s. Gudeman, Philologus 90, 1936, S. 47 Anm. 15, wo weitere „Belege unbewußter Komik"; cf. 445, Anm.

49) imd dergleichen mehr.

^ Bibliotheca Arabico-Hispana Escurialensis 1, Madrid 1760, p. 266a

(wiederholt z. B. bei Heinr. Ritter, Über unsere Kenntnis der Arab. Philo¬

sophie, Abh. Göttinger Ges. d. Wiss. Bd. 2, 1845, S. 6, Anm. 1, und bei

Späteren). Es ist da aber nur von den alten arabisch-lateinischen Übersetzun¬

gen die Rede.

ä Von einem ,,high degree of adequacy" der meisten griechisch-arabischen Übersetzungen spricht mit Recht R. Walzer in seiner wertvollen Übersicht, Orientaha 20, 1951, S. 339. (Bespr. von M. Bouyges' Ausgabe der arabischen

Metaphysik mit dem Kommentar des Averroes).

* Erwähnt sei nur, daß ich im Verlaufe dieser Arbeit von Tkatschs um¬

strittenem Buche einen etwas günstigeren Eindruck gewonnen habe als er

durch die, vielfach freilich berechtigte, Kritik Bergsträssers {Der Islam 20,

(10)

268 JÖBG Kbaemeb

nügt es, festzustellen, daß wenigstens in dem einen Falle Poet. 22.

1458b 25 (= Odyssee 9, 515) vüv Se [i' eMV ollyoc, Te xal ouTiSavo? xal

[dceixYji;] gerade die gänzliche Verständnislosigkeit des Abü Bisr dazu bei¬

getragen hat, das gemeinhin überlieferte aitiSy]ci'- des aristotelischen Textes in dcetxYji; (,, unziemlich, unwürdig", arab. bi-läan yasiMMa 62,8 /Tk 272,3

/ Ba 134,11) zu ändern. Da diese Lesart zwar von dem dxixuc; (,, schwäch¬

lich") unseres Homertextes abweicht, sich aber auch in mittelalterlichen Scholien findet, ist so, bei der Feststellung der Worte des geblendeten

Poljrphem an Odysseus in der von Aristoteles befolgten Rezension, mit

Hilfe des Arabers in der Tat „ein bemerkenswertes Zeugnis für die

Homerkritik des Altertums" gewonnen worden*. Die Gründe dafür liegen

in der bekannten, aber für die Textkritik nur mit starken Einschrän¬

kungen verwertbaren Tatsache, daß hier wie in anderen Fällen die grie¬

chischen Handschriften, auf welche die arabischen bzw. syrischen Über¬

setzungen zurückgehen, um Jahrhunderte älter gewesen sind als die

ältesten heute noch erhaltenen griechischen Textzeugen. Aber das sind

Probleme vorwiegend des klassischen Philologen, die außerhalb des Rah¬

mens dieses Aufsatzes liegen*. Es kann sich deshalb für uns auch nicht

1932, S. 48—62) imd Plessnebs (OLZ 34, 1931, Sp. 1—14; 39, 1936, Sp.

295—98) für das Bewußtsein der Orientalisten bisher festgelegt war. Eine

„philologisehe Leistung allerersten Ranges" und ein XTr)[ia sE; äet, wie

Gudeman, Philol. Woehenschr. 49, 1929, Sp. 168, mit starker Übertreibung

behauptet hatte, ist das stofflich überladene, stüistisch verunglückte und

wegen seiner Regellosigkeit unendlich mühsam zu benutzende Werk, jeden¬

falls für die Arabistik, gewiß nicht. Aber als „inhaltsreich und bahnbrechend"

muß man es mit dem gerecht abwägenden Urteil W. Kutschs (Zur Ge¬

schichte der syrisch-arabischen Übersetzungsliteratur, Orientalia 6, 1937, S. 75)

doch wohl anerkennen, ebenso wie seinem Verfasser trotz aller Schwächen

und Mißgriffe das Verdienst eines ,, diretto e attento studio delle fonti" nicht

abgesprochen werden kann (s. F. Gabbieli, Intorna alla versione araba della

Poetica di Aristotele, Rendic. R. Acc. Line, Cl. Sc. morali etc., Ser. VI vol. 5, 1929, S. 230, Anm. 1).

^ D. i. „unsichtbar"; hier im (nachklassisohen) aristotelischen Sprach¬

gebrauch svw. ,, unschön". Das Wort steht, als alltäglicher Ausdruck (xiipiov övofia) dem vorausgehenden äeiXT); — äxixug entgegengesetzt, unmittelbar

danach 1458b 27, wo es im Arabischen durch alladl bi-lä manzar (Ma 62,10 /

Tk 272,5 / Ba 134,13) wiedergegeben wird.

2 Tkatsch II 106a oben; vgl. Gudeman, Ar. Poetik (1934), S. 381.

' Bergsträsser hat in seiner genannten Kritik (Der Islam Bd. 20, bes. S. 57,

61) eindringlich klargestellt, daß Abü Bisrs barbarische und keineswegs

immer streng wörtliche Interpretation längst nicht in dem Ausmaß zur

Wiederherstellung der aus dem 5./6. Jahrhundert stammenden griechischen

Vorlage (,,Cod. S") der syrisch-arabischen Übersetzung verwandt werden

kann, wie Gudeman in seinem auf Tkatschs „meisterhafte Gesamtleistung"

gestützten Enthusiasmus das angenommen hatte. Ein „defensor veri quasi

ex mferis citatus" (Gudeman, Philologus Bd. 90, S. 46) muß nun eüimal

suspekt bleiben, für die klassische Philologie wie für die Arabistik.

(11)

darum handeln, nun etwa die sämtlichen Homerzitate aus arabisch über¬

setzten Aristotelesschriften, bei denen oft genug auch der umgebende

Prosatext mit berücksichtigt werden müßte, vollständig mitzuteüen.

Dagegen seien aus dem außeraristotelischen Schrifttum wenigstens drei

besonders bemerkenswerte Fälle noch aufgeführt.

a) Zuerst ist hier die überraschend gute, auf weite Strecken sogar aus¬

gezeichnete Übertragung der pseudoplutarchischen Placita Philosopho¬

rum durch den Melkiten Qostä ibn Lüqä (gest. um 912) zu nennen. Eine

Ausgabe dieses Muster- und Meisterstückes griechisch-arabischer Über¬

setzungsliteratur, das noch Paul Kraus lediglich in kurzen Auszügen der

öäbir-Schrift Kitäb al-Häsil bekarmt war^, hat uns jüngst 'Abdarrahmän

Badawi geschenkt*. Dort wird auf S. 97 uit. der Vers Ilias XIV 246

'Qxeavo?, 6? Ttep yeveai.? TravTeacTi TETUXTai, den die Placita gleich zu

Beginn (I 3,2 = Diels, Doxographi Graeci p. 277) aus dem Gespräch des

Hypnos mit Here anführen, arabisch mit Uqä'änüs ka-annahü 'umila mu-

wallidan li-l-kull wiedergegeben. (Zum Vergleich sei die moderne, in Ra-

malverse gefaßte Übersetzung, die Sulaimän Bustänis Ilyäda, S. 755,

bietet, danebengestellt: Wa-magäri Üqiyänüsa lladi / kullu Sai'in käna

minhü wa-ilaih.) An der recht genauen Wiedergabe des Qostä ibn Lüqä

fäUt hier nur das ka-annahü auf, statt dessen man alladi (wie bei Bustänl)

erwartet hätte ; doch mag in seiner Vorlage worTrep für das überlieferte 8?

Ttsp gestanden haben. — Das letzte auch arabisch erhaltene Homerzitat der

Placita (III 5,2 = Diels, p. 372) stammt aus Ilias XVII 547, wo das Er¬

scheinen der vom Himmel herabgestiegenen Athene unter den um Pa¬

troklos' Leichnam ringenden Achaiern durch das schöne Bild vom Regen¬

bogen ausgemalt wird: 7)iT£ 7topcpupev]v tptv 0-V7)toi<ji, TavudCTV) ... Hier

hat der Übersetzer, der die notwendige Ergänzung durch das bei Homer

nachfolgende Zeui; oupavo^^ev nicht kennen konnte, sich auf sinnreiche

Weise geholfen und damit auch hier gezeigt, daß es ihm um ein echtes

Verständnis seines Textes zu tun war. Er hat, das für ihn subjektlose

Verbum ro-waayi in einen Medialausdruck verwandelnd, den Regenbogen

zum Subjekt gemacht; und so heißt es bei ihm (ed. Badawi 146,8):

Ka-mä^ tabaddä qausu Quzaha l-urguwäniyu amäma a'yuni n-näs ,,Wie

^ S. Jäbir ibn Hayyän II, Jäbir et la science grecque (M6m. de l'Inst.

d'figypte 45, Le Caire 1942), p. 331—39. Vgl. H. Diels, Doxographi Graeci,

Berlin 1879, p. 27 f.: ,, Versio (arabica) non iam extare videtur".

2 (Kitäb) al-Ärä' at-tdbViya al-mansüb ilä Flütarhus, in Aristütälls Fi

n-Nafs usw., Diräsät islämiya Bd. 16, Kairo 1954, p. 89—188 (nach der

566 H in Bagdäd geschriebenen Sammelhandschrift Damaskus, Zähiriya

4871 'Ämm). ^ Im Druck, wohl imrichtig, lammä. — Qaus (Quzah) ist

in der Bedeutung ,, Regenbogen" anscheinend meist masc, vgl. etwa Rasä'il Ihwän as-Safä' II, Kairo 1347/1928, p. 67,4 v. u.; auch Lane 2574«f.

(12)

270 JÖBG Kbaemeb

(wenn) der purpurne Regenbogen vor der Menschen Augen erscheint".

(Bei Bustäni, S. 881, Ragaz: Ka-anna fl qalbi s-samä qausa QuzaJf, /

alqahu Zafsu [= Zsii?] munbPan bi-mä samal),.)

b) Hieran sei nun zweitens ein anderes „meteorologisches" Homerzitat

gleich angeschlossen, das von allen bisher genannten am meisten Be¬

achtung verdient. Es findet sich, ganz außerhalb des Rahmens der ge¬

wöhnlichen Übersetzertradition, bei keinem Geringeren als al-Birünl

(gest. 1048) in seinem berühmten Indienbuche und lautet {India ed.

Sachau p. 48,2):

Ka-mä tuqta'u qita'u t-talgi min Zaus.

Gemeint ist Ilias XIX 357, wieder aus einem prächtig ausgemalten ho¬

merischen Bilde:^ S' ots Tap9£ial vicpdSei; Ai6? exTioTeovTai. ,,Wie

wenn häufige Flocken des Schnees von Zeus sich ergießen" (Voß).

Wollte man einer seltsamen Nachricht des griechisch-römischen Bunt¬

schriftstellers Claudius Aelianus (gest. 235 n. Chr.) Glauben schenken,

wonach die Inder und sogar die Könige der Perser die homerischen Ge¬

dichte ,,in ihrer Landessprache gesungen" haben sollen*, dann könnte

^ Bustäni, dessen Wiedergabe nochmals zum Vergleich angeführt sei,

nimmt S. 952,11 den folgenden Vers (ijjuxP«', '^'^^ ^ot^; cd^pfiyevioc, Bop£ao) hinzu und übersetzt (Sari'):

Fa-iitaäarü ha-t-talgi fl Sam'alin tarml bihl fa-mtadda aiya mtidäd.

* Varia Historia Lib. XII 48: "Oti TvSol ty) ^pdc ciptaiv ^7ci,x"pi<p 90JV7) t4 'Ojiifipou ixETaypätJjavTe; ätSouaiv oü [j.6vot, dtXXa xal ot Ilcpaöiv ßaaiXeii;, eJ ti xP'h TT'.CTTsiieiv ToT? ÜTTEp TouTcov IdTopoOcnv. Nur als Kuriosum sei erwähnt, daß E. B. C(owELL ?) in einer MiszeUe Homeric Influence in the East, The Gentle¬

man's Magazine vol. 26, 1846, S. 594—99, im Anschluß an diese Stelle nach¬

zuweisen versucht, daß nicht nur die Verfasser des Rämäyana und des

Mahäbhärata durch Homer inspiriert worden seien, sondern daß auch die

'persische Ilias' des Firdausi den „stamp of Homer's mind" trage. Als Ver¬

mittler wird allen Ernstes Themistokles in Anspruch genommen, der wäh¬

rend seines Aufenthaltes am persischen Königshofe die homerischen Epen

im Orient bekaimt gemacht habe. — Nach der heutigen Auffassung, über die

Herr Professor von Glasenapp mich freundlichst belehrte, war Homer den

Indem unbekannt ; die anderslautenden griechischen Nachrichten sind darauf

zurückzuführen, daß die Griechen die indischen Epen, ohne sie näher zu

keimen, mit ihren eigenen gleichgesetzt haben. Die Quelle Aelians dürfte

eine entsprechende Stelle bei Dion Chrysostomos (gest. um 120 n. Chr.),

Orationes 53 Mitte, gewesen sein; s.H. von Glasenapp u. andere. Die Litera¬

turen Indiens (im Handbuch der Lit.wissenschaft ed. O. Walzel), Potsdam

1929, S. 80 und vgl. M. Wintebnitz, Geschichte der indischen Literatur IU

(1920), S. 627 sowie R. Pischel, Die indische Literatur in Kultur der Gegen¬

wart 1/7 (1906), S. 195. — Will man jedoch den Angaben Dions und Aehans

mehr Glauben schenken, dann könnte als Vermittler allenfalls der griechisch-

( -baktrische) König Men andros in Frage kommen, dessen Herrschaft über

(13)

man einen Augenblick versucht sein, an eine solche Homerübersetzung

als QueUe Birüiüs zu denken. Aber die Umgebung des Zitates weist in

eine ganz andere Richtung. Voraus geht nämlich eine ziemlich genaue

arabische Wiedergabe der dichterisch beschwingten Einleitung zu den

Oaiv6[jieva des Aratos (Kitäb Arätus fi z-Zähirät, p. 47, 16f.). Dieses un¬

gemein weit verbreitete astronomische Lehrgedicht des hellenistischen

Poeten Aratos von Soloi (um 310 bis 245 v. Chr.) muß dem Birüni in

einer Übersetzung vorgelegen haben; denn er zitiert daraus, neben der

Einleitung, auch das zweite Glanzstück, den Mythus von der Göttin

Dike, die einst von der Erde geflüchtet ist und nun als das StembUd der

Jungfrau zu Füßen des Bootes am Himmel steht^. Im Anschluß an un¬

sere Stelle nun, die den Zeus als die alldurchwirkende Ordnungskraft

preist (= Phain. v. 1—17), fährt Birüni fort, p. 47 uit.: ,,der Kommen¬

tator des Buches der Erscheinungen (mufassir Kitäb az-Zähirät) ... hat

gesagt: 'Wir möchten gerne wissen, welchen Zeus Arätits gemeint hat,

den mythisch-symbolischen (ar-ramzi) oder den natürlichen (at-tahiH).

Deim der Dichter Krates (Aqrätas) hat das Himmelsgewölbe Zeus ge¬

nannt, und ebenso sagt Homeros (Ümirus) Ka-mä tvqtahi usw. [s. oben].

Und Arätiis nennt den Himmel und die Luft Zeus in seinem Worte Die

Wege und Versammlungsorte sind von ihm erfüll, und wir alle hahen es

nötig, ihn einzuatmen'. Deshalb hat er [der Kommentator] behauptet, es

sei die Ansicht der Stoiker (ashäb al-ustuwän) über Zeus, daß dieser der

Geist (ar-rüh) sei, welcher in der Materie (al-hayüla) verbreitet und un¬

seren Seelen ähnlich ist, d. h. die Natur, welche jeden natürlichen Körper

regiert".

Diese stoisch eingekleideten Worte des „Kommentators der Oaivojjieva"

— und gleich ihnen auch die von Birüni an der zweiten Stelle, India

p. 193,4fF., zitierte Erläuterung des Mythus von der ,, Sternenjungfrau" —

werden wir also in irgendeiner der zahllosen antiken Scholien-, Ein-

Nordwestindien (2. Jahrh. v. Chr.) dort allerlei Spuren hinterlassen hat vmd

dessen Name in dem buddhistischen Päliwerk Milinda-[d. i. Menandros-]

panha fortlebt; s. Fb. -Altheim in Historia Mundi Bd. V, Bern 1956, S. 228 f.

(Hinweis Prof. H. Hommel) und vgl. H. v. Glasenapp, Die Philos. der Inder,

Stuttgart 1949, S. 3, 326 f.

1 India p. 192,13—193,4 = Phain. v. 96—134; vgl. Alberuni's India,

Engl. Edition II, 1888, S. 349f. — Eine deutsche Wiedergabe dieses Stückes

bietet A. Köbte, Die hellenistische Dichtung (Kröners TA Bd. 47), Leipzig

1925, S. 209—11; die Einleitimg ebenda S. 207 f. („Lasset mit Zeus uns be¬

ginnen, den lassen wir niemals, ihr Männer, / imgefeiert. . ."; arabisch bei

Birüni p. 47,17: Wa-innahu lladl nahnu, ma'äara n-näsi, lä nada'uhü wa-lä

nastagnl 'anh. ..).

" Nm bis hierher geht in Wirklichkeit das Zitat aus Aratos Phain. v. 2/3;

das folgende ist bereits ein Teil des stoischen Scholiens, s. unten den griechi¬

schen Text.

(14)

272 JÖKG Kraemer

leituiigs- oder Nachahmungsschrifteii zum Aratos' zu suchen haben.

Unter deren griechisch erhaltenen Resten hat man sie aber bisher auf

orientahstischer Seite nicht gefunden*. Dabei hat man jedoch ein Frag¬

ment des Aratoskommentators und -biographen Achilleus (drittes

Jahrhundert n. Chr.) übersehen, das unter dem Titel Ilepl e^-/jY^(jeco?

('Ap(ZTOu) seit der editio princeps des Petrus Victorius von 1567 wieder¬

holt abgedruckt worden ist*. Die entsprechende Stelle dort lautet : 'Aia'

(d. h. den im Anfang der Phainomena erwälmten Zeus) Ss ol [aev tov

oupavov, ot Se tov at'ö-ep«, ot Sc tov -i^Xiov, ot Se tov [/.uO-ixov e^eSe^avTO.

ol [A^v o5v TOV oüpavov XeyovTe? TiapaTl&evTat tov toi7]T7]v XeyovTa*

'w? 8' oTe Tapcpcial vKpiSec, Aio? exTioTOWVTai' (sie) toutecttiv

oupavoij ....

Ai6 xal TÖV "ApaTov ETrdyeiv '[xeaxal Sc Aiö? nxaoLi (xev ayuiai, Ttatrai S' dcv^pwTtwv dcyopal'" TrdvT-/) ydp At6<; xexpvi|J-£^a" an&^nzq yap ^öv äepa avaTTveofiev.

Hier finden wir also das meiste von dem wieder, was Birüni anführt,

einschließlich des Homerzitates und der (von Birüni als arateisch mi߬

verstandenen) stoischen Lehre des Scholions von dem allbeseelenden

Hauch der ,, eingeatmeten" Gottnatur, wie sie uns ähnlich auch in dem

bekannten Wort des Apostels Paulus ,,In ihm leben, weben und sind wir"

' Vgl. Kn.aack, Art. Aratos in Real-Encyclop. der class. Altertumswiss.

(R E) Bd. II, 1896, Sp. 395ff., und die Handbücher. Am berühmtesten ge¬

worden ist die Gegenschrift des großen Astronomen Hipparchos (2. Jahrb.

v. Chr.; ed. C. Manitius, Leipzig 1894) und die freie lateinische Bearbeitimg

des Germanensiegers Claudius Caesar Germanicus (gest. 19 n. Ciir. ; ed.

A. Breysig, Berlin 1867), deren sogenarmte Scholien uns noch beschäftigen

werden, s. S. 273, Anm. 5. — Die griechischen Verzeichnisse von 27 bzw. 37

angeblichen Aratoskommontatoren in einer vatikanischen Handschrift, die

auch den Namen des Krates (s. hier S. 274*) enthalten, stammen in Wirk¬

lichkeit aus einem Katalog griechischer Astronomen und Kosmographen,

der mit Aratos nichts zu tun hat; s. E. Maass, Hermes Bd. 16, 1881, S. 385

bis 392 und ausführlicher in Aratea, Berlin 1892, Cap. III.

- S. E. Sachau, India, Enghsh Edition II, p. 292 und 350f. Allerdings

kenne ioh die Ergebnisse der Untersuchung Kraökovskijs von 1945 nicht,

8. S. 279, Anm. 1. — Von der Beziehung zu al-Blrüni abgesehen ist die Quelle

des Scholions in der klassischen Philologie natürlich längst bekannt, vgl.

das Folgende.

3 Hipparchi Bithyni in Arati et Eudoxi Phaenomena Libri III. Eiusdem

Liber Asterisnwrum. Achillis Statii [sie] in Arati Phaenomena usw., Florentiae

1567, p. 110. Wieder abgedruckt in D. Petavii Uranologium, Paris 1630,

p. 273f., bei Migne, Patrologia Ser. Gr. Bd. XIX, 1857, col. 1161 und bei

E. Maass, Commentariorum in Aratum Reliquiae, Berlin 1898, p. 82,8—12;

83,8—10. — Die Verwechslung des Verfassers mit dem Romanschriftsteller Achilleus Tatios (4. Jahrhundert n. Chr.) geht schon auf das Suda-Lexikon („Suidas" ; dazu F. Dölger, SBBA 1936/6) zurück, s. Scharfer in RE Bd. I, 1894, Sp. 247.

(15)

begegnet'. Im Griechischen fehlen aber genaue wörtliche Entsprechungen

zu Anfang und Schluß des arabischen Textes; ebenso fehlt dort das

Zitat aus dem 'Dichter' Krates, und schließlich weist das Achilleusfrag¬

ment auch keine Parallele zu der zweiten Kommentarstelle bei Birüni

(p. 193,4 ff.) auf. All diese Stücke finden sich jedoch in sonstigen teils

griechischen, teils (mittel-)lateinischen Aratosscholien, auf deren ver¬

wickelte Überlieferungsgeschichte hier nicht eingegangen werden kann,

deren Herkunft aus dem vollständigen, uns nur lückenhaft erhaltenen

Achilleus-Kommentar aber jedenfalls sehr wahrscheinlich ist*. Die

(griechische) Entsprechung zur zweiten Birünistelle* braucht uns hier

nicht zu beschäftigen. Für die erste Stelle mit unserem Homerzitat hat

schon C. Robert auf eine deutliche Parallele in den sogenannten Scholia

Sangermanensia hingewiesen, aber ohne den weiteren Zusammenhang

klarzumachen*. Diese ,, Scholien", in Wirklichkeit eine selbständige

recensio interpolata zum barbarischen Text des Aratus Latinus aus bereits

fränkischer Zeit (achtes Jahrhundert)*, enthalten nun zum Prooemium

in lovem auch die uns noch fehlenden dem Birünitext entsprechenden

Stücke. Lediglich diese seien daher noch angeführt :*

et quaeritur, cuius levis meminerit, utrumne fabulosi an naturalis, et

^ Apostelgesch. 17,28, wo Paulus bekanntlich auch das arateische toü yap

xal yevo; e(T[j.^v (Phain. v. ö; cf. Kleanthes Hymnus in lovem v. 4) anführt.

In der arabischen Übersetzung bei Birünl p. 47,18 ist leider gerade dieser

berühmte Versteil ausgefahen.

2 Die meines Wissens neueste klassisch-philologische Arbeit, die diese

Frage behandelt (und auf die ich erst nach Abschluß meiner eigenen Unter¬

suchung aufmerksam geworden bin), H. J. Mettes Sphairopoiia (München

1936, vgl. S. 274*), drückt sich zwar etwas vorsichtiger, aber doch im

Prinzip ähnlich aus (S. 18):,, Auf eine Vorstufe der griechischen Quelle der. . .

latemischen Übertragungen wird . . die Vorlage zurückgehen, die Achüleus

Tatios [sie] für seinen Konunentar zu Arats Phainomena, [Maass] p. 82,6ff.

verwertet hat".

3 Bei Maass, Comm. in Aratum Rel. p. 201; cf. Breysig p. 65 und 125.

* Bei Sachau, India, English Ed. II 292 f. Für die Beurteilung der Über¬

lieferungsgeschichte ist jedoch nicht ohne Belang, daß der Text fast wörtlich auch in den sog. Scholia Basileensia — das sind übersetzte, den Phainomena

als eine Art Kommentar beigegebene Auszüge aus den Katasterismen (des

Eratosthenes, 3. Jahrh. v. Chr.) — wiederkehrt, s. Anm. 6.

' S. Maass, Comm. in Ar. Rel. p. XXXVI—XLIV; A. von Fragstein,

Isidor von Sevilla und die sog. Oermanicusscholien, Diss. Breslau 1931, S. 3ff.

(,,Die Sangerm. haben nie etwas mit dem Gedicht des Germanicus zu tun

gehabt", S. 6) und besonders dessen teilweise Richtigstellimg durch P. Wess-

ner. Gnomon 10, 1934, S. 151—54.

° Germanici Caesaris Aratea cum scholiis ed. A. Breysig, Berlin 1867,

p. 109, 18 —111,6 (Sangerm.) und 55,9—57,12 (Basü.) = Comm. in Ar. Rel.

ed. E. Maass p. 177,17—179,7; vgl. die wichtige Gegenüberstellung mit den

Achilleusauszügen bei Maass, Aratea, Berlin 1892, p. 23—27.

19 ZDMG 106/2

(16)

274 JÖRG Kraemer

philosophorum quidem plurimi naturalis aiunt eum levis meminisse,

Crates autem lovem dictum caelum, invocatum vero merito aerem et

aetherem', quod in his sunt sidera. Darauf folgt, eingeleitet durch et

Homerum lovem dixisse in dliqua parte caelum, das Homerzitat, aber mit

vscpeXai , .Wölken" statt vi9dSe(; ,, Schneeflocken", rait denen Birünis qita'u t-talgi übereinstimmt. Nach dem auch hier physikalisch-,,pneu¬

matisch" ausgedeuteten 'plenas love vias' etc. (Aratos v. 2/3) heißt es

weiter : ... propter quod et Stoici lovem esse adfirmant, qui per materiam

manat spiritus, et similis nostra anima. ... esse enim talem causam

lovem usw.

Die Übereinstimmungen, vor allem in bezug auf den ,, mythisch¬

sagenhaften", den ,, natürlichen" und den als Geist in der Materie vnr-

kenden Zeus sowie in bezug auf das Krateszitat, brauchen kaum hervor¬

gehoben zu werden. Zu dem letzteren, in dem das Himmelsgewölbe als

Zeus bezeichnet wird, ist nur zu sagen, daß als Verfasser sicher nicht der

Dichter der altattischen Komödie gemeint ist, mit dem Birüni oder

seine Quelle ihn zu verwechseln scheint*. Es kann sich vielmehr nur um

den pergamenischen Stoiker Krates von Mallos (zweites Jahrhundert

V. Chr.) handeln, der als allegorischer Homererklärer bekannt ist. Wohl

auf einen Kommentar des Krates zum Homer (und nicht zum Aratos*)

geht letztlich auch der homerische ,, Beleg" Ilias XIX 357 für die Gleich¬

setzung von Gott und Himmel zurück, mit dem wir uns hier so aus¬

führlich zu befassen hatten. Für die weitreichende Nachwirkung dieses

stoischen Gredankens vom ,, kosmischen Zeus" bietet also nun auch die

Stelle bei al-Blrüni ein beachtenswertes Zeugnis. Im Grunde freilich ist

sie nichts anderes als die späte, aus dem elften Jahrhundert stammende

arabische Fassung eines wohlbekannten Fragmentum Cratetis Mallotae*,

Daß die Worte 'aerem et aetherem' von K. Reinhardt als spätere Inter¬

polation wieder ausgeschieden wurden (bei Mette, Sphairopoiia S. 15,

Anm. 1 und 116,1), ist für ims ohne Belang, weU sie auch von Birüni p. 48,3

(s. oben S. 271), dort allerdings als „arateisch", übemommen worden sind.

^ Die Verwechslung dürfte durch ein tatsächlich von dem Komiker

Krates stammendes Zitat ( = Frgm. 52 Kock) begünstigt worden sein, das

Birüni zwar nieht mit übersetzt hat, das aber wohl auch in seiner QueUe un¬

mittelbar vorausging, s. Breysig, Oerm. Aratea p. 55,6; 109,16; Maass, Comm.

in Ar. rel. p. 177,11 etc.

* So nach dem überzeugenden Nachweis von Maass, Aratea Cap. IV De

Gratete Mallota, p. 167—207.

* S. jetzt H. J. Mette, Sphairopoiia. Untersuchungen zur Kosmologie des

Krates von Pergamon, München 1936, Fgm. 2a bis c (S. 114—123), wo die

Ergebnisse der früheren Sammler (C. Wachsmuth, De Gratete Mall., 1860,

Frgm. V; I. Helck, De Cratetis Mall. Studiis . . . ad Jliadem etc.. Diss. Leipzig

1905, Frgm. IX und anderer) verarbeitet und ergänzt sind. Das Zitat aus

Birüni ist nun hinter Frgm. 2c Mette einzureihen; über die mannigfaltigen

(17)

das uns sonst nur durch die lateinischen und griechischen Auszüge aus der Schrift des Achilleus erhalten ist.

Damit sind wir wieder bei dem Aratoskommentator Achilleus ange¬

langt. Nach allem Gesagten darf es wohl als erwiesen gelten, daß wir in

ihm oder auch in einem von ihm abhängigen späteren Scholiasten den

mufassir Kitäb az-Zähirät zu erblicken haben, auf den al-Birüni sich

beruft und dem er auch das Homerzitat entnommen hat'. Dabei muß

ihm das Werk des Achilleus in einer weniger lückenhaften Form vor¬

gelegen haben als wir es heute besitzen. Die Übereinstimmung mit der

recensio interpolata der Scholia Sangermanensia, auf die man bisher

aUein hingewiesen hat*, ist dabei sicher kein Zeichen für direkte Ab¬

hängigkeit. Eine solche wird, abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit

eines Wanderweges von dem vermutlichen Entstehungsort dieser

Scholien, dem fränkischen Saint Germain des achten zu dem afghanischen

Ghaznawidenhofe des elften Jahrhunderts, schon durch die auffällige

Variante ve<p£Xai — vt9aSei; (= qita'u t-talgi) in dem Homerzitat aus¬

geschlossen. Vielmehr werden beide, der abendländisch-lateinische wie

der (spätgriechisch-)orientalisch-arabische Scholiast, auf den einstmals

vollständigen Kommentar des Achüleus zu den Phainomena des Aratos

zurückgehen. — Damit aber erhalten wir, nun von al-Birüni aus gesehen,

ein weiteres Quellenzeugnis für die aUseitige Büdung und Aufgeschlossen¬

heit des großen muslimischen Gelehrten. Und schließlich liefert ims hier

sein Meisterwerk auch eine eindringliche Bestätigung für die aus dem

abendländischen Mittelalter wohlbekannte Tatsache der anhaltenden

Beliebtheit des Aratos, der ,,auch in Jahrhunderten, die selbst Homer

fast vergessen hatten, gelesen worden ist*".

sonstigen Nachwirkimgen und Brechungen des altstoisoh-krateteischen Ge¬

dankens vom caelum, quod appellant lovem usw. s. die wertvollen Unter¬

suchungen und Belege bei Mette S. 14—30 und 123—138 (Frgm. 2d— z;

a — TT), dazu Ennius bei Dibls-Kbanz, Vorsokr. I*, S. 207, Epich. nr. 53.

* Es ist sicher kein ZufaU, daß AchiUeus an anderer Stelle eben den Krates als Gewährsmann dafür anführt, oti d(iTpov6[io; °0[i.T)po;, s. p. 82,32 Victo-

Birrs = p. 124 Pbtavius = col. 937B Mignb = p. 30,14 Maass usw., jetzt

bei Mette S. 189,16, cf. S. 43. Bei Birüni scheint diese wichtige Bemerkung

leider nicht erhalten zu sein. " Vgl. S. 273, Anm. 4.

' Köbte, Die hellenist. Dichtung S. 212. Vgl. U. von Wilamowitz-Möllbn-

dobff. Die Locke der Berenike in Reden und Vorträge Bd. I, Berlin 1925,

S. 202: „Aratos ist jetzt vergessen; aber zwei Jahrtausende haben ihm nicht

nur Erbauung und Genuß, sondem auch ihre Kenntnis der Himmelskunde

mittelbar oder unmittelbar zu danken gehabt". — Zur Beschäftigung abend¬

ländisch-mittelalterlicher Gelehrter (z. B. Alkuins, des Hrabanus Mamus

oder des Remigius von Auxerre [8./9. Jahrhundert] und anderer) mit Aratos

und den Aratea s. die Indices bei M. Manitius, Geschichte der latein. Literatur des Mittelalters Bd. I—III, 1911—1931, s. v. Aratus.

19*

(18)

276 JÖBG Kbaemeb

Wesentlich größere Schwierigkeiten als dieses, in seinem Kern schon

früher erkannte Aratos-Scholien bereitet al-Birünis zweites Homerzitat,

weil es offenbar unecht ist. Homer wird da (India p. 21, 6f.) mit der

Lehre von der Harmonie der Sphären in Verbindung gebracht, weil er

gesagt habe: Inna dawäti l-luhüni s-sab'ati yantuqna tva-yatagäivabna

bi-sautin hasanin „die mit den sieben Melodien versehenen [Planeten]

reden und geben einander Antwort mit schönem Ton". Daß das nicht

homerischen, sondern irgendwie neupythagoreischen Ursprungs ist,

leuchtet ohne weiteres ein. Aber weder für diesen noch für den unmittel¬

bar folgenden, einem anderen Dichter zugeschriebenen Vers, der (p. 21,8)

die ,, melodienreichen, in ewiger Bewegung den Schöpfer preisenden

sieben Sphären" besingt, hat sich ein griechisches oder überhaupt

antikes Original bisher nachweisen lassen'. Im Anschluß daran zitiert

Birüni nun den Porphyrios, der sich ,,in seinem Buche über die An¬

sichten der vorzüglichsten der Philosophen" (fi kitäbihi fi Ärä' afädil

al-faläsifa) unter Berufung auf Pythagoras und Diogenes ähnlich über

die Natur der Sphären geäußert habe. Dieses letzte Stück zeigt deutliche,

wenn auch nicht wörtliche Anklänge an die auch griechisch erhaltene

Vita Pythagorae c. 30 f. Letztere stammt aus der im übrigen größtenteUs

verlorenen ^Cköaocfioc, luiropia des Porphyrios (gest. 304 n. Chr.)*, deren

bei arabischen Schriftstellern überlieferte Bruchstücke mit Recht immer

wieder die Gemüter bewegen*. Nun aber anzunehmen, daß auch der bei

1 ,,The quotation from Homer is not found in the Greek text, nor do I

know the Greek original of the second verse. Were they taken from some

Neo-Pythagorean book?" (S.'VCHau, Engl. Editionll 274, Annot. zu p. 42).

2 Weitere (und deutlichere) Anklänge bei Sahrastäni, Milal ed. Cubeton,

London 1846, p. 265,14ff. (cf. 278,3ff.) haben jüngst F. Aitheim und B.

Stiehl nachgewiesen: Porphyrios und Empedokles, Tübingen 1954, S. 15f.

und öfter; vgl. dazu die folgende Anmerkung. — Die (DtXöcrocpo; lo-ropta

heißt auf arabisch sonst entweder nur kurz Kitäb Ahbär al-faläsifa (so Fihrist 253,18 Fl. = Kairo 1348, p. 355,1 und Ibn al-QiftI 257,7 Lipp. = Kairo 1326,

p. 170,5) oder aber ausführhcher K. fl Ahbär al-faläsifa wa-qisasihim wa-

ärä'ihim, so Ibn abi Usaibi'a I 38,9 und 42,20; dazu ist nun das Zitat bei

Birüni zu stellen. Zu den übrigen Erwähnungen der Philosophengeschichte

des Porphyrios in der arabischen Literatur s. A. Baümstabk, Aristoteles bei

den Syrern, Leipzig 1900, S. 1 imd 5.

^ Einer ernsthaften Beschäftigung mit diesen ebenso wichtigen wie

schwierig zu deutenden Fragmenten hat lange Zeit das Urteil A. Müllers

im Wege gestanden, wonach „die Übersetzung . . . von einem ganz unwissen¬

den Menschen herrührt und ohne die griechische Vorlage fast nirgends ver¬

standen werden kann" (Über Ibn Abi Ofeibi'a usw., VI. Congres Intern, des Orient, ä Leide 1884, vol. II p. 270/14). Ähnlich negativ äußerte sich A. Nauck,

Porphyrii Opuscula selecta ^1886, Praef. p. VI: ,,Ceterum pauca Arabes Uli

suppeditant ac ne ista quidem errorum immunia". Daß aber mit kritischer

Sorgfalt doch allerlei porphyrisches Gut aus den arabischen Texten zurück¬

zugewinnen ist, hat vor allem F. Rosenthal in seiner hervorragenden, me-

(19)

Birüni vorausgehende „Homer"vers ledighch aus Porphyrs Bemerkungen

über Ta TWV etttoc aoT^pwv 90'£Y|xaTa'oder einem ähnlichen Zitat heraus¬

gesponnen sei, haben wir umso weniger Grund, als sich in den sonst

bekannten arabischen Fragmenten der Pythagorasvita bei Mubassir ibn

Fätik*, Sahrastäni*, Ibn abi Usaibi'a* oder Sahrazüri* keine Spur davon

findet. Da die genannten Sammlungen, einschließlich der des Hunain

ibn Ishäq*, auch unter den üblichen Weisheitssprüchen [hikam wa-ädäb)

sowohl des Pythagoras wie des Homer nichts Vergleichbares anführen,

kann ich dieses Wort von der Harmonie der Sphären anderweitig aus

der arabischen Literatur nicht belegen.

Unter der Fülle von Nachrichten, welche die antiken Doxographen

über die (neu)pjH;hagoreische Lehre von der Sphärenharmonie beibringen,

ist zwar manche mehr oder minder große Ähnlichkeit festzustellen', aber

nichts, was die Frage der genauen Herkunft unseres Birüni-Zitates

weiter klären könnte. Herr Professor Hildebrecht Hommel, Tübingen,

den ich um Rat fragte, verwies mich auf die Dissertation von Günther

Wille über Die Bedeutung der Musik im Leben der Börner^. Diese

gewichtige Arbeit, die neben vielem anderen auch für den Gedanken der

Sphärenmusik zahllose Belegstellen von Marcus Terentius Varro und

Cicero bis zu Cassiodor und Isidor von Sevilla (6./7. Jahrhundert)

zusammenträgt, bringt nun in der Tat mehrere Stellen aus der latei¬

nischen Literatur, die zumindest den Umkreis der Quelle zu bezeichnen

thodisch für ähnhche Untersuchmigen richtungweisenden Abhandlung Ara¬

bische Nachrichten über Zenon den Eleaten gezeigt (Orientalia 6, 1937, S. 21

bis 67; s. bes. S. 39, aber auch 56). Die geistvolle Weiterbehandlung der

Frage durch Altheim-Stiehl (s. Anm. 2) konnte noch nicht zugesicherten

Ergebnissen führen ; unter anderem deshalb, weil Sahrastäni nur lückenhafte

und überdies unzuverlässige Exzerpte aus dem viel bedeutsameren Werk des

Abü Sulaimän al-Mantiqi (10. Jahrhundert) bietet, vgl. Teil II dieser Arbeit S. 306, Anm. 4.

' Vita Pythagorae c. 31 (bei Nauck, Porphyrii Opusc. sel.^ p. 33,20).

2 Muhtär al-hikam, Berhn MsOr. Qu. 785, Bl. 38b—43a = Fol. 3100 (neu)

p. 44—51 = Ihn abi Usaibi'a I 38, 18—41,4 (übersetzt von Rosenthal,

Orientalia 6, 1937, S. 43—56). ^ S. 276 Anm. 2.

* I 38,9ff. und 42,20ff. (das letztere ohne Entsprechung im griechischen

Text, s. Rosenthal S. 56'); vgl. auch Anm. 2.

^ Nuzhat al-arwäh, Berlin Ms Or. Oct. 217 (Ahlwardt nr. 10 055), Bl.

32a—37a (bes. 33a 10) = Landberg 480 (Ahlw. nr. 10056), Bl. 13a—15a.

« Ädäb al-faläsifa, Escurial Ms 760, Bl. 46a—48a = München Ms 651,

Bl. 129b; cf. A. Loewenthal, Sinnsprüche der Philosophen etc., Berlin 1896,

S. 126—28. (Es handelt sich hier nur um eine Wiedergabe der xpuaä ^tty],

s. S. 263, Anm. 1). — Näheres zu all diesen Spruchsammlimgen und ihrem

doxographischen Gehalt s. Teil II, S. 287ff.

' S. Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker I' (1934), S. 458ff. und

vgl. Zeller, Die Philosophie der Griechen I' (1919), S. 537ff.

* Philos. Diss. Tübingen 1951 (reg. 1954), maschinenschr., 786 Seiten.

(20)

278 JÖBG Kbaemeb

scheinen, aus der Birüni sein Zitat geschöpft haben könnte. Dichterische

Belege wie solche aus dem Tragiker Varius (Zeit des Augustus) oder dem

Epiker Varro Atacinus (erstes Jh. v. Chr.) zeigen zwar mit vocum

moduli, ad quos mundi resonat canor^ und Septem aeternis sonitum dare

voeibus orbes^ nicht viel mehr als allgemeine Anklänge. In der chrono¬

logisch-astrologisch-mathematischen und auch musiktheoretischen Ab¬

handlung De die natali aber, die der römische Grammatiker Censorinus

im Jahre 238 n. Chr. als Geburtstagsgeschenk für einen Gönner ver¬

fertigt hat, findet sich eine deutlichere Parallele. Der Verfasser beruft

sich dort in cap. 13,1 auf Pythagoras, nach dessen Lehre Septem Stellas

inter caelum et terram vagas ... sonitus varios reddere pro sua quoque

altitudine ita Concordes, ut dulcissimam quidem concinant melodian^.

Hier dürfte wenigstens der Bereich angedeutet sein, zu dem das Zitat

bei Birüni gehört. Ganz ausgeschlossen erscheint es bei den weitreichenden

chronologischen Interessen des universalen Hwärizmiers nicht, daß sich

unter den zahlreichen antiken Quellen seines Indienbuches* auch ein

Auszug aus dem Schriftchen des Censorinus oder eine von diesem bzw.

dessen Quellen abhängige spätere Kompilation befunden hat. Sollte es

gelingen, das auch für andere, besser gesicherte SteUen, z. B. aus den

Ätär al-bäqiya^, nachzuweisen, dann wäre wahrscheinlich gemacht, daß

sich unter Birünis Quellen neben den bekannten Übersetzungen aus dem

Griechischen auch solche aus dem Lateinischen befunden haben. FreUich

bliebe dann immer noch zu erklären, wieso das Wort von der Sphären¬

harmonie hier ausgerechnet zu einem „homerischen" geworden ist. Eine

solche Unterschiebung wäre eher denkbar, wenn das Zitat bereits in

irgendeinem spätantiken Florilegium (vielleicht aus verlorenen Schriften

des Polyhistors Terentius Varro?*), gestanden hätte, wie es seinerseits

auch Censorinus benutzt haben mag. Doch das sind alles nur Vermu¬

tungen, die sich vorläufig nicht beweisen lassen. Wir müssen also von

' Varius Fr. 5—6 bei Marius Victorinus in Grammatici Latini reo. H. Keil VI 1874, p. 60,17f. (Wille, S. 448, Anm. 3).

^ Varro Atac. Frg. 14 in Fragmenta Poet. Lat. epic, et lyr. ed. W. Morel, Leipzig 1927, p. 97 (WiUe, S. 448, Anm. 4).

' Censorini de die natali Uber rec. F. Hultsch, Leipzig 1867, p. 22f. (bei Wille S. 609, Anm. 1).

* S. die Liste bei Sachau, English Edition I 1888, Pref. S. Xllf.

^ Chronologie orientalischer Völker von Atberuni ed. E. Sachau, Leipzig

1878. Irgendwelclie Hinweise auf Censorinus habe ich dort freilich bisher

nieht finden können.

' 116—27 V. Chr. Censorin zitiert ihn häufig, miter anderem cap. 9,1 als

Quelle für die opinio Pythagorica (hier aber de origine humana). Die im

Mittelalter unter Varros Namen umlaufenden (ihm aber nicht angehörenden)

Sentenzen zeigen keinerlei Anklänge, s. P. Gebmann, Die sog. Sententiae

Varronis, Stud. z. Gesch. und Kultur des Altertums III 6, 1910, S. 30—43.

(21)

diesem ersten zwar apokryphen, aber immerhin noch echt antiken ,, Dictum Homeri", das uns begegnet ist, scheiden in dem Bewußtsein,

daß ein Rest von Unsicherheit in solchen Fällen kaum zu vermeiden ist'.

c) Im Anschluß an dieses pseudohomerische Zitat vom Sphärengesang

der sieben Planeten ist endlich drittens noch zu erinnern an die Vorliebe

schon des Altertums, Verse aus Homer, ganz ohne Rücksicht auf deren

ursprünglichen Inhalt, zu spielerisch-allegorischer Zahlensymbolik zu

verwenden*. Auf zwei vermutliche arabische Parallelen zu dieser Praxis

im Corpus der öäbirschriften hat Paul Kraus aufmerksam gemacht*.

Dort wird Homer einmal bemüht, um darzutun, daß die Zahl 144 — das

ist die Anzahl der Gäbir'schen Kutub al-Mawäztn —sich aus den Grund¬

zahlen drei und vier als den Urelementen des Wissens zusammensetze*.

Das andere Mal soll der Name des Hermes Trismegistos al-Mutallat

bi-l-hikma als Bezeichnung für das dreigeteilte Gehirn (!) dadurch erwiesen

werden, daß Homer für eben dieses den Ausdruck al-mutahammis(a)

at-täliya (?) li-l-'ulwi gebraucht habe: ,,die fünfgeteilten [Sinne], die

dem 'oberen' [d. i. der Vernunft als dem 7]Ye[jLovi,x6v] folgen"*. Die

Wm-zeln dieser seltsamen Homerica gäbiriana könnte man nach Kraus'

geistreichen, mit allen nötigen Vorbehalten gegebenen Erklärungen

vielleicht 1. in Odysse 5,306 Tpl<; (xdcxapec; ( Aavaol) xal TSTpaxi? (danach

Vergil Aeneis I 94 terque quaterque beati) suchen, imd 2. in Ilias XII 87

TOVTax* xofffAi^Q-evTE? a(x' 7)Ye[J.6vs(7(nv STtovTO, wo es von den Troern

gesagt wird, die in fünf Heerscharen geordnet dem Hektor in die Schlacht

folgen. Wenn diese Vermutung zutrifft — und es spricht manches dafür —,

dann darf diese seltsame Art von Wiederbelebung homerischen Versgutes

in der mittelalterlichen arabischen Geheimwissenschaft als ein besonders

bemerkenswerter Beitrag zu unserem Thema gewertet werden.

Wie aber steht es nun mit dem Weiterleben der vorher erwähnten,

durch regelrechte Übersetzung sozusagen legitim in das arabische Schrift¬

tum gelangten Homerverse? Die Antwort darauf wird kaum über-

1 Leider habe ich nicht feststellen können, zu welchen Ergebnissen I.

Kbaökovskij in seiner Abhandlung über Homer und al-Blrünl (Mem. S. A.

Chebeleff, Izw. Akad. Nauk, Otdel. Lit. i Jazyka 1945, VI/5, S. 200—05)

gekommen ist, weü der betreffende Band mir nicht erreichbar war.

2 Hierzu wie zum Vorhergehenden (bei Krates usw.) vgl. durchweg

Fb. Wbhbli, Zur Oeschichte der allegorischen Deutung Homers im Altertum,

Diss. Basel 1928. » jäUr ibnHayyänIl, Le Caire 1942, S. 117f., Anm. 10.

* Fa-qad dakara dälika ümirus oS-SäHr anna l-arba'lyäti dawäti t-tcUätati l-wu^ühi min ummahäti l-'ilmi iih. : Jäbir ibn Hayyän, Essai sur l'histoire etc.

Vol.l, Textes choisia ed. P. Kbaus, Paris-Le Caue 1935, p. 315,8f.; cf.

Jäbir ibn H. II 118 Anm.

5 Textes choisis 374,9—11; cf. Jäbir ibnH. II 117 f., Anm. 10.

(22)

280 Jörg Kraemer

raschen: Sie sind, soweit ich habe feststellen können, früher oder später

spurlos untergegangen. Allerdings mit einer bezeichnenden Ausnahme.

Das ist der viel gebrauchte, manchmal auch mißbrauchte, Vers Ilias

II 204 vom Unheü der Vielherrschaft — ,, Einer sei Herrscher" —,

dessen syrische Fassimg wir oben (S. 261) bereits kennengelernt haben.

Wir finden ihn, ausdrücklich als von Homer (Ümirus) stammend, aber

nur in der unvollständigen Form lä haira fi katrat ar-ru^asä' zitiert, in

einer Reihe von arabischen Spruch- und Weisheitssammlungen, wie sie

uns in Abschnitt II noch eingehend beschäftigen werden. Als vortreffliche

Kurzformel (kalima wagiza tahtahä ma'änin Sarifa) lobt den Ausspruch

vor allem Sahrastäni (gest. 1153), mit dem für einen Muslim naheliegen¬

den Hinweis, daß Homer damit auf das monotheistische Glaubens¬

bekenntnis (tauhid) angespielt habe'. Die Voraussetzungen zu einer

solchen Umdeutung hatte freilich schon Aristoteles geschafien, als er

zur Krönung seines Gedankens, daß T^pö;; [itM youp ev aTravT« ouvT^TaxTai

(Met. 1075 a 18) und daß eine Vielzahl von Ursprüngen (= 'Herr¬

schaften', äp^ai) abzulehnen sei, am Ende von Metaphysik A eben

dieses Homerwort anführte. Dort aber war es, weil den griechischen

Lesern allbekannt, anonym geblieben. In derselben Anonymität, seinem

Inhalt nach aber unverkennbar, finden wir es dann in so ziemlich jeder

arabischen Bearbeitung der Metaphysik wieder. Die beiden hervor¬

ragendsten Stellen mögen als Beispiel genügen. Zunächst ist da Avi¬

cenna (gest. 1037) zu nennen, der im neunten Buch seiner Metaphysik

bei der Diskussion der Lehre vom JfMÄamfcai-aMwai (= TOTcpÜTov xivoGv)

ausdrücklich erklärt, daß der Beweger des Himmelsganzen im Gegensatz

zu den bewegenden Kräften der Einzelsphären nur als Einer zu denken

sei; ,, unmöglich kann er eine Vielzahl darstellen"*. Noch deutlicher tritt

die Beziehung zu dem Homervers zutage in einer entsprechenden Stelle

der Epitome der Metaphysik von Averroes (gest. 1198), wo das Welt¬

ganze ausdrücklich zu einem monarchisch regierten Staate der äpiaTOi

(al-ahyär) in Parallele gesetzt wird: ,,Gibt es (in ihm) auch viele einzelne ' Milal ed. Cureton 299,14ff.

^ Muharrik gumlat as-samä' wähid, lä yagüzu an yaküna 'adadan katlran:

Aä-Sifä' XIII, Berlin Ms Minutoli 229 (Ahlw. 5045), Bl. 145b (danach

M.Horten, Die Metaphysik Avicennas, Leipzig 1909, S. 576f.); derselbe

Wortlaut auch in an-Nagät, Kairo 1357/1938, III p. 266. — Avicenna beruft

sich da allerdings auf Ergänzungen der Lehre des Aristoteles dmch dessen

„Schüler" (Alexander von Aphrodisias) in der Schrift Fl Mabädi' al-kull.

Zum Titel dieses Buches („De rerum creaturarum principiis") s. Ms Escurial 798 (Casiri Nr. 794), nr. 12 = Steinschneider, Arab. Übers, aus dem Griech., Centralbl. Beih. 12, 1893, S. 95f., und Fihrist 253,7 Fl. = K. 1348, p. 354,12 (K. Mabädi' cU-kull 'alä ra'y Ariställs) ; der Text jetzt bei 'A. Badawi, Aristü

'inda l-'Arab, Kairo 1947, p. 253—277 (eine dem Zitat bei Avicenna ent¬

sprechende Stelle dort p. 267,1).

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