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gestiftet wurde — falls wir finden, dass die Gesellschaft jenen Absichten und Zwecken überhaupt noch ganz oder theilweis entsprechend ist oder entsprechend sein könnte

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Rede

gehalten am 2. October 1896

von Fr. Fraetorins.

Meine geehrten Herren!

Indem ich Sie namens des geschäftsführenden Vorstandes be-

grässe, darf ich meiner und unserer Freude Ausdruck geben, dass

Sie zu dem heutigen Gedenktage so zahlreich erschienen, obwohl

wir Ihnen heut an Festlichkeiten, Genüssen, Feierlichkeiten kaum

mehr bieten, als an irgend einer anderen, der in unserem engeren

Kreise stattgehabten Versammlungen. Aber vielleicht dürfen wir

hoffen, dass grade deswegen mancher von Ihnen erschienen ist.

Vielleicht sind manche von Ihnen mit uns der Meinung, dass eine

würdige Feier des SOjährigen Stiftungstages einer Gesellschaft wie

die unsrige, die nicht zum Zwecke der Geselligkeit, der Erholung,

des Vergnügens, sondern zum Zwecke der Förderung geistiger

Arbeit gegründet, völlig unabhängig ist von geräuschvollen und

anspruchsvollen Festlichkeiten und wohl auch ohne dieselben statt¬

haben kann; vielleicht würden auch Sie fürchten, dass durch lauten

Festlärm unwillkürlich leicht der Gedanke in uns entstehen und

mächtig werden könnte, als seien wir selbst schlechthin es, die zu

feiern, denen darzubieten und darzubringen ist, während in Wirk¬

lichkeit wir doch heut (mehr noch als sonst) die Feiernden, Dar¬

bietenden , Darbringenden sein sollen. Wir glauben , dass die

würdigste Feier des heutigen Gedenktages nur darin bestehen kann,

da.ss unser Denken und Fühlen dem Wohle und Blühen der Ge-

jiellschaft heut mehr als je offen stehen , dass wir heut mehr als

je geneigt und bestrebt sind, die Absichten zu fbrdern, den Zwecken

zu dienen, derenthalben heut vor .50 Jahren nach jahrelangen Mühen

und Vorbereitungen die D. M. G. gestiftet wurde — falls wir finden,

dass die Gesellschaft jenen Absichten und Zwecken überhaupt noch

ganz oder theilweis entsprechend ist oder entsprechend sein könnte.

Der Umstand aber, dass die Gesellschaft stets wachsend fünfzig

Jahre hindurch besteht, wird nicht nur als Zeugniss dafür an¬

gerufen werden können, dass ihre Stiftung jenen Zeiten angemessen

Bd. XLIX. 36

(2)

532 Praetorius, Rede gehalten am 2. October 1895.

war , sondern schafft von vornherein den Eindruck , dass sie auch

heut noch nicht veraltet, üherlebt ist, trotz mancher Wandlungen der einschläglichen Verhältnisse.

Nehen anderen Grriinden hat auch dieser Grund uns veranlasst,

Sie einzuladen, die Feier des SOjährigen Bestehens unserer Gesell¬

schaft hegehen zu wollen zusammen mit der alljährlich wieder¬

kehrenden allgemeinen Versammlung. Denn wenn die allgemeine

Versammlung schon fiir gewöhnlich der satzungsgemässe Ruhepunkt

ist, an dem über das Wirken der Gesellschaft im je vergangenen

Jahre Rechenschaft abgelegt werden muss , an welchem über alle

wichtigeren Angelegenheiten der Gesellschaft , sowohl hinsichtlich

ihres Wirkens , wie hinsichtlich ihrer äusseren Entwicklung , be¬

rathen und beschlossen werden muss , so will es scheinen , als ob

ein Jubiläum der Gesellschaft, das ausser Zusammenbang mit diesem

wichtigsten , souveränen Organ der Gesellschaft begangen würde,

eine Peier wäre , die den zufällig sich zusammenfindenden Fest¬

genossen zwar einiges Vergnügen und einige Zerstreuung zu bereiten

im Stande wäre, die indess ausser jedem inneren und organischen

Zusammenhang mit der Gesellschaft stehend, thatsächlich den

Charakter jeder zuföUigen , bedeutungslosen Festlichkeit an sich

tragen würde.

Wir haben, m. H., geglaubt, unbedingt genau den wirklichen

Stiftungstag einhalten zu sollen, also den 2. October, an dem im

Jahre 1845 zu Darmstadt auf der 8. Philologenversammlung von

dem zum Präsidenten der Orientalistenversammlrmg gewählten Geh.

Rath Dr. Schleiermaeher die Deutsche morgenläudische Gesellschaft

für constituirt erklärt, und zum ersten Male die zwölf Vorstands¬

mitglieder erwählt worden. Es war daher leider nicht möglich,

unsere diesjährige Versammlung der allgemeinen Philologenversamm¬

lung anzuschliessen , auf der unsere Gesellschaft , wie eben gesagt, einst entstanden, und im Anschluss an welche sie seit jenen 50 Jahren,

wenn irgend möglich , ihre Mitglieder zu versammeln , ihre An¬

gelegenheiten zu ordnen pfiegt. Wir hätten es in diesem Jahre viel¬

leicht besonders gern gethan und uns mit einem gewissen Gefühle

der Freude und Befriedigung daran erinnert, dass die Orientalisten,

welche vor 50 Jahren (was den jüngeren unter Ihnen, m. H., wie

eine Sage erscheinen wird) nicht durchaus willkommene Gäste und

nicht durchaus geschätzte Theilnehmer der Philologenversammlungen

waren, es inzwischen mehr als ausreichend verstanden haben , sich

als vollberechtigte Philologen auszuweisen. Es ist manchem von

Ihnen vielleicht auch noch von Hörensagen bekannt, m. H., dass

es vor 50 Jahren gar nicht so sicher war, ob die damals fast allein¬

herrschenden Philologen des Latein und Griechischen alles das was

man damals unter dem Namen Orientalisten zusammenfasste , als

Theilnehmer zu ihren Versammlungen würden zulassen wollen. Es

lässt sich darnber naturgemäss nichts aktenmässig Sicheres mit¬

theilen. aber die allgemeine Auffassung der Sachlage bei den Orien-

(3)

Prätorius, Rede gehaltea am 2. October 1895. 533

talisten war diese '). M. H. , ich sage das alles nicht , um heute,

wo dieser Standpunkt längst der Vergangenheit angehört, irgend

welchen Tadel auf jene Alten zu werfen (es ist darüher früher ja

manches bittere Wort gesagt worden); ich sage es eher um sie

zu entschuldigen. Denn es ist ja leicht begreiflich, dass jene,

welche seit Generationen das sichere Wort- und Sinnverständniss

ihrer Texte, die sichere empirische Kenntniss ihrer Grammatik er¬

erbt hatten, mit Bedenken auf diejenigen herabblicken mussten, die

noch nach dem Verständniss ihrer Texte rangen, nach dem Aufbau

ihrer Grammatik strebten, dass sie es nicht verstehen konnten, dass

ein vielleicht methodeloses aber divinatorisches Rathen genialer

Bahnbrecher auf manchem neu zu erschliessenden Gebiete die

richtige, vielleicht einzig mögliche und Erfolg verbeissende Methode

war, dieses Q«biet zu erschliessen. Preilich war ja auch schon vor

50 Jahren in manchen Zweigen der orientalistischen Wissenschaft

glänzende Sicherheit und vollendete Spraehkenntniss erreicht. Dess

werden wir inne, wenn wir gedenken, dass an demselben Tage, an

dem die D. M. G. constituirt wurde , Fleischer das 2. und 3. Heft

seines Baidäwi der zu gründenden Gesellschaftsbibliothek über¬

reichte.

Seitdem aber, m. H., ist manches anders geworden. Die einst

etwas ablehnende Philologie des Latein und Griechischen hat sieh längst

dem Einfiusse der vom Sanskrit ausgehenden Vergleichungen nicht

entziehen können. Nur im Vorübergehen blicke ich noch auf den

textkritischen Werth orientalischer Uebersetzungen klassischer Schrift¬

steller, um kurz auf ein Gebiet hinzuweisen, auf dem die Erfolge

der orientalistischen Philologie besonders augenfällig erscheinen.

M. H., auf den Lehrstühlen der alten Geschichte sassen bis vor

Kurzem wohl ausschliesslich Männer, die von der klass. Philologie

ausgegangen; jetzt sehen wir diese Lehrstühle aber bereits mehr¬

fach mit solchen Gelehrten besetzt, die von orientalistischen Studien ausgegangen, die noch jetzt orientalistische Studien treiben, die wir

noch jetzt zu den unsrigen zählen, d. h., dass die Geschichte des

Alterthums jetzt nicht mehr bloss besteht aus der Geschichte von

Griechenland und Rom mit einer kurzen, meist aus Herodot und

dem Alten Testament zusammengestellten Einleitung über alle

mögliehen anderen Völker des Alterthums , sondem , dass die Ge¬

sehichte von Griechenland und Rom nur noch den Ausgang der

Geschichte des Alterthums bildet, dass der Anfang vielmehr ge¬

bildet wird von der Geschichte Aegyptens , Assyriens , Babels,

Persiens, Indiens. — Und so glaube ich , m. H. , können wir uns

heute freuen, dass die vielumfassende orientalistische und vom Orient

ausgehende Wissenschaft, für deren Anerkennung noeh die älteren

unter unseren Lehrem gekämpft haben, so bald im Stande ge-

1) z. B. den Akten befindlicher Brief Hammers an Fleischer vom

20. JnU 1844.

3C*

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534 Praetorium, Rede gelialten am 2. October 1805.

wesen ist , der lilassischen Philologie den Dank abzustatten , den

sie ihr nun einmal für die erwiesene Schulung schuldet. —

So haben wir Sie denn gebeten, m. H., nach Leipzig zu kommen,

von den beiden Sitzen der Gesellschaft dem grösseren , schöneren,

begehrenswertheren, der Stätte, an der einst Pleischer gelehrt, der

Jahrzehnte hindurch zahlreiche Schüler nach Leipzig gezogen. Ich

weiss es , wenn ich mein eigenes starkes Gefühl verallgemeinern

darf, sicher, dass mancher von Ibnen gern hierhergekommen sein

wird , im Andenken an frohe und arbeitsame Jugendjahre. In

gewissem Sinne können wir Pleischer als den eigentlichen Stifter

unserer Gesellscbaft bezeiclmen. Ich will hier nicht abwägen , in

welchem Masse wir ibn als den geistigen Stifter anzusehen haben,

der die allgemeine Richtung und das Ziel angab : Weit bemerkens¬

werther und rühmenswerther scheint es mir, dass dieser grosse

Meister es nicht verschmähte , die viele mühselige , zeitraubende

Arbeit willig auf sich zu nehmen, welche der Stiftung der Gesell¬

schaft vorhergehen musste. Diese hätte leicht auch ein Minderer

für ihn leisten können. Bei unseren Akten befindet sich ein Band

aus dem der Stiftung vorhergehenden Jahre , die Correspondenzen

Pleischers mit den damals namhaften Orientalisten enthaltend, die

zunächst für den Plan gewonnen werden mussten. ünd diese selbst¬

lose, arbeitsame Treue hat er der Gesellschaft auch während ihres

Bestehens bis zu seinem Tode gehalten. Mögen wir ihn als den

eigentlichen Gründer der Gesellschaft bezeichnen oder nicht, jeden¬

falls war er die Seele der gegründeten Gesellschaft so lange er

lebte. Ich brauche das nicht zu begründen : Viele von Ihnen haben

ihn noch gekannt in seiner rastlosen Thätigkeit, und ich weiss,

dass Sie das Gesagte bestätigen werden. Ich habe mich gefragt,

wodurch dieses stets dienstbereite, ja dienstbefiissene Wesen Pleischers

sowohl gegen die Gesellschaft wie gegen jeden einzelnen seiner

Fachgenossen und Schüler bedingt war, wie es sich erklärt, dass

ihm geradezu etwas zu fehlen schien, wenn er nicht irgendwo dienen

und helfen konnte V In erster Linie natürlich durch eine an¬

geborene , gegen Jedermann entgegenkommende , unerschütterliche

Preundlichkeit und ein reges, lebhaftes, mittheilsames Naturell.

Aber das alles besitzt vielleicht auch mancher andere, der sich den¬

noch lieber auf seine eigenen Studien hinlenkt, der durch dieselben

egoistisch in seinem Entgegenkommen gegen Andere gehemmt wird,

der wenn er dennoch anderen oder der Allgemeinheit dient , dies

wohl aus Pflichtgefühl thut, aber doch in dem Gefühle ein Opfer

zu bringen, ünd da möchte ich denn glauben, dass Pleischers

einzigartige Hingebung an andere , auch an unsere Gesellschaft,

mindestens nicht gehemmt wurde durch die Art seiner Studien.

Die Grösse dieses verehrten Meisters liegt nicht im Aufbau grosser

systematischer Darstellungen , nicht in grübelnder Durchforschung

tiefer Probleme, die den Geist des Gelebrten unwillkürlich Monate,

Jahre lang völhg beherrschen, die ihn nur ungern und widerwillig

(5)

Praetorius, Rede gehalten am 2. Octoher 1895. 535

an anderes denken , mit anderem sich beschäftigen lassen : Seine

Bedeutmig scheint vielmehr darin zu liegen, dass er vermöge glän¬

zender Sprachbegabung Meister war in der Erfassung der einzelnen

Stelle (wenn sich ihm ja vielfach auch Stelle an Stelle gereiht hat,

bis das ganze Buch des Schriftstellers beendigt war) , dass er

Meister war in Erfassung der grammatischen Einzelerscheinung.

So war denn sein Geist nie so sehr, nie so lange gefesselt, dass

er seinem angeborenen Drange nach hülfreichem Beistehen nicht

vollauf hätte freien Lauf lassen können , sobald nur die Gelegen¬

heit dazu an ihn herantrat.

M. H. ! Dass die D. M. G. in Halle und Leipzig ihre festen

Sitze hat , ist den Meisten von uns in dem Grade altüberlieferte

und an die Personen der vier Stifter anknüpfende Vorstellung, dass

wir uns kaum denken können , dass bei der Gründung der Gesell¬

schaft alle möglichen anderen Projekte ernste Erwägung fanden,

dass der Blick auch auf mancbe andere Städte fiel, dass man daran

dachte , die Gesellschaft in Zweigvereine aufgelöst , möglichst über

ganz Deutschland zu vertheilen. Es ist gut, dass man hiervon ab¬

gesehen. Allerdings hat die Beschränkung auf Halle und Leipzig

den Nachtheil , dass die Geschäfte der Gesellschaft den zufällig in

Halle und Leipzig ansässigen Orientalisten übertragen werden müssen ;

und dass das nicht immer die geeigneten Persönlichkeiten waren,

hat die Erfahrung ja leider gezeigt. Weit erheblicher aber wären

die Nachtheile, wenn die Geschäftsführung auf noch mehrere Städte

vertheilt wäre, wenn diese Städte vielleicht selbst wechselten.

Schon der bestehende Dualismus hat seine Unbequemlichkeiten für

die Geschäftsführung und hat sie von .4.nfang an gehabt, zu An¬

fang namentlich in besonders hohem Grade. So verlangt noch am

21. Juni 1853 H. Broekhaus in einem bei den Akten befindlichen

Briefe Concentration der Geschäftsführung an einem Orte als das

Zweckmässigste. Ueberhaupt, m. H., hat die Geschäftsführung im

ersten Jahrzehnt den Geschäftsführern ausserordentlich viel Noth

gemacht, und wenn man die schriftlichen Akten jener Jahre durch¬

blättert, so empfängt man zuweilen den sebr lebhaften Eindruck,

als habe die Gesellschaft mehrmals höchst kritische Tage durch¬

lebt. In dem gedruckten ersten Jahresberichte') sagt Rödiger:

,Die Geschäftsführung, die wie ein unvermeidlicher und in keiner

Beziebung goldener Rahmen die Mosaik der Thätigkeit unserer

Gesellschaft umschliesst, waren wir bemüht, sobald als möglich in

ein einfaches und sicheres Geleise zu bringen u. s. w." Aber,

m. H., das war lediglich guter Wille, der zum grossen Theil durch

das Bedürfniss nach Verminderang der Arbeitslast eingegeben war,

dem aber der Erfolg zunäcbst fehlte. Denn die Geschäftsführer

klagen im ersten .labrzehnt häufig über die drückende Last det

1) Jahresbericht der Deutschen morgenländischen Gesellschaft fiir das Jahr 1846. Leipzig 1847. S. .32 f.

(6)

536 Praetoriua, Rede gehalten am 2. October 1895.

übemommenen Bürde mid zeigen emstliche Amtsmüdigkeit. Dazu

kamen persönliche Missverständnisse und Reibereien, Unsicherheit

in der Abgrenzung der einzelnen Aemter, ünsicherheit in der Aus¬

legung von Beschlüssen der Generalversammlung , so dass man in

der That zuweilen den oben geschilderten Eindrack empfängt.

M. H. ! Auch hier war es wieder Pleischer, den wir rastlos sehen,

die persönlichen Miss Verständnisse ausgleichen, der nie Amtsmüdig¬

keit zeigte, der überall einsprang wo es noth that, der die über¬

nommene Bürde nicht zu fühlen schien und sie leicht und gern

weiter trug.

M. H. ! Als ich jene Worte meines alten Lehrers Rödiger

las, da fühlte ich allerdings auch noch in diesen Tagen eine Saite

in meinem Innern lebhaft mittönen und ich vermuthe , dass sie

namentlich auch unser Bibliothekar mitempfunden haben wird.

Allerdings hat sich das, was wie Rödiger vor 49 Jahren sagte, schon damals erstrebt wurde , im Laufe der Zeit verwirklicht : Die Geschäfts- fühmng ist in einfache und sichere Geleise gelenkt, es hat sich eine stehende Geschiiftspraxis, eine ordnungsgemässere, genauere Rechen¬

schaftsablegung herausgebildet, Missverständnisse und Reibereien

innerhalb des Geschäftsführenden Vorstandes sind geradezu undenk¬

bar, selbstverständlich aber nicht sachliche Meinungsverschiedenheiten,

durch die wir einem Erstarren aus dem Wege gehen , — und das

alles nicht erst seit heute und gestern, sondern seit einer erheb¬

lichen Reihe von Jahren. Sollte beispielsweise Jemand in 25 oder

50 Jahren wiederam einen Rückblick werfen wollen auf eine der

wichtigsten Thätigkeiten der Gesellschaft, auf die Unterstützung

wissenschaftlicher Druckwerke und sonstiger Unternehmungen , so

wird er, falls unsere Geschäftspraxis nicht schlechter wird als sie

jetzt ist , nicht nöthig haben , unter starkem Zeitaufwande neben

den gedrackten Akten auch die vielen im Laufe der Jahre auf¬

gesammelten Bände von geschriebenen Akten, von Quittungen durch¬

zusehen , um den Umfang der Thätigkeit der Gesellschaft nach

dieser Richtung bin festzustellen, wie dies in diesem Jahre hat ge¬

schehen müssen , und er wird nicht in der Lage sein sich dennoch

mit Bestimmtheit sagen zu müssen , dass trotz aller angewandten

Opfer von Zeit und Mühe ihm doch noch manches entgangen sein

virird. Die Zeiten einer solchen, hie und da wohl etwas zu patriarcha¬

lischen Geschäftsführung sind vorbei , und es erscheint uns jetzt

undenkbar, dass über die zu solchen Zwecken geschehene Verwendung der Gelder und über diese Zwecke selbst nicht in unseren gedruckten

Akten hinreichend ausführliche Mittheilung gemacht würde.

Wenn ich nun , m. H. , wünschen möchte , dass die auf den

Schultern Ihrer Geschäftsführer ruhende , gleichwohl immer noch

recht erhebliche Arbeitslast entweder gleichzeitig auf mebrere Schul¬

tern vertbeilt werden oder häufigei- abwechseln könnte, so möchte

ich bitten, diesen Wunsch nicht etwa lediglich als einen Ansfiu.ss

von träger Anitsmfldigkeit anzusehen, sondern als eineu .Ansfluss

(7)

Praetorius, Rede gehalten am 2. October 1895. 537

der Ueberzeugung, dass durch intensive Beschäftigung mit den

Angelegenheiten der Gesellschaft auch das Interesse an der Gesell¬

schaft und ihren Zielen dauernd wächst, wie ich das an mir selbst

erfahren. Und dass dieses Interesse sich möglichst Vielen mit¬

theile, ist lebhaft zu wünschen. Aber ich fürchte, ohne Schaden

für die Geschäftsführung wird sich eine solche weitere Vertheilung

oder ein häufigerer Wechsel kaum ermöglichen lassen. Jedenfalls,

m. H., möchte ich durch diesen Gegensatz zwischen jetzt und früher

darauf hinweisen , dass sich durch wohlentworfene , wohlgemeinte

Statuten allein nicht alles erreichen lässt, was geplant wird, dass

neben den Statuten noch andere wichtige, der Rücksicht werthe

Factoren nebenher gehen, die sich allmählich verändern, auswachsen, verbessem, die sich von Grund aus und plötzlich veränderten Statuten vieUeicht nicht sogleich anpassen würden.

Was ist denn nun aber die D. M. G. eigentlich , was will sie

erreichen und was hat sie erreicht? M. H. ! Diejenigen, welche

die Gesellschaft heut vor 50 Jahi-en stifteten, Fleischer,

Rödiger, Broekhaus, Pott, welche wir am 25. Stiftungstage

noch ehren durften, weilen längst nicht mehr unter uns. Auch

nicht diejenigen, welche damals mit in ihrem Rathe sassen, Ols¬

hausen, V. d. Gabelentz, Tuch, Seyffarth. Aber von

denjenigen, welche dem Aufruf dieser Männer sofort Gehör schenkten

und sich ihnen sofort anschlössen, leben noch und sind noeh Mit¬

glieder unserer Gesellschaft Böhtlingk, M. Müller, Spiegel,

Stickel, Wüstenfeld, Rost, Bollensen, Dieterici, Krehl,

Löbe, Steinschneider, Valeton, Wetzstein. Gem wünschte

ich, dass Jemand von ihnen heut an meiner Stelle stände und Worte

frischer Erinnerung, lebendiger Ueberlieferung zu uns redete, was

sie hofften , das die Gesellschaft leisten solle , und inwiefern das

Geleistete den damaligen Erwartungen entspricht oder nicht ent¬

spricht. Wir anderen sind ja dabei angewiesen auf den Nieder¬

schlag in den gedrackten Berichten und vergilbten Akten.

Und da will es mir zunächst scheinen, m. H., als sei die D. M. G.,

so wie sie jetzt ist , nieht etwa ungewoUt von den Pührem , oder

aueh nur unerwartet, wohl aber doch ohne deren bestimmten, aus¬

drücklichen Willen, gewissermassen von selbst entstanden aus innerer Nothwendigkeit heraus.

Der von jenen Vieren ursprünglich, d. h. im September 1843

in Aussicht genommene Orientalistenverein bezweckte zunächst nur

regelmässig wiederkehrende Zusammenkünfte der Orientalisten, wo¬

möglich (d. h. wenn geduldet) im Anschluss an die seit einigen

Jahren bestehenden Philologenversammlungen , Pflege persönlicher

Beziehungen, gemeinsame Erholung von der wissenschaftlichen Arbeit

des Jahres, gerade so wie das ja auf den Philologenversammlungen

der Fall ist. Daneben mochte Vorträge halten wer wollte , und

wer der Anregung und des Anhörens bedürftig war mochte sie

anhören. Das sagt rait vollei- Deutlichkeit Fleischer in seiner

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638 Praetorius, Rede gelialten am 2. October 1895.

Eröffnungsrede der ersten dieser Zusammenkünfte vom 1. Oct. 1844

zu Dresden mit „frisch aus dem Herzen gequollenen Worten über

den nächsten und zugleich höchsten Zweck dieser,

wie der folgenden Versammlungen, nicht einen Zweck,

den ich nach willkürlichem Meinen oder Belieben hinstelle , son¬

dem den, welcher sich aus der Erfahrung aller ähnlichen Vereine

von selbst ergiebt. Es ist, um es ohne weitere Einleitung zu sagen,

die Bildung, Wiederherstellung und Befestigung

freundschaftlicher persönlicher Verhältnisse und

eines humanen Gemeingeistes unter uns, worin eben¬

sowohl die gemüthlichen und wissenschaftlichen Bedürfnisse der

Einzelnen Befriedigung, als die Interessen der Wissenschaft im

Ganzen und Grossen kräftige Förderung finden. — Gestehen wir

es nur zuvörderst: die persönlichen Wechselbeziehungen Vieler von

uns sind noch nicht das, was sie sein könnten imd sollten u. s. w. ')"

Da ist es klar gesagt, m. H. : Freundschaftliche, persönliche Ver¬

hältnisse wie in allen ähnlichen Vereinen.

Und wie könnte es auch anders sein ! Denn darüber können

wir uns schwerlich täuscben, darüber kann sich nur die der Wissen¬

schaft sehr fern stehende grosse Menge täuschen , dass auf Ver¬

sammlungen und Congressen die Wissenschaft direet eine Förderung

nieht erhält, dass auf solchen Versammlungen keine wissenscbaft¬

licben Resultate gewonnen , keine wissenscbaftlicben Fragen gelöst

werden. Und auch die auf solchen Versammlungen gehaltenen

wissenschaftlichen Vorträge müssen grosse Kunstwerke sein , wenn

sie dem Hörer dauernder anhaften, ihn schlagender überzeugen soUen,

als später den Leser. Demonstrationen wie etwa die Mediciner

auf ihren Versammlungen, brauchen wir kaum. Die persönlichen

Begegnungen, persönlichen Aussprachen, Erholung sind hier die fast

alleinige Hauptsache.

Und nun bitte ich Sie, m. H., fassen sie die Satzungen der

D. M. G. ins Auge , zu denen fast unmittelbar nach jener Rede

Fleischers die Anregung erging und die ein Jahr später in Darmstadt zur Annahme gelangten : Nichts mehr von Geselligkeit, pei-sönlichen

Beziehungen u. dergl. Rein wissenschaftliche Tendenz.

Wie dieser Wandel äusserlich von statten gegangen, lesen wir

in gedrackten Berichten und ich will es hier nicht ausfuhrlieh

wiederholen. Aus der Mitte der Versammlung heraus wurde mehr-

fech der Willen ausgesprochen, das glückliche Zusammentreffen so

vieler Fachgenossen zur Begi'ündung einer deutschen asiatischen

Gesellschaft nach dem Vorbilde der engliscben und französischen

zn benutzen. Aus dieser aus der Mitte der Versanunlung selbst

hervorgegangenen Wülensäusserang erwuchs dann ein Jahr später

die D. M. G. Und damit war dann das Wesen der jährlich ab-

1) Verhandlungen der ersteu Versammlung deutscher und ausländischer Orientalisten zu Dresden den 1.,'2., 3. und 4. October 1844. Leipzig 1845.

(9)

Praetorius, Rede gehaUen am 2. October 1895. 539

zuhaltenden "Versammlungen völlig verschoben: Sie dienten nicht

mehr wie bisher lediglich der Pflege persönlicher Beziehungen,

nicht mehr ausschliesslich der Erholung, sie waren inhaltsvoller und

ernster geworden, sie waren fortan in erster Linie gewidmet den

formalen Geschäften und wissenschaftlichen Zielen der Gesellschaft.

Aus einer Section der Philologenversammlung war die General¬

versammlung der D. M. G. erwachsen.

Was innerlich diesen Wandel veranlasst, dazu kann man sich

verschiedene und verschiedenai-tige Beweggründe denken. Einer,

das werbende und zur Nachahmung reizende Beispiel der franzö¬

sischen und englischen asiatischen Gesellschaft, ist schon oben ge¬

streift. Ich will mich aber hier nicht weiter in Mutbmassungen

verlieren. Ich will nur den einen sicheren Grund erwähnen, das

wirkliche Bedürfniss, das das Bestehen der Gesellschaft noch heute

nothwendig macht und das vor 50 Jahren noch in weit höherem

Grade gewirkt haben muss.

In der damals ziemlich allein bestehenden klassischen Philo¬

logie , deren Jünger nach Tausenden zählen , gleichwohl aber ein

verhältnissmässig enges Peld bebauen , konnte die grosse Mehrzahl

der wissenschaftlichen Untemehmungen auf eine so zahlreiche Theil¬

nahme zählen , dass ihre Ausführung ohne Weiteres gesichert war.

Dass es in der orientalistischen gerade umgekebrt war und noch

ist, wissen Sie. Ihre Jünger zählen nach Dutzenden statt nach

Tausenden , dafür bebauen sie aber ein um so weiteres Peld. Die

Polgerungen für die technische Ausführung und den kaufmännischen Erfolg der grossen Mehrzahl namentlich der rein wissenschaftlichen

Werke ergeben sich daraus von selbst und sind von uns Allen wohl

reichlich empfunden worden. M. H., ich nehme keinen Anstand zu.

behaupten, dass der hauptsächlichste Zweck der Gesellschaft als solcher es ist, durch Aufbringung finanzieller Mittel dieser numerisch geringen

Theilnahme ein Gegengevricht zu bieten. Sollte mir Jemand vor¬

werfen, dass ich den Zweck der Gesellschaft nicht richtig, vielmehr

zu niedrig, zu wenig ideal erkannt habe, so möge er ein idealeres

Mittel angeben, durch das sich die der Wissenschaft dienende

Thätigkeit der Gesellschaft, der Druck zahlreichei-, zum Theil sehr

werthvoller und bahnbrechender Werke und Abhandlungen hätte

ermöglichen lassen , oder er möge sagen , was von der Thätigkeit

der Gesellscbaft übrig bleibt, wenn man die auf ihre Kosten er¬

folgten Veröffentlichungen abzieht. Ich glaube, nicht viel, was der

Rede werth wäre. Ihre Sammlungen wären vielleicht noch der

Erwähnung wertb I Das gemeinsame Interessse an der Wissen¬

schaft, das so viele Münner zusammenführt, scheint auch keineswegs

des idealen Momentes zu entbehren. Einigermassen erhebliche Geld¬

mittel können aber von unserem Stande im Allgemeinen nur im

Verein, nur in Gesellschaft aufgebracht werden. Der stets con-

trolirenden Gesammtheit der Gesellschaft konnten auch die Regie-

rimgen ohne Weiteres Vertrauen entgegenbrihgen und Unterstützung

(10)

540 Praetorius, Rede gehalten am 2. October 1895.

zu Theil werden lassen ; und dass sie es von Anfang an und in

steigendem Masse gethan, erkennen wir dankend an.

Wir wollen uns auch nicht darüber täuschen m. H., dass eine

Gesellschaft als solche die Wissenschaft kaum anders , als in der

angedeuteten Weise fördern kann. Wohl ist es ja , namentlich in

fi-üheren Zeiten, öfters vorgekommen, dass von Seiten der Gesell¬

schaft als solcher die und die Arbeit als wünschenswerth bezeichnet*

wurde und dass also auf diese Weise zu ihr angeregt wurde. Aber

dabei ist es auch , meines Wissens , immer geblieben. Und selbst

wenn einer solchen Anregung Polge gegeben wäre , so wäre es

doch immerhin der einzelne Porscher , der einzelne Arbeiter ge¬

wesen , der der Wissenschaft direet genützt. Arbeiten anordnen

und unter ihre Mitglieder vertheilen, kann, die Gesellschaft natür¬

lich nicht. Ihr Wesen ist passiver Art, nicht activ, sie hat die

Arbeit und Arbeiter, eventuell auch Vorschläge zu Ai-beiten an

sich herantreten zu lassen. Sie entscheidet durch den aus ihrer

Mitte gewählten Vorstand, welche Arbeiten gedruekt, welehe ander¬

weitigen Unternehnmngen etwa unterstützt werden sollen. Etwas

anderes ist es, m. H., was die Gesellsehaft als solche leistet, etwas anderes was die einzelnen Mitglieder derselben leisten.

M. H. , unsere Gesellschaft hat zu wiederholten Malen zweck¬

dienliche Geschenke erhalten. Ihnen allen ist noch im Gedäcbtniss,

dass die reichen Bibliotheken unserer verstorbenen Mitglieder

Gildemeister, Thorbecke, Wentzel naeh dem Willen der Ver¬

storbenen oder ihrer Hinterbliebenen der Gesellschaft zugefallen sind.

Die Gesellschaft ist ihnen hierfür dankbar und hat ihrem Dank

geziemend öffentlich Ausdnick gegeben. Aussergewöhnliche kleinere

Geldgeschenke sind der Gesellschaft auch sonst hin und wieder zu

Theil geworden. Aber eines Mannes muss ich hier besonders uoch

gedenken, welcher als Gelehrter vielleicht hinter manchem Andern

zurücktretend, Zweck und Aufgabe der Gesellschaft besonders klar

erkannt und diese Erkenntniss oft Ijethätigt hat. Wann es zweifel¬

haft war. ob die Kasse der Gesellschaft irgend ein zum Druck an¬

getragenes Werk noch würde übernehmen können, ist er wiederholt

eingesprungen . aber immer mit der Bedingung , dass sein Name

dabei nieht öffentlich genannt werde. So hat ihm auch nie öffent¬

lich gedankt werden können . wenn auch sein Name hie und da,

seinem Willen entgegen, geuannt worden. Aber heut, wo er längst

gestorben , wird es gestattet sein , seinen Namen ausdrücklich in

der Absicht dankbare)' Erinnerung zu nennen. Ich meine Stähelin

in Basel. Die auf seine Kosten gedruckten Werke fällen äusserlich

freilich aus dem Rahmen der Gesellschaftspublicationen herau.s,

innerlich aber können wir sie den letzteren beizählen , denn als

Mitglied der Gesellschaft hat er sie gespendet, dem Interessenkreise

seiner persönlichen Studien lagen sie ferner. Mir sind von seinen

Spenden fblgende bekannt geworden : Zu Wüstenfelds zweil)ändigem

Ibn-Hisäni hat er die Kesten getragen : ferner liess er drucken

(11)

Praetoriits, Rede gehalten am 2. October 1895. 541

Waldmeiers Wöi-tersammlung aus der Agausprache, ein Heft von

geringerem Umfange; weiter spendete er 200 Thaler zu Blau's Reise

nach dem Orient, als deren dauernde Frucht den Sammlungen der Ge¬

sellschaft viele Bücher, Handschriften, Münzen geblieben sind. Da

er, wie gesagt, geflissentlich seine Spenden zu verheimlichen suchte,

so wird ihm dies wohl hin und wieder wirklich gelungen sein.

Sicher aber haben seine Hinterbliebenen in seinem Sinne gehandelt,

als sie nach seinem Tode den Zwecken der Gesellschaft eine nam¬

hafte Summe überwiesen.

In einem Punkte, m. H., hat die Gesellschaft das Programm

welches sie sich gestellt, thatsächlich nur sehr unvollkommen oder

gar nicht ausführen können. Sie will ihren Zweck erreichen, wie

£s § 3, 1 der Satzungen heisst „durch Sammlung morgenländiscber Handschriften und Drucke, Natur- und Kunsterzeugnisse", d. h. also

auch nach der naturgeschichtlichen und technologischen Seite hin

wurde die Förderung der morgenländischen Forschungen in Aussicht

genommen. Damit steht es wohl auch im Einklang, dass aus der

ersten Vorstandswahl auch der Geograph C. Ritter als gewählt hervor¬

ging. In dem ursprünglichen Entwurf der Statuten, wie er in dem

ersten Jahresbericht S. 131 fi". gedruckt, waren die Worte „Natur- und Kunsterzeugnisse" sogar vorangestellt. Ich habe aus den Acten ersehen, dass es Olshausen war, welcher dringend rieth, diese Worte

ganz zu streichen , oder mindestens sie nicht an die Spitze zu

stellen. Olshausen erkannte also damals schon im Voraus aus den

Interessen Derjenigen, welche sich um die Bildung einer orienta¬

lischen Gesellschaft bemühten, aus dem Anschluss an die Philologen¬

versammlung , dass die D. M. G. und ihre Mitglieder thatsächlich

ausschliesslich philologisch - historische Interessen haben würden,

dass sie sich um Naturgeschichte , Geographie , Mathematik nicht

um ihrer selbst willen, sondern nur insoweit kümmern würden, als

durch orientalische Schriftsteller, durch orientalische Geschichte und

Alterthumskunde dazu Veranlassung vorlag, und dass es sich mit

der Technologie kaum anders verhalten würde. Der Gang der

Dinge hat Olshausen Recht gegeben , und falls ein Neudruck der

Statuten nothwendig werden sollte , möchte zu erwägen sein , ob

nicht jene Worte doch endlich ganz zu streichen seien. Unsere

Sammlungen haben sich thatsächlich zu einer Bibliothek, einer

Handscbriftensammlung, einem Münzcabinet entwickelt, aber nicht

zu einem naturhistorischen und ethnologisch-technologischen Museum.

Einige vereinzelte Raritäten, wie eine Büchse mit Manna, ein Stück

Asphalt vom todten Meere, ein Stück Kreidefels aus den Propheten -

gräbern am Oelberg lassen die thatsächliche Erfolglosigkeit der¬

artiger Bestrebungen nur um so deutlicher hervortreten.

Die wichtigste imd nothwendigste Lebensäusserung der Gesell¬

schaft ist und war von jeher die Zeitschrift. Nicht dass ich das

so meinte , dass die Zeitschrift ohne die materielle Beihülfe der

Gesellschaft am wenigsten zu Stande käme, dass hier also das Ein-

(12)

542 Prätorius, Rede gehalten am 2. October 1895.

treten der Gesellschaft am nothwendigsten wäre: Im Gegentheil.

Der vielseitige rmd trotz gewisser Schvsderigkeiten mit denen gerade

hier die Redaetion zu kämpfen hat, im Ganzen werthvoUe Inhalt

der Zeitschrift hat derselben von jeher einen weiten, stets noch

wachsenden Absatz verschafft, nicht nur in dem sicb immer noch

erweiternden Kreise der Mitglieder der Gesellschaft und der mit

uns in Schriftaustauseh stehenden Institute, sondern aueh ausser¬

halb dieser Kreise , so dass kein Zweifel bestehen kann , dass die

Zeitschrift auch losgelöst von unserer Gesellschaft unter der Leitung

eines rührigen Geschäftsmannes und eines tüchtigen Redacteurs

würde gut haben bestehen können. Und dass das Bedürfniss naeh

einem solchen periodisch erscheinenden Sammelwerk für Notizen,

Aufsätze, Abhandlungen orientalistischen Inhalts tbatsächlich in

hohem Grade vorhanden war, das beweisen die vielen Zeitschriften,

welche bereits seit zwei Menschenaltern vor unserer Zeitschrift ins

Leben gerufen wurden und längere oder kürzere Zeit bestanden.

Ich erinnere nur an die Namen Joh. Dav. Michaelis, Eichhorn,

Hammer, Arnoldi, Lorsbach, Ewald, endlieh Lassen. Dass des

letzteren Zeitschrift von unserer abgelöst wurde , ist Ihnen Allen

bekannt. Preilich ist ja nicbt zu läugnen , dass eine von einer

Gesammtheit getragene Zeitschrift leichter in der Lage ist, widrige

Zeitläufte zu überstehen, Redactionsmüdigkeit, augenblicklichen Un¬

muth zu überwinden , als eine die nur auf zwei Persönlichkeiten

lastet. — Wenn ieh vielmehr eben sagte, die Zeitschrift sei die

wichtigste und nothwendigste' Lebensäussenmg der Gesellschaft, so

sage ich das in dem Sinne, dass ich das Gefühl habe, dass mit der

Zeitschrift die Gesellschaft steht und fäUt, wenigstens die GeseU¬

schaft in der Ausdehnung die sie heute hat und die allein sie zu

grösseren Untemehmungen fähig macht. Ich bin in diesem Gefühl

um so sicherer, als ich sehe, dass sich bereits vor 46 Jahren

Pleischer in diesem Sinne geäussert. Er sagte auf der allgemeinen

Versammlung von 1849: „Der grosse Kampf unserer Zeit hat auch

die D. M. G. seit ihrer letzten allgemeinen Versammlung im Jahre

1847 hart berührt und geprüft. Es galt hier ... bei stark verminderter

oder ganz ausbleibender Theilnahme vieler Mitglieder an der Er¬

haltung unseres Vereins , dessen Bestehen zu sichern und die be¬

gonnenen Unternehmungen durchzuführen. Die wichtigste dieser

Unternehmungen, die unmittelbarste Lebensäusserung und zugleich

das kräftigste Bindemittel der Gesellschaft ist ihre Zeitschrift. Diese

aufgeben, heisst jene auflösen. Sie zu erhalten, musste uns daher

vor AUem am Herzen liegen . . . Wir haben sie erhalten'*).

M. H., es kann ja kein Zweifel sein, dass Derjenige, der voller

Interesse inmitten orientalistischer Porschung stehend, dieselbe als

Lebensaufgabe treibt, der die Wissenschaft vom Orient selber fördert

und sie gefördert wissen will , dass Dieser gern bereit wäre , den

n ZDMG. IV, S. 72.

(13)

Praetorius, Rede geHialten am 2. October 1895. 543

Zwecken der Gesellschaft nur zu leisten, ohne selbst eine augen¬

blickliche Gegenleistung zu empfangen. Aber, m. H., es wäre

eine Täuschung, wenn wir annehmen wollten, alle Mitglieder unserer

Gesellschaft könnten dieses selbe hohe Interesse an der morgen¬

ländischen Wissenschaft haben. Wenn in § 2 unserer Satzungen

als Zweck der Gesellschaft bezeichnet ist, die Kenntniss des Orients

zu fordern und die Theilnahme daran in weiteren Kreisen zu

verbreiten, so dürfen wir uns nicht verhehlen, dass ein Theil

unserer Gesellschaftsmitglieder bereits aus solchen weiteren Kreisen

besteht, deren hauptsächlichste Lebensaufgabe auf anderem Gebiete

der Wissenschaft beruht, die für die Portschritte der morgenlän¬

dischen Wissenschaft vielleicht deshalb Theilnahme zeigen, weil sich

ihre eigene Wissenschaft hie und da mit jener berührt, weU sie

vielleicht während einiger Jahre ihrer Jugendzeit mit Liebe unserer Wissenschaft anhängen konnten, weil sie vielleicht irgend ein Beruf

oder ein ZufaU ein paar Jahre im Orient hat verleben lassen.

M. H., wir begrüssen es freudig, wenn alle diese, von denen ich

eben geredet, Interesse für unsere Wissenschaft und unsere Gesell¬

schaft bekommen oder bewahrt haben; aber wir werden es nur

natürlich finden können, wenn die Gesellschaft ihrerseits das Interesse

jener erhalten muss, wenn Jene ihr Verhältniss zur Gesellschaft

mehr unter dem Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung

betrachten. Darum scheint ein vielseitiger wissenschaftlicher Inhalt der Zeitschrift geboten, damit der Theologe, der durch sein Hebräisch

einst dem semitischen oder ägyptischen Morgenlande zugeführt

worden, ebensowohl befriedigt werde, wie der Gymnasiallehrer, der

einst Mahabharata und Veda gelesen.

Ich sagte vorhin, m. H., dass bei der Herausgabe unserer Zeit¬

schrift für die Bedaction gewisse besondere Schwierigkeiten vor¬

liegen. Schon damals als die Zeitschrift erst ins Leben gerufen

werden soUte, äusserte Gildemeister in einem bei den Acten befind¬

lichen Briefe, bei einer Zeitschrift die von einer Gesellschaft heraus¬

gegeben werde, werde es schwer fallen. Ungeeignetes oder Minder¬

werthiges der Mitglieder abzulehnen. Noch im Jahre 1851 erhob

sich bei Gelegenheito eines bestimmten Falles ein heftigero Streit darüber unter dem Vorstande , ob zunächst ein Vorstandsmitglied

verlangen könne , einen Aufsatz in der Zeitschrift drucken zu

lassen? Und so, m. H., ist stets im Verlaufe dieser 50 Jahre hie und

da die Vorstellung aufgetaucht, dass jedes Mitglied auch das Becht

habe, seine wissenschaftlichen Erzeugnisse in der Zeitschrift drucken

zu lassen, und manches, namentlich jüngere Mitglied hat sich nicht

nur in wissenschaftlicher Hinsicht, sondern auch in seinem Rechte

gekränkt gefühlt, ist ausgeschieden oder hat mindestens eine un¬

erfreuliche Correspondenz mit dem Redacteur geführt, wenn eine

Arbeit von ihm abgelehnt worden. Darüber würden unsere Herren

Redacteure hier Manches sagen können. Ich möchte aber bemerken,

dass man einige Jahre danach oft ganz anders zu urtheilen pflegt.

(14)

544 Praetoriut, Rede gehalten am 2. October 1895.

dass also mancher dem Redacteur dankbar geworden sein wird,

diesen oder jenen Aufsatz abgelehnt zu haben — gerade so wie

Mancher nachträglich bedauert haben wird (und bier rede ich aus

persönlicher Erfahrung) , dass ein zu gütiger Redacteur nicht

strengere Kritik geübt.

Wenngleich, m. H., die Thätigkeit der Gesellschaft als solche

wohl zu unterscheiden ist von der Thätigkeit ihrer einzelnen Mit¬

glieder, so glaube ich, ist es doch wohl gestattet, einige von der

Gesellschaft veröffentlichte Arbeiten Einzelner zu nennen , die be¬

sonders einschneidende Wirkung auf den Gang der Wissenschaft

gehabt haben. Ich habe nicht nach solchen gesucht, sondern nenne

nur, was mir aus dem Gedäcbtniss entgegentrat, als ich mich selbst

danach fragte. Ich vermuthe, dass wer sucht, noch manche andere

Arbeit von gleicher Wichtigkeit in unseren Veröffentlichungen finden

wird. In jeder Hinsicht am erfolgreichsten gewirkt hat ohne

Zweifel jene, die Hälfte des 26. Bandes der Zeitschrift einnehmende

Abhandlung über die assyrisch-babylonischen Keilinschriften, deren

Bedeutung weniger in selbstständigen Entdeckungen liegt, als viel¬

mehr darin , dass sie die bisher fast unbeachteten Forschungen

Anderer, kritisch prüfend und in das gebotene System zusammen¬

fassend, allgemein und leicht zugänglich gemacht hat. Indem auf

Grund dieser Abhandlung rasch und erfolgreich weitergebaut wurde,

ist zunächst der semitischen Philologie ein neues Gebiet von ge¬

waltigem ümfange und mächtigem Interesse gewonnen worden,

dessen nach verschiedenen Seiten hin hervorragende Wichtigkeit auch

der der Sache femer Stehende leicht schon in der raschen Ver¬

mehmng und Verschiebung der semitistischen Lehrstühle ermessen

kann. Ich möchte weiter daran erinnern, dass gerade heute am

2. October vor 50 Jahren von einem jüngst Verstorbenen den in

Darmstadt versammelten Orientalisten eine bahnbrechende Abhand¬

lung zum ersten Mal verlesen wurde: „Zur Litteratur und Ge¬

schichte des Weda', über deren Bedeutung Sie heute aus sach¬

kundigem Munde Weiteres hören werden. Da der Verfasser diese

Abbandlung später selbstständig und erweitert hat dracken lassen,

so tindet sich in unseren Veröffentlichungen nur eine vom Verfasser

selbst gegebene kürzere üehersicht des Inhalts. Ich denke femer

an die von zwei verstorbenen, hochbedeutenden Sprachforschem in

den ersten Bänden der Zeitschrift gebrachte Begründung der

damals üben-aschenden , jetzt allgemein bekannten Thatsache , dass

in fast dem ganzen südäquatorialen Afrika nur ein Sprachstamra

herrscht.

M. H., wenngleich in der D. M. G. als völlig gleichberechtigtes

Mitglied auch der Ungelehrte willkommen ist, der sein Interesse

an orientalistischer Wissenschaft betbätigen will, so besteht sie doch

thatsächlich wesentlich aus Gelehrten. Die, die sich vor 50 Jahren

um ihre Gründung bemühten , gehörten in Deutschland sicher zu

den hervorragendsten Gelehrten, nicht nur zu den hervorragendsten

(15)

Praetorim, Rede gehalten am 2. October 1895. 545

Orientalisten ihrer Zeit. So kommt es denn, dass man verschiedener

Ansicht darüber sein kann , wie die Gesellschaft nach Aussen und

Innen aufzutreten habe. Ich finde diese zwiefache Ansicht schon

bei der Gründung der Gesellschaft zwar nirgends bestimmt aus¬

gesprochen, aber doch völlig erkennbar in gelegentlichen brieflichen

Aeusserungen enthalten : Broekhaus und namentlich wieder Ols¬

hausen mit nüchterner , rein geschäftlich - wissenschaftlicher Auf¬

fassung; Fleischer dagegen in seiner naiv-kindlichen Weise, Rödiger mit

etwas bewussterem Emste auch einen akademischen Charakter der

Gesellschaft betonend, die auch nach Aussen zu repräsentiren habe.

M. H. , der Thätigkeit der Gesellschaft ist manches Lob,

manche Anerkennung zu Theil geworden. Getadelt ist sie meines

Wissens nur von Einem worden , der viel und zuviel getadelt hat,

gleichwohl aber voUsten Anspruch darauf hat, beachtet zu werden,

von Lagarde. Wir können, m. H., dureh Tadel meist alle mehr

lernen als durch Loh, auch dann, wenn der Tadel übertrieben und

nur zum kleinen Theile berechtigt ist. So glaube ich, liegt es

auch hier. Ich habe Verschiedenes im Gedäehtniss bewahi-t, was

Lagarde zu tadeln gefunden; ieh will heute aber nur von einer

uns vorgeworfenen speeiellen Unterlassungssünde reden , welehe es

immer noch Zeit ist, gut zu machen. Lagarde sagt: ,Es ist nieht

zu dulden, dass die Belehrungen, welehe ein Kenner von J. G. Wetz -

steins Range uns zu Theil werden lässt, überall verstreut umher¬

liegen: in gewissen Commentaren und hier und da in Zeitschriften

sind sie den Fachgenossen vielmehr entzogen als zugänglich. Wenn

Akademien und morgenläudische Gesellschaften wüssten,

wozu sie da sind, würden Wetzsteins Symmicta längst gesammelt

sein".') M. H., hier giebt Lagarde die Anregung zu einem Unter¬

nehmen, welches meines Erachtens unserer Gesellschaft grosse Ehre

machen würde, die wichtigen und lehrreichen Schriften eines der

frühesten Mitglieder der Gesellschaft zu sammeln, ünd darum habe

ich heute davon gesprochen.

ünd nun , m. H. , da unsere Gesellschaft 50 Jahre lang be¬

standen , ist es fast selbstverständlich , dass unsere Gedanken sieh

auch auf die Zukunft richten , dass wir uns fragen , wie wird es

wohl in 25 und in abermals 50 Jahren um die Gesellschaft stehen,

wird sie da überhaupt noch bestehen, oder geht sie ihrer Auf¬

lösung entgegen ? M. H. , da wollen wir uns zuvörderst wieder

klar vor Augen halten, dass die Gesellsehaft als solche nicht Selbst¬

zweck ist, sondern Mittel zum Zweck. Was seinen Zweck erreicht

hat, ist überflüssig, hat keine Existenzberechtigung mehr. Es würde

uns Allen zur höchsten Befriedigung gereichen können , wenn wir

sagen könnten , die D. M. G. und andere mit ihr parallel wirkende

Factoren haben ihr Ziel erreicht , die D. M. G. kann als solche aus

der Erscheinung verschwinden , sie kann wieder werden woraus sie

J) Mittheilungen II, 80, Uebersicht 119.

(16)

546 Praetorius, Rede gelialten am 2. Octoher 1895.

hervorgegangen, ein Verein zur Pflege der Geselligkeit unter Pach¬

genossen, ihr Vorstand kann sich zum Vergnügungsausschuss um-

vrandeln. Nun, m. H., dass dem nicht so ist, das wissen Sie Alle,

oder wenigstens alle Die , welche je Mühe gehabt haben , ein um¬

fangreiches orientalistisches Werk zum Druck zu bringen, das weiss

im Besonderen der Vorstand der D. M. G., an den in stets wachsen¬

dem Masse die Anträge auf Druckimterstützung und gänzliche

Drucklegung herantreten , die er auch in stets wachsendem Masse

erfüllen zu können sich freut, Dank dem Blühen der Gesellschaft

imd ihren guten Finanzen. Also, m. H., der Zweck dem die Gesell¬

schaft als solche dient, erfüllt sich noch lange nicht von selbst und

bedarf des Dienstes der Gesellschaft noch in hohem Grade.

Es dürfte schwer sein, m. H., mathematisch zu berechnen , in

welchem Grade die Gesellschaft heut etwa weniger nöthig ist , als

vor 50 Jahren. Es ist richtig, die einst etwas bei Seite stehende

Orientalistik ist , wie ich Anfangs hervorhob , längst zu rückhalt¬

loser Anerkennung gelangt; Diejenigen die vor 50 Jahren einfach

Mitglieder der D. M. G. waren, oder deren Nachfolger sind vielfach

Mitglieder einer staatlichen Akademie oder sogar mehrfache Akade¬

miker; es hat für sie keine Noth, kleinere und selbst grössere Arbeiten zum Druck zu bringen, die Akademien unterstützen dementsprechend

auch gern anderweitige orientalistische Untemehmungen. Während

noch im Jahre 1850 in den bei den Acten befindlichen Vorstands¬

verhandlungen darüber schwere Zweifel laut wurden, ob sich Webers

Indische Studien neben unserer Zeitschrift und diese neben jenen

würde behaupten können , haben sich (ganz abgesehen von den

Ind. Studien) allmählich in Deutschland sechs andere Zeitschriften

entwickelt '), die sich sämmtlich auf speciellere Gebiete orienta¬

lischer Philologie beschränken, die alle von unserer Zeitschrift mit¬

umfasst werden, einst allein umfasst wurden. Ich sehe dabei noch

ganz ab von den speciell jüdischen Zeitschriften und von den

Organen der einst von Indien ausgegangenen , früh abgetreimten

indogermanischen Sprachvergleichung. Aus alledem leuchtet mir

unabweislich die erfreuliche Thatsache hervor, dass die Ziele denen unsere Gesellschaft zustrebt, näher gerückt sind; erreicht aber sind

sie noch längst nicht, wie ich eben an der Hand der Thatsachen

behauptete. M. H., ich kann in dem Erscheinen jener Zeitschriften

auch nicht eine Spur von dem erblicken , was man Concurrenz zu

nennen pflegt; ich sehe darin nur eine Nothwendigkeit. Wie vor

100, vor 75, vor 50 Jahren eine Zeitschrift wünschenswerth und

dann nöthig wurde, so sind jetzt und schon seit längerer Zeit eben

mehrere mindestens wünschenswerth geworden. Nur erfreulich

kann es sein, wenn dieselben so oder so bestehen können : Im letzten (xrunde wurzelt ihr Bestehen doch immer nur in dem allgemeineren

Interesse, das die Wissenschaft vom Orient auf sich zu ziehen lie-

1) Bezold, Haupt-Delitzsch, Krman, Seidel, Stade, Guthe.

(17)

Praetorius, Rede, gehalten am 2. October 1895. 547

gönnen. Schon unter dem 5. November 1865 findet sich in den

Acten Kenntnis genommen von der Klage der Autoren, übermässig

lange auf den Druck vs^arten zu müssen. Wie würde das erst jetzt

der Fall sein! Wo sich die Zahl der Forscher vermehrt hat, wo

ganz neue Gebiete der Forschung erschlossen, die alten dergestalt

erweitert und vertieft worden sind, dass sie als selbstständige

Wissenschaften sich herauszulösen beginnen und fast die ganze Kraft

Eines Mannes in Anspruch nehmen. So dass Einer schon längst

nicht mehr das ganze Gebiet orientalistischer Wissenschaft be¬

herrschen kann, was vor 50 Jahren noch wohl möglich.

Und hier, m. H., erhebt sich von selbst die Frage, ob dieser

Wandel dter Verhältnisse , diese nothwendige Theilung der Arbeit,

diese völHge Spaltung der einzelnen Zweige unserer Wissenschaft der

Gesellschaft nicht vielleicht die Existenzberechtigung entzogen habe,

oder mindestens die Berechtigung in der einheitlichen Form weiter¬

zubestehen, in der sie heute und seit 50 Jahren besteht?

Als Rödiger am 7. Juli 1864 (damals in den sechziger Jahren

stehend) in die Berliner Akademie eingeführt wurde , sagte er in

seiner Antrittsrede: „Meine Lehrjahre fielen noch in eine Zeit,

wo ein junger Theolog sich träumen lassen konnte , auf seiner

Studienwanderung nicht nur die klassische Litteratur fest im Auge

zu behalten , sondern auch Schritt für Schritt den ganzen Orient

zu erobern, der Sprachen und Litteraturen, der Geschichte und der

Alterthümer Asiens Herr zu werden; und nicht etwa im Fluge

nur, nicht in oberflächlicher Ueberschau, nein mit aller Gründlich¬

keit sollte das geschehen. — Wir waren aber an der Grenze dieses,

wie er uns jetzt erscheint, einigermassen naiven Zustandes an¬

gelangt ..." Ein Jahr, nachdem Rödiger jene Worte gesprochen,

begann meine Lehrzeit. Auch damals war es noch möglich und

üblich , Orientalia schlechthin zu studiren , Semitica einschliesslich

des Alten Testaments in völlig gleichem Schritte mit Sanskrit, Alt¬

persisch. Und am Arabischen haftete eng Neupersisch und Türkisch.

Auch an Aegyptisch und indogermanische Sprachvergleichung konnte

man sich noch einigermassen wagen, wenn auch in zweiter Linie.

Wenn das jetzt vollständig anders geworden , wenn uns jetzt auch

dieser Zustand scbon wieder naiv erscheint, so ist das zum grossen

Theil Verdienst jener Abhandlung im 26. Bande unserer Zeitschrifl,

welche dem Semitisten ein neues und ihm näher als alles andere

liegendes Forschungsgebiet gewann. So ist es denn gekommen,

m. H., dass in unseren Tagen der Semitist nicht mehr den Sans¬

kritisten versteht, und dieser nicht mehr jenen; der Sanskritist

neigt jetzt vielmehr nach dem Abendlande, wie das nur natur¬

gemäss und sachlich begründet ist. Durch zufällige geographische

Nachbarschaft lassen sich nicht mehr Dinge zusammenzwängen, die

ihrem Wesen nach verschieden sind und auseinanderstreben. Diese

Trennung wird sich bei der jüngeren Generation noch schärfer voll¬

ziehen.

Bd. XLIX. 37

(18)

548 Praetoriut, Rede, gehalten am 2. Octoher 1895.

Aus diesem Grunde , m. H. , bin icb des Glaubens , dass die

D. M. G., wenn sie heut nicht schon bestände , heut schwerlich ge¬

gründet werden würde, wemgstens in Deutschland nicht in der ein¬

heitlichen Form mit der vielseitigen Tendenz in der sie heut besteht.

Darin macht mich auch nicht der Umstand irre , dass vor nicht

langen Jahren in Italien eine asiatische Gesellschaft mit der gleichen

vielseitigen Tendenz wie die unsere gegründet ist, und dass vor

gleichfalls nicbt langen Jahren eine deutscb - österreichische Zeit¬

schrift mit ebenfalls derselben vielseitigen Tendenz wie die unsere

ins Leben gerufen worden. Es mag hierbei in Italien wie in

Oesterreich zunächst einfach das Muster der älteren Gesellschaften

zu unveränderter Nachahmung mechanisch gereizt habeÄ, sodann

aber, m. H., erreichen die Orientahsten jener Länder an Zahl nicht

annähemd die Zahl der Mitglieder unserer Gesellschaft. Und hierin

liegt in praktischer Hinsicht ein sehr wesentlicb massgebendes

Moment.

Aber es scheint mir gut, dass die Gesellschaft so wie sie ist

besteht, und ich halte es für wünschenswerth, dass sie so wie sie

nun einmal ist bestehen bleibe. Ich ziehe aus dem oben Gesagteno

die Consequenzen nicht nach der Richtung hin , dass ich einer

Trennung das Wort redete. Glauben Sie nicht, dass ich etwa mit

der Phrase kommen werde, dass wir in äusserer Vereinigung doch

leichter vor Einseitigkeit geschützt seien. Das ist durchaus nicht

der Fall , und einzelne hervorragende Geister würden immer den

Weg zu einem Mehr zu finden wissen. Warum ich es für ein

Glück halte , dass die Gesellschaft so wie sie ist besteht , und

wesshalb ich wünsche, dass sie so wie sie ist bestehen bleibe, ist

der ümstand, dass wir in der althergebrachten, keinerlei philo¬

logisches Studium des Orients ausscbliessenden Vereinigung Gelegen¬

heit haben , noch ganz unbekannte Gebiete erschliessen zu helfen,

uild dass wir in dieser Vereinigung auch solchen Studien Förderung angedeihen können lassen, für die ein numerisch besonders schwaches Interesse vorhanden. Es ist ja kein Zweifel, dass die Sanskritisten

und noch mehr die Semitisten je für sich durch ihre Anzahl durch¬

aus im Stande sind, sich zu je einer wirkungsfähigen Gesellschaft zusammenzusebliessen. Aber wenn selbst eine so verhältnissmässig

alte und zahlreich gepflegte Wissenschaft wie die Aegyptologie nur

mit Mühe bisher ihr Organ hat aufrecht erhalten können , wenn

trotz aller Deutschen Colonien die afrikanische Zeitschrift Büttners rasch eingegangen ist, wo sollten da Forschungen über Hinterindier, Iranier, Tibeter, Mongolen, Türken, Hetiter Stätte und Pflege finden'?

Freuen wir uns, dass wir eine Gelegenheit vorgefunden haben, den

Erforschern unerforschter Völker und Sprachen ein Obdach zu

bieten, so lange sie eines solchen bedürfen, so lange sich um diese

nicht soviel Interesse und soviel Studium concentrirt hat, dass auch

sie selhstständig heraustreten und auftreten können !

Aus diesem Grunde halte ich es für gut, dass wir nicht getrennt

(19)

Praetorius, Rede, gehalten am 2. October 1895. 549

neben einander gehen, sondem vereint zusammen, dass wir das Gedäeht¬

niss an die frühere Einheit unserer Studien in unserer Gesellschaft noch

jetzt fortwirken lassen als ein Band äusserlicher Einigung, in dem

vollen Bewusstsein, dass unsere Studien sich innerlieh getrennt haben

und sioh haben trennen müssen. Schaden kann diese äusserliehe

Vereinigung ja schwerlich anrichten. Und wen nach einem inneren,

idealen Bande der Einigung verlangt, der möge bedenken, dass der

Orientalist wohl mehr als maneher Andere seine Studien begoimen

hat ohne Bücksicht auf materiellen Vortheil , lediglich in dem be¬

glückenden Drange nach stiller Erforsehung des Unbekannten, dass

wir alle wohl einst jenen wissenschaftlichen Muth der Jugend in

uns gefühlt haben, welchem kein Ziel zu hoch ist um nieht danach

zu greifen, und der sich trotz aller Enttäuschung ja auch im

späteren Leben noeh zuweilen als ein gesegneter Gast einstellt. —

Sollte sich gleichwohl durch spätere Erfahrung herausstellen, dass

die innerliche Trennung unabweislich auch eine äusserliehe Schei¬

dung verlangt, so mögen Spätere dieselbe glücklich vollziehen zum

Nutzen der Wissenschaft. Wir aber haben keinen Gmnd, der Ent¬

wicklimg voranzueilen. Wenn wir des Glaubens sind, dass die

Gesellsehaft so wie sie heut und seit 50 Jahren ist, reiche Gelegen¬

heit zu nützen hat, so wollen wir ihr auch in dieser Gestalt dienen,

nicht etwa nur durch ErfüUung dessen, wozu wir ihr verpflichtet,

sondem auch dadureh, dass wir ihr stets nur das Beste unserer

Geisteswerke darbieten wollen.

87

(20)

550

Rudolf Roth.

Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gesellschaft von B. DelbrUck.

M. H. ! Der ausgezeichnete Gelehrte, zu dessen Gedäehtniss ich

einige Worte vor Ihnen reden möchte, stammte aus einer alten schwä¬

bischen Pamilie, die eine grosse Reihe von Beamten und unter

ihnen namentlich Theologen tmd Schulmänner geliefert hat. Ein

durchgehender Familienzug ist leicbt erkennbar. Ein Oheim Rotb's,

der uns als Beispiel dienen mag, wird uns geschildert als arbeitsam, pflichttreu, streng in seinem Urtheil, unnachsichtig gegenüber seinen Scbülern, unnachgiebig wo er sich in seinem Rechte glaubte, während

die weicheren Züge nur im Familienverkehr sparsam hervortraten.

Als ein echter Sohn dieses mannhaften Geschlechtes wurde Waither

Rudolf Roth am 3. April 1821 in Stuttgart geboren, wo sein

Vater Oberrevisor war. Er besuchte das Gymnasium in Stuttgart

und das niedere Seminar in Urach und bezog mit 17 Jahren die

Landesuniversität , wo er auf dem Stift Theologie studirte. Er

genoss die vielseitige nicht blos theologische , sondern auch philo¬

sophische und historische Bildung, wie sie auf diesem Institut üblich

ist und bestand im Jahre 1842 das theologische Dienstexamen.

Die für sein Leben wichtigste Anregung empfing er von Ewald,

bei dem er ausser theologischen Vorlesungen vier Curse im Sanskril;

(den ersten in seinem siebenten Semester) und zwei Curse Persisch

hörte. Eine Abneigung gegen die Theologie scheint bei dem

Wechsel seiner Studienrichtung nicht im Spiele gewesen zu sein,

wie er denn später als Privatdocent aueh noch Vorlesungen über

Dogmatik und Liturgik des alten Testaments oder Erklärmig eines

Propheten gehalten hat. Nachdem er sich an der Hand der

Tübinger Handschriften tiefer in das Sanskrit eingearbeitet hatte,

brachte er zwei Jahre überwiegend in Paris und London zu, in

Paris im Verkehr mit Bumouf, Julius Mohl und Andern, in London,

wo er hauptsächlich dureh Wilson gefördert wurde, völlig versenkt

in die Dm-charbeitung der Handschriftenschätze des East India-

House. Die erste Frucht dieser Studien ist seine Schrift: „Zur

Litteratur und Geschichte des Weda" Stuttgart 1846.

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