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Archiv "Deutscher Ethikrat: Werden Organe gerecht verteilt?" (11.10.2013)

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A 1896 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 41

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11. Oktober 2013

A

ls das erste deutsche Trans- plantationsgesetz im Jahr 1997 in Kraft trat, sprachen einige Juristen, Philosophen und Medizin- ethiker von „Geburtsfehlern“: Auf die für die Patienten so entschei- dende Frage, wer auf die Warteliste kommt und nach welchen Kriterien die Organe vergeben werden sollen, hat der Gesetzgeber knappe Ant- worten gegeben: Die Regeln hätten dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu ent- sprechen, wobei für die Vermittlung vor allem Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zu berücksichtigen seien. Den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft stel- le die Bundesärztekammer (BÄK) in Richtlinien fest. Dabei hatte der Gesetzgeber offenbar durchaus be- dacht, dass Erfolgsaussicht und Dringlichkeit einander gegenläufig sein können. So heißt es in Erläute- rungen zum fraktionsübergreifen- den Gesetzentwurf: „Zu den Ver- mittlungsregeln gehören auch Kri- terien, nach denen im Konfliktfall Dringlichkeit und Erfolgsaussicht gegeneinander abzuwägen sind“

(BT-Drucksache 13/4355, S. 26).

„Unterkomplex formuliert“

sei das Gesetz, sagt ein Jurist

„Unterkomplex“ nannte Prof. Dr.

jur. Thorsten Kingreen, Universität Regensburg, bei einer Sitzung des Deutschen Ethikrates in Berlin, die noch immer geltende Gesetzesfor- mulierung zur Erstellung der Richt- linien. Es sei offensichtlich, dass Organverteilungsregeln nicht nur medizinische Aspekte hätten, son- dern auch ethische, juristische, poli- tische und ökonomische. „Das Ge- setz impliziert: ‚Mehr ist das nicht als Medizin’, und das ist ein kate- gorischer Fehler, den man beseiti- gen muss“, sagte der Experte für Öffentliches Recht und Sozialrecht.

Ähnlich sieht es offenbar der Deutsche Ethikrat. „Bei der Frage, wer soll auf die Warteliste für ein Organ und wer soll die zur Verfü- gung stehenden Organe erhalten, werden in erster Linie ethische Ent- scheidungen getroffen“, sagte die Vorsitzende des Ethikrates, Prof.

Dr. med. Christiane Woopen von der Universität Köln zum Deut- schen Ärzteblatt. „Es wird gewich- tet: Wer hat Vorrang? Welche Be- deutung soll die Erfolgsaussicht ha- ben? Möchten wir Erfolgsaussicht über die Prognose des Patienten de- finieren oder über das voraussichtli- che Überleben des Organs?“

Das seien zunächst ethische Ent- scheidungen. Von der Medizin kön- ne es dann Antworten geben darauf, mit welchen labormedizinischen oder anderen Bewertungs-Scores, sich die Kriterien am besten be- rücksichtigen ließen. „Die nötige Kombination von Kriterien für die gerechte Zuteilung von Organen muss in einer intensiven, öffentli- chen Debatte bestimmt, gewichtet und dann vom Gesetzgeber festge- legt werden“, resümierte Woopen.

Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der BÄK, Prof. Dr. jur. Hans Li- lie von der Universität Halle, wies darauf hin, dass es schon jetzt die Möglichkeit gebe, Richtlinien und Änderungsvorschläge über die Homepage der BÄK zu kommen- tieren und Alternativen einzubrin- gen. „Wir beschäftigen uns mit je- der Stellungnahme, aber es kom- men wenig Änderungsvorschläge“, sagte Lilie. Das Verfahren sei trans- parent. „Aber ich würde es begrü- ßen, wenn wir eine Konkretisierung für die Kriterien bekämen, wir wür- den sie umsetzen.“

Dass dies Aufgabe des Gesetzge- bers ist, sieht Kingreen belegt durch ein Bundesverfassungsgerichtsur-

teil zur Vergabe von Studienplät- zen in Numerus-clausus-Fächern (BVerfGE 33, 303). Selbst wenn der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis delegiere, müsse er die Art der Auswahlkriterien und deren Rang- verhältnis selbst festlegen, denn es gehe um die Zuteilung von Lebens- chancen. Kingreen sieht darin die Parallele zur Organtransplantation.

Transplantationschirurg Prof. Dr.

med. Dirk L. Stippel von der Uni- versitätsklinik Köln plädierte für klare Unter- und Obergrenzen für die Leberzuteilung auf Basis vom MELD-Score (Model of endstage liver disease). Erst ab einem Score von 20 (Bereich 6 – 40) hätten Pa- tienten einen sicheren Vorteil.

Allokationskriterien sollten anders gewichtet werden

Stippel sprach sich dafür aus, die Erfolgsaussicht stärker zu gewich- ten als bisher. Das bedeute im Ernstfall, dass man Patienten sagen müsse, die Gesellschaft trage ab ei- nem bestimmten MELD-Wert eine Transplantation nicht mehr mit.

Er wies außerdem auf das Pro- blem hin, dass Kinder, die interna- tional und auch in Deutschland bei der Organzuteilung bevorzugt wer- den, ihre Transplantate beim Über- gang von der Pubertät zum Er - wachsenenalter statistisch doppelt so häufig verlieren wie in jüngeren Jahren und wie Erwachsene: häufig wegen Complianceproblemen. Ob das Problem allein durch Optimie- rung der Transitionsmedizin zu lö- sen ist und die Bevorzugung von Kindern bei der Vergabe postmorta- ler Organe gerecht ist, wird in den USA derzeit diskutiert.

Für den Deutschen Ethikrat könnte ein nächster Schritt nun eine Stellungnahme zur Verteilungsge- rechtigkeit von Organen sein.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

DEUTSCHER ETHIKRAT

Werden Organe gerecht verteilt?

Der Deutsche Ethikrat regt an, die ethischen Wertvorstellungen, die der Allokation von Organen zugrunde liegen, intensiv öffentlich zu diskutieren und sie gesetzlich besser zu verankern. Es gehe schließlich um die Zuteilung von Lebenschancen.

P O L I T I K

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