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Archiv "Finanz- und Rentenpolitik: Ausgaben kürzen und verlagern" (09.07.1999)

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undesfinanzminister Eichel hat für sein 30-Milliarden-Spar- paket Lob und Kritik geerntet.

Der Beifall kam vor allem vom Kanz- ler. Der sprach von einer „histori- schen Entscheidung“, von einem „Pa- radigmenwechsel“ in der Finanzpoli- tik. Die Opposition und andere wer- fen der Koalition „Wahlbetrug“ vor.

Das bezieht sich auf die Absicht, die Rentenerhöhungen in den nächsten beiden Jahren auf 0,7 und 1,6 Prozent zu begrenzen. SPD und Grüne hatten vor der Bundestagswahl im letzten September der Union und der FDP vorgeworfen, den Sozialstaat abzu- bauen. Nach der Wahl hat die Koaliti- on die sozialen Einschränkungen zum Teil wieder aufgehoben. Jetzt schnei- det sie tiefer in die sozialen Besitz- stände und vor allem in die Renten- versicherung ein.

Von einem Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Finanzpoli- tik kann nicht die Rede sein. Richtig ist nur, daß die Koalition einen grund- legenden Wechsel gegenüber der bis- herigen sozialdemokratischen Sozial- und Finanzpolitik vollzogen hat. Daß Eichel mit der Rückendeckung Schrö- ders dafür am Ende die Zustimmung der rot-grünen Fraktionen gewonnen hat, stellt eine beachtliche politische Leistung dar. Sie verdient Respekt.

Eine kritische Analyse des Ent- wurfs des Haushalts 2000 und des mittelfristigen Finanzierungsplans bis 2003 zeigt jedoch, daß Eichel wie sein Vorgänger Waigel tief in die Trickkiste der Haushaltsexperten gegriffen hat, um das angestrebte Sparziel ausweisen zu können. Neben mehr oder minder sinnvollen Haushaltskürzungen gibt es beträchtliche Ausgabenverlagerun- gen, so vom Bund auf die Renten- und Pflegekassen sowie auf die Kommu- nen. Ohnehin auslaufende Ausgaben werden den Sparbeträgen zugerech- net. Luftbuchungen verschönen das

Sparpaket. Hohe Milliardenbeträge werden als globale Minderausgaben verbucht, also als Einsparungen, die erst noch konkretisiert werden müs- sen. Das betrifft vor allem den Vertei- digungs- und den Sozialetat. Bei der Verteidigung geht es um Beträge von 2,2 bis 3,8 Milliarden in 2003, beim So- zialetat von 2,4 bis 7,7 Milliarden Mark in 2003. Die Einnahmen aus der Öko- Steuer, die in die Rentenkasse fließen, werden nicht im Etat verbucht. Im übrigen entspricht das Sparziel fast genau dem Betrag, um den der erst vor wenigen Wochen verabschiedete Haushalt ’99 aufgestockt worden war.

Tatsache bleibt, daß nach den Plä- nen der Regierung die Verschuldung des Bundes in den

nächsten drei Jah- ren um annähernd 140 Milliarden Mark weiter stei- gen wird. Verrin- gert wird die Neu- verschuldung; sie wird – zunächst nur auf dem Pa- pier – gegenüber

dem überholten Finanzplan der Regie- rung Kohl im nächsten Jahr um 5 Milli- arden Mark auf 49,5 Milliarden Mark abgebaut. Das wird allenfalls dann zu erreichen sein, wenn sich das wirt- schaftliche Wachstum nach der Som- merpause und im nächsten Jahr deut- lich beschleunigt und die Arbeitslosig- keit wieder sinkt. Die Ausgaben des Bundes sollen im kommenden Jahr um 1,6 Prozent auf 478 Milliarden Mark gekürzt werden, nachdem sie im lau- fenden Jahr um knapp 30 Milliarden Mark auf 485,7 Milliarden Mark stei- gen. Von 2001 bis 2003 sind Steige- rungsraten von 1,6 und 2,3 Prozent vor- gesehen. Die Steuereinnahmen des Bundes, die im laufenden Jahr um gut 30 Milliarden Mark steigen werden, sollen bis 2003 jährlich um rund 15 Mil-

liarden Mark zunehmen. In diesen Zahlen werden die Einnahmen aus der Öko-Steuer nicht berücksichtigt.

Die Koalition will die Mineralöl- steuer jährlich um 6 Pfennig und die Stromsteuer um 0,5 Pfennig anhe- ben. Die Einnahmen daraus sind zunächst auf etwa 5 Milliarden und im Jahr 2000 auf etwa 22 Milliarden Mark zu schätzen. Der Rentenbeitrag kann im kommenden Jahr jedoch nur um 0,1 Prozentpunkt und bis 2003 höchstens um einen Punkt ge- senkt werden. Die neuen Beitrags- sätze sind dann auch für die Beitrags- bemessung bei den berufsständischen Versorgungswerken maßgebend. Die Beitragsermäßigung betrifft direkt die angestellten Freiberufler, in- direkt aber auch die selbständig tätigen Freibe- rufler. Die Ver- sorgungswerke, die keine Steuer- mittel erhalten, haben mit gerin- geren Einnah- men zu rechnen, was zu Lasten der Dynamik geht.

Bei der Rentenversicherung er- gibt sich die widersprüchliche Lage, daß der im Etat ausgewiesene Bun- deszuschuß wegen der Begrenzung des Rentenanstiegs um 3,8 Milliarden Mark niedriger ausgewiesen, tatsäch- lich jedoch mit den Einnahmen aus der Öko-Steuer erhöht wird. Die Renten- versicherung wird um 4,2 Milliarden Mark dadurch belastet, daß die Bun- desanstalt für Arbeit geringere Beiträ- ge für die Bezieher von Arbeitslosen- hilfe an die Rentenversicherung zahlt;

diese werden künftig nicht mehr nach 80 Prozent, sondern nach 53 bis 57 Pro- zent des vorherigen Netto-Verdienstes bemessen. Das wird auch für die be- rufsständische Versorgung gelten. ! A-1813

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999 (17)

Finanz- und Rentenpolitik

Ausgaben kürzen und verlagern

Eichel in Waigels Spur/Mit der Öko-Steuer auf dem Weg zur Staatsversorgung/

Rentenanpassung nach Kassenlage/Sparkonzept mit Luftbuchungen

B

Eichel hat tief in die Trickkiste der Haushaltsexperten

gegriffen.

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Die Absenkung der Beitrags- pflicht, die den Bundesetat entspre- chend entlastet, betrifft auch die Pfle- geversicherung, jedoch nicht die Krankenversicherung, was bei dieser zu hohen Einnahmeausfällen und Beitragserhöhungen geführt hätte.

Die Neuregelung orientiert sich an der Kassenlage der einzelnen Zweige der Sozialversicherung, sie läßt kein System erkennen.

Ähnlich wie der SPD-Arbeitsmi- nister Ehrenberg Ende der siebziger Jahre, so setzt jetzt auch Minister Rie- ster die Rentenformel außer Kraft.

Gesetzlich wird vorgegeben, daß die Renten 2000 und 2001 dem Preisan- stieg (0,7 und 1,6 Prozent) folgen sol- len, um den Realwert der Renten zu si- chern. Nach der nettolohnbezogenen Rentenformel hätten sich in diesen zwei Jahren

Erhöhungen von 3,7 und et- wa 3,5 Prozent ergeben. Der Einspareffekt ist beträcht- lich: durch ihn sinkt in den zwei Jahren das Rentenni-

veau nach 45 Versicherungsjahren von heute 70 auf 66 bis 67 Prozent.

Nach dem im letzten Jahr be- schlossenen Gesetz sollte der Ver- längerung der Lebenserwartung durch eine demographische Komponente Rechnung getragen werden, durch die das Rentenniveau über zwei Jahrzehn- te hinweg auf 64 Prozent gesenkt wor- den wäre. Riester senkt jetzt kurzfristig das Rentenniveau stärker ab, während der Entlastungseffekt nach Blüms Konzept langfristig höher gewesen wä- re. Riester will soziale Härten durch die Abstriche beim Rentenniveau durch eine Grundsicherung vermeiden, die nur Rentner erhalten sollen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Bezahlt wird dies aus der Öko-Steuer. Der Weg zur Staatsversorgung ist vorgezeichnet.

Da sich die Höhe des Bundes- zuschusses nach den Rentenausgaben und nach den Beitragssätzen richtet, bringen die geringeren Rentener- höhungen und die Absenkung des Bei- tragssatzes durch Steuermittel Ein- sparungen im Haushalt, was freilich durch die in Sonderposten veran-

schlagten Einnahmen aus der Öko- Steuer mehr als kompensiert wird.

Diese Operation macht das Rentensy- stem immer undurchsichtiger und poli- tisch manipulierbarer. So ist es sicher- lich kein Zufall, daß die Koalition die Renten ab 2002 wieder an die Net- tolöhne koppeln will. Die Renten wer- den damit zum 1. Juli 2002 voraussicht- lich wieder stärker angehoben. Im Herbst 2002 wird der neue Bundestag gewählt. Schröder und Riester werden das berücksichtigt haben.

Das heutige Rentenniveau ist nicht durchzuhalten; die Rentenversi- cherung bedarf der Ergänzung durch private Vorsorge. Das ist seit Jahr- zehnten bekannt. Die Koalition zielt also mit ihren Beschlüssen in die rich- tige Richtung. Doch mit Reform hat dies noch nichts zu tun. Alles wird durch die Haushalts- nöte diktiert. Riester hat zwar zur Überra- schung aller den Vorschlag präsen- tiert, die durch Bei- tragsumlagen finan- zierte Rente durch eine kapitalbildende private Pflichtversi- cherung zu ergän- zen, die von den Arbeitnehmern zu fi- nanzieren wäre. Die Fraktionen haben diesen Weg zunächst einmal blockiert;

jetzt ist von einer freiwilligen Lösung die Rede. Das dürfte aber noch nicht das letzte Wort sein.

Riester erweckt den Eindruck, daß es möglich sei, den Beitragssatz durch die begrenzte Absenkung des Rentenniveaus und über die Öko-Steu- er langfristig zu stabilisieren und das Si- cherungsniveau über die private Vor- sorge auf etwa 80 Prozent anzuheben.

Verschwiegen wird freilich, daß dafür zusätzlich über Jahrzehnte hinweg ho- he Beiträge zur privaten Vorsorge und von Jahr zu Jahr höhere Öko-Steuern entrichtet werden müssen. Nachdem die Idee von der Pflichtversicherung erst einmal vom Tisch ist, will Riester im Bündnis für Arbeit über die Zusatz- rente reden. Das brächte die Arbeit- geber ins finanzielle Obligo und würde den Anstieg der Nettolöhne und Ren- ten bremsen. Solche Überlegungen würden sich allerdings nicht mit der Forderung der IG Metall vertragen, über Tariffonds die „Rente mit 60“ zu

finanzieren. Die Koalition will die pri- vate Vorsorge ausweiten, zugleich aber die steuerliche Begünstigung der Le- bensversicherung drastisch einschrän- ken. Die Gewinnanteile aus neuen Ver- trägen sollen pauschal mit 25 Prozent belastet werden. Davon sollen nur Ver- träge ausgenommen werden, in denen monatliche Rentenzahlungen verein- bart werden. Gewinnanteile aus Ver- trägen, die eine Kapitalauszahlung zu- lassen, werden voll besteuert. Das ist wenig einsichtig. Die berufsständische Versorgung dürfte von dieser steuerli- chen Änderung nicht betroffen wer- den, da sie ausschließlich Renten ge- währt. Was aus der Besteuerung der Renten wird, bleibt freilich bis zur Ent- scheidung des Bundesverfassungsge- richts offen.

Für die Freiberufler ist von Inter- esse, was bei der Unternehmensbe- steuerung passiert, die mit einem Ent- lastungseffekt von etwa acht Milliar- den Mark verbunden sein soll. 2001 wird der Körperschaftsteuersatz auf einheitlich 25 Prozent gesenkt. Zusam- men mit der Gewerbeertragsteuer er- gibt sich damit eine Belastung von 35 bis etwa 38 Prozent. Heute werden ein- behaltene Gewinne mit 40 Prozent, ausgeschüttete Gewinne mit 30 Pro- zent belastet. Eine Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne wird heute durch die Vollanrechnung der Steuer bei der Einkommensteuer ver- mieden. Dies soll künftig dadurch er- reicht werden, daß die ausgeschütteten Dividenden nur zur Hälfte in die Be- steuerung des Kapitaleigners einbezo- gen werden. Auch die nichtentnom- menen Gewinne von Personengesell- schaften und Einzelunternehmen sol- len von 2000 an einem Steuersatz von 25 Prozent unterliegen. Entnommene Gewinne sollen weiterhin mit dem in der Regel höheren individuellen Steu- ersatz der Unternehmer belastet wer- den. Der Belastungsunterschied kann bei einem Spitzensatz von 48,5 Prozent künftig bis zu 13 Prozent und mehr be- tragen. Das dürfte sich als verfassungs- widrig erweisen. Die Begründung des nichtentnommenen Gewinns könnten auch Freiberufler in Anspruch neh- men; sie unterlägen dann allerdings auch der Gewerbesteuer. Wie sie sich auch entscheiden, die vorgesehene Kürzung der degressiven Abschrei- bung trifft alle. Walter Kannengießer A-1814

P O L I T I K AKTUELL

(18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999

Riester verschweigt, daß von Jahr zu Jahr höhere Ökosteuern entrichtet

werden müssen.

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