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Ringen um Milliarden-Überschüsse

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Bayerisches Är zteblatt 7- 8/2012

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Es ist eine ungewöhnliche Situation – sowohl für die Krankenkassen als auch den Gesund- heitsminister. Normalerweise kämpfen beide mit Defiziten im Gesundheitswesen. Seit einem Jahr ist es jedoch genau umgekehrt: Die Über- schüsse wachsen und wachsen. Ein Jahr vor der Bundestagswahl versucht vor allem die Politik, aus der üppigen Finanzreserve Profit zu schla- gen.

Wie viel Krankenkassen und Gesundheitsfonds derzeit exakt auf der hohen Kante haben, gilt als streng gehütetes Geheimnis. Experten schätzen die Rücklagen auf rund 20 Milliarden Euro, davon etwa die Hälfte beim Gesundheits- fonds. Bis Ende des Jahres dürften die Reserven auf bis zu 26 Milliarden Euro anwachsen. Vor allem die anhaltend gute Konjunktur und die niedrige Arbeitslosigkeit haben weit mehr Geld ins System gespült als ursprünglich prognosti- ziert.

Die Rekord-Überschüsse bringen vor allem Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) unter Druck. Gerade die Liberalen haben stets für mehr Netto vom Brutto gekämpft. Warum also nicht die Beitragszahler entlasten? Dabei hatte sich die Regierung das so schön ausgedacht:

Krankenkassen, die mit den Zuweisungen aus dem Fonds nicht auskommen, müssen von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben.

Schwarz-Gelb hat dazu sogar die Deckelung der Extra-Gebühren auf ein Prozent des Ver- dienstes aufgehoben und den Beitragssatz für Arbeitgeber festgeschrieben. Umgekehrt sollten Kassen mit Überschüssen, Prämien an die Versicherten auszahlen. Diese Möglichkeit nutzt bisher jedoch nicht einmal ein Dutzend der knapp 150 Kassen in Deutschland.

Gesundheitsminister Bahr macht daher gewal- tig Druck. „Krankenkassen sind keine Sparkas- sen und sollten Beitragsgelder nicht horten“, sagte der FDP-Minister im „FAZ“-Interview.

Notfalls werde der Gesetzgeber eine Auszah-

lung von Prämien erzwingen. Bisher würden gerade mal zehn Kassen Prämien an etwa eine Million Mitglieder auszahlen. „Es könnten aber mehr Kassen auszahlen und Millionen Bei- tragszahler profitieren“, betonte Bahr. Zuvor hatte bereits das Bundesversicherungsamt – die Aufsicht für die bundesweit tätigen Kassen – drei Krankenkassen ein Ultimatum gesetzt.

Sie sollten bis Anfang Juni begründen, wie sie die hohen Überschüsse abbauen wollen.

Laut Sozialgesetz dürfen die Rücklagen ma- ximal 1,5 Monatsausgaben betragen. Die fi- nanzstarken Kassen stellen sich allerdings taub. Sie wissen, dass sie nur schwer zu einer Ausschüttung gezwungen werden können.

Selbstbewusst kündigte der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, im Interview mit der „Rheinischen Post“ an: „Wir als AOK werden die Überschüsse in die langfris- tige Sicherung der Versorgung investieren und keine Prämien ausschütten.“ Für die Ortskran- kenkassen gilt jedoch eine Sonderregelung. Die einzelnen AOK unterliegen nicht dem Bundes- versicherungsamt, sondern der jeweiligen Län- deraufsicht. Das heißt: Bayerns Gesundheits- minister Marcel Huber (CSU) müsste AOK-Chef Helmut Platzer zwingen, Prämien auszuschüt- ten. Das ist eher unwahrscheinlich.

Doch warum weigern sich die finanzstarken Krankenkassen hartnäckig, Gelder an ihre Mitglieder auszuzahlen? Schuld ist das bi- zarre System der Zusatzbeiträge. Damit wollte die Regierung den Wettbewerb zwischen den Kassen stärken. Weil die Kassen langfristig mit sinkenden Einnahmen und steigenden Ausga- ben rechnen, bilden sie derzeit Rücklagen, um möglichst lange ohne Zusatzbeiträge auszu- kommen. Denn die Erfahrung der DAK zeigt:

Wer als Erster Zusatzbeiträge verlangen muss, ist der große Verlierer. Hinzukommt: Für die Versicherungen wäre eine Prämien-Auszahlung ein logistischer Kraftakt. So müssten entwe- der Schecks verschickt werden oder die Kon-

todaten von allen Mitgliedern erfasst werden – und das alles für ein paar Euro im Monat. Die Kassen verhalten sich daher mit ihrem strikten Nein zu Prämien durchaus rational.

Ob die Strategie der Krankenkassen allerdings aufgeht, ist ungewiss. Je näher die Bundestags- wahl rückt, umso stärker wächst die Gefahr, dass sich die Politik großzügig an den Über- schüssen bedient. Den Anfang machte Bun- desfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der sich für die Sanierung seines Haushaltes bereits zwei Milliarden Euro aus dem Gesund- heitsfonds schnappte. Gesundheitsminister Bahr würde dagegen gern die Praxisgebühr ab- schaffen. Kein Wunder: Für den FDP-Minister wäre die Streichung der 10-Euro-Abgabe ein willkommenes Wahlkampf-Geschenk. Denn die Praxisgebühr ist bei Ärzten und Patienten glei- chermaßen unbeliebt.

Dabei sollte gerade Schwarz-Gelb ein großes Interesse haben, keine übermäßigen Geschenke zu verteilen. Denn viele Kassen kommen trotz guter Konjunktur gerade mit den Zuweisungen aus dem Fonds über die Runden. Schon bei einem etwas stärkeren Ausgabenzuwachs müssten sie erneut Zusatzbeiträge erheben – kurz vor der Bundestagswahl wäre dies ein gefundenes Fressen für die Befürworter der rot-grünen Bürgerversicherung.

Autor

Steffen Habit,

„Münchner Mer- kur“, Redaktion Wirtschaft

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