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Archiv "Die Regierung setzt den Rotstift an" (30.07.1993)

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POLITIK

Die Bundesregierung hat er- kannt, daß sie sich aus der finanzpoli- tischen Sackgasse nur befreien kann, wenn sie über Jahre hinweg eine sehr restriktive Ausgabenpolitik betreibt.

Bei Ländern und Gemeinden wächst diese Einsicht nur langsam. Nahziel der Konsolidierungsbeschlüsse der Regierung ist es daher, Ausgaben zu streichen, um die Defizite zunächst nicht weiter wachsen zu lassen. Mit- telfristig sollen dann die Defizite und die Neuverschuldung zurückgeführt werden.

Für Kanzler Kohl haben drei Ziele höchste Priorität: Der Auf- schwung Ost, die Europäische Wäh- rungsunion und der Erfolg bei der nächten Bundestagswahl in gut 14 Monaten. Alle drei Ziele sind nur zu erreichen, wenn die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte voran- kommt und die Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückkehrt. Dazu passen weder zusätzliche Steuerer- höhungen noch eine zinstreibende Schuldenpolitik.

Die Sparmaßnahmen konzen- trieren sich auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Dadurch wird direkt der Haushalt der Bundes- anstalt für Arbeit entlastet, indirekt aber der Bund, der das Defizit der Bundesanstalt zu decken hat. Im letzten Jahr hat der Bund Zuschüsse von fast 14 Milliarden Mark geleistet, im laufenden Jahr werden es minde- stens 18 Milliarden, wahrscheinlich aber etwa 20 Milliarden Mark sein.

Angesichts dieser Zahlen verliert die Forderung an Gewicht, die Steuer- zahler stärker an der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik zu beteiligen oder Beamte und Selbständige mit einer zusätzlichen Abgabe zu bela- sten.

KOMMENTAR

Für die Disposition der ange- stellten und freiberuflich tätigen Ärz- te sind folgende finanzpolitische Be- schlüsse der letzten Wochen von Be- deutung:

Haushalt 1994: Die Ausgaben des Bundes sollen um rund 20 Milli- arden Mark oder 4,4 Prozent auf 478 Milliarden Mark erhöht werden.

Zieht man die Belastung des Bundes durch die Bahnreform ab, so bleibt eine Zuwachsrate von 2,6 Prozent.

Die Neuverschuldung wird mit 67,5 Milliarden Mark vorgegeben; das entspricht der hohen Neuverschul- dung im laufenden Jahr. Auch für 1995 wird eine Kreditaufnahme von wiederum 67 Milliarden Mark vorge- geben. Die hohe Verschuldung in diesem und im nächsten Jahr ist vor allem die Folge der konjunkturbe- dingten Steuerausfälle und der stei- genden Arbeitslosenzahlen. Daß die- se Verschuldung auch 1995 nicht ver- ringert werden kann, ist das Ergebnis des Finanzausgleichs, in den von 1995 an die neuen Länder einbezo- gen werden. Die Länder haben den Bund über den Tisch gezogen; die Rechnung dafür wird den Steuerzah- lern präsentiert.

Im laufenden Jahr hat der Bund rund 55 Milliarden Mark an Zinsen zu zahlen. 1995 hat der Bund die Konkursmasse der DDR zu überneh- men, was die Zinsausgaben um wei- tere 40 Milliarden Mark erhöht. Bis 1996 wird die Zinslast des Bundes auf mindestens 100 Milliarden Mark ansteigen, das sind rund 20 Prozent der Gesamtausgaben. Der Bund droht damit handlungsunfähig zu werden.

Bei der Mehrzahl der Etats gibt es Abstriche. Beim Wirtschaftsres- sort werden die Ausgaben um 7,7

Prozent gekürzt, beim Landwirt- schaftsministerium um 3,2 Prozent, bei der Verteidigung um 2,5 Prozent, beim Ministerium für Familie und Senioren um 5,1 Prozent, beim Ge- sundheitsministerium um 20 Prozent.

Dagegen steigen der Verkehrsetat um 22,8 Prozent und der Etat des Bauministeriums gar um 32,3 Pro- zent. Die Mittel für den Verkehr stei- gen nur wegen der Verlagerung der Schulden der Bahn auf den Bund, und der Etat des Bauministeriums wird mit den Altschulden auf den Wohnungen in den neuen Ländern belastet. Bei Minister Seehofer wird die Mutterschaftspauschale gestri- chen, die der Bund bislang in Höhe von 400 Mark je Mutterschaftsfall an die Krankenkassen zahlte. Der Haus- halt des Arbeitsministeriums steigt um 1,7 Prozent auf 122 Milliarden Mark. Die zusätzlichen Ausgaben für die Rentenversicherung und für die Kriegsopfer sind höher als die Ein- sparungen bei der Arbeitsmarktpoli- tik. Schon diese Tatsache widerlegt die Behauptung, daß die Koalition

„sozialpolitischen Kahlschlag" be- treibe. Die Sozialausgaben im Bun- deshaushalt summieren sich auf rund 168 Milliarden Mark, das sind rund 35 Prozent der Gesamtausgaben.

Sparmaßnahmen: Die Bundesre- gierung beziffert ihr Sparpaket für 1994 mit 21 Milliarden Mark. Davon entfallen rund 14 Milliarden Mark auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit.

Die Geldleistungen sollen 1994 vier- teljährlich um jeweils einen Prozent- punkt gekürzt werden. Das Arbeits- losengeld eines Verheirateten mit Kind beträgt von 1995 an 64 Prozent des vorherigen Arbeitsentgelts, das der übrigen Versicherten 59 Prozent.

Entsprechend werden auch die Sätze der Arbeitslosenhilfe, die Bedürftig- keit voraussetzt, verringert. Arbeits- losenhilfe wird längstens für zwei Jahre gewährt, danach ist die Sozial- hilfe zuständig. Das Unterhaltsgeld bei Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung wird auf das Niveau des Arbeitslosengeldes gesenkt. Der Bei- tragssatz zur Arbeitslosenversiche- rung soll weiterhin 6,5 Prozent betra- gen und nicht wie nach geltendem Recht auf 6,3 Prozent gesenkt wer- den. Nach den Plänen der Bundesre- gierung sollen bei der Sozialhilfe ver-

Die Regierung setzt den Rotstift an

Nun soll wirklich gespart werden. Zum ersten Mal hat die Regierung ein Gesetzespaket ge- schnürt, mit dem fühlbare Abstriche bei Ausgaben verbunden sind. Bisher wird über den Zwang zum Sparen nur geredet. Geschehen ist bislang wenig. Im Rahmen des Solidarpakts, auf den sich im März und April Koalition und SPD einigten, sind vor allem höhere Steuern beschlossen und die Neuverschuldung ausgeweitet worden. So geht es nicht weiter.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 30, 30. Juli 1993 (17) A1-2049

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POLITIK

gleichbare Abstriche vorgenommen werden, damit der Abstand zu den Leistungen der Arbeitslosenversiche- rung gewahrt bleibt.

Bei Beziehern höherer Einkom- men wird das Kindergeld allgemein auf 70 Mark monatlich gekürzt; bis- lang galt dies nur bei den Leistungen für das zweite Kind. Dabei wird an eine Einkommensgrenze von etwa 150 000 Mark für Verheiratete und von 120 000 Mark für Alleinerziehen- de gedacht. Auch das Erziehungsgeld soll vom ersten Tag an und nicht erst nach sechs Monaten einkommensab- hängig gestaltet werden. Auch hier sollen die genannten Einkommens- grenzen gelten. Die Kürzung des Kindergeldes könnten auf verfas- sungsrechtliche Bedenken stoßen, da bei den Kindern der „Besserverdie- nenden" nicht mehr der Minimalauf- wand durch Freibeträge und Kinder- geld als gedeckt angesehen werden kann. Beim Kindergeld sollen künftig die Einkünfte des Kindes verstärkt berücksichtigt werden.

Steuerbeschlüsse: Bei der Be- steuerung sollen Mißbräuche einge- dämmt und die Umgehung der Steu- erpflicht verhindert werden. Genau- er als bisher sollen Verträge zwi- schen Ehegatten kontrolliert, die Manipulation von Preisen in Kauf- verträgen aufgedeckt und das Dekla- rieren privat genutzter Gegenstände als steuerlich abzugsfähige Arbeits- mittel verhindert werden. Inzwischen gibt es im Finanzministerium die er- ste Fassung eines Artikelgesetzes, nach der auch die Gestaltungsmög- lichkeiten bei den Finanzinnovatio- nen eingeschränkt werden sollen.

Ziel ist es unter anderem, den Wert- zuwachs von Papieren steuerlich zu erfassen, der an Stelle der an sich fäl- ligen und steuerpflichtigen Zinsen ausgewiesen wird. Durch diese Ge- setzesergänzung soll ein kürzlich her- ausgegebener Verwaltungserlaß ab- gesichert werden.

Mit diesem Gesetzentwurf, über den das Kabinett noch im August entscheiden muß, soll die Mineralöl- steuer auf Benzin von 1994 an um 16 Pfennig je Liter und für Diesel um 7 Pfennig je Liter angehoben werden.

Die Kilometer-Pauschale für PKW wird gleichzeitig um 10 Pfennig auf 75 Pfennig je Entfernungs-Kilometer

KOMMENTAR / KURZBERICHT

angehoben. Zur Stützung der Bau- konjunktur wird der begrenzte Schuldzinsenabzug im Rahmen des selbstgenutzten Wohnungsbaus um ein Jahr verlängert. Der Schuldzin- senabzug kann also noch für Neubau- ten in Anspruch genommen werden, die vor dem 1. Januar 1996 fertigge- stellt werden. Der Vorwegabzug soll nur noch bei Steuerpflichtigen mit Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, die steuerfreie Leistungen Dritter zur Vorsorge erhalten, ge- kürzt werden, und zwar einheitlich um 16 Prozent.

Standortsicherungsgesetz: Das Gesetz, das 1994 in Kraft tritt, ist aus konjunkturpolitischer Sicht verbes- sert worden. Die prinzipiellen Ein- wände wegen der unterschiedlichen Belastung der gewerblichen Einkünf- te und aller übrigen Einkünfte blei- ben jedoch bestehen. Nunmehr steht fest, daß künftig der Körperschaft- steuersatz auf einbehaltene Gewinne 45 Prozent und für ausgeschüttete Gewinne 30 Prozent beträgt. Die Be- lastung der gewerblichen Einkom- men im Rahmen der Einkommen- steuer wird auf 47 Prozent begrenzt;

Influenza-Meldesystem

Das Meldesystem, im letzten Jahr aufgebaut von der Arbeitsge- meinschaft Influenza (AGI), scheint zu funktionieren. Die Daten, die die 200 zur Zeit am System beteiligten niedergelassenen Ärzte in der „Grip- pesaison" 1992/93 an die AGI gemel- det haben, waren, retrospektiv be- trachtet, offensichtlich repräsentativ.

Nachdem die Aufbauphase beendet ist, beabsichtigt die AGI, ab Herbst diesen Jahres mit ihren Daten an die Öffentlichkeit zu treten. Das kündig- te sie auf einer Tagung in Mari- enbad/Tschechei an. Der Kreis der Meldepraxen soll verdoppelt werden, so daß das Meldesystem dann 400 Praxen umfaßt. Interessenten für ei- ne solche Meldepraxis gibt es zur Ge-

für alle übrigen Einkunftsarten bleibt es bei dem Spitzensatz von 53 Pro- zent. Von der Koalition waren zu- nächst Steuersätze von einheitlich 44 Prozent vorgeschlagen worden.

Es bleibt bei der degressiven Ab- schreibung von 30 Prozent für beweg- liche Wirtschaftsgüter; diese sollte ursprünglich auf 25 Prozent gekürzt werden. Dies hätte investierende Be- triebe und auch die Freiberufler be- nachteiligt, die nichts von der Sen- kung der Steuersätze haben. Die de- gressive Abschreibung für Betriebs- gebäude wird abgeschafft und durch eine lineare Abschreibung von je- weils 4 Prozent über 25 Jahre ersetzt.

Das Gesetz bleibt prinzipiell aufkommensneutral. Die Senkung der Steuersätze wirkt jedoch sofort, während die Maßnahmen der Ge- genfinanzierung erst später wirksam werden. Bis 1996 ergibt sich jeden- falls ein die Unternehmen entlasten- der Effekt von 14 Milliarden Mark, der zur Stabilisierung der Konjunk- tur beitragen könnte. Gegen diese Regelung spricht, daß Arbeitnehmer und Freiberufler benachteiligt wer- den. wst

nüge. Der AGI liegen 300 Bewerbun- gen vor. Die Ärzte, die bisher mitma- chen, sind weiterhin motiviert, ledig- lich acht haben ihre Mitarbeit aufge- kündigt. Das System der Meldepra- xen wurde von der AGI im vorigen Jahr nach dem Vorbild ähnlicher

„Sentinel networks", die es in den eu- ropäischen Nachbarländern bereits seit längerem gibt, in Deutschland eingeführt (dazu Heft 41/1992: „Auf Wache gegen die Grippe").

Von den meldenden Ärzten wer- den wöchentlich alle Fälle akuter re- spiratorischer Erkrankungen an die AGI gemeldet. Es handelt sich um eine bloße statistische Erfassung; Pa- tientendaten werden nicht weiterge- geben. Fünf Prozent der meldenden

Bewährungsprobe bestanden

A1-2050 (18) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 30, 30. Juli 1993

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