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Archiv "Schilddrüse und Röntgenkontrastmittel: Pathophysiologie, Häufigkeit und Prophylaxe der jodinduzierten Hyperthyreose" (16.02.2001)

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E

ine Exposition durch sehr hohe Mengen exogen zugeführten Jods ist ein häufiges Ereignis im klini- schen Alltag in Anbetracht von etwa fünf Millionen Untersuchungen, die pro Jahr in Deutschland mit jodhalti- gen Röntgenkontrastmitteln (RöKM) durchgeführt werden.

Eine normale Schilddrüse besitzt die Fähigkeit, sich an eine Jodbelastung zu adaptieren. Bei zugrunde liegenden Defekten in den regulatorischen Me- chanismen kann die Verabreichung von Jod in hoher Dosierung Schilddrüsen- funktionsstörungen auslösen. Während durch Jod hervorgerufene Hypothyreo- sen fast ausschließlich in ausreichend jodversorgten Ländern zu finden sind, tritt die jodinduzierte Hyperthyreose vornehmlich in Gebieten mit endemi- schem Jodmangel auf (6, 14, 21). Ursa- che dafür ist die in diesen Arealen rela- tiv hohe Prävalenz von funktionell au- tonomem Gewebe in der Schilddrüse (1, 22, 51). Werden Patienten mit einer Schilddrüsenautonomie oder mit einer Immunthyreopathie vom Typ Morbus Basedow hohen Jodmengen ausgesetzt, kann es durch Fehlen der normalen Au- toregulation zu einer ungehemmten Aufnahme und Organifizierung von Jod, zur vermehrten Synthese von Schilddrüsenhormonen und schließlich zu allen Schweregraden einer Hyper- thyreose („Jod-Basedow“) kommen (10, 11, 12, 16, 18, 19, 30, 31).

Trotz der häufigen Anwendung jod- haltiger RöKM ist bislang wenig über die tatsächliche Belastung der Schild- drüse mit freiem Jod, das wirkliche Ri- siko der jodinduzierten Hyperthyreose sowie die Effektivität der medika- mentösen Prophylaxe bekannt.

Jodbelastung durch Röntgenkontrastmittel

Mit der Injektion trijodierter, nie- rengängiger RöKM werden dem Pati- enten Jodmengen in der Größenord- nung von etwa 15 bis 100 g zugeführt, da, bezogen auf das Molekulargewicht, RöKM etwa zur Hälfte aus organisch gebundenem Jod bestehen. Diese ap- plizierten Jodmengen übersteigen die Gesamtjodmenge des menschlichen Körpers um etwa das 1 500- bis 10 000- fache. Für die Beeinflussung der Schild- drüsenfunktion ist jedoch nicht die Menge an kovalent organisch gebunde- nem Jod entscheidend, sondern zum ei- nen der Gehalt an freiem, anorgani- schem Jodid, den jedes Kontrastmittel herstellungsbedingt enthält, zum ande- ren das Ausmaß an intravital abgespal- tenem freiem Jodid.

Freies, anorganisches Jod in Röntgenkontrastmitteln

Der Gehalt an freiem Jodid in ioni- schen und nichtionischen RöKM liegt nach Untersuchungen von Laurie et al.

(28) und Rendl et al. (42) zwischen 0,5 und 36 µg Jodid pro ml Kontrastmittel (Tabellen 1 und 2). Statistisch gesehen unterscheiden sich beide Kontrastmit- telgruppen nicht hinsichtlich ihres Ge- halts an freiem Jod (42), weil auch nicht- ionische RöKM einen vergleichsweise hohen Anteil an anorganischem Jodid enthalten können (Tabelle 2). Da letzte- rer produktionstechnisch bedingt ist, besteht auch keinerlei Korrelation zum kovalent gebundenen Gesamtjod der Kontrastmittel. Bezogen auf das im Kontrastmittel enthaltene, organisch gebundene Jod, liegt die Konzentration des freien anorganischen Jodids in der Größenordnung von zehntel bis tau- sendstel Promille.

Schilddrüse und

Röntgenkontrastmittel

Pathophysiologie, Häufigkeit und Prophylaxe der jodinduzierten Hyperthyreose

Johann Rendl

1

Bernhard Saller

2

Zusammenfassung

Neuere Ergebnisse über den Jodgehalt und die Jodidabspaltung in vivo auch von Röntgenkon- trastmitteln der neueren Generation erklären, warum trotz niedriger primärer Jodidkontami- nation dieser Kontrastmittel deren Anwen- dung mit einer hohen Jodbelastung der Schild- drüse verbunden ist. Wenngleich das Risiko einer jodinduzierten Hyperthyreose generell niedrig ist, macht diese Form der Schilddrü- senüberfunktion zahlenmäßig etwa die Hälfte aller Hyperthyreosen aus. Die Indikation zur medikamentösen Prophylaxe ist in Abhängig- keit von der klinischen Situation zu stellen. Bei jüngeren Patienten mit unauffälligem klini- schen Befund und ohne bestehender Schild- drüsenkrankheit sowie bei über 60-jährigen Patienten, bei denen das basale TSH im Refe- renzbereich liegt, ist keine Prophylaxe notwen- dig. Bei Personen mit latenter Hyperthyreose und/oder Knotenstruma und/oder geringgra- diger, szintigraphisch nachgewiesener Schild- drüsenautonomie sollte eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden.

Schlüsselwörter: Röntgenkontrastmittel, In-vi- vo-Dejodierung, Jodexzess, jodinduzierte Hy- perthyreose, medikamentöse Prophylaxe

Summary

Thyroid and Contrast Materials

New data on contaminant free inorganic iodide and in vivo deiodination of nonionic contrast agents show that the application of these ma- terials is leading to a considerable iodine load of the thyroid gland. The risk of iodine-induced thyrotoxicosis is relatively low, but about half the number of all hyperthyroid patients are due to contrast materials. No prophylaxis is necessary in young patients with an unremark- able clinical course and in patients above 60 years if the basal TSH is in the normal range.

Prophylactic administration of antithyroid drugs is always indicated in latent hyperthy- roid patients and/or nodular goiter and/or low grade autonomy of the thyroid.

Key words: contrast agent, in vivo deiodina- tion, iodine excess, iodine-induced thyrotoxico- sis, prophylactic medication

1Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin (Direktor: Prof.

Dr. med. Christoph Reiners) der Universität Würzburg

2Abteilung Endokrinologie, Zentrum für Innere Medizin (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Mann) des Universitätskli- nikums Essen

(2)

Ausscheidung von Röntgenkontrastmitteln

Die mit der Verabreichung jodhaltiger RöKM applizierten, großen Mengen an organisch gebundenem Jod werden überwiegend mit dem RöKM mit einer Eliminationshalbwertszeit von knapp zwei Stunden und einer Plasmaclea- rance, die ziemlich genau der glome- rulären Filtrationsrate entspricht, in den Urin ausgeschieden. Nach 2 bis 3 h sind etwa 50 Prozent, nach 24 h schon 90 Prozent der injizierten Kontrastmittel- menge renal eliminiert. Die Ausschei- dung über den Stuhl ist vernachlässig- bar gering, da nur etwa ein bis zwei Pro- zent der applizierten Menge an RöKM innerhalb von sechs Tagen in den Fae- ces erscheinen (53).

Abspaltung von Jodid in vivo

Bei Anwendung moderner, nichtioni- scher RöKM, wie zum Beispiel Iopa- midol (Solutrast), Iopromid (Ultra- vist) oder Iomeprol (Imeron) mit Kon- zentrationen an freiem Jodid von nur 0,5 bis 2,5 µg/ml werden mit einmaliger Injektion von 100 ml Kontrastmittel freie Jodmengen zwischen 50 und 250 µg intravenös verabreicht. Eine einma- lige Gabe von Jod in dieser Größen- ordnung, die der täglichen Jodzufuhr mit der Nahrung entspricht, ruft kaum eine jodinduzierte Hyperthyreose her- vor. Dennoch treten diese auch nach einmaliger Applikation nichtionischer RöKM auf (25, 38). Die gemessenen Plasmajodidkonzentrationen zeigen sowohl nach parenteraler Verabrei- chung jodhaltiger RöKM zum Beispiel bei Koronarangiographien (43), als auch nach enteraler Kontrastmittel- applikation im Rahmen einer endo- skopischen retrograden Cholangio- pankreatikographie (33, 36) einen sig- nifikanten hohen Anstieg, der die je- weilige Ausgangskonzentration um ein Vielfaches übersteigt (48). Eine derart ausgeprägte Zunahme der Jo- didkonzentration im Plasma lässt sich nicht durch den freien Jodidgehalt im RöKM erklären, vielmehr erfolgt eine starke, offensichtlich rasch beginnen- de, endogene Abspaltung von Jodid (26). Wie schnell diese Dejodierung

´ Tabelle 1C´

Freies, anorganisches Jodid in ionischen Röntgenkontrastmitteln

Freies Freies Gesamtjod

Kontrastmittel anorganisches anorganisches

Jodid Jodid

Handelsname Wirkstoff µg/ml ‰ Gesamtjod mg/ml

Angiografin 0,65 g 9,36 ± 0,18 0,03 306

Megluminamidotrizoat

Conray EV 0,24 g Meglumin- 19,01 ± 0,08 0,06 328

0,36 g Natrium-Iotalamat

Conray FL 0,24 g 14,12 ± 0,23 0,12 113

Megluminiotalamat

Conray FL36 0,36 g 15,78 ± 0,06 0,09 170

Megluminiotalamat

Conray 30 0,30 g 20,28 ± 0,11 0,14 141

Megluminiotalamat

Conray 60 0,60 g 36,17 ± 0,37 0,13 282

Megluminiotalamat

Conray 70 0,71 g Meglumin- 5,35 ± 0,07 0,01 410

0,629 g Natrium-Iotalamat

Hexabrix 320 0,393 Meglumin- 17,83 ± 0,27 0,06 320

0,196 g Natrium-Ioxaglat

Telebrix Gastro 0,660 g 32,40 ± 0,56 0,11 300

Megluminioxitalamat aus Rendl et al. (42)

´ Tabelle 2C´

Freies, anorganisches Jodid in nichtionischen Röntgenkontrastmitteln

Freies Freies Gesamtjod

Kontrastmittel anorganisches anorganisches

Jodid Jodid

Handelsname Wirkstoff µg/ml ‰ Gesamtjod mg/ml

Imeron 300 0,612 g Iomeprol 2,32 ± 0,33 0,008 300

Isovist 300 0,641 g Iotrolan 17,02 ± 0,37 0,06 300

Omnipaque 240 0,518 g Iohexol 8,27 ± 0,08 0,03 240

Omnipaque 300 0,647 g Iohexol 10,82 ± 0,37 0,04 300

Omnipaque 350 0,755 g Iohexol 15,19 ± 0,07 0,04 350

Optiray 240 0,509 Ioversol 30,16 ± 0,16 0,13 240

Optiray 300 0,509 g Ioversol 23,29 ± 0,12 0,08 300

Optiray 320 0,509 g Ioversol 15,21 ± 0,05 0,05 320

Optiray 350 0,509 g Ioversol 6,99 ± 0,16 0,02 350

Solutrast 300 0,408 g Iopamidol 0,50 ± 0,001 0,002 300

Ultravist 240 0,499 Iopromid 2,45 ± 0,04 0,01 240

Ultravist 300 0,623 g Iopromid 2,33 ± 0,01 0,008 300

Ultravist 370 0,769 g Iopromid 3,39 ± 0,07 0,009 370

aus Rendl et al. (42)

(3)

einsetzt und wie viel zusätzliches freies Jodid auf diesem Wege anfällt, lässt sich anhand der Grafik abschätzen.

Vierzig Patienten wurden randomi- siert und standardisiert jeweils 85 ml entweder von Ioversol 300 (Optiray 300, Gruppe A) mit einem freien Jo- didgehalt von 5 µg Jodid pro ml RöKM oder von Iomeprol 300 (Imeron 300, Gruppe B) mit einem Jodidanteil von 2 µg pro ml Kontrastmittel innerhalb von 3 min intravenös verabreicht (44).

Zwei Kontrollgruppen von jeweils fünf Probanden bekamen in gleicher Weise 85 ml einer physiologischen Kochsalz- lösung intravenös infundiert. Die Kochsalzinfusionen enthielten die sel- be Konzentration an freiem Jodid wie die beiden Kontrastmittel jedoch kein organisch gebundenes Jod. Im Gegen- satz zu den Kontrollen zeigen die bei- den Kontrastmittelgruppen signifikant höhere Plasmajodidspiegel, die im Zeitverlauf zunehmen, während bei den Kontrollen das Plasmajodid konti- nuierlich abfällt. Die quantitative Aus- wertung ergibt, dass innerhalb einer Stunde etwa 3 bis 6 mg, das heißt 0,01 bis 0,02 Prozent der verabreichten, or- ganisch gebundenen Gesamtjodmenge als freies Jodid anfallen. Im Verlauf ei- ner Woche werden etwa 37 mg Jodid abgespalten, was 0,145 Prozent des or- ganisch gebundenen Gesamtjods ent- spricht (45).

Bei einer typischen Kontrastmittelun- tersuchung, wie zum Beispiel einer dia- gnostischen Herzkatheteruntersuchung werden etwa 80 ml eines nichtionischen RöKM appliziert. Aufgrund der be- schriebenen Ergebnisse tritt dabei eine mittlere Belastung mit freiem Jodid in der Größenordnung von circa 5 bis 6 mg täglich auf. Die Gesamtmenge an freiem Jodid fällt innerhalb einer Woche an und beträgt etwa 30 bis 40 mg. Diese Mengen an freiem Jod übersteigen bei weitem die übliche Jodzufuhr mit der Nahrung und können daher bei entsprechend aus- geprägter funktioneller Autonomie eine Hyperthyreose induzieren.

Häufigkeit der jodinduzierten Hyperthyreose

Trotz der häufigen Anwendung jodhal- tiger Röntgenkontrastmittel ist die Auslösung von Hyperthyreosen im Zu- sammenhang mit RöKM bisher meist nur in Fallberichten beschrieben (3, 4, 5, 13, 40, 50). Auch liegen bislang nur sehr wenige prospektive Untersuchun- gen über die Häufigkeit und den Schweregrad einer jodinduzierten Hy- perthyreose (IIH) nach Kontrastmittel- applikation vor (7, 8, 15, 17, 25, 52).

Studien an nicht selektierten, größe- ren Patientengruppen zeigen jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit einer IIH nach einmaliger Applikation eines jod- haltigen Röntgenkontrastmittels bezo- gen auf die Anzahl der RöKM-Untersu- chungen relativ niedrig ist (Tabelle 3).

Dies gilt insbesondere für die thyreotoxi- sche Krise. Bei 5 Millionen Kontrastmit- teluntersuchungen pro Jahr in Deutsch-

land treten etwa 100 thyreotoxische Kri- sen im gleichen Zeitraum auf, wovon cir- ca 38 Prozent durch eine Jodexposition ausgelöst werden (29). Vergleicht man die Inzidenz der Hyperthyreose nach RöKM-Applikationen mit der Spontan- inzidenz der Hyperthyreose von 0,01 bis 0,04 Prozent der Gesamtbevölkerung (27, 37), so zeigt sich, dass die jodindu- zierten Hyperthyreosen zahlenmäßig un- gefähr die Hälfte aller Schilddrüsenüber- funktionen ausmachen. Wenngleich das Risiko einer IIH nach Applikation jod- haltiger RöKM als gering einzustufen ist, stellen die Hyperthyreose oder gar die thyreotoxische Krise im Rahmen einer Jodkontamination, vor allem bei älteren, kardial vorbelasteten Patienten ein ernst zu nehmendes, manchmal sogar lebens- bedrohendes Krankheitsbild dar. Zudem ist durch umfangreiche Studien gesi- chert, dass der Thyreostatikabedarf und der Verlauf der Hyperthyreose durch die Jodkontamination ungünstig beeinflusst werden (2). Es ist daher wichtig, mögli- che Risikofaktoren für die Entstehung einer IIH zu definieren.

Risikofaktoren für eine jodinduzierte Hyperthyreose

Die Häufigkeit, mit der eine jodindu- zierte Hyperthyreose auftritt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab (20, 23, 51).

❃ Schweregrad des Jodmangels vor Jodexposition,

❃ Ausmaß der Jodexposition,

❃ Häufigkeit funktionell autonomer Zellen in der Schilddrüse,

❃ Alter der Patienten.

30 25 20 15 10 5

0 0 10 20 30 40 50 60 Zeit (Minuten)

Jodid (µg/dl)

Gruppe A (Ioversol 300) Gruppe B (Iomeprol 300) Kontrollgruppe 5 µg/ml Jodid Kontrollgruppe 2 µg/ml Jodid Grafik

Abspaltung von freiem Jod in vivo nach i.v. Ap- plikation nichtionischer Röntgenkontrastmittel.

Konzentration des anorganischen Jodids im Plasma nach i.v. Applikation von jeweils 85 ml nichtionischem Röntgenkontrast- mittel und von physiologischen Kochsalzlösun- gen (Kontrollen) mit denselben Ausgangskon- zentrationen an freiem Jodid wie die Kontrast- mittel (aus [44]).

´ Tabelle 3C´

Jodinduzierte Hyperthyreosen nach Applikation jodhaltiger RöKM bei nicht selektier- ten, größeren Patientengruppen

Autor Anzahl der RöKM- Jodinduzierte Häufigkeit (%)

Untersuchungen Hyperthyreosen

Lederbogen (29) ca. 5 Mio. Kontrastmittel- etwa 100 thyreotoxische 0,00076 untersuchungen pro Krisen pro Jahr, davon

Jahr in Deutschland ca. 38 % jodinduziert

de Bruin (7) 24 600 CT-Scans 7 0,028

Nolte (38) 1 177 4 0,34

Koronarangiographien

Hintze (25) 788 2 0,25

Koronarangiographien

(4)

Die Ausprägung des Jodmangels, der vor stattgehabter Jodexposition be- steht, ist ein entscheidender Risikofak- tor, da die IIH in Ländern mit ausrei- chender Jodversorgung wesentlich sel- tener vorkommt. Dies geht auch aus Ta- belle 3deutlich hervor. Vergleicht man die beiden aus dem Jodmangelgebiet Deutschland stammenden Studien von Nolte et al. (38) und Hintze et al. (25) mit der Studie von de Bruin (7) aus Holland, wo kein Jodmangel herrscht, so findet man hierzulande eine um den Faktor 10 höhere prozentuale Häufig- keit der IIH.

Die jodinduzierte Hyperthyreose kommt zwar auch in Gebieten mit aus- reichender Jodversorgung vor, jedoch fast ausnahmslos bei älteren Patienten mit knotig veränderten Schilddrüsen (14, 34, 40, 46), sodass das Alter der Pa- tienten ein Risiko darstellt.

Auch Patienten ohne erkennbare Schilddrüsenerkrankung können nach Applikation jodhaltiger RöKM hyper- thyreot werden (25), wobei dies häufi- ger in Jodmangelgebieten mit ausge- sprochen niedrigen intrathyreoidalen Jodkonzentrationen der Fall ist.

Medikamentöse Prophylaxe der Hyperthyreose

Bei Risikopatienten wird häufig Per- chlorat zusammen mit einem Thyreosta- tikum wie Thiamazol zur Prophylaxe ei- ner jodinduzierten Hyperthyreose ein- gesetzt (24, 32, 46). Perchlorat hemmt kompetitiv die Aufnahme von Jodid in die Schilddrüse und vermindert zugleich die Aktivität des Na+/I--Symporters (9).

Thyreostatika wie Thiamazol vermin- dern die Organifizierung von aufgenom- menem Jod in der Schilddrüse.

Die medikamentöse Prophylaxe be- ruht auf theoretischen Überlegungen und wurde in ihrer Wirkung am Men- schen bisher nicht durch große, place- bokontrollierte Studien belegt. Im Tier- modell untersuchten Schumm-Draeger et al. (49) die Wirkung von Perchlorat und Thiamazol unter gleichzeitiger Ga- be hoher Joddosen an humanem, auf die Nacktmaus xenotransplantiertem autonomen Schilddrüsengewebe. In dieser Studie konnte tatsächlich eine vor Jodexposition eingeleitete Thera-

pie mit Perchlorat und Thiamazol eine Überfunktion der Schilddrüsentrans- plantate verhindern. Eine alleinige Therapie mit Perchlorat oder Thiama- zol sowie ein Beginn der Behandlung erst nach erfolgtem Jodüberschuss wa- ren ohne Effekt.

Perchlorat wird nach oraler Verab- reichung rasch resorbiert, die maxima- len Gewebespiegel in der Schilddrüse sind etwa nach vier Stunden erreicht (39). Die Blockade der Jodaufnahme hält nur wenige Stunden an, sodass mehrmalige tägliche Gaben erforder- lich sind. Die Affinität der Schilddrü- senzelle für Perchlorat ist etwa 100- bis 200-mal geringer als für Jodid. Seine Wirksamkeit ist daher abhängig von der Jodidkonzentration im Serum, sodass vor und nach einer Jodkontamination entsprechend hohe Perchloratdosen verabreicht werden müssen. Da durch die In-vivo-Dejodierung jodhaltiger RöKM täglich Jodmengen von einigen Milligramm frei werden, muss Perchlo- rat wegen der geringeren Affinität in entsprechend höherer Dosierung (bis zu 1 g pro Tag) gegeben werden. Der zweite Therapieansatz ist die Behand- lung mit Thyreostatika wie Thiamazol.

Auch Thiamazol weist in Anwesenheit hoher Jodkonzentrationen eine gerin- gere Wirksamkeit auf.

Der kombinierte Einsatz von Per- chlorat und Thiamazol kann insbeson- dere bei Vorliegen einer Jodbelastung ein sinnvoller Therapieansatz sein, da beide Medikamente in Anwesenheit hoher Jodidkonzentrationen eine ver- minderte Wirksamkeit zeigen, jedoch an unterschiedlichen Orten des Jod- stoffwechsels angreifen und somit ein synergistischer Effekt gegeben ist. So- wohl für die Amiodaron-induzierte Hyperthyreose als auch für schwere Hyperthyreosen anderer Genese konn- te die Überlegenheit einer Kombinati- onsbehandlung gegenüber einer Mo- notherapie gezeigt werden (41, 54).

Auch die oben zitierte Untersuchung von Schumm-Draeger et al. am Nackt- mausmodell unterstützt die überlegene Wirkung einer Kombination von Per- chlorat und Thiamazol. In der neuesten Untersuchung zur kurzzeitigen pro- phylaktischen Gabe von Perchlorat (900 mg/Tag) oder Thiamazol (20 mg/Tag) bei Koronarangiographien

von Nolte et al. (38) trat je ein Fall von Hyperthyreose trotz Therapie auf, in der unbehandelten Kontrollgruppe je- doch doppelt so viele. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Kombinationsbehandlung möglicher- weise effektiver ist.

Bei etwa zwei bis fünf Prozent der Patienten treten unter langfristiger Ga- be von Perchlorat leichte Nebenwir- kungen wie Exantheme, Übelkeit, Brechreiz oder Arthralgien auf. In etwa 0,1 bis 0,5 Prozent der Patienten kommt es – besonders bei Tagesdosen von über 1 g – zur Leukopenie bis Agranulozyto- se, zur Thrombopenie oder gar aplasti- schen Anämie. Die Nebenwirkungsrate von Thiamazol beträgt ebenfalls etwa 5 bis 15 Prozent für leichte Nebenwirkun- gen (Exantheme, Arthropathien, Übel- keit) und nur 0,1 Prozent für schwere Nebenwirkungen (besonders Agranu- lozytose) (35). Diese Nebenwirkungs- raten beziehen sich auf eine längerdau- ernde Gabe von Perchlorat und Thia- mazol zur Behandlung einer Hyperthy- reose, nicht auf eine kurzfristige pro- phylaktische Gabe. Für diese Form der Therapie liegen bisher keine Daten zur Nebenwirkungsrate vor. Da die unter längerdauernder Therapie auftreten- den Nebenwirkungen jedoch fast aus- schließlich mit einer Latenzzeit von drei bis acht Wochen auftreten, ist unter der kurzzeitigen prophylaktischen Thera- pie mit einer deutlich niedrigeren Ne- benwirkungsrate zu rechnen.

Diagnostik vor Gabe von Röntgenkontrastmittel

Um das Risiko einer IIH einfach, ko- stengünstig und effektiv zu minimieren, sollten vor intravenöser Applikation von nierengängigen RöKM (zum Bei- spiel zur Angiographie oder Compu- tertomographie) obligat die Erhebung der Anamnese (Alter? – vorbestehen- de Schilddrüsenerkrankung?) durchge- führt werden. Darüber hinaus muss der klinische Befund (Palpation der Schild- drüse - klinische Zeichen der Hyperthy- reose?) erhoben werden.

Ferner ist es empfehlenswert, basales thyreoidstimulierendes Hormon (TSH) zu bestimmen. Eine weiterführende Schilddrüsendiagnostik ist fakultativ.

(5)

Die obligat durchzuführenden Maß- nahmen sind als Minimalforderungen anzusehen, die von jedem Anwender von RöKM berücksichtigt werden sollten.

In Notfallsituationen ist die Durch- führung der obligaten Maßnahmen vor Gabe von RöKM ausreichend.

Liegt eine Risikokonstellation vor (zum Beispiel Alter über 60 Jahre, Knotenstruma, und/oder vorbeste- hende Schilddrüsenkrankheit), sollte großzügig die Indikation zur medika- mentösen Prophylaxe gestellt werden.

Eine weiterführende Schilddrüsendia- gnostik kann sich gegebenenfalls anschließen.

Vor elektiven RöKM-Applikationen wird fakultativ empfohlen basales TSH, gegebenenfalls ergänzt durch FT4 (freies Tetrajodthyronin) und FT3 (freies Tri- jodthyronin) beziehungsweise Gesamt- T3 (T3, Trijodthyronin) zu bestimmen.

Dies sollte durchgeführt werden bei

❃ Patienten mit bekannter Schild- drüsenkrankheit,

❃ bei Vorliegen einer tastbaren Stru- ma und/oder klinischer Symptome ei- ner Hyperthyreose und

❃ bei allen älteren Patienten über 60 Jahre.

Eingeschränkt ist die Aussagekraft des basalen TSH bei Patienten mit schweren Allgemeinerkrankungen. Hier weist ein erniedrigter TSH-Spiegel nicht notwendigerweise auf eine Schilddrüsen- erkrankung hin.

Bei Hinweisen auf das Vorliegen ei- ner Schilddrüsenkrankheit (aus Anam- nese, körperlicher Untersuchung und/

oder Bestimmung von TSH) sollte bei elektiver Indikation zur RöKM-Ap- plikation vorab eine weiterführende Schilddrüsendiagnostik nach den gelten- den Empfehlungen durchgeführt wer- den (47).

Indikationsstellung zur

medikamentösen Prophylaxe

Die Indikation zur Durchführung einer medikamentösen Prophylaxe vor in- travenöser Gabe wasserlöslicher Rönt- genkontrastmittel sollte wegen des geringen Risikos der jodinduzierten Hyperthyreose in nichtselektionierten Patientenkollektiven und aufgrund der Tatsache, dass die Wirksamkeit der pro- phylaktischen Therapie nicht in rando- misierten, prospektiven Studien belegt ist, streng gestellt werden. In den Fäl- len, in denen ein deutlich erhöhtes Risi- ko für eine jodinduzierte Hyperthyreo- se anzunehmen ist, sollte sie jedoch durchgeführt werden. Hierfür sprechen die vorliegenden Daten zur Therapie mit Perchlorat und Thiamazol aus klini- schen und tierexperimentellen Studien, die erhebliche Gefährdung des Patien- ten, falls infolge der Kontrastmitte- lapplikation eine schwere Hyperthy- reose eintritt, die geringe Nebenwir- kungsrate der prophylaktischen Thera- pie und die geringen Therapiekosten.

Die Indikation zur prophylaktischen Therapie vor intravenöser Gabe von nierengängigen Röntgenkontrastmitteln kann nach folgendem Schema gestellt werden. Eine RöKM-Gabe kann ohne medikamentöse Prophylaxe erfolgen,

❃ bei allen jüngeren Patienten mit un- auffälligem klinischem Befund (unauf- fälliger Tastbefund der Schilddrüse, kei- ne Hyperthyreosesymptomatik) und oh- ne vorbestehende Schilddrüsenkrank- heit,

❃ bei älteren Patienten (> 60 Jahre), wenn zusätzlich das basale TSH im Re- ferenzbereich liegt.

Eine RöKM-Gabe sollte mit medi- kamentöser Prophylaxe erfolgen (Text- kasten)

❃ bei allen Patienten mit latenter Hyperthyreose und/oder Knotenstru- ma und/oder geringgradiger, szintigra- phisch nachgewiesener Schilddrüsen- autonomie.

Eine RöKM-Gabe sollte nur bei vita- ler Indikation unter Gabe von Perchlo- rat und Thiamazol erfolgen (Textka- sten)

❃ bei allen Patienten mit manifester Hyperthyreose,

❃ bei allen Patienten mit latenter Hyperthyreose, jedoch szintigraphisch nachgewiesener höhergradiger Auto- nomie. Wenn irgend möglich sollte in diesen Fällen eine effektive Behand- lung der Schilddrüsenkrankheit vor Applikation der RöKM angestrebt wer- den.

Durchführung der Prophylaxe

Die Durchführung der medikamentö- sen Prophylaxe ist im Textkasten darge- stellt. Grundsätzlich ist zu beachten, dass eine medikamentöse Prophylaxe das Risiko einer IIH nur vermindern, nicht beseitigen kann. Bei Vorliegen ei- ner Risikokonstellation sind daher nach RöKM-Applikation klinische und ge- gebenenfalls laborchemische Kontroll- untersuchungen erforderlich.

Die genannten Empfehlungen gelten nur für die Anwendung wasserlöslicher RöKM, nicht für die Anwendung gal- legängiger RöKM. Letztere sollten bei Risikopatienten grundsätzlich nicht eingesetzt werden.

Auf längere Sicht ist die dauerhafte Beseitigung des Jodmangels die wir- kungsvollste Maßnahme, um die Häu- figkeit der IIH auf ein nicht vermeidba- res Minimum zu senken.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 402–406 [Heft 7]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Johann Rendl Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg

E-Mail: rendl@nuklearmedizin.uni-wuerzburg.de Empfehlung zur medikamentösen Prophyla-

xe der jodinduzierten Hyperthyreose

3 x 20 Tropfen (= 900 mg) Perchlorat/Tag

zusätzlich fakultativ (bei hohem Risiko) 20 mg Thiamazol/Tag

Beginn der Therapie: spätestens 2–4 h vor Kontrastmittelapplikation

Dauer der Therapie: 14 Tage Bei manifester Hyperthyreose

3 x 20 Tropfen Perchlorat/Tag

zusätzlich 20–80 mg Thiamazol/Tag

Beginn der Therapie: spätestens 2–4 h vor Kontrastmittelapplikation

Dauer der Therapie: Perchlorat mindestens 14 Tage, Thiamazol in angepasster Dosis weiter- führen

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