DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BRIEFE AN DIE REDAKTION
schichte und die Kriege der Neuzeit keine begrenz- ten Konflikte mehr sind, sondern zwischen Völker- gruppen ausgetragen wer- den. Die Aufgabe des Arz- tes erstreckt sich daher auf die Betreuung der Ange- hörigen verbündeter Na- tionen".
Und abschließend noch ein Wort zur Triage: „Es ist unärztlich, unbedingt ei- nen bestimmten Schwerst- verletzten retten zu wollen, wenn dafür andere Verletz- te, denen mit geringem Aufwand hätte geholfen werden können, sterben müssen oder in Lebensge- fahr gebracht werden, nur weil der Arzt aus falsch verstandener Menschlich- keit versucht, den einen Schwerstverletzten mit al- len Mitteln und aus allen Kräften zu behandeln", führt Frau Burman aus.
Man möchte annehmen, daß Frau Burman die Pro- blematik der Triage auf ei- nen Sonderfall beschrän- ken möchte, der eigentlich mit diesem Begriff nichts mehr zu tun hat. Ein Arzt, der mehrere Schwerver- letzte mit lebensbedroh- lichen Verletzungen zu versorgen hat, wird ganz automatisch eine Behand- lungsreihenfolge einge- hen, denn er kann ja nun mal nur einen Patienten auf einmal behandeln. Also wird er sich, hätte er es beispielsweise gleichzeitig mit einem Verletzten mit einem offenen Pneumo- thorax und mit einem zwei- ten Verletzten mit Schock- symptomatik bei stumpfen Bauchtrauma zu tun, auto- matisch zuerst dem Tho- raxverletzten zuwenden, obwohl beide Patienten in- nerhalb weniger Minuten sterben können.
Aber: Die Behandlung des Thoraxverletzten ist in we- nig Zeit durchführbar, be- nötigt nur einen geringen materiellen Aufwand und ist quoad vitam vielver- sprechend, während die Behandlung des Patienten
mit Bauchtrauma zeitauf- wendig, meist nur operativ angehbar und mit relativ hoher Letalität verbunden ist. Um eine solche Be- handlungspriorität festzu- legen, bedarf es medizini- scher Kenntnisse, nicht je- doch einer ZDv 49/50.
Die Problematik der Triage ist eine andere: „Kriegs- chirurgie ist, zur rechten Zeit am rechten Platz das Beste für möglichst viele zu tun (Seite 39)". Das be- deute für den konkreten Fall: hat ein Arzt es mit zehn Handverletzten und einem lebensbedrohlich Schwerverletzten zu tun, so muß er nach den Regeln der Triage erst die Hand- verletzten behandeln (zur rechten Zeit das Beste für möglichst viele). Damit bleibt die Schlagkraft der Truppe erhalten: denn es fällt nur einer aus, der Schwerverletzte nämlich, der stirbt.
Die behandelten Handver- letzten können (unter Kriegsbedingungen) rasch wieder zur Truppe zurück- geschickt werden und blei- ben kriegsverwendungsfä- hig. Die dazu passende Passage aus der ZDv 49/50:
„Mit seinen Händen mei- stert der Mensch die ge- stellten Anforderungen, schafft sich Lebensbe- rechtigung und Glück. Oh- ne Hände wird er hilflos und alle seine Werkzeuge sind unnütz. Auch die Kriegsgeräte sind wertlos, wenn keine tüchtige Hand sie bedienen kann."
Von militärischer Seite ge- sehen ist dieses Hand- lungsprinzip Triage ratio- nell und folgerichtig, von ärztlicher Seite gesehen unmoralisch. „Wie der Arzt in den Dienst eines ande- ren tritt, ist seine Funktion gestört (Sigmund Freud, Oktober 1920)".
Martin Krause Kottbusser Damm 101 1000 Berlin 61
WIDERSTAND
Zu dem Leserbrief „Vier Ant- worten", von Dr. med. F. Lud- wig in Heft 16/1984, Seite 1234:
Wiedergutmachung nur für Beamte
... Wenn ein Arzt, wie mein Vater, der prakti- scher Arzt in einer Klein- stadt Mecklenburgs war, seine vom Nationalsozia- lismus abweichende Mei- nung kundtat, mußte er da- mit rechnen, von in NS or- ganisierten „Kollegen"
und Amtsträgern der ver- schiedenen Gliederungen der NSDAP angefeindet und besonders streng kon- trolliert zu werden. Das führte schließlich dazu, daß meinem Vater die RVO-Kassenpraxis zu- nächst kurzfristig, dann endgültig entzogen wurde.
Die Begründung der dama- ligen Reichsärztekammer in Berlin bezog sich auf ein politisches Gutachten des damaligen Gauleiters von Mecklenburg, Hildebrandt, der lapidar feststellte, daß mein Vater „nicht auf dem Boden des Nationalsoziali- stischen Deutschland stün- de". Damit verlor mein Va- ter für seine Familie und sich weitgehend die Grundlagen für seinen Be- ruf. Der Lebensunterhalt wurde nur dadurch ge- währleistet, daß ein Groß- teil der Bauern entweder gar nicht oder privat versi- chert war. Irgendeine Hilfe von seiten ärztlicher Stan- desorganisationen, die al- lerdings schon weitgehend gleichgeschaltet waren, gab es nicht, auch nicht von Kollegen, die ebenso wie mein Vater mit dem NS-Staat nicht überein- stimmten. Eine Auswande- rung, wie sie im gleichen Heft von Herrn Dr. G. Hein- stein erwähnt wird, kam auch schon damals prak- tisch nicht in Frage, insbe- sondere nicht mit einer Fa- milie mit Kindern. Soweit — so gut.
Als 1972 vom Bundestag ein Wiedergutmachungs- gesetz beschlossen wurde, habe ich für meine verwit- wete Mutter einen entspre- chenden Antrag gestellt, der von den zuständigen Behörden abgelehnt wur- de. Meine Verfassungs- beschwerde wurde eben- falls abgewiesen. Als ich mich dann später an den inzwischen verstorbenen Rechtsanwalt F. v. Schla- brendorff gewandt habe, hat dieser mir in einem sehr eingehenden freund- lichen Schreiben mitge- teilt, daß die Wiedergutma- chung von jenseits der El- be geleistetem Widerstand gegen das NS-Regime nur für Beamte geschaffen worden sei. Welche Konse- quenzen ergeben sich wohl daraus für die Nach- geborenen? Im übrigen sind die Ausführungen von Herrn Dr. F. Ludwig voll zu- treffend.
Prof. Dr. med.
Hans-Joachim Maurer Chefarzt
der Radiologischen Abteilung des
St.-Josefs-Krankenhauses Landhausstraße 25 6900 Heidelberg 1
—BLUTENLESE
Ansichtssache
Das alte, graugelbe Küstriner Stadt- schloß, einst eine Bastion Branden- burgs, sieht heute wie ein verkomme- nes Armenhaus aus und erregt ästheti- sches Mißbehagen.
Bestenfalls geht man gleichgültig an dem schmucklosen Bau vorüber. Wer aber weiß: hier fiel Kattes Haupt, an diesem Fenster stand sein Freund, der Kron- prinz — der sieht den unschönen Bau mit anderen Augen an.
1982 (14) Heft 25/26 vom 25. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A